Als Inspektor Mops den Tatort betrat, fragte er sich, zum wiederholten Mal, warum dieser Idiot bei der Berufsberatung ihm vor zwanzig Jahren diesen Job aufgeschwatzt hatte. Eigentlich hatte er Nekromant werden wollen. Man hatte ihm gesagt, dass er damit kein Geld verdienen könne, außerdem gäbe es keine anerkannte Fachausbildung dafür, aber wenn er sich gern mit Toten abgeben wolle, da wäre gerade eine Stelle frei geworden.
So weit, so gut. Vielleicht hätte er damals sagen sollen, dass nicht er mit den Toten, sondern die Toten mit ihm sprachen.
„Na Müller, was haben wir den heute im Programm?“
Der Angesprochene, ein Streifenpolizist mittleren Alters, etwas bleich im Gesicht, sah den Kriminalbeamten an.
„Ein Mops kam in die Küche, und stahl …“
„Ich war’s nicht! Ich will mit meinem Anwalt sprechen! Sofort!“
„Könnte sich vielleicht jemand um mich kümmern?“ kam eine Stimme aus dem Inneren der Wohnung.
„Wer spricht?“ fragte Mops.
„Ratet mal, ihr Pappnasen!“
Der Polizist sah Mops entgeistert an.
„Mit wem sprechen Sie?“
„Mit dem Toten da drin. Herbert Lebensfroh, um die vierzig, vor zwei Stunden abgelebt, aber nicht freiwillig. Und nein, er hat mir nicht gesagt, wer’s war.“
Er senkte seine Stimme.
„Das tun die nie. Sie hassen mich. Alle hassen mich. Aber ich kriege euch. Seht euch vor.“
Der Polizist gab den Weg frei, lehnte sich an die Wand, und hoffte, dass das GESCHNETZELTE von heute Mittag da bleiben würde, wo es gerade war.
Hier sah es aus wie in einem KIFFERSUMPF, die von SACKRISSEN durchzogenen Wände gelb von Nikotin, und die Tapete war schon unsäglich gewesen bevor jemand, offensichtlich blind, sie aufgeklebt hatte.
Eine KOMMUNE? Inspektor Mops wagte nicht, daran zu denken. Ein SWINGERCLUB? Hier war alles möglich. Klamotten jeder Art und Herkunft lagen auf einem Haufen, und darauf, ALTERNATIVLOS, die Leiche. Nackt, mit einem MUTTIHEFT in der Hand.
„Mann, was soll das?“
Die Leiche antwortete nicht. An der Wand stand der ehemalige Besitzer des Körpers und zeigte Mops den Stinkefinger.
Mops stopfte sein Totenkopf T-Shirt in die Hose, und seine Dienstmarke in die Tasche. Im Gegensatz zu seinem Namen war er hager, hager und groß. Zu Karneval trug er gern schwarze Kleidung und eine Sense. Jetzt mache er eine imaginäre Mäh-Bewegung, die bei der Leiche begann und beim Geist endete.
„Sauberer Schnitt. Ich hätte es nicht besser machen können.“
Der Geist sah ihn missbilligend an und zuckte mit den Schultern.
Der Schnitt war glatt durch den Hals gegangen. Nur die Wirbelsäule hielt den Kopf noch am Körper, und die klaffende Wunde sah aus wie ein Mund, der Mops lauthals auslachte.
„Ihr denkt euch immer was Neues für mich aus. Wäre nicht nötig gewesen. Mann, kann es denn nicht einmal ein einfacher Kopfschuss sein, eine Vergiftung, ein Stoß aus dem Fenster! Immer kriege ich die Kaputten!“
Die Fotografen und Spurensicherer kamen herein, drei Leute, deren Aussehen Mops sofort wieder vergaß. Als sie ihre Arbeit getan hatte, scheuchte Mops sie an die Wand, so dass sie in einer Reihe mit dem Geist standen.
Der Kleiderhaufen hatte das Blut gnädiger Weise aufgesaugt. Mops zog sich Gummihandschuhe an, und zog das MUTTIHEFT aus den starren Fingern des Toten.
„Ihr könnt ihn jetzt einpacken. Und das ihr ihn komplett in der Obduktion abliefert, gelle?“
Die Drei sahen Mops entgeistert an, der Geist hielt sich den Bauch vor Lachen, und Mops sich die Ohren zu. Er hasste sie, die Toten. Nahmen nie Rücksicht auf ihn.
Was hatte er jetzt?
- Einen Toten
- Ein MUTTIHEFT
- Keine Tatwaffe
- Kein Motiv
- Keine Ahnung
Er schlug das Heft auf. Und gleich wieder zu. Und sah dann den Geist an.
„Ist das Dein Ernst?“
Der Geist versuchte vergeblich, rückwärts in der Wand hinter ihm zu verschwinden, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und trippelte von einem Fuß auf den anderen.
„Das ist ein OFFENBARUNGSEID! Also wirklich, das hätte ich nicht von dir gedacht. Wie man sich doch irren kann. Soso. Jaja.“
Er wandte sich um.
