Kurzgeschichte
Schneesturm

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"Eine Entscheidung - Hunderte Leben"
Veröffentlicht am 09. Juli 2013, 16 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich ...bin Österreicherin ...studiere Archäologie, Germanistik und Geschichte ...vertrage Kritik, solange sie begründet und ehrlich ist ...lese quer durch viele Genres ...glaube anders als Max Frisch und ähnlich wie Bert Brecht dass Literatur sehr wohl (wenn auch nur in geringem Maße) dazu beitragen kann, gesellschaftiche Veränderungen zu erwirken
Eine Entscheidung - Hunderte Leben

Schneesturm

Eine Welt aus Schnee und Eis.

Sich auftürmende Wehen, unerreichbare Gipfel in der Ferne. Das Knirschen unter den Füßen und doch die gedämpfte Ruhe, als wäre alles in Samt gehüllt, während der Himmel leise und unvorstellbar behutsam weiße Tränen vergießt. Denn zum Weinen hat er allen Grund, ist die Welt doch von Krieg zerrissen, zerfetzt von Streitereien, deren Gründe bereits irgendwo im Verborgenen begraben liegen.

Ein Knall zerreißt die Stille, fast nicht hörbar, so weit entfernt ist er und doch fährt der junge Mann augenblicklich erschrocken zusammen, will sich gar schutzsuchend zu Boden werfen, bevor er

realisiert, dass dazu die Notwendigkeit fehlt. Heinrich ist sein Name und er ist der Zwanzig bei weitem näher als der Dreißig. Nur der ungepflegte Bartansatz lässt ihn alt erscheinen, genauso wie die dunklen Ringe unter seinen Augen. Es sind Augen, die schon viel zu viel gesehen haben; junge Augen zeitlosen Grauens.

Ob der Kälte kondensiert sein Atem in der Luft, bildet kleine Wölkchen, die sich sofort wieder auflösen. Müde setzt Heinrich seinen Weg fort. Immer einen Fuß vor den anderen, einem Gipfel entgegen, den er noch nicht einmal richtig erkennen kann. Denn alles ist weiß, so wunderbar weiß und unbefleckt.

Und da es nirgends etwas gibt, an das sich seine Gedanken heften könnten, richten sie sich nach innen, wühlen sein Herz auf, wecken Erinnerungen.

 

*

 

„Du hast doch keine Ahnung!“, brüllt ein Heinrich, der gerade erst das zweite Jahrzehnt seines Lebens begonnen hat. ZORNESRÖTE ist ihm ins Gesicht gestiegen und vor Eifer, der wie ein BuschBRAND in ihm entfacht worden ist, treten ihm Tränen in die Augen. „Gar nichts weißt du! Aller REICHTUM der Welt wird uns nichts nützen, wenn wir erst tot in irgendeiner Ecke liegen und

verfaulen!“

„Aber das ist der falsche Weg“, wird ihm widersprochen von niemand geringerem als seinem Vater, einst mustergültiger Mitarbeiter des GEHEIMDIENSTES, der heute nur noch ein Schatten seiner selbst ist. Denn die Zeiten der Spionage und des Wettrüstens sind vorbei. Aus dem kalten ist schon längst ein heißer Krieg geworden, ein Krieg, wie ihn die Welt bisher noch nicht gesehen hat.

„Hätte es dieses MISSTRAUENSVOTUM nicht gegeben, dann…“

„Was dann?!“, fährt der Sohn dazwischen. „Dann würden diese Heuchler unser Land weiterhin in den Ruin führen. Von GOTTESBEFEHL

haben sie geschwafelt. Ein Befehl von Frieden, der um jeden Preis zu wahren sei, aber es kann nicht Gottes Wille sein, dass wir uns einfach von den anderen überrollen lassen. Wir sind dazu verpflichtet, uns zur Wehr zu setzen!“

„Komm endlich wieder zur Vernunft, Junge. Gewaltanwendung wird alles nur noch schlimmer machen.

