mySTORYs Schreibratgeber
Für Anfänger und Fortgeschrittene

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Interview

Das sagt Andrea Müller

Foto: © Droemer Knaur/Markus Röleke

Interview

Liebe Frau Müller, in diesem Interview soll es vor allem darum gehen, welche Ratschläge Sie als erfahrene Verlagslektorin jungen Autoren, die veröffentlichen wollen, mit auf den Weg geben möchten. Zunächst interessiert mich aber natürlich, wie Sie zu Ihrem Beruf gekommen sind, und was Sie daran fasziniert.

Ich wollte schon immer Lektorin werden, das war mein Berufswunsch bereits mit vierzehn, nachdem ich in einem der Rotfuchs-Magazine des Rowohlt Jugendbuch Verlags ein Porträt einer Lektorin las. Da hieß es sinngemäß, ihre Aufgabe bestünde darin, Manuskripte zu lesen und zu entscheiden, welche davon publiziert würden. Für eine lesebegeisterte Vierzehnjährige klang das wie das Paradies.
Die Lesebegeisterung stand damit am Anfang meiner Entscheidung für den Beruf. Heute kommen „Jagdfieber“, die Lust am Entdecken immer wieder neuer Talente und Stoffe, und Spaß an der extremen Vielfältigkeit des Berufs hinzu.

 

Wie sieht denn so ein Arbeitstag bei Ihnen aus bzw. welche Aufgaben umfasst Ihre aktuelle Tätigkeit?

Der Lektorenberuf umfasst sehr viele verschiedene Aufgaben, so sieht kaum ein Tag aus wie der andere. Aber man kann folgende Arbeitsschwerpunkte nennen: 

  • Prüfung und Akquise, das umfasst zum Beispiel Prüfen eingehender Manuskripte, Erarbeiten und Briefen von eigenen Projektideen bei Literaturagenturen, Erstellung von Gutachten, Diskussion von möglichen Projekten mit den Lektoratskollegen, Verhandlungen über vielversprechende Projekte mit Agenturen und Verlagen im In- und Ausland
  • Betreuung der eingekauften Projekte, damit ist z. B. gemeint Titelfindung, Erstellen von Katalogtexten, Rückseiten- und Klappentexten, ggf. Auswahl von Übersetzern und Redakteuren sowie bei deutschen Originalautoren redaktionelle Arbeit am Text.

In meinem Fall, da ich gleichzeitig Programmleiterin bin, kommt als dritter Arbeitsschwerpunkt die Programmplanung hinzu. Diese umfasst unter anderem Bedarfsanalysen für „meine“ Label, Erstellung von Halbjahresprogrammen und Steuerung der Akquise meiner KollegInnen, die mit mir das Programm bestücken. 

 

Sagen wir, ich wäre ein noch unerfahrener Autor und nähme mir vor, mein Manuskript an Ihren Verlag zu senden. Gibt es Kriterien, an denen ich erkennen kann, dass mein Manuskript so weit ist?

So banal es klingt: Zunächst einmal brauchen Sie für den Weg zum Verlag ein vollständiges Manuskript. Das müssen Sie zwar nicht komplett einreichen (Prüfgrundlage sind für den Lektor i. d. R. ein Exposé und eine Leseprobe), aber Sie müssten es auf Anfrage einreichen können.
Inhaltlich gesehen gibt es keine klaren Kriterien, die eindeutig beweisen würden, „jetzt ist das Manuskript fertig“. Zumal sich jeder Autor darauf einrichten muss, dass der Lektor, der mit dem geschulten Blick eines Profis an das Manuskript herangeht, sicherlich noch zahlreiche Überarbeitungsvorschläge haben wird, wenn er sich entschließt, für das Manuskript ein Angebot zu machen.

 

Gut, ich bin also der Meinung, mein Manuskript sei so weit. Zurzeit tut sich einiges in der Literaturbranche, für Autoren werden die Möglichkeiten, ihr Werk an die Leser zu bringen, vielfältiger. Warum sollte ich den Weg in den Verlag suchen, der doch oft viel Geduld und Arbeit erfordert und noch dazu nur selten von Erfolg gekrönt ist? Gibt es Fälle, in denen sogar Sie als Verlagslektorin einen alternativen Veröffentlichungsweg empfehlen würden?

