„Der Romanschreiber", das ist eine Artikelreihe, in der ich dir praxisnahe Tipps zum Entwickeln, Schreiben, Anbieten und Vermarkten eines Romans gebe. Anders als mit den bisherigen Artikeln will ich dir damit nicht verschiedene Wege zum Ziel aufzeigen. Zwar gilt natürlich weiterhin, dass letztlich das Ergebnis zählt, welchen Weg auch immer du beschreitest, doch als der Romanschreiber habe ich mir vorgenommen, keine verwirrende Vielfalt an Möglichkeiten, sondern (zum Teil am praktischen Beispiel) klare, einfache Strategien aufzuzeigen, die meiner Meinung nach besonders hilfreich sind.
Wenn es gelingt, solltest du diese Artikel beinahe wie eine Anleitung lesen und direkt umsetzen können. Willst du in eines der Themen tiefgründiger eindringen, stehen dir ja weiterhin die anderen Artikel zur Verfügung.
Und noch einmal: Auch wenn ich in dieser Reihe beinahe so tue, den goldenen Weg für jeden gibt es nicht. Jeder muss letztlich seinen eigenen finden.
Wie der Titel schon verrät, schauen wir uns mit diesem Kapitel die Figuren näher an. Zunächst einmal natürlich die Hauptfiguren der Geschichte. Wir orientieren uns dabei, wie schon im vorausgegangenen Artikel, weiter an der Schneeflockenmethode. Das hat vor allem den Grund, dass du auf diese Weise deine Figuren mit ganz ähnlichen Herangehensweisen kennenlernst wie die Geschichte (den Plot) selbst. Ein paar zusätzliche Tipps werden trotzdem nicht schaden.
In den meisten Romanen treten recht viele Figuren auf. Manche nur einmal, andere häufiger, einige begleiten den Leser/die Leserin fast den ganzen Text über. Grundlegend betrachtet korrespondiert die Häufigkeit der Auftritte mit der Wichtigkeit der Figuren. Allerdings kann eine Figur auch selten oder sogar überhaupt nicht selbst in Erscheinung treten und dennoch von enormer Bedeutung für die Geschichte sein. Wer würde bestreiten, dass Sauron in Tolkiens Herr der Ringe einen entscheidenden Einfluss ausübt, obwohl er praktisch durchgehend nur im Hintergrund wirkt? Oder stell dir eine Figur vor, deren Mutter zwar verstorben ist, aber in den Gedanken der Figur noch wesentlich deren Handeln beeinflusst. In einer solchen Geschichte würdest du dich als Autor auch sehr gründlich mit der toten Mutter auseinandersetzen müssen, womöglich tiefer gehend als mit manch anderer Figur, die tatsächlich noch höchstselbst in der Geschichte auftaucht.
In aller Regel, und das solltest du dir bewusst machen, ist genau eine Figur die wichtigste der ganzen Geschichte. Ja, es können auch mal zwei oder mehr annähernd gleich wichtige Figuren die tragenden Rollen spielen, aber sieht man dann genau hin, hebt sich eine unter ihnen oft doch noch ein bisschen weiter heraus. Das liegt letztlich daran, dass eben diejenige Figur der Geschichte am meisten ihren Stempel aufdrückt, auf deren individuellem Konflikt der Hauptfokus der Geschichte liegt.
Eine solche Figur nennt man Protagonist(in). Du kannst aber auch vom Helden bzw. der Heldin sprechen.
Ähnlich wichtig wie der Protagonist bzw. die Protagonistin ist die Figur (wenn es sie denn gibt), die im zentralen Konflikt den wichtigsten Gegenpart für den Held oder die Heldin darstellt: der Antagonist/die Antagonistin.
Abgesehen von diesen zwei Figuren lassen sich die anderen in der Regel nicht ganz klar in Gruppen unterteilen, die nach der Wichtigkeit für die Geschichte voneinander abgegrenzt sind. Diejenigen, die neben Held oder Heldin die wichtigsten Rollen einnehmen, klassifiziert man als Hauptfiguren, weniger wichtige demnach als Nebenfiguren, solche, die nur Minirollen ausfüllen, als Randfiguren oder Statisten.
