Romane & Erzählungen
Licht - Brief Nummer 8

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"Licht - Brief Nummer 8"
Veröffentlicht am 02. September 2013, 12 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Licht - Brief Nummer 8

Licht - Brief Nummer 8

Mein Liebster!

 

Es geht mir besser. Darf es das? Mir besser gehen? Ich bin mir nicht sicher, weil – es ist erst 73 Tage her. Aber doch – es geht mir besser. Jedenfalls heute, jetzt. Ich war sogar wieder mal im Wald. Mein Bewegungsdrang war so gross, als ich heute Morgen aufstand, dass ich einfach rauf in den Wald gehen musste. Es liegt immer noch Schnee, sogar auf dem Waldboden. Die Wege sind gefroren und es war eigentlich sehr gefährlich, was ich da gemacht habe. Ich musste es einfach tun.

Dann kam ich nach Hause, leerte endlich den Briefkasten, machte mir Kaffee und ging die Post durch. Da war ein Brief von deiner Mutter. Sie hat mich eingeladen, die Ostertage mit ihr und deinem Vater im Ferienhaus zu verbringen. Deine Schwestern werden auch da sein. Ich denke, ich werde das tun. Ich werde mit ihnen nach Holland fahren – ich werde mit ihnen dahin fahren, wo wir beide so oft waren. Sie schrieb im Brief, dass es mir vielleicht gut tun werde, mich da auch von dir zu verabschieden. „Ich werde dich zum Leuchtturm begleiten“, hat sie geschrieben. Sie weiss, wie wichtig der Leuchtturm für mich ist. Wie wichtig er für uns beide war. Da oben im Leuchtturm – ja, diese Erinnerung ist wundervoll. Da begann unser gemeinsames Leben, unsere Beziehung ohne Kompromisse mehr. Weisst du noch? Ich weiss es noch. Und ich weiss, wenn du da wärst und noch eine Erinnerung hättest, dann wüsstest du es auch noch. Du hast das Meiste immer noch gewusst, und wenn zehn Jahre dazwischen lagen.

Als ich den Brief weg legte und die Rechnungen durch hatte, zog ich den Stern von heute. Manchmal gibt es Situationen, in denen man einfach da steht und es nicht fassen kann, was gerade geschieht. Was man gerade sieht oder hört. Man steht einfach da und ist für einige Augenblicke oder auch für Minuten vollkommen abgeschnitten von der Welt, von der Realität. Man steht einfach da und versucht, man versucht das Chaos im Kopf irgendwie in den Griff zu bekommen. Einen klaren Gedanken zu fassen. Ich stand da und suchte den klaren Gedanken. Ich begann herum zu gehen und nach etwas zu suchen, was ich hätte tun können. Es gäbe viel, was ich hätte tun können. Es gibt viel, was ich tun sollte. Nur in diesem Moment – nein, in diesem Moment konnte ich nichts Alltägliches tun.

Was auf dem Stern steht?

Nun das, was ich damals mit dir im Leuchtturm gefunden habe. Stimmt nicht ganz. Ich hatte es schon vorher gefunden, nur da im Leuchtturm hast du es angeknipst. LICHT. Da steht Licht auf dem Stern. An dem Tag an dem ich feststelle, dass es mir besser geht, an dem Tag an dem ich nach Holland eingeladen werde – an dem Tag. Es könnte an keinem anderen Tag sein oder? Das verblüfft mich immer noch. Wie sich die Dinge in die Hand spielen. Ich meine – warum ist es heute der Stern auf dem Licht steht?

Es darf mir besser gehen oder? Genau das ist doch gemeint? Licht – Licht am Ende des Tunnels. Ein kleines Licht, aber es ist Licht. Oder ist doch das Licht im inneren gemeint? Meinst du das Licht in der Seele? Oder meinst du das wirkliche Licht, das man anknipst, wenn es dunkel wird? Oder das Sonnenlicht?

Welches Licht du auch gemeint hast, als du es aufgeschrieben hast, ist eigentlich vollkommen unwichtig. Hauptsache da ist Licht.  

 

Ich will nochmal zurück zum Leuchtturm gehen. Zu jener Nacht, als wir da übernachtet haben. Ich muss heute noch lächeln, wenn ich daran denke, wie es überhaupt dazu kam, dass wir in diesem Leuchtturm gelandet sind. Lapidar ausgedrückt waren es die Verknüpfungen von Zufällen. Zufälle gibt es nicht, sage ich. Ausser es sind Dinge, die zu fallen können, wie Türen oder Fenster.

