Kurzgeschichte
Warten

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"Warten"
Veröffentlicht am 30. Juni 2013, 4 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.
Warten

Warten

Ein Mann setzt sich auf eine Bank auf einem Bahnsteig. Jeden Tag zur gleichen Zeit. Er wartet auf jemanden, auf eine Frau. Sie stieg einst in einen Zug, der in die Ferne fuhr. Nun erwartet er sie, jeden Tag. Sie soll zurückkommen. Und obwohl er weiß, dass alles seine Zeit hat, dass alles irgendwann ist sitzt er dort. Er starrt auf die Schienen, blickt die anderen Menschen um sic herum an. Den Ausdruck auf seinem Gesicht kann man nicht deuten, er ist eisern, unbeweglich. Sie ist es nicht, die da bei den Wartenden steht. Das ist wohl ein Trost, dass sie es nicht ist, die da wartet, dass der Zug kommt und sie mitnimmt. Sie will nicht weg von hier, eine große Last wird ihm damit genommen, denn sie scheiden zu sehen, das ist ihm ein kaum ertragbarer Schmerz. Immer bricht etwas in ihm, wenn sie geht, weil ihre Lilienarme ihn nicht mehr umschlingen wie Zauberbande. Weil ihr Duft den Raum nicht erfüllt und ihr schönes Lachen traurige Orte nicht mehr zu herrlichen Kleinoden machen kann. Die Zeit wird ihm lang ohne sie. Alles wirkt dunkler, schwerer ohne die helfende Hand an seiner Seite.

Dann fährt der Zug ein, er blickt nach oben, lächelt leicht. Es ist als wüsste er, dass sie nun würde aussteigen. Das tun auch viele Menschen auch viele Frauen, doch die Gesuchte ist nicht darunter. Er wartet bis sich der Bahnsteig gelichtet hat, wartet gar, bis der Zug wieder ausfährt, diese 15 Minuten in denen er die Hoffnung hat, dass sie unvermutet doch noch erscheint, wie durch Magie. Doch es geschieht nicht, das Signal ertönt und er sieht der flüchtenden Lok lange hinterher, bis auch sie verschwunden ist.

Jetzt erhebt er sich vorsichtig, blickt sich ein letztes Mal um und geht langsam aus der Bahnhofshalle, steigt in seine Straßenbahn, sein Auto oder läuft vielleicht wieder heim. Sicher ist nur, dass er dort allein sein wird. Aber schon morgen wird er wieder warten, wieder wird es sinnlos sein, aber es gibt ihm Kraft für die weiteren einsamen Stunden. Und eines Tages, da wird er wie immer dort sitzen nur diesmal hält er Blumen in der Hand. Sie wird unter den Aussteigenden sein, beide fallen sich in die Arme und er wird nicht allein nach Hause gehen. Seine Stunden werden dann herrlich erleuchtet sein und die Welt besonders schön.

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RogerWright
Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.

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Brubeckfan Re: Re: -
Zitat: (Original von RogerWright am 30.06.2013 - 15:07 Uhr)
Die Assoziationen sind interessant. Hab dabei nur "Just Like A Woman" von Dylan gehört, in dauerschleife und die Grundstimmung war da.

Auf dieses Lied wäre ich nun wieder nicht gekommen.
Vor langer Zeit - Antworten
RogerWright Re: -
Zitat: (Original von Brubeckfan am 30.06.2013 - 13:58 Uhr) Gefällt mir inhaltlich und sprachlich. Man denkt gleich an Wim Wenders oder den Kleinen Prinzen oder ähnliches.
Darf ich mäkeln? "er Blick nach oben", da fehlt irgendwas, vielleicht nur ein Komma nach "er"?
Schönen Sonntag noch!
Gerd


Danke, werd ich gleich ausbessern.
Die Assoziationen sind interessant. Hab dabei nur "Just Like A Woman" von Dylan gehört, in dauerschleife und die Grundstimmung war da.
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Gefällt mir inhaltlich und sprachlich. Man denkt gleich an Wim Wenders oder den Kleinen Prinzen oder ähnliches.
Darf ich mäkeln? "er Blick nach oben", da fehlt irgendwas, vielleicht nur ein Komma nach "er"?
Schönen Sonntag noch!
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
RogerWright Re: -
Zitat: (Original von Fianna am 30.06.2013 - 12:09 Uhr) Also..in gewisser Weise kann ich die Gefühle deines Protagonisten gut nachvollziehen.
Macht irgendwie ein bisschen traurig, dein Text, aber das Ende lässt ja hoffen.

Liebe Grüße
Fianna


Dass der Text ein wenig traurig stimmt zeigt zumindest, dass ich es geschafft habe Emotionen zu transportieren.
Und das Ende lässt hoffen, ja, das ist wohl die wichtige und gute Botschaft, die man da herausnehmen kann.
Danke fürs Lesen und Kommentieren.
Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Also..in gewisser Weise kann ich die Gefühle deines Protagonisten gut nachvollziehen.
Macht irgendwie ein bisschen traurig, dein Text, aber das Ende lässt ja hoffen.

Liebe Grüße
Fianna
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