„Nein, Vater, ich bin vernünftig. Der PEGELSTAND ist schon lange viel zu hoch. Das Fass ist bereits übergelaufen. Wenn wir jetzt nicht handeln, werden es andere tun!“

 

 

*

Langsam geht diese Erinnerung verloren, löst sich im Nichts auf, genau wie die von ihm ausgestoßenen Atemwölkchen. Der Schmerz jedoch bleibt. Sein Vater hat Recht behalten. Appelliert hat er damals an Heinrichs VERSTAND, der bereits verschlossen gewesen ist. Dabei wäre es sein Herz gewesen, das die Wahrheit erkannt hätte, noch zu einer Zeit, als er es hätte beenden können.

Ob der Tristheit des Ortes, an dem er sich befindet, flüchtet sein Geist erneut in die Vergangenheit.

 

*

Völlig kraftlos liegt Heinrich da und starrt an die Decke einer natürlichen

kleinen Höhle, die gerade einmal vier Armlängen von ihm entfernt ist. Irgendwo fallen Tropfen zu Boden, stetig und unaufhaltsam, wie ein unzerstörbares Uhrwerk. Doch das ist nicht das einzige, das der junge Mann, dessen rechtes Bein provisorisch geschient und dessen Arm verbunden wurde, hört. Da ist nämlich noch jemand in diesem Unterschlupf, jemand, der ununterbrochen zu sprechen scheint, in einer Sprache, die der junge Heinrich nicht versteht. Was er jedoch versteht, ist, dass dies keiner seiner Leute ist. Es ist einer von den anderen, sein Feind…und doch hat er ihm das Leben gerettet, dieser Mann, dessen ausdruckslose, starre Augen entfernt an

einen QUASTENFLOSSER erinnern.

Zum ersten Mal, seit dies alles begonnen hat, keimen Zweifel in ihm auf. Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Sache, Zweifel an sich selbst…

 

*

 

Inzwischen hat Heinrich sein Ziel erreicht. Das Weiß ist nun der Schwärze gewichen,…einer Dunkelheit, die auf Ohren und Augen drückt. Rund um ihn herum ist Fels, der sich immer enger um ihn zu schließen scheint. Trotzdem kriecht er weiter, seinen Rucksack vor sich herschiebend. Der Fels schabt an den Stellen seines Körpers, die nicht von

Kleidung bedeckt sind. Auf seinen eisig kalten Händen fühlt sich der Stein an, als wären es raue KATZENZUNGEN.

Immer tiefer dringt er in den Berg vor, bis es schließlich nicht mehr weiter geht. Durch die Enge fällt es ihm schwer, seinen Auftrag auszuführen. Mit zittrigen Fingern holt er etwas aus dem Rucksack. Das Licht einer Taschenlampe flammt auf und fällt auf ein kleines Gerät, das gerade zu blinken beginnt, als Heinrich einige der Knöpfe darauf drückt.

Plötzlich hält er jedoch inne.

Von seinem Tun wird eine Menge abhängen. Leben oder Sterben heißt es, nicht nur für ihn selbst, sondern auch für seine Kameraden. Und doch ist da auch

Leben über diesen Massen von Stein. Vielleicht auch jener, der ihm vor nicht allzu langer Zeit geholfen hat, anstatt ihn einfach verletzt und ohne Bewusstsein im Schnee zurückzulassen. Väter, Söhne, Töchter, Freunde…jeder einzelne dieser Menschen hat eine Geschichte. Wie kann er sich anmaßen, ihnen die Zukunft abzuerkennen?

Und doch weiß er, dass ihm eigentlich nichts anderes übrig bleibt. Schließlich sind seine Leute am Ende. Ihre Rationen sind schon lange überstrapaziert, ihre Ausrüstung völlig abgenutzt, sodass sie nicht mehr genügend Schutz vor der Kälte bietet. Heinrich weiß, dass er gar keine andere Wahl hat. Viel zu viel steht

auf dem Spiel. In eben jenem Moment, als er diesen Auftrag angenommen hat, hat er auch die Verantwortung für alle anderen übernommen, die auf in zählen. Denn auch sie wissen, dass Heinrich ihre letzte Chance ist, heil aus dieser Sache herauszukommen.

