Prolog
Ein bleicher Lichtstrahl brach sich einen Weg durch die tief hängende Wolkendecke, die den Blick auf den Himmel fast vollkommen versperrte, und fiel sogleich auf einen von Ruß geschwärzten Mauervorsprung.
In Anbetracht der späten Stunde hätte eigentlich vollkommene Stille herrschen müssen, durchbrochen nur vom gelegentlichen Anbranden kleiner Wellen gegen die Stadtmauern, dem Schnauben eines Pferdes in den Ställen oder aber auch jener Tiere, die nur des Nachts ihr Unwesen trieben. Völlig unpassend jedoch war das durchdringende Hundegebell, das durch die Gassen Magicanaturaes hallte, untermalt von
Dutzenden schmatzenden Geräuschen, die eindeutig von schweren Stiefeln stammten.
Die Häscher.
Ausgeschickt um eine Schuld einzutreiben, die jeden einzelnen der Stadtbewohner befallen konnte. Eine Schuld, die niemand selbst heraufbeschwor, bei der es lediglich auf den Zufall ankam, ein Zufall, der über Leben und Tod entschied.
Hinter der Mauer, auf die das Mondlicht einen gespenstischen Streifen malte, rührte sich nun eine Gestalt. Etwas zögerlich zuerst, doch dann bestimmter, richtete sich auf und machte ein paar Schritte die Stufen hinauf, nur um sofort lauschend wieder innezuhalten. Der Schemen, der im Zwielicht zu erkennen war, schien zu klein zu sein, um einem
Erwachsenen zugewiesen zu werden. Andererseits jedoch hielt der Mensch den Rücken gekrümmt, um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Erst als die Person einen weiteren Schritt machte und das Mondlicht auf ihr Gesicht fiel, wurde klar, dass es sich um eine junge Frau handelte. Sie wirkte gehetzt und in ihren braunen Augen zeichnete sich deutlich Panik ab. Über ihren Kopf hatte sie eine einfache graue Kapuze geschlagen, die ihr nicht viel nützen würde, sollten die Hunde erst ihre Fährte aufgenommen haben. Dies schien ihr durchaus bewusst zu sein, denn schon im nächsten Moment setzte sie sich wieder in Bewegung, eilte so leise es ihr möglich war, die Stufen zur Mauer hinauf, bis sie die
Zinnen erreicht hatte. Mit zittrigen Fingern griff sie nach dem kühlen Stein. Ängstlich schloss sie die Augen, doch als das Bellen der Hunde erneut in stürmischem Tonfall laut wurde, wusste sie, dass sie keine andere Wahl hatte.
Sie fasste sich ein Herz und zog sich nach oben, wo ihr sofort ein kühler Wind begegnete, der ihr die Kapuze vom Kopf riss, sodass ihr langes, helles Haar wild umherwirbelte.
„Falls wir dir je wichtig waren, so steh mir jetzt bei. Bitte!“, flüsterte sie in die Nacht.
Fast leise im Gegensatz zum Lärm der Hundemeute, hörte man eine Sehne schnalzen, gefolgt von einem dumpfen Aufprall, als der Pfeil die Schulter des
Mädchens durchbohrte, das sich gerade eben von den Zinnen ins offene Meer hatte stürzen wollen. Nun wurde aus dem angesetzten Sprung mehr ein Fallen, ein Sturz, der unweigerlich mit dem Tod enden musste. Das kalte Wasser umfing sie wie ein Mantel aus Eis und der Aufprall war so hart, dass ihr sofort jegliche Luft aus den Lungen gequetscht wurde. Selbst der Schaft des Pfeiles hielt jenem Schlag nicht stand und zerbrach.
Dunkelheit umfing sie nun, vertauschte Oben und Unten, erstickte alle Geräusche. Der schlammige Boden, der so nahe an den Mauern ohnehin nicht besonders weit von der Wasseroberfläche entfernt war, kam immer näher, bis er so nahe war, dass ein Fuß der
Frau den Schlick aufwirbelte. In eben jenem Moment ergoss sich ein schwarz-glänzender Strom aus dem Grund heraus über das schlanke Bein, schien sich daran festzuklammern, arbeitete sich in rasender Schnelle nach oben fort. Noch ehe das Wasser zum Ersticken oder dessen Kälte zum Erfrieren führen konnte, hatte die Schwärze das Gesicht der jungen Frau erreicht, deren Augen selbst jetzt noch in grenzenlosem Entsetzen weit aufgerissen waren. Dann war sie komplett eingehüllt von pulsierender Finsternis, die sie weiter gen Boden zog, der ihre Füße bereits verschluckt hatte.
In Sekundenschnelle war von dem Körper nichts mehr übrig, nur ein kleiner schwarzer Punkt, der am Meeresboden hin und her lief,
als hätte er das Loch verpasst in dem seine Gefährten verschwunden waren. Schließlich löste dieser sich jedoch vom Grund und strebte der Wasseroberfläche entgegen. Kaum war er aufgetaucht, wurde er vom eben gänzlich durch die Wolken gebrochenen sichelförmigen Mond bestrahlt und zum Glänzen gebracht. Mit schnellen Schwimmbewegungen steuerte das schwarze Ding auf das Ufer zu. Kaum hatte es dieses erreicht, streckte es seine acht Beine aus und in Windeseile war die Spinne unter dem nächsten Stein verschwunden.
Vorerst jedenfalls, denn wenn es ein Gesetz gab, dann jenes, das die Spinnen nie ganz fort waren, so wie der Lebensnehmer höchstpersönlich. Denn was die Menschen
fürchten, kann nicht sterben, was die Menschen jedoch auch noch nähren wird auf ewig existieren, kann die Welt ins Chaos stürzen…
© Fianna 01/01/2013