"Der Romanschreiber", das ist eine Artikelreihe, in der ich dir praxisnahe Tipps zum Entwickeln, Schreiben, Anbieten und Vermarkten eines Romans gebe. Anders als mit den bisherigen Artikeln will ich dir damit nicht verschiedene Wege zum Ziel aufzeigen. Zwar gilt natürlich weiterhin, dass letztlich das Ergebnis zählt, welchen Weg auch immer du beschreitest, doch als der Romanschreiber habe ich mir vorgenommen, keine verwirrende Vielfalt an Möglichkeiten, sondern (zum Teil am praktischen Beispiel) klare, einfache Strategien aufzuzeigen, die meiner Meinung nach besonders hilfreich sind.
Wenn es gelingt, solltest du diese Artikel beinahe wie eine Anleitung lesen und direkt umsetzen können. Willst du in eines der Themen tiefgründiger eindringen, stehen dir ja weiterhin die anderen Artikel zur Verfügung.
Und noch einmal: Auch wenn ich in dieser Reihe beinahe so tue, den goldenen Weg für jeden gibt es nicht. Jeder muss letztlich seinen eigenen finden.
Im vorigen Artikel (Der Romanschreiber: Die Vorgaben) haben wir uns zunächst mit den Dingen beschäftigt, die für unsere Geschichten essenziell sind: dem Protagonisten, der die Geschichte erleben soll, dem Ereignis, das die Geschichte in Gang bringt, und dem Ziel, das daraus hervorgeht und das es zu erreichen gilt.
Nun könnten wir doch endlich damit beginnen, die Geschichte zu erzählen. Oder wenigstens damit, uns Stichpunkte zu machen, wie die Geschichte verläuft. Wir haben Anfang und Ende, brauchen nur noch das Zwischendrin. Wenn also unser Robert, den wir im letzten Artikel kennengelernt haben, seine Wunderbonbons gefunden hat, müssen wir dafür sorgen, dass er Bettina trifft, ihr seine Kochkünste vorführt, sie aber damit auch nicht erobern kann und merkt, dass seine Taktik die falsche ist.
Klingt einfach, oder? Und irgendwie ... kurz. Gar nicht nach einem Roman. Wir brauchen wohl noch etwas mehr Zwischendrin. Also weiter brainstormen! Vielleicht gibt Robert mit seinen Fähigkeiten auch noch eine Party. Oder er kocht für seine Oma. Was macht er noch mal? Ist er Student? Da könnte doch auch noch was passieren. Eine Prüfung vielleicht? Ach, und dann der Alltag ...
Stopp! Das kanns ja auch nicht sein. So ein Roman muss doch mehr sein, als dass man nur irgendwas erzählt, was einem gerade so in den Sinn kommt. Und dann heißt es doch immer, die Geschichte sei stringent erzählt. Was bedeutet das eigentlich?
Das bedeutet zunächst einmal, dass - wie schon im letzten Artikel angedeutet - eine Geschichte erzählt wird, was wiederum bedeutet, dass der Roman der Entwicklung eines zentralen Konflikts folgt.
Schauen wir uns unsere beiden Beispiele noch einmal an:
Robert bekommt eine Tüte Bonbons und findet heraus, dass er, während er ein solches Bonbon lutscht, unglaublich gut kochen kann. Er hofft, mit diesen neuen Fähigkeiten Bettina erobern zu können. Doch er muss lernen, dass der falsche Weg nicht zum Ziel führt.
Als Prinzessin Lea erfährt, dass sie nur auf diese Weise Königin werden kann, beschließt sie, ihren Zukünftigen aus einem Drachenhort zu befreien. Doch bis sie die Krone erobert, ist es ein weiter Weg, der sie verändert.
Wir wissen also Roberts Ziel ist es, Bettina zu erobern. Dem im Weg steht, dass Bettina offenbar zumindest zu Beginn der Geschichte nicht sonderlich an ihm interessiert ist. Daraus ergibt sich für Robert der zentrale Konflikt: Er will, Bettina will nicht.