Er schließt die Augen und stellt den Zeitzünder ein. 10 Minuten sollten genügen, um von hier zu verschwinden.

10 Minuten.

Hastig zieht er sich zurück, schiebt sich nach hinten, wieder in die Dunkelheit….und bleibt an einem hervorstehenden Felsen hängen. Sofort versucht er sich zu lösen, dreht und wendet sich, kriecht wieder nach vorne,

doch auch das gelingt nicht. Der Stein hält ihn gefangen, als wolle er ihn nicht mehr freigeben.

Und so verstreichen die Sekunden, die Minuten. Heinrich müht sich ab, wohl wissend, was ihn erwartet, wenn er nicht bald loskommt und tatsächlich schafft er es. In Windeseile setzt er seinen Weg fort. Er weiß nicht, wie viel Zeit bereits vergangen ist, doch als er einen Blick über seine Schulter wirft, sieht er ein weißes Strahlen. Er wird es schaffen. Noch einmal versucht er sich schneller fortzubewegen, hat den Ausgang fast erreich, als die Bombe ihre zerstörende Macht entfaltet.

 

*

 

Von einem Augenblick zum anderen wird die samtene Stille des Schneetreibens gestört von einer gewaltigen Erschütterung, einem Krachen und Grölen und ein Teil des Berges setzt sich in Bewegung, reist so viele Leben mit sich, löst eine Lawine, die dem Tal entgegenrollt. Unaufhaltsam wie der Lauf der Zeit, begräbt sie alles unter sich; reist alles mit sich, selbst jene, die eigentlich hätten gerettet werden sollen.

Eine Entscheidung – Hunderte Leben.

Und die Schneeflocken fallen weiter, decken die Toten zu, trauern um das Los der Menschheit, die auch heute noch viel

zu oft mit der ihnen gegebenen Verantwortung nicht richtig umgehen können.

 

 

© Fianna 09/07/2013

 

 

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Hörbuch

Über den Autor

Fianna
Ich
...bin Österreicherin
...studiere Archäologie, Germanistik und Geschichte
...vertrage Kritik, solange sie begründet und ehrlich ist
...lese quer durch viele Genres
...glaube anders als Max Frisch und ähnlich wie Bert Brecht dass Literatur sehr wohl (wenn auch nur in geringem Maße) dazu beitragen kann, gesellschaftiche Veränderungen zu erwirken


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Sealord Sehr gut geschrieben! Nahm mich sofort mit!
LG Uwe
Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Das freut mich sehr.

Danke dir für's Lesen und den Kommentar!

Liebe Grüße
Anna
Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Re: -
Zitat: (Original von ulla am 01.08.2013 - 13:04 Uhr) Eine Geschichte, die betroffen macht. Wie oft wird sie sich so oder so ähnlich tatsächlich ereignet haben. Ich gehöre zu einer Generation, deren Väter und Mütter den Krieg hautnah miterlebt haben. Viele Erzählungen aus dieser Zeit klingen mir noch heute in den Ohren...
Deine Geschichte klingt durch und durch glaubwürdig.
Gratuliere auch zum 2.Platz. - irgendwie ähneln sich doch unsere Geschichten...
lg
ulla


Ja, da hast du recht,...da gibt es doch ein paar kleine Parallelen :-)