Die neuen Möglichkeiten des Selfpublishings eröffnen Autoren tatsächlich neue Publikationsformen. Was diese aber nicht in gleicher Weise bieten können wie ein Verlag, wären: 

  • professionelles Lektorat in mehreren Stufen. Die Lektüreeindrücke von Testlesern, die einem Autor ja meistens durch Freundschaft/Verwandtschaft verbunden und dadurch in gewisser Weise in ihrem Urteil gehemmt sind, ersetzen nicht den geschulten Blick eines Lektors, der ein Manuskript auf strukturelle, inhaltliche und sprachlich-stilistische Mängel prüft.
  • Verkauf über alle Vertriebswege. Ein Verlag hat die Möglichkeit, alle Vertriebswege, inklusive des stationären Buchhandels und der großen Buchhandelsketten, anzusprechen. Dem Autor, der seine Bücher im Selfpublishing vermarktet, steht dagegen fast nur der Online-Handel offen.
  • Kontakte zu allen Medien, online wie print. Erfolgreiche Selfpublishing-Autoren nutzen nahezu ausnahmslos die Möglichkeiten des Internets zur Promotion ihrer Bücher – ein Verlag hat jenseits dessen gewachsene und langjährig gepflegte Kontakte zu allen relevanten Printmedien auf regionaler und überregionaler Ebene, sowie zu wichtigen Multiplikatoren wie Bloggern oder Betreibern von Vorablese- und Rezensionsplattformen.
  • Unterstützung bei Veranstaltungen wie Lesungen, Signierstunden etc.

Grundsätzlich muss einem Autor, der sein Buch selbst publiziert, klar sein, dass der Erfolg nicht einfach von selbst kommen wird, sondern dass er, neben dem Schreiben und Überarbeiten des Manuskriptes, auch alle anderen Aufgaben übernehmen muss, also z. B. die Cover- und Preisgestaltung, die Erstellung sämtlicher Begleittexte zum Buch, die Werbung auf allen Social-Media-Plattformen, Akquise und Abwicklung von möglichen Veranstaltungen, Kontaktaufnahme mit lokaler und ggf. überregionaler Presse etc.
Das eigene Buch in dieser Weise zu promoten, kostet sehr viel Zeit und Energie – das muss man als Autor wollen!

 

Wenn ich mich nun entschieden habe, mein Manuskript einem/Ihrem Publikumsverlag anzuvertrauen, wie gehe ich es an? Sollte das komplette Manuskript vorliegen? Bewerbe ich mich mit Exposé und Leseprobe? Was muss sonst noch unbedingt dabei sein? Und vor allem: Erreicht mein Manuskript Sie besser direkt oder auf dem Umweg über eine Literaturagentur?

Wie zuvor schon gesagt, es sollte unbedingt das komplette Manuskript vorliegen, wenn die Anfrage eines interessierten Lektors nach dem vollen Text kommt, sollte man diese ad hoc erfüllen können.
Die Bewerbung erfolgt mit Exposé und Leseprobe, richtig.
Der Weg über die Agentur ist der deutlich erfolgversprechendere. Agenten treffen eine Vorauswahl, bringen das Prüfmaterial für Lektoren in die richtige Form, schicken gezielt an Lektoren, von denen sie wissen, dass sie für diese Art von Stoff offen sind. Die Chance, über eine gute Agentur an einen Verlag zu kommen, ist ungleich höher. Zumal in vielen Verlagen unangefordert eingesandte Manuskripte nicht von den Lektoren selbst geprüft werden, sondern von Aushilfen oder Volontären – die Zahl ist einfach zu hoch, die Erfolgsaussichten für den Lektor sind zu gering. Ich rate jedem Autor auf Verlagssuche, sich eine Agentur zu suchen.

 

Wenn jetzt mein Manuskript bei Ihnen angekommen ist, auf welch verschlungenen Pfaden auch immer, was müsste mein Werk ausmachen, damit Sie es für ein besonders gelungenes halten?

Für mich braucht ein Manuskript das, was ich den „X-Faktor“ nenne, das eine Element, die eine Idee, die neu ist, unverbraucht, und die im Gedächtnis bleibt. Es ist legitim, sich innerhalb erprobter Genregrenzen zu bewegen – aber das allein reicht nicht. Ein Manuskript, für das sich ein Lektor trotz begrenzter Budgets und eingeschränkter Programmplätze entscheiden soll, braucht das gewisse Etwas. 

 

Und welche Qualitäten schätzen Sie besonders am Autor/der Autorin selbst, sowohl hinsichtlich der schreiberischen Fähigkeiten als auch in Bezug auf die Lektoratsarbeit mit ihm oder ihr?

Einem Autor, der einen Verlagsvertrag unterschreibt, muss klar sein, dass ein Lektor, der ja nicht nur sein Buch betreut, sehr stark termingebunden arbeitet. Das Verlagsjahr ist streng durchgetaktet – und der Autor muss innerhalb dieser Terminstrukturen mitarbeiten, also z. B. Titelideen mit dem Lektor erarbeiten, wenn die Titelfindung im Verlag ansteht; den Redaktionsplan einhalten, den ihm der Lektor im Hinblick auf die Herstellungserfordernisse etc. vorgibt. Kurz gesagt: Ich wünsche mir Autoren, die professionell denken und arbeiten, und mit mir an einem Strang ziehen. 

