Gestern war ja WM-Finale, ich schätze, einige werden es mitbekommen haben. Zwei Minuten vor Schluss stand ich mit einer Tasse entkoffeiniertem (!) Kaffee vor dem Fernseher, weil es mich nicht mehr auf dem Sofa hielt. Jede Sekunde wurde zur Minute, zur Stunde, zum Jahr. Und dann endlich der befreiende Abpfiff. Deutschland ist Weltmeister! Draußen gingen die Raketen los, die Böller, die Gröhler, die immer perfekt neben dem Ton sangen, und irgendwer hatte offenbar seine eingestaubte Vuvuzela von 2010 ausgegraben. Die Freude war groß, und … Ja, war sie das wirklich? Ich meine, ich freute mich wirklich für die Mannschaft, die sicher wahnsinnig hart an dem Sieg geackert hatte, ja, wirklich. Auch dass jetzt neue Werbeverträge für Nutella und diverse Automarken und, äh, Nutella winken werden, alles ganz, ganz fein. Haben sie sich als beste der besten total verdient.
Im Fernsehen sah man Leute auf den Rängen, die Tränen in den Augen hatten. Die einen vor Freude, die anderen vor Trauer. Und natürlich lief»Tage wie diese« im Stadion. Alles andere wäre reinster Frevel gewesen. Draußen machten die Menschen (zumindest die Berliner) die Nacht zum Tag, und wie lange auf der Fanmeile gefeiert wurde, will ich so genau gar nicht wissen. Sogar meine Freundin freute sich mit, obwohl sie mit Fußball gemeinhin noch weniger anfangen kann als ich. Ich hätte das alles gerne nachempfunden, also so richtig, aber irgendwie kam bei mir nichts davon durch meine sorgfältig aufgetragene Schicht aus stets gut gefettetem Realismus. Da ging es mir vermutlich wie der Katze.
Spannung empfinden, darin bin ich ganz groß. Sonst wäre ich wohl auch kein so riesiger Filmfan. Aber Freude aufgrund, hm, solcher Ereignisse? Mit dem Sieg kam eigentlich auch schon die Ernüchterung. Und Müdigkeit. Ich meine, ich hab ja nicht mitgespielt, es war spät, also was soll’s? Ich denke, in den kommenden Tagen wird viele diese Ernüchterung einholen. Die einen mag die volle Wucht schon heute Morgen getroffen haben, als sie, noch immer eins-komma-fünf auf dem Kessel, aufwachten, weil der Wecker klingelte und nach Morgenwäsche und einem Gang ins Büro verlangte. Die Brasilianer sind da vermutlich schon seit dem für sie desaströsen Halbfinale durch, und spätestens in ein paar Tagen, wenn auch die letzten Fußballfanatiker die Farbflaggen von ihren Wangen gewischt haben, wird im Land des Samba vor allem eines zurückbleiben: ein großes finanzielles Loch und wahrscheinlich noch ein bisschen mehr Ungleichheit als vor der WM.Und dann verschwinden die Autospiegelüberzüge in schwarz-rot-gold allmählich wieder, die Fahnen auf dem Balkon werden bis zum nächsten Turnier eingerollt, und irgendwem fällt ein, dass die Blumen auch mal wieder gegossen werden könnten.
Dann werden die jetzigen Schlagzeilen zu Artikeln irgendwo auf Seite drei, wo sie sich irgendwelcher Meta-Themen des Fußball annehmen werden und darüber fabulieren, inwiefern der Torschütze Mario Götze transzendent werden könnte. Die Welt wird wie kalt geduscht erwachen und feststellen: Um uns herum herrscht jede Menge Krieg, und eine Menge Menschen, die vor der WM noch ihre Haustiere fütterten und Familienmitglieder umsorgten, sind inzwischen tot. Dieselbe Scheiße wie immer, und daran kann leider auch so viel Freude nichts ändern.
So, ich weiß, ich bin ein Motzkopf, also denn, schlagt auf mich ein.