Generell gilt, dass du deine Figuren sehr, sehr gut kennen solltest. Aber es ist klar, dass du für eine Randfigur (manche haben ja nicht einmal einen Namen) nicht so viel Zeit in die Figurenentwicklung stecken musst wie für eine deiner Hauptfiguren. Wenigstens deinen Protagonisten bzw. deine Protagonistin solltest du am besten besser kennen als dich selbst.
Du suchst also jetzt die Figuren aus deinen bisherigen Notizen, die du als Hauptfiguren einstufst, weil sie für deine Geschichte wirklich wichtig sind. So, wie ich es hier mit meinen beiden Beispielgeschichten machen möchte. Zur Erinnerung kopiere ich die Zusammenfassungen aus dem letzten Teil der Reihe hierher:
Der Neustädter Student Robert glaubt nicht daran, Chancen bei der hübschen Restaurantchefin Bettina zu haben. Als er herausfindet, dass von ihm unter mysteriösen Umständen erstandene Bonbons ihn vorrübergehend zu einem Meisterkoch werden lassen, schöpft er die Hoffnung, Bettina mit diesen Fähigkeiten von sich zu überzeugen. Er gewinnt ein Kochduell gegen Bettinas Freund Andi, bekommt von ihr aber trotzdem einen Korb. Andi findet das Geheimnis der Wunderbonbons heraus und klärt Bettina auf, die Robert daraufhin aus dem Restaurant wirft. In einem von Robert erbetenen offenen Gespräch verzeiht Bettina ihm, erklärt aber auch, dass sich Liebe nun einmal nicht erzwingen lässt.
Um Robert geht es, er ist der Protagonist der Geschichte und damit die wichtigste Hauptfigur.
Ganz klar, dass auch Bettina Hauptfigur ist, für Robert dreht sich schließlich alles um sie. Sie ist Teil des Konflikts, denn Robert will sie erobern. Tatsächlich hat Bettina den größten Anteil daran, dass Robert sein Ziel nicht erreichen wird, insofern darf man sie durchaus als antagonistische Kraft dieser Geschichte bezeichnen, was ja nicht automatisch bedeutet, sie sei eine Art Bösewicht.
Was ist mit ihrem Freund Andi? Noch ist offen, wie groß ich seinen Anteil an der Geschichte werden lassen. Durchaus möglich, mich ganz auf Robert und Bettinas scheiternde Liebesgeschichte zu konzentrieren, in der Andi nur eine nebensächliche Rolle spielt. Ich aber entscheide mich, ihn größer zu machen. Es geht mir darum, Robert lange nicht erkennen zu lassen, worauf es in der Liebe wirklich ankommt. Gebe ich auch Andi eine Hauptrolle, lasse ihn deutlicher als antagonistischen Gegenspieler auftreten, kann er zur Selbsttäuschung Roberts beitragen, der die Schuld am Misslingen seiner Absichten Andi in die Schuhe schieben wird.
Zu diesem Zeitpunkt weiß ich also von drei Hauptfiguren: Robert, Bettina und Andi.
Wie sieht es in der Geschichte von Prinzessin Lea aus?
Prinzessin Lea kann es kaum erwarten, ihrem Vater auf den Thron zu folgen. Als sie erfährt, dass die Krone nur der Thronerbin zugesprochen wird, die Prinz Reginald aus der Gefangenschaft eines Drachen befreit und ehelicht, beschließt sie, gegen das Untier zu ziehen. Weil ihre jüngeren Schwestern sie überflügeln, räumt Lea sie aus dem Weg und erhält so die entscheidenden Hinweise für ihren Kampf gegen den Drachen. Tief in der Höhle des Drachen ist sie für einen Moment unaufmerksam, wird von dem Untier überwältigt und selbst in Ketten gelegt. Sie kann den Drachen zwar doch noch besiegen, macht aber den Fehler, Prinz Reginald im Zorn noch vor der geplanten Hochzeit zu erschlagen, weshalb sie bei der Krönung vom Fluch getroffen wird.