Außerdem absolut entscheidend: Ein Autor muss dem Verlag bzw. mir als Lektor ein Grundvertrauen entgegenbringen. Nur dann wird er mit mir in einen offenen Dialog treten, wenn ich ihm auf Basis meiner professionellen Erfahrung, meiner Marktkenntnis und meiner intensiven Auseinandersetzung mit seinem Text womöglich größere Textänderungen ans Herz lege. Ohne die Bereitschaft des Autors, sich – auch unangenehmer – Kritik zu öffnen, ist Lektoratsarbeit schlicht nicht möglich. 

 

Man hört und liest ja manchmal wahre Horrorgeschichten, was Lektoren aus den Werken von Autoren machen? Wie kompromissbereit muss ich als Autor tatsächlich sein, wenn ich mein Manuskript in Ihre Hände gebe?

Ich sehe mich als Lektor als der wohlwollendste, aber auch kritischste Leser meiner Autoren. Ein Autor, der kein Vertrauen – siehe oben meine Ausführungen zum Thema Grundvertrauen – hat, dass ich ebenso wie er das Optimum aus seinem Manuskript herausholen und damit die Chance auf eine erfolgreiche Publikation maximieren will, wird mit mir nicht erfolgreich arbeiten können. Meine Vorschläge können in der Tat sehr weitreichend sein, vom Ändern einzelner Kapitel oder Romanteile bis zur Neukonzeption von Figuren oder ganzer Handlungsstränge. Jeden dieser Vorschläge werde ich selbstredend begründen – textimmanent oder mit Hinblick auf Konkurrenzliteratur und die Marktlage. Ich erwarte nicht, dass ein Autor alles klaglos hinnimmt, was ich vorschlage, ich trete gerne in die Diskussion mit ihm und suche nach der bestmöglichen Lösung, die durchaus auch darin bestehen kann, dass der Text in dem einen oder anderen Punkt so bleibt, wie er ursprünglich schon war. Ich ändere nicht in den Texten meiner Autoren, ohne dass diese jeglichen Schritt der Textarbeit nachvollziehen, mit mir diskutieren und auch wieder rückgängig machen können. Aber ein Autor, der größere Änderungen an seinem Werk von vorneherein ablehnt oder an jedem einzelnen Wort seines Textes hängt, wird mit der professionellen Lektoratsarbeit Schwierigkeiten haben. 

 

Wie darf ich mir den Lektoratsprozess vorstellen? Wie würde die Arbeit mit Ihnen aussehen?

Im optimalen Fall verläuft die Lektoratsarbeit am Text 3-stufig, von der Makro- zur Mikrostruktur des Textes.
Der erste Schritt ist die Plotredaktion, bei der es vor allem um die großen Strukturen des Gesamttextes geht, also um Fragen wie: Stimmen die Figuren? Überzeugt der Grundkonflikt der Protagonisten? Ist die Auflösung schlüssig? Ist der Spannungsbogen erkennbar und ohne Durchhänger?
Im zweiten Schritt folgt die verfeinerte Plotredaktion, die sich mit den Kapiteln und Einzelszenen befasst. Dabei wird beispielsweise überprüft, ob die Figuren in der Einzelszene schlüssig agieren? Werden die Settings plastisch? Fehlen wichtige Detailinfos? Ist die Logik überall gewahrt? Stimmen die Zeitabläufe?
Der letzte Schritt wäre die Schlussredaktion, die sich sprachlich-stilistisch des Textes annimmt, Wiederholungen ausmerzt, Metaphern prüft, Schreibweisen vereinheitlicht etc.

 

Schön, jetzt habe ich es sozusagen hinter mir. Aber hätte ich als Neuautor tatsächlich eine Chance? Wie viele der eingesandten Manuskripte landen schließlich tatsächlich im Buchhandel? Suchen Sie überhaupt noch nach neuen Autoren?

Jeder Verlag sucht IMMER nach neuen Talenten, kein Verlag kann sich je auf dem Erreichten ausruhen, der Markt verlangt ständig nach neuen Stoffen und neuen Namen. Allerdings muss sich jeder Neuautor klar sein, dass die Konkurrenz sehr groß ist. Ein neuer Autor konkurriert ja nicht nur mit den zahllosen anderen deutschen Autoren, die ihre Manuskripte anbieten (und deren Zahl steigt eher, da die Angebote an Schreibkursen und -schulen zunehmen), sondern auch mit all den Angeboten aus dem Ausland, schließlich übersteigt bei vielen Publikumsverlagen die Zahl der Übersetzungen die der deutschen Originalausgaben noch immer deutlich. Erschwerend kommt hinzu, dass fast alle deutschen Verlage ihre Programme verkleinert haben, um sich auf weniger Bücher zu konzentrieren, die noch gezielter und fokussierter vermarktet werden können.
Aber davon soll sich niemand, der für das Schreiben brennt und originelle Geschichten zu erzählen hat, abhalten lassen – für wirklich starke Bücher gibt es immer Verlagsinteresse!

 

Vielen Dank für dieses interessante Interview.

 

 

Veröffentlicht am 30.03.2014
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