„Der Romanschreiber“, das ist eine Artikelreihe, in der ich dir praxisnahe Tipps zum Entwickeln, Schreiben, Anbieten und Vermarkten eines Romans gebe. Anders als mit den bisherigen Artikeln will ich dir damit nicht verschiedene Wege zum Ziel aufzeigen. Zwar gilt natürlich weiterhin, dass letztlich das Ergebnis zählt, welchen Weg auch immer du beschreitest, doch als der Romanschreiber habe ich mir vorgenommen, keine verwirrende Vielfalt an Möglichkeiten, sondern (zum Teil am praktischen Beispiel) klare, einfache Strategien aufzuzeigen, die meiner Meinung nach besonders hilfreich sind.
Wenn es gelingt, solltest du diese Artikel beinahe wie eine Anleitung lesen und direkt umsetzen können. Willst du in eines der Themen tiefgründiger eindringen, stehen dir ja weiterhin die anderen Artikel zur Verfügung.
Und noch einmal: Auch wenn ich in dieser Reihe beinahe so tue, den goldenen Weg für jeden gibt es nicht. Jeder muss letztlich seinen eigenen finden.
In den bisherigen Romanschreiber-Artikeln ging es trotz konkreter Beispiele noch viel um Theoretisches. Nun wollen wir endlich richtig anfangen. Nein, noch schreibst du nicht dein Manuskript, aber immerhin steigen wir jetzt in die Planung deiner Geschichte ein.
Dazu gehen wir ähnlich vor, wie es Randy Ingermanson bei seiner Schneeflockenmethode vorschlägt, die du dir unter folgendem Link genauer anschauen kannst: http://www.schriftsteller-werden.de/kreatives-schreiben/wie-du-einen-roman-schreibst-die-schneeflocken-methode-1/.
Es geht dabei im Prinzip darum, dass du dich deiner Geschichte schreibend näherst, indem du immer längere und damit detailliertere Texte verfasst. Du beginnst mit einer einfachen Grundstruktur, der du immer wieder etwas hinzufügst, bis die komplizierte Struktur (Schneeflocke) der fertigen Geschichte steht.
Glücklicherweise haben wir ja schon einige Vorarbeit geleistet, weshalb es dir nicht allzu schwerfallen sollte, deine künftige Geschichte in einem Satz zusammenzufassen. Ich tue das mal eben mit den beiden Beispielen, die uns nun schon von Beginn an begleiten:
Ein schüchterner Student versucht mithilfe einer Tüte magischer Bonbons seine Angebetete zu erobern.
Eine machthungrige Prinzessin zieht gegen einen Drachen, um Königin zu werden.
Am hilfreichsten ist diese Einsatzzusammenfassung (das wissen wir im Prinzip schon), wenn Sie in etwa dieser Struktur folgt:
Wer unternimmt was mit welchem Ziel?
Wie du siehst, setze ich noch nicht die Namen meiner Protagonisten ein. Und du solltest das auch nicht. Warum? Weil du dich damit noch einmal zwingst, dir Gedanken über eine entscheidende Eigenschaft deiner wichtigsten Figur zu machen. Schreibe also nicht einfach „ein Mann“ oder „ein Mädchen“, sondern suche nach einer Eigenschaft, die für die Geschichte, die du erzählen willst, wichtig oder sogar entscheidend ist.
Denke außerdem daran: In der Kürze steckt die Würze. Und nimm dir ruhig ein bisschen Zeit. Vielleicht eine Stunde. So lange probierst du an deinem Satz herum, bis du das deiner Meinung nach bestmögliche Ergebnis erreicht hast. Das ist bestimmt nicht das Erste, was dir einfällt.
Der Ein-Satz-Pitch, den du nun geschrieben hast, ist die Grundlage für weitere fünf Sätze. Diese fünf Sätze spinnst du dir nicht einfach irgendwie zusammen, weil du ja eine Grundstruktur erreichen willst. Das heißt, du entwickelst sie nach Vorgaben.
Die Vorgaben kennst du aus den vorhergehenden Artikeln schon in etwa, denn es sind die großen Wendepunkte (Katastrophen und zugehörige Krisen), die den Spannungsbogen ausmachen. Wie schon gesagt, wir orientieren uns an bewährten Modellen wie dem Drei-Akt-Modell und der Heldenreise. Daher auch die fünf Sätze.
3.1 Satz 1
Der erste Satz soll in die Geschichte einführen. Er stellt deinen Protagonisten vor und umreißt die Ausgangssituation, in der er sich befindet.
Der Neustädter Student Robert glaubt nicht daran, Chancen bei der hübschen Restaurantchefin Bettina zu haben.
Prinzessin Lea kann es kaum erwarten, ihrem Vater auf den Thron zu folgen.