„Müller!“ brüllte er.
„Müller! Haben wir Zeugen oder Bekannte in der Nähe?“
„Ja Inspektor. Die Nachbarin. Sie will aber nicht reinkommen.“
„Versteh ich gar nicht.“
„Ich auch nicht“, sekundierte der Geist.
„Früher war sie sehr zugänglich.“
„Ach, halt’s Maul!“
„Wer, ich?“
Müller war beleidigt.
„Nein, der da.“
Mops zeigte auf den Geist, den Müller nicht sehen konnte. Neben Müller stand die Nachbarin, die Mops entgeistert anstarrte.
„Jaja, schon gut, Inspektor Depp, äh, Mops, zu Ihren Diensten. Wie war gleich der werte Name?“
„Irene Feelgood.“
Mops sah sie an. Um dreißig, schätzte er, aber von welcher Seite, egal. Groß, blond, schlank, nein, nicht blond, blond! Die Haare! Mops zwang seine Gedanken in eine andere Richtung. Und dann noch Feelgood! Es gab keine Zufälle.
„Ihr hasst mich alle!“ murmelte er.
„Bitte?“
„Entschuldigung, Frau Feelgood.“
Er musste sich ein Lachen verbeißen.
„Zu mir oder zu Dir?“ fragte er.
„Zu mir, das ist näher.“
Irene Feelgoods Wohnung war das genaue Gegenteil der Lebensfroh Katastrophe. Akkurat aufgeräumt, kein Stäubchen zu sehen, Mobiliar aus den Fünfzigern, was eher auf einem Schrottplatz zu vermuten gewesen wäre, aber gepflegt. Sie bot ihm einen Platz an, setzte sich ihm gegenüber, und der Geist hockte sich unverschämt auf den Nierentisch zwischen ihnen.
„Wann haben sie den Bewohner der Nachbarwohnung zum letzten Mal lebend gesehen?“
„Herbert? Ja, also, gestern, gegen zehn Uhr abends.“
„Und?“
„Und was?“
„Und was ist dann passiert?“
„Ich war neidisch, dass er so viele Kleider in seinem Schrank hat, die nicht mir gehören, und ihm gesagt, dass er sie aussortieren und auf etwas anderes umsteigen soll, sonst wäre es vorbei mit uns. Und er hat auch sofort damit angefangen, aber ich wollte nicht warten, bis er fertig ist.“
„Herbert schien ziemlich gut VERNETZT zu sein.“
„Wie meinen Sie das?“
„Ich meine, ach, vergessen Sie es. War da sonst noch was?“
„Ja, allerdings. Ich habe ihm einen großen Mecker in sein Heft eingetragen, dieser treulosen Tomate!“
Der Geist wand sich vor Verlegenheit. Mops grinste, so weit es seine Gesichtszüge zuließen.
„Darf ich Sie nach Ihrem Alter fragen?“
„Dürfen Sie.“
„Danke.“
Sie schüttelte ihren Kopf.
„Und bevor Sie weiter fragen: Nein, ich habe ihn nicht getötet.“
„Sie haben ihn nicht erschossen?“
„Wieso erschoss- “, sie schluckte.
„Weiter.“
Frau Feelgood hatte Mops‘ ganze Aufmerksamkeit.
„Ich. Ich glaube nicht, das Sie mir das glauben.“
„Versuchen Sie es.“
„Ich bin nachher noch einmal in seiner Wohnung gewesen. Wollte mich versöhnen. Naja, es war zu spät dafür.“
„Aber ihre Trauer hält sich in Grenzen, wie ich sehe.“
„Naja, er war nett, aber er war nicht der Einzige.“
Der Geist würgte Irene, was diese aber nicht mitbekam. Mops sah den Geist entgeistert an.
„Und ich dachte immer, die Toten haben keine Gefühle, weil die Hormone fehlen. Tsts.“
Irene konnte Mops bei diesem Satz nicht folgen.
„Wir waren sehr liberal.“
„Das heißt, sie haben sich nichts davon erzählt, nehme ich an. Sie sammeln dann also Männerkleidung?“
„Aber ja, wie haben sie es herausgefunden?“
„Weil es das einzige ist, was mir im Moment logisch erscheint. Hatten sie sonst noch Gemeinsamkeiten?“
„Ja, aber ja. Wir sind beide Sammler, und wir sind mit anderen Sammlern VERNETZT. Jeder hat sein Spezialgebiet, und wenn einer von uns einmal ein Objekt, welches der andere sammelt, zu einem KNÜLLERPREIS bekommt, dann wird es verschenkt.“
„Immer?“
„Ja, immer, das ist die Regel, sonst gibt’s Mecker im Heft.“
Mops lehnte sich zurück. Der Fall war gelöst. Er verschränkte die Hände hinter seinem Nacken und sah den Geist an. Der nickte traurig und verschwand.
„Welche von ihren Sammlerfreundinnen sammelt japanische Messer?“ fragte er.