Wir waren vorher mit deinem Bruder in Südfrankreich und sind dann nach Amsterdam geflogen um die zweite Woche Ferien mit der ganzen Familie zu verbringen. Ich sehe uns heute noch alle im Eingang stehen. Es war das erste Mal, das drei Kinder der Familie ihre Freundinnen oder Freunde mitbrachten. Die Zwillinge und du. Deine Mutter hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und den Kopf geschüttelt und etwa hundert Mal gesagt: „Aber Kinder! Wie könnt ihr einfach alle einen Gast mitbringen ohne etwas zu sagen?“, die Zwillinge verteidigten sich, dass das bisher nie ein Problem war, wenn sie ihre Leute mitgebracht hatten. Nur in diesem Fall war es so, dass deine Eltern auch jemanden mitgenommen hatten und ja, am Ende war ein Bett zu wenig im Haus.

Während der Rest der Familie darüber nachdachte, was immer ziemlich lautstark ist, gingen wir beide raus ein wenig spazieren. Als ich den Leuchtturm sah, blieb ich stehen und sah ihn einfach nur an. Ich sagte, dass ich so gern einmal in einem Leuchtturm übernachten möchte – und du hast gelacht und gerufen: „Das ist die Lösung!“, bist ins Haus zurück gesprintet. Ich blieb einfach da stehen und betrachtete den Turm.

Nach dem Nachtessen hast du den grossen Korb geschnappt, mich gerufen und mich zum Leuchtturm gebracht. Wir schlugen unser Lager direkt unter der Kuppel auf – du hattest an alles gedacht. Und dann hast du mich entführt. Einfach so. Ich liess es geschehen, ohne mich zu wehren. Ich hatte keine Angst. Ich liess dich gewähren und du hast uns so viel Zeit gelassen. Du warst vorsichtig, du warst so unglaublich zärtlich – und ich entdeckte etwas völlig neues. Etwas, wovon ich immer geglaubt hatte, dass es das gar nicht gibt. Dass es das nur in kitschigen Romanen und Filmen gibt. Dass Menschen sich lieben und das auch noch schön finden, es geniessen – und mehr wollen davon. Ich konnte das nicht nachvollziehen.

 

Als die Sonne aufging war ich eine Frau. Eine richtige, glückliche Frau. Hätte ich es gekonnt, hätte ich geschnurrt wie eine Katze. In jener Nacht hast du wie ein Heinzelmännchen alles bunt gemacht. Du hast alles bunt und schön gemacht. Du hast den tiefsten Kern in mir berührt – hast mein Herz in deine Hände genommen, meinem Körper das Schönste gegeben, was ein Mann einer Frau geben kann und ich, ja ich habe alles was ich bin für dich geöffnet. Habe dich eingeladen und empfangen.

 

Mein Vertrauen in dich – es war einfach da und es war das Beste, was mir passieren konnte. Ich hatte endlich den Menschen gefunden, der das Licht in mir anknipsen kann und es auch brennen lässt. Für mich persönlich das faszinierendste am Ganzen war immer, wie stark mein Verlangen nach dir war. Ein Kuss, du brauchtest immer nur einen Kuss und ich gab mich dir freiwillig hin. Ganz und gar. Manchmal habe ich einfach meine Hände auf deine Haut gelegt, mit den Fingerkuppen leicht gedrückt. Deine Haut war so weich und warm und doch fest. Deine Muskeln lagen direkt unter der Haut, da war kein Fett. Also spürtest du den Druck meiner Fingerkuppen und deine Muskeln reagierten, was mich wiederum erzittern liess – vor Verlangen. All die Jahre konnten wir dieses Verlangen nach einander nicht stillen. Und das mit meiner Vergangenheit. Für mich war das wirklich ein Wunder und das blieb es bis zum Schluss.

