Mein Liebster!
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Die ersten zwei Wochen waren die Hölle. Anders kann ich das nicht beschreiben. Sie waren die Hölle. Morgens aufzuwachen ohne deinen Atem zu hören, abends ins Bett zu gehen ohne deine Stimme als Letztes zu hören, bevor ich einschlafe. Dazwischen der ganze Tag ohne dich – es gab nichts, wirklich nichts, was mich hätte trösten können. Ich ertrug weder Musik noch den Fernseher, ich konnte nichts essen, ich konnte nicht schlafen. Die Beerdigung ist komplett aus meinem Gedächtnis gelöscht. Ich kann mich an nichts erinnern, ich bin nicht einmal sicher, ob ich da war.
In unserer ersten gemeinsamen Zeit hast du mich einige Male verlassen, weil du geglaubt hast, dass du noch was erleben musst, bevor du dich ganz auf mich einlassen konntest. Jedes Mal wenn das geschah, war mein Liebeskummer intensiv und meine Art vollkommen irrational zu reagieren, mich selbst zu quälen um den Schmerz ertragen zu können, wirkt heute wie ein schlechter Witz.
Das, was in diesen ersten beiden Wochen nach deinem Tod war, ist mit nichts zu vergleichen. Kein Liebeskummer war so heftig und zerstörend. Ich lag einfach auf dem Bett oder stand am Fenster, ich registrierte nichts und niemanden. Meine Existenz hatte sich aufgelöst. Es gab nichts, was mir auch nur den geringsten Trost spenden konnte. Nichts. Die Leere dehnte sich aus und schlich sich in mich hinein wie Winternebel. Kalt und nass. Ich kann mich erinnern, dass ich viel weinte. Doch manchmal kamen keine Tränen. Das war viel schlimmer als wenn sie flossen. Das tat viel mehr weh. Wenn ich weinte, dann geschah wenigstens irgendetwas. Einfach am Fenster zu stehen und hinaus zu starren, das Zeitgefühl komplett verloren – jeglichen Kontakt zur Realität verloren – irgendwo in meinem Kopf wusste ich, dass das nicht gut war. Nicht gesund. Ich konnte nicht anders.
So wie wenn ich im Liebeskummer ertrinken wollte und dabei genau wusste, dass es nicht gesund war. Es ist meine Art es eben doch zu tun. Doch in Trauer zu versinken, darin zu ertrinken – ist etwas ganz anderes. Das ist ein anderes Kaliber. Es ist zerstörend. So sehr, dass man es spüren kann, wie Teile der Seele absterben. Ich hörte einmal, wie ein Auftrags-Killer einer Serie erklärte, was geschieht, wenn man den ersten Menschen um sein Leben bringt. Er sagte: „Ein Stück deiner Seele stirbt. Das beste Stück deiner Seele, da, wo du ein guter Mensch bist.“ – genau so geht es mir jetzt. Obwohl ich niemanden umgebracht habe. Ich fühle mich nur so, als wäre der beste Teil meines Selbst einfach gestorben. Nein, nicht gestorben, sondern ermordet. Zerstört. Vernichtet.
Ich weiss nicht, ob ich jemals wieder ein guter Mensch sein kann. Oder ob da jetzt ein grosses Loch ist, in dem alles verschwinden kann, was rund um mich herum ist. Dieses Gefühl war in der ersten Zeit so stark, dass es jeglichen Raum und Zeit einnahm. Heute ist es nicht mehr so gross, aber es ist noch immer da. Noch immer erlaube ich meinen Mitmenschen nicht, mich zu trösten. Es gibt keinen Trost. Dass du nicht mehr bei mir bist, dass du nicht mehr da bist, nirgendwo auf dieser Welt – dafür gibt es keinen Trost.