Die Geschichte, die wir von Robert erzählen, betrachtet also den Verlauf genau dieses Konflikts. Beginnend mit seiner Entstehung, endend damit, dass der Konflikt auf die eine oder andere Weise gelöst wird. Für die Geschichte ist also alles wichtig, was mit der Entwicklung dieses Konflikts zu tun hat. Oder aus Lesersicht: Alles, was dem Leser zeigt, wie sich dieser Konflikt entwickelt.
Gleiches gilt für die Geschichte der Prinzessin. Ihrem Ziel, der Königskrone, steht der Drache im Weg. Genauer gesagt, die Sache mit dem Drachen. Also, dass sie ihren Zukünftigen befreien muss. Was wiederum nur die Konkretisierung der Bedingungen für die Thronbesteigung darstellt.
Wir sollten da sehr genau sein, um auf der einen Seite stringent zu erzählen, aber auch die Möglichkeiten der Geschichte ausschöpfen zu können. Ist der Drache ihr Gegner oder nur ausführendes Organ? Handelt es sich überhaupt um den genialen Schachzug eines Antagonisten im klassischen Sinne oder um eine Prophezeiung, eine Prüfung oder einen Fluch oder Ähnliches?
Nur, um das zu verdeutlichen: Ist etwa der Drache der Hauptgegner Leas, führt für sie kein Weg am Sieg über das Untier vorbei, ist der Drache nur das Haushündchen des mächtigen Zauberers Draco, kann das bedeuten, dass der Drache nur Teil des Abenteuers ist, aber auch, dass sich im Verlauf der Geschichte herausstellt, es führen noch andere Wege nach Rom (hübsche Prinzessen, liebesgefrusteter Zauberer - na, ihr wisst schon).
Wir müssen uns also sehr deutlich klarmachen, wer die antagonistische Kraft in Leas Konflikt sein soll. Ich entscheide mich für eine Art Bannfluch. Nur dasjenige der Kinder des Königs kann den Königsthron besteigen, das den Sohn aus erster Ehe seiner verstorbenen Ehefrau ehelicht, nachdem es ihn aus dem Drachenhort befreit hat. Antagonistische Kraft ist demnach dieser Fluch, den die Verstorbene ausgesprochen hat, und den es zu besiegen gilt.
Leas Konflikt: Lea will Königin werden, der Fluch könnte das verhindern.
Zurück zu Robert. Dass wir seinen scheinbar recht simplen Konflikt jetzt genau benannt haben, bringt uns - ebenso scheinbar - bei unserem Problem erst einmal nicht viel weiter. Er will, sie will nicht. Er muss also alles dafür tun, dass sie auch will. Und wie wir wissen, versucht er das mit den Kochfähigkeiten aus der Zauberbonbontüte. Das ist das Besondere dieser Geschichte, die ansonsten einfach eine Liebesgeschichte ist.
Wenn wir uns jetzt aber den Konflikt bewusst gemacht haben, wissen wir, dass es dieser Konflikt ist, dessen Entwicklung im Fokus steht. Und entwickeln müssen wir ihn, weil eben genau das die Aufgabe des Geschichtenerzählers ist.
Jetzt hast du dich vielleicht schon gefragt, warum dieser Artikel den Titel "Bitte wenden" trägt. Nun, naheliegend und gar nicht so falsch ist, dass du dir nun den Konflikt nimmst, den du soeben als den zentralen deiner Geschichte festgemacht hast, und ihn hin und her wendest, dir dabei überlegst, was man damit alles anstellen kann. Mach das ruhig und notiere dir die Ideen, die dir dabei kommen. Dann aber wollen wir etwas weniger willkürlich vorgehen.
Konfliktentwicklung beruht nämlich auf Wendungen. Es wendet sich mal zum Guten, mal zum Schlechten aus der Sicht unseres Protagonisten. Im Prinzip bist du derjenige, der darüber entscheidet, wann sich der Verlauf der Geschichte wohin wendet. Ziel sollte es sein, den Leser mit diesen Wendungen bei der Stange zu halten, ihn im Idealfall zu fesseln, ihn dabei bestens und spannend zu unterhalten.