Die in deinem Satz um- oder angerissene Ausgangssituation bildet das Fundament für den zentralen Konflikt, um den es in deiner Geschichte geht.
Robert ist bereits verliebt, unglücklich, denn aufgrund seiner Erfahrungen und seiner Schüchternheit räumt er sich gar nicht erst eine Chance bei Bettina ein. Das ist seine Ausgangssituation, in die unsere Geschichte hineinplatzt, indem sie ihm die Möglichkeit und die Motivation gibt, es doch zu versuchen.
Bei Lea ist es beinahe anders herum. In ihrer Ausgangssituation wird zwar bereits ihr Ziel klar, doch unsere Geschichte wird ihr erst einmal einen Strich durch die Rechnung machen, indem sie dieses Ziel an eine Bedingung knüpft, die alles andere als leicht zu erfüllen ist.
Natürlich könnten meine ersten Sätze auch anders lauten:
Die hübsche Bettina besitzt ein Restaurant in Neustadt.
Prinz Reginald stünde eine traumhafte Zukunft bevor, säße er nicht seit Jahren in Ketten in einer bewohnten Drachenhöhle fest.
Nur wollte ich weder Bettinas noch Reginalds Geschichte erzählen. Und auch dein erster Satz sollte sich auf deinen Protagonisten und seine spezifische Ausgangsposition hinsichtlich der zu erzählenden Geschichte konzentrieren.
3.2 Satz 2
In diese Ausgangssituation bricht jetzt das auslösende Ereignis ein, die erste Katastrophe, festgehalten in deinem zweiten Satz.
Als Robert herausfindet, dass von ihm unter mysteriösen Umständen erstandene Bonbons ihn vorrübergehend zu einem Meisterkoch werden lassen, schöpft er die Hoffnung, Bettina mit diesen Fähigkeiten von sich zu überzeugen.
Als Lea erfährt, dass die Krone nur der Thronerbin zugesprochen wird, die Prinz Reginald aus der Gefangenschaft eines Drachen befreit und ehelicht, beschließt sie, gegen das Untier zu ziehen.
Beide Male habe ich den zweiten Satz mit „als“ begonnen. Das musst du nicht so machen, aber es gibt dir die Möglichkeit, Katastrophe und Krise gleichermaßen zu umfassen bzw. sowohl das Ereignis als auch die Reaktion/Entscheidung deiner Figur zu benennen.
Mit dem zweiten Satz stürzt sich deine Figur also in die Geschichte, die du erzählen willst. Aber was geschieht jetzt?
3.3 Satz 3
Wie Robert und Lea hat sich deine Figur auf ein Abenteuer eingelassen, das für sie etwas völlig Neues darstellt. Im Modell der Heldenreise sprechen wir davon, dass sie die Schwelle übertreten hat. Die Schwelle in eine neue Welt, die Welt des Abenteuers.
Hier muss sie sich nun erst einmal zurechtfinden. Sie muss die Gesetze der neuen Welt verstehen lernen, Pläne schieden, Informationen sammeln, die ihr bei ihrer Aufgabe nützlich sind, und eventuell sogar Waffen und Gerätschaften besorgen, die sie zum Erreichen ihres Ziels benötigt.
Sie wird Bekanntschaften machen, solche, die ihr wohlgesinnt sind oder sie sogar unterstützen, und solche, die ihr im Weg stehen oder ihr sogar als Gegner entgegentreten. Und vielleicht wird sie bei der Bestimmung von Freund und Feind Fehler machen.
Fehler ist ein gutes Stichwort. Du weißt ja, dass du es deiner Figur nicht zu einfach machen darfst. Das gilt auch für diese Phase der Orientierung, die nämlich auch eine Phase erster Bewährungsproben ist.
Deine Figur muss beweisen, dass sie die Richtige für den Job ist (auch dem Leser), gleichzeitig muss der Job beweisen, dass er eine nahezu unüberwindbare Hürde darstellt und deine Figur womöglich alles (vielleicht sogar ihr Leben) verlieren kann (logisch, das auch das als Spannungsfaktor für den Leser wichtig ist).
Diese Phase, die nach dem ersten Wendepunkt mit dem Schritt über die Schwelle beginnt, stellt den ersten Teil des zweiten Aktes im Drei-Akte-Modell dar. Der Spannungsbogen steigt, der Konflikt spitzt sich zu, deine Figur ist auf der Suche nach dem richtigen Weg, um den Konflikt zu lösen und damit ihr Ziel zu erreichen.
Dann erreicht deine Figur den sogenannten Midpoint (weil er dem Modell nach tatsächlich etwa in der Mitte des Romans bzw. Spielfilms liegt). Man kann sich darüber streiten, ob dieser Punkt wirklich ein echter Wendepunkt ist, ob also die Handlung hier eine ganz neue Richtung einschlägt. Das wird sicher auch von der Geschichte abhängen, die du erzählen willst. Und letztlich ist das auch ziemlich egal.