Es war ziemlich am Anfang unserer Zeit, als wir einen grossen Streit hatten. Es ging darum, dass ich meinen Willen nicht bekam – dass du dein Ding durchgezogen hast. Du hattest damals vergessen, dass wir uns treffen wollten und du hattest etwas anderes mit anderen Leuten abgemacht. Ich war so wütend auf dich. Ich war so wütend und ich war verletzt. Doch du hast es durchgezogen. Ohne Rücksicht, ohne auch nur einen Millimeter abzuweichen. Ich fühlte mich wie ein verletztes Tier in einem viel zu engen Käfig und ich reagierte irrational. Wobei, so irrational war es am Ende doch nicht. Weil ich in gewissen Punkten absolut recht hatte. Du wusstest das und bliebst dennoch bei deiner Meinung. Es sah aus, als wäre das mit uns Geschichte. Wir „mussten“ einen Nachmittag zusammen verbringen – für mich war es ein Müssen, für dich nicht, was mich heute noch zum Lachen bringt. Du warst einfach so unglaublich stur! Jedenfalls verbrachten wir diesen Nachmittag und taten unsere Arbeit. Es war so schlimm, dich zu sehen und zu denken, dass alles vorbei ist. Dich nie wieder berühren zu können. In solchen Situationen wurde ich sehr, sehr böse. Unberechenbar und böse. Das hatte ich drauf, habe ich ehrlich gesagt immer noch. Wir stritten auf unsere Art mitten in den Leuten und wir stritten erbittert. Unsere Augen waren hart und unsere Worte waren es auch. Ich glaube, wir hätten beide gern den anderen geschüttelt oder geschlagen. Den Mund zugeklebt. Was auch immer. Am Ende lenkten wir beide gleichzeitig ein. Wir sahen uns grinsend an, du sagtest: „best friends?“, ich fiel dir um den Hals und du hast mich festgehalten. Danach gingen wir zusammen eine rauchen. Ich bat dich um Verzeihung (schon wieder) und du sagtest dass es nichts zu verzeihen gäbe.
„Wenn ich dich verliere, verliere ich den besten Teil meiner Seele.“, du meintest, dass eine Abhängigkeit nicht gut und nicht gesund wäre. „Nein, du irrst dich. Du bist auch ohne mich ein guter Mensch. Du bist ein guter Mensch!“, sagtest du. Ich kann mich ziemlich gut an dieses Gespräch erinnern, weil es eines der Wichtigsten Gespräche unserer Zeit war. Vielleicht sogar eines der Wichtigsten in meinem Leben. Weil ich nämlich in jenem Moment erkannte, dass es wirklich so ist. Oder war.
Mein Leben hat aus mir einen Menschen gemacht, der sich nahm, was er wollte – was ich haben wollte, bekam ich auch und die meisten anderen hatten nicht den Mumm oder die Kraft, mir die Stirn zu bieten und mir nicht zu geben, was ich wollte. Die meisten anderen hatten vielleicht auch eine Art von Respekt vor mir, der eher im Angstbereich angesiedelt war als da wo Respekt wirklich sein sollte. Ich habe eine gewisse Macht. Das liegt vor allem daran, dass ich mit Worten umgehen kann, dass ich ein unglaubliches Gedächtnis habe und mein Humor eher Sarkasmus ist.
Du aber… du hast mich weicher gemacht. Menschlicher, Anständiger, Ruhiger – durch dich habe ich gelernt, zu verzichten. Ich habe gelernt, die Menschen rund um mich herum nicht ständig vor den Kopf zu stossen und sie nicht für meine eigenen Zwecke zu manipulieren. Das lag ganz einfach daran, dass ich dich liebe und dass ich von dir geliebt wurde. Das hat mich sanfter gemacht. Das hat den besten Teil meiner Persönlichkeit oder meiner Seele freigelegt. Ich sagte in diesem Gespräch, dass es nicht darum geht, dass ich kein guter Mensch mehr wäre, wenn du weg bist. Mir war klar, dass ich all die Menschen die ich gern habe, nicht plötzlich auf meine Zuneigung verzichten müssen. Nur – nur, wer mir wirklich nahe kommen will, der steht vor einer grossen Herausforderung. Du hast gelacht und gesagt: „Du bist schwer zu haben!“. Ja. Das ist so. Ich bin schwer zu haben.