Klar, die Prinzessin ist die Protagonistin.
Antagonistische Kraft ist eigentlich der Fluch, den sie überwinden muss. Keine Figur also.
Mächtigstes Werkzeug der antagonistischen Kraft ist der Drache. Das lässt ihm durchaus eine wichtige Rolle zukommen. Ob ich ihn allerdings als Figur, gar als Hauptfigur sehen möchte, wird vor allem von zwei Dingen abhängen:
1. Wie sehr will ich ihn als individuelle Persönlichkeit darstellen?
2. Wie sehr spielt er als diese individuelle Persönlichkeit auch eine wichtige Rolle für Lea?
Noch ist alles möglich. Wie wäre es zum Beispiel, einen zweiten Handlungsstrang einzuführen, in dem der Drache und sein Gefangener die Hauptrollen spielen? Theoretisch wäre es durchaus denkbar, diesen nicht nur in der Drachenhöhle spielen zu lassen, sondern in diesem Rahmen den Prinzen erst in die Gefangenschaft geraten zu lassen. Das könnte spannend sein. Und ich hätte die Möglichkeit, mit den Lesererwartungen zu spielen, indem ich Reginald zu einer Figur mache, die den Lesern und Leserinnen ans Herz wächst, bevor er am Ende durch die Hände der eiskalten Prinzessin stirbt. George R. R. Martin (Das Lied von Eis und Feuer) würde es sicher so machen.
Ich entscheide mich in diesem Beispiel für die Lightvariante mit nur einem Handlungsstrang, die dafür aber dichter am Hauptkonflikt Leas bleibt. Nicht nur der Drache, auch Reginald wird bei mir zur Nebenfigur.
Leas Familie, der Vater und die Schwestern, sind offenbar bereits aus dem Weg geräumt oder erleiden dieses Schicksal recht früh. Lea ist also im wahrsten Sinne des Wortes eine Einzelkämpferin.
Bis jetzt! Denn ich entscheide mich an dieser Stelle, da mir das bewusst wird, dazu, ihr wenigstens eine Figur zur Seite zu stellen. Noch weiß ich nicht, wer es sein wird. Ein Diener, ein Ritter, eine Hofdame, eine Freundin, es gäbe viele Möglichkeiten. Niemand sagt, dass ich mich jetzt schon entscheiden muss.
Es gibt viele Möglichkeiten, deine Figuren kennenzulernen, und noch mehr Dinge, die du über sie wissen kannst. Dabei wirst du beim Entwickeln und Schreiben deiner Geschichte vor allem immer mit der Frage konfrontiert sein, wie deine Figur in einer bestimmten Situation reagiert, entscheidet und handelt.
Allein dafür spielen wiederum viele Faktoren eine Rolle, aber es gibt auch zwei wesentliche Triebkräfte, die dir schon sehr bei der Beantwortung dieser Frage helfen können: Wünsche und Ängste.
Jeder Mensch hat Wünsche, wobei weniger diejenigen gemeint sind, die eher unrealistische Träumereien sind, sondern solche, von denen der- oder diejenige annimmt, dass sie erreichbar wären. Und zwar möglichst dadurch, dass diejenige Person selbst etwas dafür tut, also darauf hinarbeitet. Deshalb greift der Begriff auch nicht weit genug. Es geht um Wünsche, Bedürfnisse, Lebensziele, aber auch ganz konkrete Ziele. Die können die Karriere betreffen, die Familie, das Hobby und vieles mehr. Sie können langfristig oder kurzfristig ausgelegt sein. Und je nachdem, wir ehrgeizig man bei der Verfolgung eines solchen Ziels ist, wird es uns im Alltag, in bestimmten Situationen und bei bestimmten Entscheidungen mehr oder weniger beeinflussen.
