Die Veröffentlichung der Geschichte des Schlemil Hofmann, welche bisher ins Reich der Mythen verdrängt worden war in all ihrer erschütternden Wahrheit bei der die Erkenntnis folgt, dass es mehr gibt als das, was wir sehen und erklären können. Er erreicht in diesem Kapitel Hannover und der Earl of Kensington weiht in in ein Detail des Lebens seiner Verwandten ein, welches er nicht glauben kann.
Den ersten längeren Stop legten wir in Hannover ein. Und nicht in einer Taverne, sondern beim Earl of Kensington persönlich. Wir hielten in einem Gasthaus im Zentrum, begaben und in den Schankraum und kaum hatte meine Begleitung mich dahin gelotst, da erschien er schon, geputzt in besten Sonntagsstaat. Die Gräfin begrüßte er wie eine alte Bekannte und auch mir gegenüber hatte er keinerlei Anstalten gemacht auch nur irgendwie distanziert aufzutreten. Er wirkte wie ein Familienmitglied, welches einen schon seit Jahren kannte, man dies aber umgekehrt nicht behaupten konnte.
Der Earl war ein Vertrauter des Königs von England, war aber abgeordnet in diesen Teil der deutschen Lande, wo das Empire seine schützende Hand darüber hielt. Er war damit nicht unglücklich, wie er uns vollmundig erzählte. Die Gräfin hatte er flink bei einem ihrer behandschuhten Hände gepackt und mich schob er, eine Hand auf die Schulter gelegt, in seine gefederte Kutsche. Dieses unwiderstehlichen Druckes konnten wir uns nicht erwehren.
Ich erinnere mich eines langen Monologes über die Schönheit unseres Deutschlandes, der großen Denker, der hübschen Frauen, den zierlichen Mädchen, den großen Geschichten und Sagen. Der Earl schien ein fleißiger Verehrer von Germania zu sein. Dabei pries er die Schönheit von Elisabeth, die errötete bei den Komplimenten, welche er wie ein Tuch über sie ausbreitete. Mich störte diese Werbung sehr, es waren wohl damals schon, nach dem frühen Aufbruch aus Hamburg, nach jenem flüchtigen ersten Treffen, dass ich zu ihr dünne Liebesbande knüpfte, die ich nun durch diesen Prahlhans, man mag mir den Ausdruck verzeihen, gefährdet sah.
Das Palais mit großem Garten erwartete uns. Die Kutsche flog über einen gepflegten Kiesweg hinweg, den Bediente harkten. Jede Hecke hatte eine geometrische Form angenommen, dazwischen thronten gewaltige Zierbäume, welche die Form von Ziergegenständen bildeten. Vor dem Palais erstreckte sich ein ausgedehnter Brunnen mit einer Fontäne von mindestens 5 Metern Höhe. Sie spritzte gleichmäßig in jede Richtung und erzeugte auf der Wasseroberfläche, wo sie Tröpfchen sich trafen, ein wildes Gewirr. Das Palais selbst hatte zwei große Freitreppen, welche jede auf eine Freifläche neben dem Mittelbau führte, auf denen man Dinieren, feiern, die Landschaft überblicken konnte. Den Mittelbau krönte ein gedecktes Runddach auf einem kleinen Türmchen, welches die Wolken kitzelte, so schien es zumindest von unten betrachtet.
Der Earl führte uns in einen großen Saal, wo er uns bedeutete sich zu setzen. Wir nahmen in zwei großen Ohrensesseln Platz, welche im Dreieck mit einem Dritten drapiert waren, in gleichem Abstand, zumindest zuerst noch. Bediente kümmerten sich sofort um uns, als wären wir Staatsgäste, reichten Konfekt und Wein, ich lehnte ab, Elisabeth ließ sich ein zierliches Weinglas einschenken.
„Ich bin so froh, dass sie beide wohlbehalten bei mir angelangt sind!“, flötete unser Gastgeber geradezu erleichtert, so, als hätte er schon vergessen, dass es seine Kutsche war, in der wir hierher gelangt waren.
„Mein junger Freund, genießen Sie Ihr Glück“, meinte er zu mir und ließ sich, eine neue Perücke auf dem Kopf, in seinen Sessel plumpsen. Er war eine schlanke Erscheinung und doch empfand ich ihn als träge. Erlegte Wert auf übertriebenen Pomp, zog sich gerne verschiedenste Kleider an, wechselte sie mehrmals am Tage. Die Kürze der Zeit brachte es wohl mit sich, dass es vorläufig nur die Perücke gewesen war.  Â
„Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht, Sire“, meinte ich.
