Vorbemerkung
Oh je, was soll das denn nun wieder werden? Gute Frage, keine Antwort. Mir ist gerade danach, Neues auszuprobieren. Rotwein, Autos, Schreiben, im Herbst kommt man ja auf allerlei. Der "Streich", von dem ich erzählen will, ist eine etwas umfangreichere Sache, deswegen teile ich den Text in mehrere Teile auf. Deshalb, und weil mir an den Reaktionen meines - kleinen, aber ohne jede Ironie sehr erlesenen - Publikums äußerst ernsthaft gelegen ist. Wird mir laut zugerufen "Komm, lass sein", dann werde ich das in Erwägung ziehen. Bis
dahin: Viel SpaĂź beim Lesen! C.
des dichters streich, 1. Teil
„Wenn ich es Ihnen doch sage und Sie dringendst beschwöre, mir Glauben zu schenken, Baroness!“ kreischte die Gräfin von Z. unter ihrer schweren, gepuderten Perücke. Hitze hatte sie und alle Teilnehmer der Redoute ergriffen. Das Essen lag hinter den Gästen, die Tänze waren in vollem Schwunge, doch das geeiste Konfekt ließ, selbstverständlich, noch bis Mitternacht auf sich warten. Der Herzog verstand sich auf gelungene Feierlichkeiten à la dernière mode, womöglich gar au dernier cri, und hätte den Damen gewiss nicht zugemutet, sich nach weniger als acht Contredanses mit den eiskalten Süßigkeiten zu belasten. Andererseits hatte das Fehlen dieser Erfrischungen gemeinsam mit den zahllosen Kerzen und den in drei Kaminen unterhaltenen Feuern eine Erhitzung der Damen zur unausweichlichen Folge. Sie hatten geziemend darauf verzichtet, mehr als
einige winzige Happen des reichlich aufgetragenen Essens zu sich zu nehmen, und hatten doch den schweren roten, seidigen weißen und das Gemüt ankitzelnden moussierenden Weinen tüchtig zugesprochen. Kurzum, das Vergnügen war auf den besten aller vorstellbaren Wege gebracht. Auch und gerade dasjenige der Gräfin von Z.
„Ich beschwöre Sie, Baroness“, kreischte die Gräfin nun von Neuem, „ziehen Sie keines meiner Worte und keines der Jota dazwischen in Zweifel – ein Pudel! Geschlagen will ich sein mit eitrigen Blattern vom Scheitel bis zur Sohle: Es war ein Pudel! Zum Fenster hinaus! Zum sperrangelweit offen stehenden Fenster hinaus!“
Der Gräfin Geschichte erregte, und das nicht zum ersten Mal an diesem Abend, brüllende Heiterkeit unter ihrem Gefolge. Die Baroness von der L. gar, eine üppige Rothaarige mit einem selbst für die Verhältnisse einer herzoglichen Redoute gar zu gewagten Dekolletee, drohte vor
Lachen förmlich kopfüber in den Kübel mit den in Eis steckenden Schaumweinflaschen zu stürzen. Gerade noch gewann die Baroness ihr Gleichgewicht zurück, freilich um den Preis, ihr als Beifall gemeintes „Ein Pudel! Ein Pudel! Zum Fenster hinaus! Ein Pudel!“ nur noch erstickt aus den enggeschnürten Tiefen ihres Mieders herauskeuchen zu können. Der Hauptmann Larenback, ganz Debütant auf den Festen des Herzogs und überdies unverbesserlicher Anhänger der Vorstellung, Anstand und aufrichtiger Ehrgeiz entschieden über Aufstieg und Fall in den Truppen des Herzogtums, Hauptmann Larenback also raffte seine metallene Galanterie zu einem ritterlich gemeinten Secours zusammen und bot der Baroness, nachdem in Wahrheit er sie vor dem Sturz in den Eiskübel bewahrt hatte, eine stützende Hand. Die Baroness schlug es freilich aus, indem sie den Hauptmann mit einer Handbewegung zurücktrieb, welche bei
flüchtiger Betrachtung als Backenstreich hätte durchgehen mögen.