Du kennst das sicher von dir selbst und aus deinem Umfeld, dass man es im normalen Leben oft an Zielstrebigkeit vermissen lässt, selbst dann, wenn man sich seiner Ziele durchaus bewusst ist. Vor allem dann, wenn man Anstrengung oder andere Unannehmlichkeiten fürchtet, neigt man dazu, darauf zu vertrauen, dass sich irgendwie schon alles im eigenen Sinne richten wird. Kurz: Die wenigsten Menschen sind immer und überall konsequent, selbst wenn es eigentlich in ihrem Sinne wäre.
In den meisten Geschichten ist das anders, weil wir eben nicht lesen wollen, wie sich jemand so irgendwie durchs Leben druckst. Wenn also nicht gerade Unentschlossenheit thematisiert werden soll, wird eine Figur ihre Ziele wesentlich konsequenter verfolgen bzw. in ihrem Handeln von diesen Zielen viel deutlicher beeinflusst werden, als wir das oft aus unserer Lebenswirklichkeit kennen. Nicht zuletzt deshalb, weil wir als Autoren jedes Zögern, jede Fehlentscheidung, jede Inkonsequenz der Figur umgehend bestrafen werden. Übrigens würde selbst die unentschlossene Figur viel konsequenter unentschlossen sein und viel umgehender die Folgen ertragen müssen, als das im echten Leben oft der Fall ist.
Dir die Ziele deiner Figuren vor Augen zu führen, ist also ganz wesentlich, um deine Figuren zu verstehen und ihre möglichen Reaktionen, Entscheidungen und Handlungen abschätzen zu können.
Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich für die zweite Triebkraft, die Ängste, schon Beispiele gebracht habe. Kleine und große Ängste haben im realen Leben oft einen viel größeren Einfluss auf unser Handeln als unsere Ziele, denen eben diese Ängste meist entgegenwirken. Wir scheuen Anstrengung und Unannehmlichkeiten und fürchten uns immer wieder davor, in irgendeiner Weise zu scheitern. Und häufig machen wir uns das kaum bewusst, erfinden vielleicht sogar Ausreden oder reden uns ein, wir handelten ja nach unserem freien Willen.
Aber es ist eben doch in aller Regel Angst in irgendeiner Form, die unserem freien Willen Grenzen setzt. So wird das Verhalten einem Vorgesetzten gegenüber vor allem von der Angst bestimmt, den Job zu verlieren. Die meisten Menschen verhalten sich zumindest in nüchternem Zustand in der Öffentlichkeit so, dass sie sich nicht der Gefahr einer Peinlichkeit aussetzen. Obwohl sicherlich viele Menschen den Wunsch verspüren, im Zoo über die Absperrung zu steigen, um den knuddeligen Braunbären zu streicheln, hält sie die berechtigte Angst vor dem Raubtier zurück. Und des Nachts vermeiden sie es womöglich, in den dunklen Keller hinabzusteigen, um jedes noch so irreale Risiko auszuschließen.
Ängste sind sozusagen Ziele mit umgekehrten Vorzeichen. Sowohl, um etwas zu erreichen, als auch, um etwas zu vermeiden, tun wir Dinge oder lassen sie bleiben. Wenn du also weißt, was deine Figur (unbedingt) erreichen, und was (unbedingt) vermeiden will, weißt du auch, wie sie sich in den meisten Situationen verhalten wird. Mehr noch: Du kennst damit ihre wichtigsten inneren Konflikte, und dir wird klar, welchen Weg sie einschlagen muss, um sich weiterzuentwickeln, Ängste zu überwinden und Ziele zu erreichen.
Diese beiden Triebkräfte in ihrer jeweils konkreten Ausformung sind damit nicht nur essenziell für die Charakterisierung und Entwicklung der Figuren, sie zeigen dir auch die Richtung für deinen Plot auf, können dir helfen, den passenden Spannungsbogen zu finden, die Wendepunkte zu markieren und schließlich sogar in jeder einzelnen Szene den Konflikt zu erkennen und ihn zu seinem Höhepunkt zu treiben.
