Kurzgeschichte
Auf dem Kirchhof - Erstes aus einer Reihe von Journalia

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"Auf dem Kirchhof - Erstes aus einer Reihe von Journalia"
Veröffentlicht am 06. November 2013, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Cupator ist ein Autor, der vielleicht keiner sein sollte - nicht, weil er sich das Schreiben nicht zutraut, sondern weil er im echten Leben etwas macht, was kaum auf ein Autorendasein hindeutet.
Auf dem Kirchhof - Erstes aus einer Reihe von Journalia

Auf dem Kirchhof - Erstes aus einer Reihe von Journalia

Vorbemerkung

Ja, ich weiß, ich weiß. Immer geistreich und irgendwie lustig soll hier alles sein. Oder aber gefühlsschwer und tief empfunden. Das hier ist nichts von beidem. Aber es ist eine späte Antwort auf einen Zuruf des großen DoktorSeltsam, der mir einmal schrieb: "Wie würde ich mich freuen, endlich einmal etwas von dir zu lesen, das mich herausfordert." Ich habe mir alle Mühe gegeben. Auch, es Bob Dylan gleich zu tun, aber der hatte ein Publikum, ehe er es verstörte. Ach, lest am besten selbst.


Cupator.

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auf dem kirchhof

Kein Ort zum Verweilen für den Wanderer ist die graue Feldsteinkapelle vor der Stadt. Zu weit noch der Weg, zu windumtost die Anhöhe, dort wo die Wasserläufe ineinander münden. Ungut lagert die Stille, auch über dem kleinen Kirchhof, Frieden verliert jede Feierlichkeit auf den nachlässig geharkten Wegen zu den Gräbern. Nimmt doch wer Platz auf dem steinernen Bänkchen, er wird kein Behagen finden noch suchen. Von einer vergangenen Stadt auf dieser Höhe hatte man reden hören und Werkzeuge und Überreste und Waffen und Schmuck der Menschen auch wirklich gefunden, die tapfer dem Dasein getrotzt und die kleine ihnen bekannte Welt bereist hatten. Hatte man solche Forschung zuerst trocken und gründlich betrieben, bescheiden dünne Schichten möglicher Erkenntnis aufeinander geschichtet, immer

begleitet von der Warnung vor dem Ungewissen, war doch das Interesse des Publikums hiervon zwar geweckt aber nicht befriedigt. Behaglichkeit in der Idee vom vielleicht so Gewesenen wünschte man sich und bekam sie schließlich geboten, naive Nachbauten von angeblichen Häusern der angeblichen Stadt der angeblichen Menschen wurden gefeiert als Spektakel des erlebbaren Vergangenen. Er setzt sich auf das steinerne Bänkchen und achtet der zehrenden Kühle nicht. Die Betrachtung der Aufmerksamkeit heischenden Nachbauten hat ihn gelangweilt und so hadert er mit dem Besuch der vergangenen Stadt. Kräftig ausschreitend hat er sie umrundet, der Spur folgend, die den angeblichen, jetzt mit malerischen Palisaden geschmückten Verlauf der vormaligen Befestigung kennzeichnet. Keinen Menschen gesehen, kein verständigendes Wort gesprochen habend kehrt er also zurück zur Feldsteinkapelle. Fragt sich, wann das

Gotteshäuslein wird vereinnahmt werden von der Lüge des sichtbar gemachten Gewesenen. „Du bist noch nicht am Ziel“ sagt der Küster. Breit, dunkel und vorlaut ist er vor ihn getreten, ihn musternd, rasch urteilend. „Soll ich also gleich weitergehen?“ fragt er. „Das bestimme nicht ich. Besser wäre es allemal.“ „Ich gehe also.“ Aber er steht nicht auf, rührt sich nicht. Als er den Kopf in beide Hände stützt, seufzt er. „Zur Stadt ist es gar nicht weit. Gleich könntest du dort sein. Bedeutet dir das nichts?“ will der Küster wissen. „Es ist auch so, dass ich nicht viel Zeit habe, mich mit dir zu beschäftigen. Diese Kapelle ist so klein und unwichtig, ich muss sie bewirtschaften, so nebenbei, und bekomme kaum Anerkennung und gar keinen Dank dafür. Wirst du also gleich gehen? In die Stadt?“ „Nein, ich bleibe

