Wassertropfen im Badezimmer
„Tara, komm her, du musst baden, siehst aus wie ein kleiner Schmutzfink. Tara! Komm endlich! Muss ich immer alles zwei-, dreimal sagen? Die Wanne ruft!“ Erst erschien ein kleiner dunkler Lockenkopf, dann schob sich Tara, gerade mal sieben Jahre, mit verschmitztem Lächeln durch die Tür: „Mama, da bin ich.“ „Na endlich. Ab ins Wasser.“ Tara stieg in die Badewanne nahm ihr kleines Boot mit hinein, planschte und spritzte. Der Schaum schwappte über den Rand. Eine kleine Pfütze breitete sich im Badezimmer aus, mit einem Schaumhäubchen obendrauf. „Tara, habe ich dir schon einmal erzählt, wo dein Badewasser herkommt?“ „Nein, Mama.“ „Dann werde ich dir die Geschichte jetzt erzählen. Sitz ruhig in der Wanne und spritz nicht alles voll: Es beginnt mit einem Wassertröpfchen.“ „Nur eins Mama?“ „Nein ich könnte auch Tausend sagen, eine Million. Lass uns mit einen einzigen Wassertröpfchen beginnen. Du findest es oben in der Wolke. Die ist noch ganz leicht und weiß und zieht am blauen Himmel entlang. Die Sonne scheint. Es wird wärmer und wärmer. Zu dem einen Wassertröpfchen gesellen sich viele Schwestern und Brüder, immer mehr und mehr. Die Wolke wird schwerer und schwerer, dichter und dichter, so dass die Sonne nicht mehr durchscheinen kann. Und was passiert dann Tara? Sie sieht ganz grau aus, wird immer dunkler und dunkler. Gerade gestern hattest du diese Wolken gesehen. Stimmt’s?“„Ja, Mama, plötzlich war’s draußen richtig dunkel.“ Wenn die vielen Wassertröpfchen keinen Platz mehr in der Wolke haben, dann kann sie die Tröpfchen nicht mehr tragen. Die reiben sich aneinander, rufen: Platz da, ich kann nicht mehr atmen! Es ist zu eng hier“ Jetzt musst du lachen, Tara. Aber, was passiert dann? Es regnet. Alle Tröpfchen fallen zur Erde. Die Blumen werden nass, die Straßen, die Wege. Sie verfangen sich in deinen Haaren, benutzen sie als Rutschbahn. Deine Jacke und deine Hosen triefen vor Nässe und deine Schuhe quietschen im Wasser. Auf der Straße entstehen große Matschpfützen, in die du so gerne hüpfst.“ „Wo ist unser Tröpfchen jetzt, Mama?“ „Alle kleinen Tröpfchen, sickern durch die Erde hinein, immer mehr und mehr von ihnen treffen sich dort. Sie vereinigen sich zu kleinen Bächen, befreien sich aus dem Innern der Erde und kommen an die Oberfläche. Sie fließen in die großen Flüsse und reisen ins Meer.“ „Und, wie kommen die Wassertropfen dann in meine Badewanne?“ wollte Tara nun endlich wissen. „Immer langsam, meine Kleine. Eins nach dem anderen. In jeder Stadt gibt es Wasserwerke. Die Wasserwerker holen das Wasser aus der tiefen Erde, aus Flüssen und Bächen, leiten die Tropfen in die Wasserleitungen und wir drehen den Hahn auf und können darin baden, wie du jetzt gerade. Hey Tara, hier ist dein Wassertröpfchen. Siehst du es? Es sitzt gerade auf deiner Nasenspitze.“ Da kicherst du wieder. „Mama, mein Wasser ist aber jetzt ganz schmutzig. Trinken kann ich das nicht mehr.“ „Aber nein. Ich ziehe jetzt den Wasserstöpsel und das Wasser verschwindet und plätschert in den Abfluss. Pass nur auf, dass du nicht mit verschwindest.“„…“„Das Wasser fließt in Rohren bis ins Wasserwerk. Siehst du, schon zum zweiten Mal ist dein Wassertropfen dort. Mit seinen vielen Geschwistern wird unser Wassertröpfchen blitzblank geputzt. Sie müssen sich durch viele Steine drängen. In denen bleibt Schmutz hängen. Sie johlen und juchzen, spielen Fangen. Kleine, klitzekleine Bakterien umschwirren sie und reiben den letzten Schmutz aus ihnen heraus. Zum Schluss fließt unser Tröpfchen wieder in den Fluss zurück. Es geht auf eine lange Reise ins Meer, trägt Schiffe, Fische schwimmen drinnen oder kleine Mädchen - wie du - toben im Wasser. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau und es ist warm. Unserem Wassertröpfchen wird es ganz eigenartig zumute. Es fühlt sich immer leichter und leichter, wird durchsichtig, fliegt als Wasserdampf zum Himmel, angezogen von der Sonne. Es ist nicht allein. Viele andere Wassertröpfchen sind dabei. Sie halten sich alle an den Händen und schauen hinab auf unsere Erde. Sehen die bunten Blumen, die duftenden Wiesen und Felder. Und als alle Tröpfchen am blauen Himmel ankommen, ist aus ihnen eine schöne weiße Wolke, leicht und durchsichtig geworden.“ „Ja, Mama, manches Mal sieht so eine Wolke wie ein Schaf, ein Vogel oder ein Berg aus.“„Wir haben auch schon Gesichter in den Wolken gesehen.“„Mama, ich kann mir vorstellen, dass das Wassertröpfchen viel Freude hat, wenn es uns beim Spielen zuschaut.“„Sicherlich. Aber lange bleibt die Wolke nicht weiß. Alles beginnt wieder von Neuen. Die Wolke wird ganz schwer und schwarz und wird ihre Tröpfchen wiederum zur Erde schicken. Nun Tara, jetzt bis du wieder sauber, nicht ganz so schön weiß wie eine Wolke und nicht so leicht. Kichere nicht. Ich weiß, du stellst dir sicher gerade vor, wie du an die Decke schwebst. Nichts da, raus aus der Badewanne und abtrocknen! Ins Bett!“ „Mama, ein Wassertropfen erlebt richtige spannende Abenteuer“, bemerkte Tara, sich in ihr Kissen kuschelnd. „Das stimmt Tara und eins habe ich dir heute erzählt. Und jetzt husch eingeschlafen. Merkst du wie der Traumsand in deine Augen fällt? Mach sie zu, meine Kleine. Noch ein Küsschen von mir. Und morgen erzähle ich dir eine neue Geschichte. Schlaf mein Kind und träume vom kleinen Wassertröpfchen.