Wichtig ist nur, dass hier die Orientierungsphase im Großen und Ganzen abgeschlossen ist und Protagonist bzw. Protagonistin von jetzt an deutlich zielgerichteter auf ihr Ziel hinarbeiten können.
Was ist passiert? Da ist vieles möglich. Ein (der) entscheidende(r) Hinweis, (ganz) neue Erkenntnisse, die Wunderwaffe oder anderes überaus hilfreiches Gerät, ein ganz wichtiger neuer Gefährte, …
Häufig geht dem die bis dahin größte Niederlage oder sonst ein tiefer Fall voraus, nicht zuletzt, weil der/die Protagonist(in) einer falschen Spur oder Strategie gefolgt ist. Oft sind es auch vermeintlich große Erfolge, die sich dann als null und nichtig herausstellen. Randy Ingermanson (und nicht nur er) spricht hier von der zweiten Katastrophe, die dein dritter Satz zum Thema haben soll.
Robert gewinnt ein Kochduell gegen Bettinas Freund Andi, bekommt von ihr aber trotzdem einen Korb.
Weil ihre jüngeren Schwestern sie überflügeln, räumt Lea sie aus dem Weg und erhält so die entscheidenden Hinweise für ihren Kampf gegen den Drachen.
Nur noch einmal, um das ganz deutlich zu machen: Zwischen deinem zweiten und deinem dritten Satz liegt die gesamte Orientierungsphase. Denn deine Sätze, die du jetzt entwickelst, sollen dir ja erst einmal nur ein Grundgerüst geben und dir helfen, dieses später zielgerichtet aufzufüllen.
Warum habe ich in meinen beiden Beispielen jetzt doch relativ unterschiedliche dritte Sätze geschrieben? Nun, weil meine Intention bei unterschiedlichen Geschichten in der Regel auch unterschiedlich ist.
Bei Roberts Geschichte ist es mir wichtiger, zu betonen, wie fehlgeleitet er bis dahin vorgegangen ist. Wenn er trotz seines Sieges im Kochduell eine Absage von Bettina bekommt, muss ihm das die Erkenntnis bringen, dass er sich die Liebe nicht einfach erkochen kann. Entweder gibt er jetzt auf oder (hey, die Geschichte soll ja hier nicht enden) er besinnt sich und wirft andere Qualitäten in die Waagschale. Die Betonung liegt hier also eher auf dem inneren Konflikt Roberts.
Lea will ich auf dem Midpoint auf dem Höhepunkt ihrer Skrupellosigkeit zeigen. Einen möglichen inneren Konflikt, den sie dabei austrägt, rücke ich (noch) nicht ins Zentrum, zeige aber, dass sie nun alle Vorteile in der Hand hat, ihr Ziel zu erreichen.
3.4 Satz 4
Dass deine Figur nun fokussierter ist, bedeutet nicht, dass sie es jetzt leichter hat. Ganz im Gegenteil. Ob deine Figur in der Orientierungsphase mehr oder weniger bewusst nach halbherzigen Kompromissen zur Lösung ihres Problems gesucht hat, einem Irrtum aufgesessen ist oder einfach noch auf der Suche war, jetzt stellt sie sich dem Konflikt und ihren Gegnern. Jetzt hat sie den richtigen Weg gefunden, und der ist der schwerste. Es geht ans Eingemachte.
Jetzt steht ihr der Kampf gegen die härtesten Gegner bevor, aber auch gegen die eigenen Zweifel und die eigene Angst, die nicht zuletzt daraus entsteht, dass deine Figur sich erstmals wirklich der gesamten Tragweite dessen bewusst wird, worauf sie sich eingelassen hat.
Und es kommt noch schlimmer: Am Ende dieser Phase, dann, wenn die Geschichte quasi noch einmal Atem holt, bevor sie sich in den großen Showdown stürzt, gibt es eine Art vorgezogenen Höhepunkt. Die größte Katastrophe, nach der trotz aller Anstrengung alles verloren scheint. Noch einmal muss sich dein(e) Protagonist(in) bewähren und gestärkt und gereinigt aus dieser Katastrophe hervorgehen.
Andi findet das Geheimnis der Wunderbonbons heraus und klärt Bettina auf, die Robert daraufhin aus dem Restaurant wirft.
Tief in der Höhle des Drachen ist Lea für einen Moment unaufmerksam, wird von dem Untier überwältigt und selbst in Ketten gelegt.