„Na Euer Erbe, das meinte ich!“, sprach er und rückte mir uns Elisabeth näher, wohl aber stärker ihr zu, sodass eine seine Hände nach ihrer wohlgeformten greifen konnte. Er trug einen gewichsten Schnurrbart und hatte einen Stock bei sich, der eher ein Zepter war und doch nutze er ihn zum gehen, obwohl ihm offensichtlich kein körperliches Gebrechen plagte. Ich erkannte den Menschen als einen Ãœbertreiber, einen, der Dinge nutze, die er offensichtlich nicht gebrauchen konnte, aber sie hatte, damit es komplett wirkte, wie er sich maskierte.
„Oh, Ihr hättet die Baroness erleben müssen. Aber es war Euch ja nie vergönnt. Es ist ein Jammer!“, rief er aus, als wäre eine Tragödie epischen Ausmaßes geschehen. Â
„Das dürfte wohl der Makel der späten Geburt sein, von dem man so häufig hört“, erwiderte ich trocken und Elisabeth hielt sich vornehm die Hand vor den Mund. An ihrem hüpfenden Busen sah ich, dass sie sich ein Lachen schwer verkneifen konnte. Sie war, ich wiederhole mich wohl hier, aber wie sollte ich anders, von geradezu transzendenter Grazie. Ich verwende diesen Begriff, weil sie von einer Feinheit war, die nicht menschlich war, zumindest sah ich sie noch an keinem menschlichen Weibe.
„Oh, Darling, please!“, tadelte sie der Earl, der von ihrer Seite ein kurzes „Sorry“ folgte.
Einer der Bedienten reichte dem Earl, ich hätte wetten können, einen Kelch voll Wein. Es war ein Pokal, er war größer als die feinen Gläser, die wir erhalten hatten. Er trank den Wein in vollen Zügen, wie Bacchus selbst es nicht anders getan hätte. Seine dünnen Wangen glänzten rosig darauf hin. Er wurde mir immer mehr suspekt.
„Es ist Rheinwein. Ihr Deutschen, ihr wisst ja gar nicht, welchen Reichtum eure Länder haben. Wir Briten, was sind wir für eine Nation. Groß und mächtig, aber doch, wenn man euch kennt, in vielem kleiner als ihr Gottbegnadeten“, flötete er erneut.
„Ja, das mag schon sein. Ihr wart, sofern ich mich nicht irre dabei von meiner verstorbenen Verwandten zu sprechen“, erinnerte ich ihn.
„Oh my god! Ihr sprecht von ihr wie von einem Ding, einem Anhängsel, aber nicht wie von einer lovely Lady“, ermahnte er mich. Ich verschränkte die Arme.
„Sie was so…pretty, aber das ist viel zu wenig. Ich kann es nicht benennen, ich kenne kein Wort dafür. Sie war immer die Schönste, alterte nicht, war eine Schönheit. Und immer so galant, so vornehm, eine Queen, fürwahr!“, schwärmte er.
„Die Tänze, ach, was tanzte ich mit ihr und ich begehrte sie schon vor Jahren ebenso die anderen Herren und Burschen. Ihr wäret von ihr angezogen gewesen. Beide! Auch die Damen liebten sie, wobei sie einen jeden Kavalier mit einem Fingerwink haben konnte. Es war eine Freude!“, stieß er aus, trank Wein und lachte polternd.
„Sie war meine Großtante, ich glaube kaum, dass ich sie so geliebt hätte, wie die Herren. Zudem war sie dann schon 60 Lenze zählend, sofern ich weiß, das Testament ergab dies.“
„Sie sind ein steifer junger Mann! Sie haben a lovely girl by your side und sind so griesgrämig“, meinte er verwundert und strich Elisabeth über die zarten Finger, was ich ungern sah.
„Earl, verzeiht meinen Begleiter, aber er entstammt einer Kaufmannsfamilie. Er ist gewandt, aber solche Kreise, wie die Euren, die waren ihm bisher verschlossen“, beschwichtigte Elisabeth und versuchte so zu erklären, warum ich mich nicht auch so benahm wie mein Gegenüber.
„Of course! Trotzdem, genießen Sie!“, forderte er mich auf und unterstrich diese Forderung mit einem tiefen Schluck des Rebensaftes.
„Pardon, ich trinke nicht am Tage, gelegentlich des abends“, erklärte ich mich, was bei meinem Gastgeber keine Bewunderung hervorrief, er schien gar bestürzt darüber, wie wenig man dieses alkoholische Getränk konsumieren konnte, was ihm ja schon zum Wasserersatz geworden war.
„Man merkt gar nicht, dass Sie mit der Baroness verwandt sein sollen! Es war ein Weib with the devil inside! Ich sage es, weil es so war. Voller Feuer, Leidenschaft, wonderful!“, stieß er aus und trank schon wieder. Elisabeth schob ihren Sessel näher an meinen heran, der Säufer behagte ihr immer weniger, ich schmunzelte ob dieses Details leicht.
„Aber da ist noch mehr, wegen devil. Wissen Sie um ihren Tod?“, fragte der Earl nun verschwörerisch, den Kelch hatte er abgestellt.