Wenn deine Figur zum Beispiel eine andere zum Essen eingeladen hat, um ihr ihre Liebe zu gestehen, wirst du sie hoffentlich nicht einfach sagen lassen: "Ich hab dich eingeladen, um dir zu sagen, dass ich dich liebe. So, weißt du schon, was du bestellen möchtest?" Es sei denn, du willst sie genau damit charakterisieren. Normalerweise, das wirst du vielleicht von dir selbst kennen, haben wir große Hemmungen, uns einem anderen so frei heraus zu öffnen. Das hat im Wesentlichen mit einer ganz konkreten Angst zu tun: der vor Zurückweisung. Verbunden mit weiteren Ängsten wie der, uns lächerlich zu machen. Wir verlassen mit einem "Ich liebe dich" einen sicheren Standort und begeben uns auf einen riskanten Pfad, den wir überhaupt nur einzuschlagen bereit sind, weil am Ende vielleicht die ersehnte Belohnung wartet. Wie sich deine Figur in diesem Konflikt schlägt, bestimmt den Verlauf der Szene. Und vielleicht schafft sie es am Ende nicht, die Ängste zu überwinden, und braucht einen oder mehrere weitere Anläufe in späteren Szenen. In manchem Roman bestimmt dieser Konflikt die gesamte Handlung.
Ich schlage also vor, dass du jede deiner Hauptfiguren zuerst die folgenden Fragen beantworten lässt:
1. Was möchtest du in deinem Leben erreichen?
2. Welche Ängste bestimmen dein Leben?
3. Welches Ziel/welche Ziele möchtest du im Rahmen dieser Geschichte erreichen?
4. Was wäre im Rahmen dieser Geschichte das Horrorszenario für dich, das du, wenn irgend möglich, vermeiden oder sogar verhindern möchtest?
Die Fragen 3. und 4. kannst du den beteiligten Figuren nicht nur für die gesamte Geschichte, sondern auch für jeden Handlungsstrang und sogar für jede einzelne Szene stellen.
Und so würden meine mir bisher bekannten Hauptfiguren antworten:
Robert:
1. Meine Traumfrau finden, mit ihr eine Familie gründen und erfolgreich sein, um so ein glückliches, unbeschwertes Leben zu führen.
2. Ich fürchte, für eine echte Traumfrau nicht gut genug zu sein und zumindest in diesem Punkt leer auszugehen.
3. Jetzt, da ich eine Möglichkeit sehe, möchte ich Bettina zu meiner Traumfrau machen.
4. Ich habe Angst davor, dass die Wirkung meiner Wunderbonbons nachlässt bzw. der Vorrat zu Ende geht, ohne dass ich Bettina von mir überzeugen konnte.
Bettina:
1. Die Gäste in meinem Restaurant glücklich machen und später einmal die Zeit finden, viel zu reisen, am liebsten gemeinsam mit Andi.
2. Ich habe vor allem Angst, irgendetwas könnte mir meinen Weg verbauen. Außerdem fürchte ich, ich könnte mich selbst auf dem Weg zu meinen Träumen verlieren.
3. Ich brauche eine Mannschaft – allen voran einen guten Koch –, die mit mir an einem Strang zieht und verlässlich ist, damit mein Restaurant weiterläuft.
4. Ich habe einerseits Angst davor, mein Restaurant zu verlieren, andererseits aber auch davor, Andi zu vertreiben, wenn ich als seine Vorgesetzte zu streng mit ihm bin.
Andi:
1. Ich träume davon, mein eigenes Restaurant zu besitzen und mir damit einen Namen zu machen. Und ja, ich würde auch gern im Fernsehen kochen. Viel Geld hat noch niemandem geschadet.
2. Mich verfolgt die Sorge, dass sich mir nie eine Möglichkeit bietet, mich zu beweisen und aus Bettinas Schatten zu treten.
3. Bei allem Trotz, ich liebe Bettina und möchte sie nicht an Robert verlieren.
4. Ich befürchte mehr und mehr, Robert könnte Bettinas Herz erobern.
Prinzessin Lea:
1. Ich strebe nach der absoluten Macht, um machen zu können, was ich will.
2. In meinen Albträumen bin ich ein einfaches Mädchen, das sich von anderen herumkommandieren lassen muss und obendrein vollkommen mittellos ist.