noch.“ „Das ist ganz falsch. Man muss dich tadeln deines trägen Unwillens wegen. Dort oben nicht gefunden zu haben, was gesucht haben magst, darf dich nicht einen Moment lang davon abhalten, jetzt weiter zu gehen. Aber ich, ich tadele dich nicht. Doch nur, weil es mir nicht zusteht, nicht, weil ich den Tadel nicht begriffe.“Damit wendet der Küster sich ab und geht auf ein kleines Seitentürchen der Kapelle zu. „Diese Tür habe ich noch nie zuvor gesehen“, sagt er zum Küster. „Ich hätte sie gerne einmal durchschritten.“ „Kennst du denn die Kapelle so gut?“ fragt der Küster. „So viele kommen hier einmal vorbei und nehmen den festen Glauben mit, alles gründlich zu kennen. Ja, diese Türe hier“ – und der Küster schlägt mit der flachen Hand auf den abblätternden Lack des Türblatts – „diese Tür hier freilich, die könnte niemand nennen, würde

er nach den Merkwürdigkeiten der Kapelle gefragt. Und dabei weist die doch direkt nach dort oben, zur vergangenen Stadt.“ Verächtlich blickt der Küster drein, verzieht den Mund, als wolle er sogleich ausspucken. „Ja, selbstverständlich ist die Tür schon immer hier gewesen. Warum aber du sie jetzt durchschreiten willst, ausgerechnet, das begreife ich nicht. Und deswegen lasse ich dich nicht.“ Doch statt nun durch das Seitentürchen hineinzugehen und hinter sich die Kapelle zu verschließen, macht der Küster kehrt, setzt sich neben ihn auf das Steinbänkchen und legt ihm den Arm um die Schulter. „Schau mal“, sagt der Küster, er ist ganz behutsam, „es ist dir doch in Wahrheit gar nicht gelegen, dort hinein zu gehen. Kaum siehst du etwas, von dem du hoffst, es werde dich faszinieren, willst du es ergreifen und genau betrachten. Dabei kennst du nicht einmal dein wirkliches Ziel. Was soll dir nun dieses dumme Türchen? Wenn ich dich aber nicht lasse, dann

nicht, weil es an mir wäre, dich anzuleiten, sondern weil es meines Amtes ist, die Kapelle zu hüten, streng zu bewachen. Geh doch jetzt.“ Der Küster klopft ihm ermunternd auf den Rücken und er steht ganz schnell auf. Nach dem Seitentürchen schaut er nicht, auch nicht zum Küster, beantwortet nicht dessen „Lebewohl und gute Fahrt!“, geht dann los. Welcher Wanderer bedenkt, wie weit die Kapelle draußen vor der Stadt gelegen ist? Zu gering kann eine Ferne sein, als dass ihre Überwindung einer Anstrengung wert erscheint. Die Stadt dort oben ist ja längst vergangen, nun ist die andere an ihre Stelle getreten. Wer begreift diesen verwandelnden Zusammenhang? Er öffnet sacht die Pforte des Kirchhofs. Der Weg ist ganz eben. Er kann ihn nicht verfehlen, wenn er ihn gehen will. Spielende Blätter geben ihm Geleit.

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Cupator
Cupator ist ein Autor, der vielleicht keiner sein sollte - nicht, weil er sich das Schreiben nicht zutraut, sondern weil er im echten Leben etwas macht, was kaum auf ein Autorendasein hindeutet.

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DoktorSeltsam Ich bin ja nicht oft des Lobes voll - hier aber auf jeden Fall! Zunächst dankt ein gewisser Doktor für die Größe, die man ihm zumisst, gleichwohl er sie gar nicht besitzt. Dann sei aber sofort geschrieben, dass der Verfasser außerordentliches Talent an den Tag legt, wie man es, so gestatte ich mir boshaft hinzuzufügen, hier recht selten anzutreffen pflegt. (Auch wenn der eine oder andere Schnörkel gelegentlich zuviel des Guten ist. Aber, sollte ich das Herrn Doktor Seltsam nicht auch ans Herz legen???)

