Kerstin Gier, Jahrgang 1966, hat 1995 ihr erstes Buch veröffentlicht. Mit riesigem Erfolg: Ihre Romane wie »Die Müttermafia« oder »Auf der anderen Seite ist das Gras viel grüner« sind längst Kult und auf allen Bestenlisten zu finden, genauso wie »Rubinrot«, »Saphirblau« und »Smaragdgrün«, die auch international zu Bestsellern wurden. Im März 2013 kam mit »Rubinrot« bereits die zweite Verfilmung eines ihrer Bücher in die Kinos. Ihr aktueller Roman »Silber – Das erste Buch der Träume« ist der Auftakt zu einer neuen phantastischen Trilogie für Jugendliche. Die Autorin lebt mit ihrer Familie und zwei Katzen in der Nähe von Köln.
Klar, obligatorische Frage: Wie hat das bei dir mit dem Schreiben begonnen? Gibt es einen Zeitpunkt in deinem Leben, von dem du sagen würdest: „Von da an war ich Autor/Schriftsteller“?
Geschichten ausgedacht und aufgeschrieben habe ich schon, seit ich schreiben konnte, aber kaum hatte mich das (gesunde?) kindliche Selbstbewusstsein und die Sicherheit, später auf jeden Fall mal Schriftstellerin zu werden, was auch sonst, verlassen, war ich nur noch jemand, der davon träumte, schreiben zu können, aber dachte, es nicht zu können. Außer Tagebüchern und Briefen habe ich jahrelang nichts geschrieben, bis ich mit Ende zwanzig in einem Büro saß und mich schrecklich langweilte und ich die Briefe, die ich meiner Freundin schrieb, aus dramaturgischen Gründen ein wenig zu frisieren begann. Daraus entstand dann der erste Roman, der auch sofort und unter äußerst glücklichen Umständen beim Lübbe-Verlag veröffentlicht wurde. Obwohl ich gleich mehrere Verträge unterschrieb und sofort vom Schreiben lebte (weil ich viel schrieb, auch unter Pseudonymen), dauerte es viele Jahre, bis ich es wagte, mich Autor bzw. Schriftstellerin zu nennen. Irgendwie traute ich dem Braten nicht so recht.
Siehst du dein Schreiben heute mehr als Hobby oder mehr als Beruf? Gibt es da überhaupt einen Unterschied für dich?
Es ist auf jeden Fall ein Beruf. Jetzt. Übrigens einer, der einem keine Zeit für Hobbys lässt, haha.
Welche drei Dinge haben dich deiner Meinung nach auf deinem Weg als Autor am meisten vorangebracht?
Am Anfang hatte ich eine Lektorin, die sich weniger bis überhaupt nicht für den Text interessiert hat, mich dafür aber reichlich mit Verträgen versorgt hat, weil sie genau wusste, wie schwierig es ist, vom Schreiben zu leben. Ich habe in dieser Zeit gelernt, blitzschnell Ideen und Plots zu entwerfen und Deadlines im Abstand von wenigen Monaten einzuhalten. Vieles (Personenentwicklung, Dramaturgie) musste ich mir in den ersten Jahren selber beibringen, tatsächlich sucht man in meinen ersten Romanen vergeblich danach. :-) Gelernt habe in dieser Zeit auch, nicht eitel zu sein, ungeschliffene, ausbaufähige, rohe (freundlich ausgedrückt) Manuskripte abzugeben (sie wurden genau so gedruckt!) und damit zu leben, alles andere als perfekt zu sein. Dann kam im Bereich des Frauenromans eine Saure-Gurken-Zeit, und niemand wollte mehr vier Romane im Jahr von mir oder anderen Autorinnen dieses Genres haben – glücklicherweise fiel das genau in meine Babyphase, ich hätte ohnehin nicht mehr als ein Projekt im Jahr verwirklichen können mit einem Baby und Kleinkind, das nie (ehrlich NIE) schlief. Ohne eine Deadline direkt im Nacken habe ich meine Stoffe, meine Figuren viel liebevoller und weniger hastig entwickelt und mit "Die Mütter-Mafia" zum ersten Mal einen Roman geschrieben, den ich einfach schreiben MUSSTE, weil es mir ein inneres Bedürfnis war, sprich, ich hatte zum ersten Mal wirklich eine Botschaft. :-) Und ab da war es vorbei mit dem schnellen Schreiben, plötzlich war jedes Wort wichtig und ich somit der langsamste Autor der Welt. Drei Seiten vor, zwei zurück … Aber mit dem Ergebnis war ich dann auch zufrieden. Na ja, oder doch deutlich zufriedener. :-) Und dann – wir sind bei Punkt drei – geriet ich bei meinem ersten Jugendbuchprojekt an eine Lektorin, die mit mir so richtig am Text arbeitete und sich in den Stoff vertiefte, inhaltlich einmischte, diskutierte, vorschlug – eine ganz neue Erfahrung, und eine wunderbare dazu: Mit einem solchen Gegenüber kann die eigene Kreativität zu Höchstform auflaufen. Diese Lektorin gebe ich auch nie wieder her!
