Bluthochzeit
Eigentlich hätte es der glücklichste Tag ihres noch so jungen Lebens werden sollen, der Tag, an dem sie endlich ihren langjährigen Freund heiraten würde. Ihr langes schwarzes Haar war zu einer kunstvollen Frisur geflochten worden und sie strahlte geradezu aus jeder Pore vor Glück.
Die Merkwürdigkeiten begannen allerdings bereits als die Torte präsentiert wurde, die die Braut selbst gemacht hatte. Ein wahres Monstrum an Größe aber so filigran und zerbrechlich gestaltet, dass es einfach nicht anders sein konnte, als dass sie beim ersten
Ruckeln des Tisches, auf dem sie stand, völlig in sich zusammenbrach.
Kein gutes Zeichen, munkelten die älteren Frauen, was der Braut in diesem Moment entging, da sie versuchte, das Gesicht zu wahren und nicht in Tränen auszubrechen, hatte sie doch so viel Zeit in dieses Werk investiert. Dass dies jedoch ihr kleinstes Problem an diesem Tag sein würde, ahnte noch niemand.
So begab sich die kleine Gesellschaft dann auch, begleitet von drei Musikern, auf den Weg zur Kapelle, die auf einer kleinen Erhöhung mitten im nahen Wald errichtet worden war. Da es Ende Oktober war, war ein Großteil des Blätterdaches der Bäume bereits
abgefallen. So säumte buntes Laub ihren Weg. Das Gezwitscher von Vögeln mischte sich anfangs mit den fröhlichen Melodien der Geigenspieler und dem gedämpften Geschnatter der Hochzeitsgäste. Die Sonne stand schon tief und tauchte den Wald in goldenes Licht. Ein leichter Wind strich der Braut ein paar lose Strähnen aus dem Haar. Sie wer glücklich, lächelte den Mann an ihrer Seite an.
Schon am Beginn des Weges jedoch, strauchelte sie mehrmals, schien mit ihrem Kleid überall hängen zu bleiben, nicht wirklich von der Stelle zu kommen. Auch spürte sie immer wieder ein Zupfen an ihrem Haar, an ihrer Kleidung, ihren
Armen; fast so, als zöge jemand an daran befestigten Schnüren. Ein böser Blick in Richtung ihres baldigen Ehemannes, den sie der Unannehmlichkeiten verdächtigte, hatte nicht die erwünschte Wirkung.
Inzwischen stieg der Boden leicht an. Neben ihnen rauschte ein kleiner Bach vorbei. Den besonders Aufmerksamen hätte auffallen mögen, dass das rege Treiben, das den Wald ansonsten mit Leben erfüllte, inzwischen verstummt war. Die Vögel hatten ihren Gesang eingestellt, der Wind, der die Blätter hatte rascheln lassen, war versiegt und selbst die Insekten, die um diese Zeit gerne ihr Unwesen trieben, schienen sich fernzuhalten.
Gerade, als sie den Hügel beinahe erklommen hatten, als der Turm der kleinen Kapelle bereits sichtbar wurde, geschah es. Ein Ruck ging durch die Braut und sie stürzte schreiend zu Boden Sekunden später wurde sie in rasender Schnelle von irgendeiner unsichtbaren Macht den Hügel hinab geschleift. Unter lautem Kreischen und wildem Herumwirbeln verschwand sie bald aus dem Sichtfeld der geschockten Gesellschaft.
Voller Panik schrie die Braut, versuchte sich zu wehren, nach etwas zu greifen, sich festzuhalten. Letztendlich gelang ihr das auch, doch es wurde weiter an ihr
gezogen, so fest, dass sie glaubte, ihre Schultern würden ausgekugelt werden. Schließlich hielt sie den Schmerz nicht mehr länger aus und ließ los. So wurde sie weitergezerrt, während sie sich die Seele aus dem Leib brüllte und in Tränen ausbrach.
Plötzlich wurde es finster, als sie in einer Höhle zum Stillstand kam. Zitternd versuchte sie sich aufzurichten. Ihr Haar war völlig zerzaust und voller Laub, genau wie ihre Kleidung. Als sie sich halb in die Höhe gestemmt hatte, prallte jedoch etwas Hartes gegen sie. Ein reisendes Geräusch erklang und sie schrie erneut auf, als sie sah, wie ihr Kleid in Fetzen gerissen wurde. Richtig
zu brüllen begann sie allerdings erst, als dieses unsichtbare Etwas sich über ihren Körper hermachte. Hilflos und fast starr vor Angst sah sie mit an, wie sich auf ihrer bleichen Haut blutige Risse abbildeten, gefolgt von einem reisenden Schmerz, als ein ganzes Stück ihrer Hüfte brutal herausgerissen wurde. Weinend und wimmernd musste sie mit ansehen, wie dieses Monster sie Stück für Stück verspeiste. Der Schmerz schien nicht ganz real zu sein, die bodenlose Furch betäubte sie. Ihr Strampeln und Schlagen ging jedes Mal ins Leere. Sie war bereits tot, hatte es nur noch nicht realisiert. Ihre Seele hatte sich schon längst verflüchtigt. Das
einzige, was noch da war, war ihr Leib, der sich unter Schmatzen und Knurren langsam in Luft auflöste.
Man fand sie wenige Tage später, zumindest das, was noch von ihr übrig war, nämlich ein paar Knochen, die aufgebrochen worden waren, um an das Mark zu gelangen und die Fetzen ihres Hochzeitskleides, die blutverschmiert waren.
Von offizieller Seite hieß es, dass es ein wildes Tier gewesen wäre, doch insgeheim wussten alle, dass das nicht wahr sein konnte.
Man sammelte ihre Überreste ein und hoffte, dass der Fall damit
abgeschlossen sein würde. Doch ES saß währenddessen in einer dunklen Ecke der Höhle, mit grinsend gebleckten Zähnen und lauerte. Sein nächstes Opfer hatte ES bereits ins Auge gefasst. ES würde ihm auflauern, es jagen, im ungünstigsten Augenblick zuschlagen und es würde gut sein. So wie es jedes Mal war. Dieses Gefühl von Macht, wenn sie nicht wussten, was mit ihnen geschah, wenn der letzte Lebensfunke in ihren Augen erlosch. Wenn sich ganz kurz davor die Angst in abgrundtiefes Entsetzen verwandelte, weil sie erkannten, dass ES kein Tier war, kein mythologisches Monster, kein genmanipuliertes Wesen, sondern ganz
einfach ein Mensch…immer und überall zugleich. Erbarmungslos und ohne Skrupel…ganz einfach ein Mensch….und er lag wieder auf der Lauer.
© Fianna 17/11/2013