„Nein. Ich erhielt ihre Verfügung von Todes wegen. Und darin waren keine näheren Angaben zu irgendetwas gemacht. Es überraschte mich vollkommen.“
„Sie war lovely, auch in ihren letzten Jahren. Wir waren angetan und doch schockiert. Wissen sie beide, was ich meine? Stellen Sie sich eine sweet Lady, wie Ihre Begleiterin vor und dann, dass sie immer so aussieht. Egal wie alt.“
„Glück und von der Natur verwöhnt. So etwas soll ja vorkommen.“
„No!“, kam es entschieden aus seinem Munde. „Es ist nicht normal, dass eine Frau mit 60 Jahren noch so aussieht wie mit 20!“, spie er mir entgegen und ich rückte leicht nach hinten.
„Man sagt deshalb, sie sei the devil’s wife gewesen“, flüsterte der Earl und Schlemil krallte sich in die Lehnen. Er war erbost, wollte sich aber nichts anmerken lassen.
„Man sagt, dass ihr doctor, der sie zuletzt betreute, er wäre crazy geworden. In der Irrenanstalt ist er und sprich von the devil‘s woman. Er hat sie geholt, als sie gestorben ist, stand im Zimnmer, into her chamber und hat sie in die Hölle mitgenommen. Sie hat sich von ihm wegtragen lassen und sie verschwanden in einem feurigen Loch im Boden. Der doctor is crazy. Er spricht nur noch darüber und nachts schreit er.“
Elisabeth hielt sich erschrocken eine der feinen Hände vor den Mund, ich erhob mich rasch aus meinem Sessel.
„Verzeiht Earl, wenn ich Eure kleine Schauergeschichte unterbreche. Obwohl Ihr diese verwandte von mir näher kennt als ich, der sie nie zu Gesicht bekam, so möchte ich mich doch gegen solch infame Anschuldigungen wehren, gegen solchen Mumpitz von Teufeln und irgendwelchen irren Ärzten!“, erklang meine Stimme durch den Saal, sodass die Bedienten aufschreckten.
„My friend, please“, sprach er beschwichtigend, war selbst aufgesprungen und legte seine Handflächen auf meine Schulterblätter. Dabei drückte er mich vorsichtig zurück in meinen Sessel.
„Aber ich sage nur, was ich gehört habe.“
„Trotzdem glauben Sie doch nicht diesen infamen Hokuspokus, oder?“
Ich versuchte sein Gesicht zu erforschen und entdeckte zu meinem Bedauern kein tiefes Ablehnen.
„Dann haltet Ihr meine Großtante auch für ein Teufelsweib?“
Keine Reaktion.
„Dann danke ich für Eure Gastfreundschaft, aber ich würde jetzt gerne mein Zimmer sehen“, erwiderte ich kühl. Und hatte mich schon wieder erhoben.
„Yes. Meine Bedienten zeigen ihnen beiden die Zimmer“, kam es überrascht von seinen Lippen. Ãœberhaupt schien er der Situation wenig gewachsen und überließ es den Dienern uns die Zimmer zu zeigen. Elisabeth blieb ruhig und edel, wie immer.
Nachdem man uns auf die Zimmer verwiesen hatte meldete ich bei unserem Gastgeber an, dass ich mich gerne ein wenig zu Bett begeben würde. Er war einverstanden, meine Begleitung wollte auch ruhen.
Ich war froh einen Weg gefunden zu haben diesen Mann nicht mehr vor dem Abendessen sehen zu müssen, was dann so üppig war, dass die lange Tafel sich unter den aufgetafelten Speisen bog. Umso besser, denn sie verdeckten die Sicht auf den, in Richtung der Gräfin, schlawienernden Earl. Dies ließ mich jetzt kalt, die Geschichten, die ich gehört hatte, beschäftigten mich auch des Nachts und ich konnte erst Schlaf finden, als die Erschöpfung dies gebot.
Des nächsten Tages Morgen verabschiedeten wir uns bereits, die Reise war noch lang. Er verstand es und spürte doch, dass vornehmlich ich, nicht mit guten Gedanken abreisten. Elisabeth war besorgt um mich, ich wischte ihre Bedenken beiseite, half den Pagen beim Verladen des Gepäcks, was dem feinen Herrn gänzlich unerklärlich war und dann brachen wir in Windeseile weiter nach Süden auf.
RogerWright Re: - Zitat: (Original von Fianna am 23.09.2013 - 15:50 Uhr) Also die Darstellung dieses Earls ist dir wirklich geglückt. Er wirkt doch ziemlich authentisch. Liebe Grüße Fianna Danke, ja, er ist schon ein Truthahn in feinem Zwirn. Dann wird dir der Gastgeber des kommenden Kapitels wohl eher zusagen, das zumindest möchte ich als Hypothese in den Raum stellen. |