„Der Romanschreiber“, das ist eine Artikelreihe, in der ich dir praxisnahe Tipps zum Entwickeln, Schreiben, Anbieten und Vermarkten eines Romans gebe. Anders als mit den bisherigen Artikeln will ich dir damit nicht verschiedene Wege zum Ziel aufzeigen. Zwar gilt natürlich weiterhin, dass letztlich das Ergebnis zählt, welchen Weg auch immer du beschreitest, doch als der Romanschreiber habe ich mir vorgenommen, keine verwirrende Vielfalt an Möglichkeiten, sondern (zum Teil am praktischen Beispiel) klare, einfache Strategien aufzuzeigen, die meiner Meinung nach besonders hilfreich sind.
Wenn es gelingt, solltest du diese Artikel beinahe wie eine Anleitung lesen und direkt umsetzen können. Willst du in eines der Themen tiefgründiger eindringen, stehen dir ja weiterhin die anderen Artikel zur Verfügung.
Und noch einmal: Auch wenn ich in dieser Reihe beinahe so tue, den goldenen Weg für jeden gibt es nicht. Jeder muss letztlich seinen eigenen finden.
Im vorigen Artikel (http://www.mystorys.de/autoren_hilfe/99-Der-Romanschreiber-Bitte-wenden.htm) hast du erfahren, dass eine Geschichte die Entwicklung eines zentralen Konflikts verfolgt, dass diese Entwicklung durch Wendepunkte bestimmt wird und der erste dieser Wendepunkte, der den Konflikt auslöst, deinen Helden oder deine Heldin der Geschichte aus seinem/ihrem Alltag reißt.
Wie wird deine Geschichte weiterverlaufen? Welche weiteren Wendepunkte kommen noch auf deine Figur(en) zu?
Wenn dein Protagonist den ersten Wendepunkt hinter sich lässt, hat er sich entschieden, seinen Alltag Alltag sein zu lassen und stattdessen das Problem anzugehen, das sich ihm stellt. Von nun an verfolgt er (oder sie) ein Ziel, dem sich der Leser anschließen soll, indem er die Geschichte erst dann als abgeschlossen betrachten wird, wenn dieses mehr oder weniger deutlich erklärte Ziel erreicht ist (oder die Figur endgültig an dem Ziel gescheitert ist).
Hier ist es also wieder einmal Zeit, die Geschichten meiner beiden Protagonisten zu betrachten, damit du zwei Beispiele hast:
Robert bekommt eine Tüte Bonbons und findet heraus, dass er, während er ein solches Bonbon lutscht, unglaublich gut kochen kann. Er hofft, mit diesen neuen Fähigkeiten Bettina erobern zu können. Doch er muss lernen, dass der falsche Weg nicht zum Ziel führt.
Als Prinzessin Lea erfährt, dass sie nur auf diese Weise Königin werden kann, beschließt sie, ihren Zukünftigen aus einem Drachenhort zu befreien. Doch bis sie die Krone erobert, ist es ein weiter Weg, der sie verändert.
Das heißt:
Roberts Ziel ist es, Bettina zu erobern.
Leas Ziel ist es, Königin zu werden.
Demzufolge wird Roberts Geschichte fortan von seinem Bestreben bestimmt, Bettina zu erobern. Sobald er sich entschieden hat, das Problem anzugehen, wird alles, was er unternimmt, direkt oder auch indirekt diesem Ziel dienen. Und nur davon erzählt die Geschichte. Wenn er Bettina erobert hat oder endgültig von diesem Ziel ablässt bzw. ablassen muss, ist die Geschichte zu Ende. Feierabend! Aus!
Anders gesagt: Die Geschichte kann nur so lange funktionieren, solange die Hindernisse, die Robert überwinden muss, bis es vielleicht doch ein Ja von Bettina gibt, hoch genug sind.
Auf der anderen Seite muss aber auch die Motivation Roberts, diese Hindernisse zu überwinden, ausreichen, um ihn nicht aufgeben zu lassen.
Und genauso wie Lea nach ihrer Entscheidung, um die Krone zu kämpfen, von Hindernissen zwar aufgehalten, aber nie endgültig abgeschreckt werden wird, solltest du es auch deinem Protagonist/deiner Protagonistin so schwer wie möglich machen, ihm/ihr aber gleichzeitig die größtmögliche Motivation mit auf den Weg geben.
Lass es mich noch einmal ganz deutlich sagen: Im wahren Leben würden sowohl Robert als auch Lea vermutlich, auch nachdem sie sich ihr jeweiliges Ziel gesetzt haben, manche Dinge geschehen, die damit gar nichts zu tun haben. Und wahrscheinlich würden sie auch von sich aus oder gezwungenermaßen dieses oder jenes unternehmen, was ganz anderen Zielen dient. Vielleicht die Oma besuchen, eine Party feiern, einkaufen, aufs Klo gehen, …
Ob sie das als Figuren in der Geschichte auch tun, sei mal dahingestellt. Erzählt wird es aber nicht. Oder eben nur dann, wenn es doch auf irgendeine Weise mit dem Spannungsbogen in Verbindung gebracht wird.