Tolle Angelegenheit, Don Cupatore. Wenn allein meine dummen Sprüche solch befruchtende Wirkung haben, sollte ich das Schreiben vielleicht ganz aufgeben... ;)

Hochachtungsvoll (ohne Ironie)

Dok
Vor langer Zeit - Antworten
Cupator Lieber Herr Doktor,
Dein Kommentar und Deine Auszeichnung des Textes bedeutet mir wirklich viel. Und auch das mit den Schnörkeln nehme ich mir zu Herzen. Mehr will ich gar nicht antworten.

Vielen Dank!

C.
Vor langer Zeit - Antworten
DoktorSeltsam Ehre, wem Ehre gebührt, mein Lieber!

Liebe Grüße

Dok
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Das ist eine Erzählung, wie ich sie glatt aus dem Deutschunterricht in Erinnerung behalten haben könnte. Und das ist jetzt keineswegs negativ gemeint, im Gegenteil! Die erzeugte Stimmung ist über jeden Zweifel erhaben, die Dialoge sind so geschliffen, das man mit ihnen Käse schneiden könnte. Ich muss aber zugeben, ich tue mich mit der Interpretation schwer. Zum Glück bin ich nicht DoktorSeltsam, dessen Herausforderung der Text ja sein soll. ;-) Sollte ich eine Interpretation wagen müssen, würde sich für mich erschließen, dass alles nichts ist, solange man selbst seine Ziele im Leben nicht kennt. Darüber ließe sich jetzt natürlich eine ausführliche Abhandlung schreiben, aber es soll ja jeder seine eigene Interpretation finden, denke ich. Nur eines wüsste ich gern: Ist die Erzählung tatsächlich nicht abgeschlossen, wie Fleur unter mir vermutet? Ich hätte sie jetzt schon als abgeschlossene Geschichte betrachtet, die den ersten Teil einer losen verketteten Erzählungssammlung darstellt.

Viele Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Cupator Lieber PhanThomas, vielen Dank fürs Lesen und diesen sehr ausführlichen Kommentar. Dialoge so scharf, dass man Käse damit schneiden könnte? Zum Glück gibt es sie noch, die Schmelzkäse-Eckchen. Und ich hoffe natürlich, dass Du auch ein paar schöne Erinnerungen mit Deinem Deutschunterricht verbindest. Es stimmt übrigens, der Text ist in sich abgeschlossen. Wenn's gut läuft, bekommt er Gesellschaft von Texten ähnlicher Machart, aber ganz unabhängig jeder in sich.

Viele Grüße,

C.
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Das ist mal eine Geschichte in ganz anderer Art geschrieben, wie deine Reportagen oder sonstigen Reisebeschreibungen.
Nun hast du meine Neugier geweckt, was wohl hinter dem Türchen zu finden ist ...

LG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Cupator Liebe Fleur, vielen Dank fürs Lesen und die Anerkennung des "in ganz anderer Art geschrieben". Hach, ist das nicht eine herrliche Sache mit dem Schreiben, dass wir uns so schnell verwandeln können? Hinter dem Türchen ist... nichts, was dem Leser offenbart werden sollte. "Er" verlässt ja am Ende den Kirchhof, und, hey, ich bin ja kein Wahrsager, aber ich finde, er sah nicht aus wie einer, der wiederkommt.

Viele Grüße,
C.
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Lieber Cupator, ja es stimmt. Nachdem ich es noch einmal in Ruhe gelesen habe, ist alles klar mit dem Türchen. Dahinter ist nur die Vergangenheit ....
Leider bin ich im Begreifen nicht die Schnellste, es gab sogar schon Situationen, wo mir wohlmeinede Leser die Aussagen meiner eigenen Gedichte erklärt haben .... in Metaphern, von denen ich keine Ahnung hatte ... ;-))

Ich lese dich trotzdem sehr gern und danke dir herzlich,
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
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