3.5 Satz 5
Bleiben noch der letzte Satz und damit das Ende unserer Geschichte. Genauer der Höhepunkt (Klimax), in dem der Konflikt gelöst wird. In den weitaus meisten Fällen mehr oder weniger zum Guten, in meinen Beispielen … na ja, sieh selbst:
In einem von Robert erbetenen offenen Gespräch verzeiht Bettina ihm, erklärt aber auch, dass sich Liebe nun einmal nicht erzwingen lässt.
Lea kann den Drachen doch noch besiegen, macht aber den Fehler, Prinz Reginald im Zorn noch vor der geplanten Hochzeit zu erschlagen, weshalb sie bei der Krönung vom Fluch getroffen wird.
Als Ergebnis hast du nun einen Absatz, einem Klappentext nicht unähnlich, der dir das Grundgerüst für deinen Plot liefert. Vielleicht ist es dir gelungen, deinen Absatz kürzer zu halten als in meinen Beispielen, weil du dir selbst ja kein Hintergrundwissen dazu liefern musst. Wenn ich etwa für mich im Stillen plotten würde, endete Leas Klappentext wahrscheinlich eher so:
Lea erschlägt Prinz Reginald noch vor der Hochzeit.
Schließlich ist mir ja bewusst, dass sie vorher den Drachen besiegen muss, und was der Tod Reginalds hinsichtlich des Fluchs bedeutet.
Nun also der Vollständigkeit halber noch das Gesamtergebnis:
Der Neustädter Student Robert glaubt nicht daran, Chancen bei der hübschen Restaurantchefin Bettina zu haben. Als er herausfindet, dass von ihm unter mysteriösen Umständen erstandene Bonbons ihn vorrübergehend zu einem Meisterkoch werden lassen, schöpft er die Hoffnung, Bettina mit diesen Fähigkeiten von sich zu überzeugen. Er gewinnt ein Kochduell gegen Bettinas Freund Andi, bekommt von ihr aber trotzdem einen Korb. Andi findet das Geheimnis der Wunderbonbons heraus und klärt Bettina auf, die Robert daraufhin aus dem Restaurant wirft. In einem von Robert erbetenen offenen Gespräch verzeiht Bettina ihm, erklärt aber auch, dass sich Liebe nun einmal nicht erzwingen lässt.
Prinzessin Lea kann es kaum erwarten, ihrem Vater auf den Thron zu folgen. Als sie erfährt, dass die Krone nur der Thronerbin zugesprochen wird, die Prinz Reginald aus der Gefangenschaft eines Drachen befreit und ehelicht, beschließt sie, gegen das Untier zu ziehen. Weil ihre jüngeren Schwestern sie überflügeln, räumt Lea sie aus dem Weg und erhält so die entscheidenden Hinweise für ihren Kampf gegen den Drachen. Tief in der Höhle des Drachen ist sie für einen Moment unaufmerksam, wird von dem Untier überwältigt und selbst in Ketten gelegt. Sie kann den Drachen zwar doch noch besiegen, macht aber den Fehler, Prinz Reginald im Zorn noch vor der geplanten Hochzeit zu erschlagen, weshalb sie bei der Krönung vom Fluch getroffen wird.
Die Kurzfassung:
Prinzessin Lea kann es kaum erwarten, ihrem Vater auf den Thron zu folgen. Doch sie erfährt vom Fluch um Reginald und den Drachen. Sie räumt ihre jüngeren Schwestern aus dem Weg. Sie wird vom Drachen in Ketten gelegt. Sie erschlägt Prinz Reginald noch vor der Hochzeit.
Um dir zu zeigen, dass dieses Vorgehen durchaus nicht immer zu gleichen Ergebnissen führt, hier noch eine Variante von Roberts Story. Obwohl die Prämisse gleich bleibt (schüchterner Robert, Wunderbonbons, Misserfolg am Ende), wird die Geschichte hier anders erzählt, genau genommen wird sogar eine etwas andere Geschichte erzählt:
Der Neustädter Student Robert glaubt nicht daran, Chancen bei der hübschen Restaurantchefin Bettina zu haben. Als er herausfindet, dass von ihm unter mysteriösen Umständen erstandene Bonbons ihn vorrübergehend zu einem Meisterkoch werden lassen, schöpft er die Hoffnung, Bettina mit diesen Fähigkeiten von sich zu überzeugen. Als der Koch Andi aus seinem Urlaub zurückkehrt, muss Robert erfahren, dass Andi Bettinas Verlobter ist. Robert gewinnt ein Kochduell gegen Andi, bekommt von Bettina aber trotzdem einen Korb. Als Robert sich endlich zu völliger Ehrlichkeit durchringt, beeindruckt das Bettina sehr, ändert aber nichts an ihrer Liebe zu Andi.
Im nächsten „Romanschreiber“ sollst du dich dann genauer mit deinen bisherigen Figuren beschäftigen.