Der Spannungsbogen einer Geschichte baut sich also aus einer Kette von Ereignissen auf, die alle in einem kausalen Zusammenhang stehen, in dem der oder die Protagonistin ein Ziel erreichen will.
Von Wendepunkten habe ich schon im vorigen Artikel gesprochen. Sie markieren im Rahmen des Spannungsbogens die Punkte, in denen die Handlung in eine neue Richtung verläuft. Im Rahmen des Spannungsbogens heißt, dass das Ziel bestehen bleibt, aber der Protagonist/die Protagonistin einen neuen Weg einschlägt, um es zu erreichen. In der Regel wird das aufgrund neuer Erkenntnisse geschehen, etwa weil der vorige Weg nicht mehr Erfolg versprechend erscheint oder der Protagonist/die Protagonistin auf ihm sogar gescheitert ist.
Wir haben ja gesagt, dass wir es unseren Helden nicht so leicht machen dürfen, wollen wir eine spannende Geschichte erzählen. Dazu gehört eben auch eine Entwicklung, in der sie an ihre Grenzen stoßen, nicht weiterkommen, etwas Neues versuchen müssen.
Es gibt klassische Plotmodelle (allen voran das Drei-Akt-Modell und die Heldenreise), die erklären, wann welcher Wendepunkt gesetzt, und wie die Handlung zwischen diesen Punkten verlaufen soll.
Wie streng oder ob man diesen Modellen überhaupt folgen will, ist natürlich jedem selbst überlassen. Allerdings solltest du nicht ganz außer Acht lassen, dass sie sich nicht umsonst vielfach bewährt haben. Und vor allem will diese Artikelreihe ja nicht ständig die Vielfalt der Möglichkeiten aufzeigen, sondern einen gangbaren Weg aufzeigen. Und der soll sich an den bewährten Modellen orientieren.
Stell dir vor, du sitzt gemütlich vor dem Fernseher, als dich ein gar nicht so kleiner Hunger überfällt. Dieses Ereignis löst einen Konflikt bei dir aus und du musst eine Entscheidung treffen: Unternimmst du nichts und leidest weiter Hunger oder nimmst du die Herausforderung an und versuchst, den Hunger zu stillen.
Vermutlich ist es dir gar nicht so bewusst, weil das eine alltägliche Situation und in den meisten Fällen leicht zu lösen ist, aber du befindest dich gerade in einer Krise. Ausgelöst durch eine Katastrophe, in diesem Fall das plötzliche Hungergefühl.
Starke Begriffe, oder? Ich könnte jetzt argumentieren, dass du ja mal versuchsweise ein paar Tage nichts gegen den Hunger unternehmen kannst …
Aber viel entscheidender ist, dass du, nimmst du die Herausforderung an, von deinem bisherigen Weg abweichen musst. Du kannst nicht weiter auf dem Sofa liegen bleiben und fernsehen, sondern du musst etwas unternehmen.
Wenn wir also von einer Krise sprechen, meinen wir in diesem Zusammenhang, dass die Figur in eine Situation gerät, in der sie entweder ihr Ziel aufgeben oder von ihrem bisherigen Weg (ihrem Handeln/Vorgehen, ihrer Strategie) abweichen muss.
Roberts erste Krise entsteht durch den Fund der Wunderbonbons. Durch sie setzt er sich zum Ziel, Bettina zu erobern, und muss, um es zu erreichen, etwas unternehmen, einen Weg einschlagen, der ihn hoffentlich seinem Ziel näherbringt.
Leas erste Krise entsteht durch den Erhalt der Information, dass sie nur Königin werden kann, wenn sie ihren Zukünftigen aus dem Drachenhort befreit. Nun fasst sie den Entschluss, ihr Ziel anzugehen.
Kommen wir aber noch einmal auf deinen Hunger zu sprechen. Ziemlich wahrscheinlich hast du diese erste Krise ziemlich schnell überwunden und sogar dein Ziel schnell erreicht: Du sitzt mit einem Sandwich wieder auf dem Sofa und stillst deinen Hunger – krisenfrei.
Natürlich könnte es auch passieren, dass dein Brotbelag nicht mehr gut ist, das Brot schimmelt oder erst der Abwasch gemacht werden muss. Dann müsstest du eventuell sogar dein Vorgehen ändern, um dein Ziel zu erreichen: einkaufen gehen oder einen Lieferdienst anrufen. Als Figur in einem Roman würden sicherlich noch mehr Katastrophen eintreffen und dich in Krisen stürzen, denen du nur entkommen kannst, indem du neue Wege gehst und dazulernst.
Mit der Planung der wichtigsten werden wir im nächsten Artikel beginnen, natürlich mit Robert und Lea.