Nun ist es ja nicht so, dass Geschichten erst seit gestern erzählt werden. Wir können also auf einem reichen Erfahrungsschatz aufbauen, wie man Geschichten spannend erzählt.
Du willst aber etwas ganz Neues erschaffen? Etwas noch nie Dagewesenes? Bitte, niemand kann dir das verbieten. Und vielleicht gelingt dir ja wirklich etwas Tolles, aber du solltest dich auch nicht allzu sehr wundern, wenn die Leser über Langeweile klagen.
Hältst du dich an die Erfahrungswerte, musst du dir stattdessen keine Sorgen machen, dass es eintönig wird, nur der x-te Aufguss altbekannter Muster, der dir die Freiheit zur Kreativität nimmt. Dass du Nudeln in reichlich Salzwasser kochen solltest, hindert dich ja dennoch nicht daran, mit weiteren Zutaten dein ganz eigenes Nudelgericht zu kreieren. Du kannst es natürlich trotzdem auch ohne Wasser versuchen.
Kurz gesagt: In diesem und den folgenden Artikeln orientiere ich mich an bewährten Modellen wie der Heldenreise oder dem Dreiaktmodell.
Den ersten großen Wendepunkt haben wir schon: Das auslösende Ereignis, das den Konflikt erst in Gang bringt:
Robert bekommt eine Tüte Bonbons und findet heraus ...
Als Prinzessin Lea erfährt, dass sie ...
Mit diesem ersten Wendepunkt tritt etwas in das Leben Roberts und Leas, das eben dieses Leben entscheidend verändern könnte. Und beide stehen damit vor einer Entscheidung, nämlich der, ob sie sich auf das Abenteuer, das ihnen geboten oder aufgezwungen werden soll, einlassen wollen. Soll Robert die Möglichkeiten, die ihm die Bonbons bieten, anwenden, um sein Ziel zu erreichen? Soll Lea sich dem Fluch und damit dem Drachen stellen, um Königin zu werden?
Na klar, wir sorgen natürlich dafür, dass die Motivation unseres jeweiligen Protagonisten so groß ist, dass er gar nicht anders kann, als sich in den Kampf zu stürzen. Es soll ja sogar Fälle geben, in denen das Leben des Helden davon abhängt.
Diese Motivation kann natürlich nicht (oder nicht immer) plötzlich von irgendwo angeflogen kommen. Robert ist also zu dem Zeitpunkt, da die Bonbontüte in sein Leben tritt, bereits unsterblich in Bettina verliebt. Und Lea muss man auch nicht erst darauf stoßen, dass sie gern Königin wäre. Nur sollten wir das ja auch irgendwann dem Leser erzählen.
Und da ist noch etwas: Wenn da eine Wende stattfindet, muss es ja vorher schon in eine andere Richtung gegangen sein. Richtig: Die Konfliktentwicklung, der Spannungsbogen, die Geschichte im engeren Sinne, all das beginnt mit dem auslösenden Ereignis, die Erzählung aber startet früher.
Denn bevor wir den Protagonisten aus seinem Alltag reißen und damit der Geschichte eine Richtung geben können, muss der Leser den Alltag des Protagonisten erst einmal kennenlernen, allein schon, um das Neue, das da ins Leben des Protagonisten tritt, als solches erkennen zu können.
Wir beginnen also mit dem Anfang, dem Alltag des Protagonisten, und kommen dann zum ersten Wendepunkt, dem auslösenden Ereignis. Und so geht es weiter. Kleinere und größere Wendepunkte folgen, die wir uns in den nächsten Artikeln genauer ansehen und auf unsere Beispielgeschichten anwenden wollen.
Du kannst inzwischen deinen zentralen Konflikt noch einmal prüfen, ihn ein bisschen zwischen den Fingern wenden und dir schließlich überlegen, wie wohl der Alltag deines Protagonisten so aussieht, und was daran erzählenswert wäre.