3. Ich will zur Königin gekrönt werden, koste es was und wen es wolle!
4. Das Schlimmste wäre, wenn ich versagen und eine andere mir zuvorkommen würde.
Wie gehen wir mit unseren Hauptfiguren weiter vor? Im Prinzip genauso, wie wir es bei den ersten Entwicklungsschritten mit der Geschichte selbst getan haben. Schreib also als nächstes zu jeder deiner bisherigen Hauptfiguren einen Satz, der den Kern dessen zusammenfasst, worum es für die Figur geht.
Ich wiederhole zunächst zur Veranschaulichung noch einmal die Sätze, die ich für die Geschichten formuliert habe:
Ein schüchterner Student versucht mithilfe einer Tüte magischer Bonbons seine Angebetete zu erobern.
Eine machthungrige Prinzessin zieht gegen einen Drachen, um Königin zu werden.
Und noch einmal: Diese Sätze fassen zusammen, was die Figur, um die es in der jeweiligen Geschichte geht, tut, und mit welchem Ziel sie es tut. Schau dir deinen noch einmal genau an. Vielleicht geht es dir wie mir, und du denkst, das geht doch noch besser. Glücklicherweise ist ja nichts von dem, was du dir bisher notiert hast oder noch notieren wirst, in Stein gemeißelt. Du kannst jederzeit etwas ändern, ergänzen oder streichen. Schließlich wächst ja auch dein Wissen über die Geschichte.
Ich will den Pitch von Roberts Geschichte noch etwas ändern:
Ein von Selbstzweifeln geplagter Student nutzt eine Tüte magischer Bonbons für den Versuch, sich ins Herz seiner Angebeteten zu kochen.
So, wenn du alles richtig gemacht hast, also den Pitch der Geschichte auf deinen Protagonisten oder deine Protagonistin zugeschnitten hast, musst du jetzt nur noch die Namen einsetzen, damit dein erster Figurenpitch steht:
Robert nutzt eine Tüte magischer Bonbons für den Versuch, sich in Bettinas Herz zu kochen.
Prinzessin Lea zieht gegen einen Drachen, um Königin zu werden.
Für alle anderen bisherigen Hauptfiguren entwickeln wir einen passenden Satz nach dem gleichen Muster:
Bettina sucht jemanden, der für ihren Koch und Geliebten Andi einspringen kann, damit ihr Restaurantbetrieb weiterlaufen kann.
Andi unternimmt nach seiner Rückkehr alles, um seinen Platz im Restaurant und an Bettinas Seite wieder einzunehmen.
Analog zum Plot solltest du nun natürlich auch bei den Hauptfiguren noch etwas in die Tiefe gehen. Zunächst einmal, indem du die Figurenpitches zu Absätzen von etwa fünf Sätzen erweiterst. Schau dir dazu noch einmal den Abschnitt 3 aus dem vorhergehenden Artikel an. Dann entwickelst du die Sätze nach demselben Vorbild für jede deiner Hauptfiguren. Achte darauf, dass der Konflikt der jeweiligen Figur im Mittelpunkt steht und du nach Möglichkeit in jedem Satz ganz ihre Perspektive einnimmst, so wie in meinen Beispielen:
Robert:
Der Neustädter Student Robert glaubt nicht daran, Chancen bei der hübschen Restaurantchefin Bettina zu haben. Als er eine Tüte magischer Bonbons findet, die ihn vorübergehend zu einem Meisterkoch werden lassen, schöpft er die Hoffnung, Bettina mit diesen Fähigkeiten von sich zu überzeugen. Sein Bemühen gipfelt in einem Kochduell mit Bettinas Freund Andi, das er gewinnt, ohne auch bei Bettina den Sieg davonzutragen. Noch schlimmer kommt es, als ihm von Andi die Bonbons gestohlen werden und sein Geheimnis auffliegt, worauf er von Bettina aus dem Restaurant geworfen wird. Endlich erklärt er sich Bettina und erkennt, dass sich Liebe nun einmal nicht erzwingen lässt.