 

Es war vor ziemlich genau fünfeinhalb Jahren, als wir zusammen nach Rom reisten um endlich diese wundervolle Stadt zu sehen. Wir nahmen uns vier Wochen Zeit dafür – am Ende waren meine Sohlen durchgelaufen. Weisst du noch? An dem Tag an dem wir mein Traumhaus sahen. Weisst du noch? Du hast den Makler angerufen, weil das Haus zum Verkauf stand. Du hast ihn angerufen und so getan, als ob du Interesse daran hättest. Dabei wollten wir es nur von innen sehen. Jedenfalls hat er versprochen, zu kommen und uns das Haus zu zeigen. Wir setzten uns derweil auf die Mauer mit einer Gelati und sahen den Menschen zu, die vorbei gingen. Eine junge Frau ging an uns vorbei. Du hast ihr nachgesehen bis sie verschwunden war. Dann hast du mich angesehen und gesagt: „In meiner Ausbildung lernte ich alles, was man über Missbrauch und Misshandlung sexueller Natur wissen muss. Was man, was ich tun kann. Bevor ich dich kennen lernte, war dies eine für mich nicht nachvollziehbare Materie. Ich konnte es nicht verstehen, ich konnte nicht verstehen, wie das für eine Frau sein muss. Durch dich habe ich es gelernt. Durch dich kann ich meine Arbeit besser machen, durch dich bin ich fähig, es zu verstehen. Und durch dich sehe ich es besser. Ich sehe es sofort…“, wieder hast du in die Richtung gesehen in der die Frau verschwunden war. Ich verstand. Und ich fühlte mich gut. Ja. Ich fühlte mich sicher und geborgen. Und ich hatte einen Zweck – ich konnte dir etwas geben, womit du etwas anfangen konntest.

Denn… trotz allem, trotz allem Vertrauen und trotz aller Liebe gab es Momente in denen mich die Vergangenheit einholen wollte. Es geschah selten, aber es geschah, dass ich das Licht einfach ausknipste. Dann kamst du und hast es wieder angeknipst. Mit viel Geduld und Liebe, mit Verständnis und dem Glauben hast du es einfach immer wieder angeknipst.

Solange bis ich begriff, dass dieses Licht einfach nur die Frau ist, die ich sein konnte. Die ich werden konnte. Die ich heute bin. Das Licht – es brennt noch immer. Es lässt sich nicht mehr ausschalten, dafür hast du gesorgt. Und damit hast du mir die Chance auf einen Neuanfang gegeben. Nicht mit einem anderen Mann, dafür fühle ich mich zu alt. Nein. Einen Neuanfang im Andenken an dich.

Ich glaube, jetzt kommt die Zeit, in der ich die Dinge tun muss, die ich immer schon tun wollte, es aber noch nicht getan habe. Wie zum Beispiel den Roman beenden, der seit Jahren in meiner Schreibtischschublade rumlümmelt. Oder die Reise nach Japan. Du wolltest nie nach Japan – ich schon und jetzt könnte ich gehen. Wer weiss. Vielleicht gehe ich wirklich irgendwann noch dahin. Wer weiss das schon?

Erst mal werde ich Ostern im Ferienhaus mit deinen Eltern und den Zwillingen verbringen. Ostern. Leuchtturm. Licht. Unglaublich oder? Ja, ja, ich weiss. Unglaublich ist es erst, wenn man aufhört zu glauben – gut, dann nenne ich es Faszinierend. Oder Magisch. Oder einfach typisch für unser Leben.

 

Licht. Es ist überall. Es ist in mir, um mich – es findet sich immer ein Licht. Nun ja, fast immer. Mir ist schon klar, dass es Geschichten gibt, in denen es kein Licht mehr gibt. Das sind jedoch nicht meine Geschichten, denn in meinen gibt es immer Licht. Wo auch immer es ist, das Licht ausserhalb von mir, ich werde es finden. Und ich werde ihm folgen und sehen, was da auf mich wartet.

 

Ich weiss du achtest auf mich. Ich weiss, du bist noch hier. Dafür bin ich sehr dankbar – auch wenn ich alles für eine einzige, letzte Stunde mit dir geben würde… alles würde ich geben. Auch mein Licht.

 

Mit all meiner Liebe

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bloodredmoon

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shirley sehr berührt...wirklich sehr.

Ich sehe alles wie einen Film ablaufen, ein Film, bei dem eine Taschentuchpackung nicht reicht.

LG Shirley
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FLEURdelaCOEUR ******** - Zutiefst berührend, meine Liebe,
ich bin jedesmal sprachlos nach deinen Briefen ....

GlG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
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