Gab es vielleicht auch einen „Fehler“, eine „Schwäche“, die du erkannt und abgestellt hast, um in deinem Sinne als Autor erfolgreicher zu sein?
Richtig erfolgreich wurde ich erst, als ich genau das zu schreiben begann, was ich schreiben wollte. Vorher hatte ich versucht, marktgerecht zu schreiben, und wahrscheinlich ist mir das auch in Fleisch und Blut übergegangen. Aber erst, seit ich genau die Geschichten erzähle, die mir am Herzen liegen, hat sich der große Erfolg eingestellt.
By the way – was bedeutet für dich persönlich Erfolg in deiner Autorenkarriere?
Na ja, die Zahlen sind natürlich ein schöner Erfolgsmesser, Listenplätze vielleicht auch – aber, auch wenn es jetzt kitschig klingt, hautnah mitzubekommen, dass meine Bücher die Leser glücklich machen, das ist der allergrößte Erfolg.
Glaubst du eher an schriftstellerisches Talent oder Handwerk?
Ich glaube an beides. Vielleicht braucht man aber ein bisschen mehr Talent als Handwerk …
Hattest du Hilfe auf deinem Weg? Welche Möglichkeiten für einen angehenden Autor, von anderen zu lernen, kannst du besonders empfehlen?
Ich bin ein klassischer Selfmademan, äh -woman, ein Learning-by-doing-Typ. Aber seit ich mit besagter Lektorin zusammenarbeite, habe ich unglaublich viel gelernt, deshalb denke ich, es wäre wohl nicht schlecht gewesen, schon früher auf so einen Lektor zu treffen. Allerdings glaube ich, man muss auch ganz schön Glück haben, nicht von jedem Lektor kann man das Schreiben lernen, ganz im Gegenteil: Manche Lektoren machen einen Text durchaus schlechter (habe ich gehört).
Und welche Ratschläge hinsichtlich des Schreibhandwerks findest du für angehende Autoren besonders wichtig? Was sollte man unbedingt versuchen, was unbedingt vermeiden?
Tja, schwierig. Wenn man Glück hat, findet man sicher wunderbare Schreibseminare, die einen weiterbringen, wenn man Pech hat, wird man von einer Niete unterrichtet, die einem obskure Schreibregeln beibringt, die kein Mensch braucht. Aber woher soll man das vorher wissen?
Was braucht es deiner Meinung nach, um als Autor zu einer Verlagsveröffentlichung zu kommen? Welchen Weg schlägst du vor?
Heute würde ich es auf jeden Fall über eine Agentur versuchen, es gibt sie ja zahlreich hier in Deutschland, und ich glaube, ein Manuskript hat größere Chancen, angeschaut zu werden, wenn es über eine (natürlich seriöse!) Agentur eingereicht wird. Ich wäre heute ohne meine Agentinnen völlig aufgeschmissen – sie halten mir zum Schreiben den Rücken frei und kennen sich hervorragend mit all dem vertragsrechtlichen Zeug aus, von dem ich nicht die geringste Ahnung habe.
Wäre für dich aus heutiger Sicht Selfpublishing generell oder in bestimmten Fällen eine Alternative oder sogar mehr? Wo liegen die Vorteile, wo die Nachteile gegenüber einem klassischen Verlag?
Was das gedruckte Buch angeht, so bin ich heilfroh, dass es Verlage gibt, die sich um ALLES kümmern, vor allem um den Vertrieb. Ich finde es sehr schön, als Autor ein Teil eines großen Teams mit einem gemeinsamen Ziel zu sein, ich schätze die Zusammenarbeit mit Verlagsmitarbeitern und finde die Prozesse, die so ein Buch durchläuft, bis es im Laden liegt, faszinierend.
Ich könnte mir aber durchaus vorstellen, vielleicht mal ein E-Book ohne Verlag zu veröffentlichen, das wird einem ja heutzutage sehr einfach gemacht. Mit einem guten Lektorat und Korrektorat müsste man das auch alleine hinkriegen.