Liebe Grüße
Fianna
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Eine Geschichte, die betroffen macht. Wie oft wird sie sich so oder so ähnlich tatsächlich ereignet haben. Ich gehöre zu einer Generation, deren Väter und Mütter den Krieg hautnah miterlebt haben. Viele Erzählungen aus dieser Zeit klingen mir noch heute in den Ohren...
Deine Geschichte klingt durch und durch glaubwürdig.
Gratuliere auch zum 2.Platz. - irgendwie ähneln sich doch unsere Geschichten...
lg
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Re: Zwickmühle -
Zitat: (Original von MerleSchreiber am 26.07.2013 - 10:02 Uhr) Diese Geschichte - gehaltvoll, wie alles, bei dem auf dem Cover Fianna steht. Es gelingt Dir, mit wenigen Worten ein Szenario aufzubauen, das den Leser mitnimmt. In diese Ausnahmesituation, in der sich Heinrich befindet. Man kann sie hautnah spüren, die Zweifel an der übernommenen Aufgabe. Verantwortung wahrnehmen - FÜR WEN?? Opfern der Einen für die Anderen?.. Eine Zwickmühle, in die sich Dein Protagonist hineinmanövriert hat und aus der es kein Entkommen gibt.

Deine Geschichte zeigt, dass Verantwortung keine feststehende, keine eindeutige Sache ist. Kein Ja oder nein, kein schwarz oder weiß. Vielmehr ein Ringen mit sich und den Möglichkeiten..

Ich habe mich sehr gefreut, dass Du beim Jubiläumsbattle dabei warst, liebe Fianna und gratuliere Dir noch mal ganz herzlich zum 2. Platz.

Schöne Grüße
Merle



Ich bin froh, wieder mal mitgemacht zu haben. War aber auch ein tolles Thema :-)

Liebe Grüße
Fianna
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Zwickmühle - Diese Geschichte - gehaltvoll, wie alles, bei dem auf dem Cover Fianna steht. Es gelingt Dir, mit wenigen Worten ein Szenario aufzubauen, das den Leser mitnimmt. In diese Ausnahmesituation, in der sich Heinrich befindet. Man kann sie hautnah spüren, die Zweifel an der übernommenen Aufgabe. Verantwortung wahrnehmen - FÜR WEN?? Opfern der Einen für die Anderen?.. Eine Zwickmühle, in die sich Dein Protagonist hineinmanövriert hat und aus der es kein Entkommen gibt.

Deine Geschichte zeigt, dass Verantwortung keine feststehende, keine eindeutige Sache ist. Kein Ja oder nein, kein schwarz oder weiß. Vielmehr ein Ringen mit sich und den Möglichkeiten..

Ich habe mich sehr gefreut, dass Du beim Jubiläumsbattle dabei warst, liebe Fianna und gratuliere Dir noch mal ganz herzlich zum 2. Platz.

Schöne Grüße
Merle

Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Re: -
Zitat: (Original von Crawley am 17.07.2013 - 15:28 Uhr) Tja, manchmal bedarf es erst einer Extremstsituation, um in den Menschen Zweifel zu wecken, die dann aber in einigen Fällen auch nicht ausreichen...
Habe es sehr gerne gelesen und gratuliere noch einmal zum verdienten, zweiten Platz.

LG Crawley


Dankesehr!
Freut mich, wenn es gefällt :-)

Liebe Grüße
Fianna
Vor langer Zeit - Antworten
Crawley Tja, manchmal bedarf es erst einer Extremstsituation, um in den Menschen Zweifel zu wecken, die dann aber in einigen Fällen auch nicht ausreichen...
Habe es sehr gerne gelesen und gratuliere noch einmal zum verdienten, zweiten Platz.

LG Crawley
Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Re: -
Zitat: (Original von Zentaur am 14.07.2013 - 13:11 Uhr) Hallo Fianna,
echt klasse deine Story und das Cover ist gut ausgesucht dazu
ich wünsch dir viel Glück für das Battle

lg Helga



Das Glückwünschen scheint geholfen zu haben :-)
Freut mich, dass es dir gefällt!

Liebe Grüße
Fianna
Vor langer Zeit - Antworten
Zentaur Hallo Fianna,
echt klasse deine Story und das Cover ist gut ausgesucht dazu
ich wünsch dir viel Glück für das Battle

lg Helga

Vor langer Zeit - Antworten
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