„Hoch, Larenback!“ tönte es da vom Generalmajor Yussarjew, der vor lauter Begeisterung über den törichten Mut seines Untergebenen – Larenback gehörte seinem Stab seit erst wenigen Wochen an – sogar vergaß, seine beiden Ballschönheiten im Klammergriff zu halten. Die beiden Damen nutzten ihre unverhofft gewonnene Freiheit zur raschen Flucht, doch das ging im spöttischen Jubel und den betrunken keck wiederholten „Hoch, Larenback!“-Rufen völlig unter.
Hauptmann Larenback lief unter seinem stolzen Vollbart so lange rot an, bis die freilich nur zu erahnende Farbe seiner Wangen derjenigen der Haare der Baroness sehr glich; keine der Damen derer von der L. hatte es je für nötig gehalten, ihre kupfern schimmernde und ungemein störrische Haarpracht unter einer Perücke zu verbergen. Die Baroness, jüngster weiblicher
Spross der am herzoglichen Hofe verkehrenden von der L’s, machte da keine Ausnahme und stattdessen nunmehr einen Ausfallschritt, um nicht doch noch, im Schwunge ihrer Abwehr gegen den Hauptmann, vornüber zu fallen. Der schon recht weitgehend blamierte Hauptmann wagte sogar noch ein „Gestatten Sie, Baroness, dass ich Ihnen…“
„Gar nichts gestatte ich Ihnen! Sie sind ein Esel!“ rief da jedoch die unvermutet schnell wieder zu Atem gelangte Baroness.
„Hoch, Eselshauptmann Larenback!“ erscholl es nun unweigerlich und gnadenlos aus dem ganzen Gefolge der Gräfin. Der Hauptmann hätte sich gewiss innert der nächsten halben Stunde der Schande wegen erschossen, hätte nicht die Gräfin rettend eingegriffen.
„Nun, lieber Hauptmann“, sprach die Gräfin mit dem samten Timbre, das nur sie ihrer Stimme verleihen konnte, „der Esel mag eines der am meisten gespotteten Tiere sein, eines der
wertvollsten ist er ganz gewiss. Mögen Sie mir darin beitreten?“ Sie reichte in unwiderstehlicher Huld dem Hauptmann die Hand, der, ganz im Felde erprobter Offizier, küsste sie formvollendet. Damit war allen Umstehenden wirkungsvoll Schweigen geboten. „Ich verzeihe“, sagte die Gräfin in die eingetretene Stille hinein, nur um zugleich eine gedankenschwer anmutende Pause einzulegen, „ich verzeihe allen, denen sich diese Ansicht verschließt, die also nicht begreifen, was Sie, lieber Hauptmann, begreifen. Sei es, weil viele arme Menschenkinder unserer Zeit nicht das Glück haben, sich mit Rustikalia zu befassen, sei es, weil sie lieber an dem festhalten, was jedermann daher schwatzt. Jedermann – das verstehen Sie doch, lieber Yussarjew?“ Nun war es freilich am Generalmajor, zu erröten, doch weil seine Wangen und fleischige Nase ohnehin im rötlichen Glanz des ständigen Trinkers leuchteten, nahm sich dieser Effekt nicht gar so
deutlich aus, wie zuvor beim armen Hauptmann.
„Aber genug von diesen Plänkeleien“, befahl schließlich die Gräfin. „Lieber Hauptmann, wie werden mir das Vergnügen der nächsten Allemande nicht versagen?“ Sie ergriff die linke Hand des tapferen Offiziers und legte sie auf ihren rechten Unterarm. Mit nur wenigen Grüßen – „Baroness! General! Madame!“ – schritt sie erhobenen Hauptes davon und in den angrenzenden Tanzsaal. Simpel war dieser Abgang berechnet, eine überraschende Parteinahme und ein abrupter, unterschwelliger aber unübersehbarer Affront und dann der rauschende Abgang, ja das war simpel. Aber eben so kühn in die Tat umgesetzt, dass die Stehengelassenen gar nicht anders konnten als beschämt schweigend zurückzubleiben und die Überlegenheit ihrer angebeteten Herzensfürstin, der unvergleichlichen Gräfin von Z. klaglos anzuerkennen.
„Dulce et decorum pro patria mori“, vermochte
ein besonders hart in seinem Stolz getroffener Witzbold immerhin zu versetzen.
Der Generalmajor beantwortete dies mit vernichtendem Schnauben, doch die Baroness gewann ihre Fassung schneller zurück und gab zur Bedenken: „Vae victis, mein Lieber!“