Bettina:
Bettina sorgt sich um ihr Restaurant und ihre Beziehung, da ihr Chefkoch und Freund Andi eigene Wege geht. Als sich ihr der hervorragende Koch Robert vorstellt, glaubt sie, zumindest das Restaurant retten zu können. Doch auch ihrer Beziehung scheint der neue Koch gutzutun, denn sie bemerkt, dass sich der zurückgekehrte Andi von ihm in jeder Beziehung herausgefordert fühlt. Zu spät erkennt Bettina, welche Motivation Robert tatsächlich antreibt. An ihren eigenen Gefühlen hat sie jedoch keinerlei Zweifel, weshalb sie letztlich sowohl das Restaurant als auch ihre Beziehung retten kann.
Andi:
Andi hat sich spontan auf eine Urlaubsreise begeben, weil er glaubt, als der Mann hinter Restaurantchefin Bettina auf der Stelle zu treten. Mit schlechtem Gewissen kommt er frühzeitig zurück nach Hause, wo er auf Robert trifft, in dem er sofort einen Rivalen erkennt. Andi fordert ihn zu einem Kochduell heraus, das er verliert. Verzweifelt sucht er nach der Schwäche des Gegners und findet sie in den Wunderbonbons, die er sofort gegen den anderen ins Feld führt. Nachdem er von Bettina zunächst gehörig den Kopf gewaschen bekommt, versprechen sich beide, zukünftig den Bedürfnisse des jeweils anderen mehr Achtung zu schenken.
Prinzessin Lea:
Prinzessin Lea kann es kaum erwarten, ihrem Vater auf den Thron zu folgen. Als sie erfährt, dass die Krone nur der Thronerbin zugesprochen wird, die Prinz Reginald aus der Gefangenschaft eines Drachen befreit und ehelicht, beschließt sie widerwillig, gegen das Untier zu ziehen. Weil ihre jüngeren Schwestern sie überflügeln, räumt Lea sie aus dem Weg und erhält so die entscheidenden Hinweise für ihren Kampf gegen den Drachen. Tief in der Höhle des Drachen ist sie für einen Moment unaufmerksam, wird von dem Untier überwältigt und selbst in Ketten gelegt. Sie kann den Drachen zwar doch noch besiegen, macht aber den Fehler, Prinz Reginald im Zorn noch vor der geplanten Hochzeit zu erschlagen, weshalb sie bei der Krönung vom Fluch getroffen wird.
Weil Plot und Figuren sich gegenseitig durchdringen und beeinflussen, ist die Idee, die Randy Ingermanson mit seiner Schneeflockenmethode hatte, wirklich gut durchdacht. Bevor du dich jetzt also an der Figurenentwicklung festbeißt, bis sie eine allzu theoretische Sache wird, kümmern wir uns im nächsten Teil erst einmal wieder ein bisschen um den Plot.
Deshalb musst du deine Figuren natürlich nicht gleich vergessen. Meine Tipps:
1. Lege dir für jede Figur eine Datei, eine Karteikarte oder Ähnliches an. Erstelle dir darin bzw. darauf ein Figurenblatt, auf dem du von nun an übersichtlich notieren kannst, was dir etwa zum Äußeren, zu Charaktereigenschaften, zur Biografie, der Sozialisation und zu sprachlichen Besonderheiten der Figur einfällt. Natürlich kannst du auch hier die Ängste, die Ziele, den Konflikt und den Pitch zu deiner Figur ergänzen, um das Wesentliche beisammen zu haben.
2. Trage deine Figuren von nun an immer bei dir und stelle ihnen ganz alltägliche Fragen, um sie besser kennenzulernen (ja, das kann man auch einen Ork oder Troll fragen, wird bestimmt interessant): Wärst du jetzt auch bei Rot über die Ampel gegangen? Hättest du lieber den Thriller oder die Tierdoku geschaut? Hättest du das Auto stehen lassen und wärst mit dem Bus gefahren? Wie lange hättest du gewartet, bis du bei diesem nervigen Typen deine Knarre gezückt hättest?
Trau dich. Blöde Fragen gibt es nicht. Sei gespannt, was du alles erfährst.