Der Abend hatte noch immer über dreißig Grad, und es regnete in Strömen, doch das war egal. Was interessierte es mich, machte das Wetter doch diesen Augenblick nur umso perfekter. Und während sich, es war 2003, unlängst ein grollendes Sommergewitter herangewälzt hatte, hockte ich in meinem gemütlichen Fernsehsessel - der eigentlich gar kein Sessel, sondern eher ein Stuhl war - vor der Mattscheibe. Die PlayStation 2 war eingeschaltet, rauschte sanft vor sich hin, und ich war gerade fasziniert vom Gesamtkunstwerk namens »Final Fantasy X«, fasziniert von seinen Charakteren, von der Stimmung, von der wunderbaren Musik. Fasziniert von meinem Über-Spiel dieses Jahres, das ich am selben Tag gekauft hatte.
Dieser Abend war einer meiner unbeschwertesten überhaupt. Keine Sorgen, keine Probleme. Nur ich, mein Spiel und die Träumerei, dass ich diese erdachte Welt durch mein Zutun irgendwie ein kleines Stück besser machen könnte und würde. Unschuldige Zeiten waren das, und ich weiß noch, dass ich an solch prägnanten Abenden schon gar keine Lust mehr hatte, die wahre Welt draußen mit meiner Anwesenheit zu beehren. Wozu auch? Verstanden fühlte ich mich ohnehin nie, und manchmal war ich mir selbst zu schade für all die gefühlten Enttäuschungen einer ausgehenden Jugend. Also träumte ich mich hinfort, hinaus aus meinem Zimmer, hinein in kunterbunte, kitschige Fantasieländer, wo alles seine Ordnung hatte, weil man genau wusste, wie die Dinge funktionierten. Das waren kurze Momente, Wimpernschläge - ich war nie spielesüchtig - doch waren das eben genau meine Augenblicke. Für mich gemacht und ich gemacht für sie.
Und wenn ich heute so darüber nachdenke, wenn ich mir die Melodien aus diesen, meinen Spielen anhöre, wenn ich mir die Bilder ansehe, dann möchte ich doch zurück. Zurück in diese Zeit, bevor alles irgendwie begann, aus den Fugen zu geraten. Bevor die Geborgenheit ein für allemal den Bach runterging und das Leben mir immer häufiger die Haifischzähne zu zeigen gedachte. Denn es mag seltsam anmuten, doch fühlen sich die Emotionen, die ich verspüre, wenn ich in diesem Erinnerungskästchen wühle, intensiver und vor allem ehrlicher an, als alles andere, was ich erlebt habe oder erleben musste. Ja, schön waren sie, die Zeiten. Einsam, doch sehr schön.