Dadurch, dass du mir die Stirn immer wieder geboten hast, bist du mir so nahe gekommen wie niemand vor dir und auch niemand nach dir. Da wo du warst, kommt keiner mehr hin. Diesen Teil habe ich verschlossen. Nur dich, nur dich habe ich genug geliebt, und werde ich immer genug lieben, um ein liebender Mensch zu sein. Ich habe diesen Teil verschlossen – weil das dein Teil war. Das war dein Teil meines Ichs.
Kein Trost reicht bis in diesen Teil hinein. Mir ist klar, dass wenn nichts herein kann, kann auch nichts heraus. Es gibt nichts, was mich da drinnen über den Verlust hinweg trösten könnte. Nichts. Es ist der Ort an dem ich immer um dich trauern werde. Es ist der Ort an dem aber auch etwas von dir geblieben ist. Deine Liebe. Deine unendliche Liebe für mich.
Das was aussen ist, die anderen Teile meines Ichs – da wo ich andere Menschen hinlasse und mich trösten lasse, der Teil der weiter lebt, ist der Teil der getröstet werden kann. Das ist der Teil, der mich atmen und leben lässt. Die Oberfläche.
Nach diesen zwei Wochen die ich brauchte, um das Innerste zu verschliessen, waren wichtig für mich. Da war alles störend. Ich wollte keine Ablenkung, ich wollte keinen Trost. Ich wollte einfach nur traurig sein. Danach, als ich das abgeschlossen habe, war ich bereit, Musik und Farben in mein Leben zu lassen. Ich war bereit, Menschen an mich heran zu lassen und ihnen die Möglichkeit zu geben, mit mir zusammen um einen guten Mann zu trauern, der viel zu früh gehen musste. Ich war bereit, wieder jeden Tag aufzustehen und weiter zu machen.
Und diese Briefe, die ich dir schreibe – sie sind ein grosser Trost für mich. Es tut mir gut, das alles zu schreiben. Mich zu erinnern, das eine und andere festzuhalten. Es ist fast, als würde ich mit dir reden. Ich habe dir so viele Briefe geschrieben in all der Zeit. Weil Briefe schreiben einfacher ist, als zu reden. Wenn ich schreibe redet keiner dazwischen und ich kann in einem „Rutsch“ alles sagen, was ich zu sagen habe. Ich kann abschweifen und zurückkommen und ich kann mich selbst finden. Du hast es geliebt von mir Briefe zu bekommen. Und ich habe es geliebt, wenn ich dir beim Lesen zusehen durfte. Ich kann dir jetzt nicht beim Lesen zusehen, aber wenn ich mich konzentriere, dann kann ich dich sehen. Ich kann mir vorstellen, wie du lächelst, oder die Augenbraue hochziehst. Wie du die Stirn runzelst und deine Augen über die Zeilen huschen. Ich kann es mir noch immer vorstellen und ich will diese Erinnerungen behalten solange es nur geht.
Das ist mein Trost. Dass er oberflächlich bleibt – und das was uns verbunden hat für immer ein grosser Verlust bleiben wird, den niemand aufwiegen kann.
Ich liebe dich.
Du fehlst mir.
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Mit all meiner Liebe
SaenaPJ Berührend sich nah fühlen Kraft schöpfen aufschreiben und ordnen um Ruhe im Inneren wieder zu erleben Kenn ich sehr gut ist mir vertraut diese Rückblick um vorwärtz dann blicken zu können Ein Mensch ist erst dann ganz verlohren, wenn wir ihn aus dem Herzen löschen manchmal geben sie und viel auch wenn sie nicht mehr da sind liebe Grüße Petra-Josie |