Kurzgeschichte
Von Wahrheit und Lüge

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"Von Wahrheit und Lüge"
Veröffentlicht am 14. April 2013, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich ...bin Österreicherin ...studiere Archäologie, Germanistik und Geschichte ...vertrage Kritik, solange sie begründet und ehrlich ist ...lese quer durch viele Genres ...glaube anders als Max Frisch und ähnlich wie Bert Brecht dass Literatur sehr wohl (wenn auch nur in geringem Maße) dazu beitragen kann, gesellschaftiche Veränderungen zu erwirken
Von Wahrheit und Lüge

Von Wahrheit und Lüge

Beschreibung

Ein Zwiegespräch

VON WAHRHEIT UND LÜGE

„Niemals! Ich kapituliere nicht“, sprach einst die Wahrheit und blieb stur, verharrte standhaft und entschlossen, ließ sich durch nichts verdrängen.

„So glaub es doch“, ließ die Lüge sich vernehmen, „deine Zeit ist abgelaufen, hat nie wirklich begonnen. Wo sich mehr als einer treffen, bist du völlig überflüssig, fehl am Platz, wie nirgends sonst. Die einen Augen sehen nicht jenen Baum, den die anderen erblicken. Die einen Ohren hören nicht jenes Bienensummen, das die anderen vernehmen. Die eine Nase…“

„Ich habe es verstanden. Recht hast du in mancher Hinsicht und dennoch liegst du völlig falsch. Auch wenn manch einer mit seinen eigenen Augen, wenn er einen Baum betrachtet, derer zwei sehen kann. Was ich bin, wie ich aussehe, entscheide nicht ich, entscheidest nicht du. Der Mensch ist es, der entscheidet, der etwas wahr macht. Er sieht das Gras und behauptet, es sein grün. Dann ist das Gras auch grün.“

„Und wenn nun jemand erklärt, das Gras wäre rot?“, schaltete sich erneut die Lüge ein.

„Dann hat auch derjenige Recht, wenn er absolut davon überzeugt ist“, erklärte die Wahrheit geduldig.

„Von wegen. Das kannst du mir nicht erzählen. Wenn das so einfach wäre, hieße das ja, dass jeder seine Welt, sein Umfeld macht, wie es ihm gefällt.“

„Genau so ist es“, stimmte die Wahrheit zu. „Nur weil man das Gras grün nennt, hat es noch lange nicht grün zu sein.“

„Jetzt redest du Unsinn“, erwiderte die Lüge, doch die Wahrheit ließ sich davon nicht beirren.

„Es hat sich ganz einfach eingebürgert, dass jenes für wahr gehalten wird, an das viele glauben. Niemand ist sich völlig sicher, wenn es um mich geht. Alle zweifeln sie – was auch gut so ist – aber wenn viele Menschen dasselbe für wahr oder besser gesagt für nicht so falsch halten, dann werden die Zweifel geringer, kleiner, verflüchtigen sich in der Masse von Menschen, die zu wissen glauben. Heutzutage, ach, was rede ich, immer schon war es so, dass jeder glaubt und dennoch keiner weiß. Vor allem diejenigen, die sich selbst nicht kennen, sind meist der Überzeugung, mich fangen, mich durchschauen zu können, aber damit liegen sie völlig falsch. Ich bin nun mal nicht allgemein gültig, weshalb man mich nur sehen kann, wenn man sich selbst sieht.“

„Willst du jetzt auch noch philosophisch werden? Na warte, das kann ich auch. Die Menschen wollen dich nicht. Du bist ihnen unangenehm, bereitest ihnen Sorgen. Wer dich auch nur für einen kurzen Augenblick erspäht, nimmt Reißaus. Keiner will lange Zeit etwas mit dir zu tun haben. Niemand will sich zu lange mit dir anlegen. Dafür lieben sie mich, weil ich ihnen das Leben leichter mache und mich brauchen sie auch nicht erst zu suchen, weil ich überall bin, alles umgebe und durch jeden noch so schmalen Spalt schlüpfen kann.“

Daraufhin schwieg die Wahrheit einen Moment, dann sagte sie: „Niemals! Ich kapituliere nicht. Und wenn ich noch so klein und schwer zu sehen bin, so bin ich doch da, überall, in jedem Moment. Man muss mich nur akzeptieren können, dann sieht man mich auch.“

„Was in niemandes Interesse liegt“, meinte die Lüge zu wissen, doch auch dadurch ließ die Wahrheit sich nicht entmutigen. Denn sie wusste es besser. Solange es auch nur einen einzigen Menschen gab, der an sie glaubte, nach ihr suchte, würde sie auch weiter bestehen, stark bleiben und zusehen, wie sich die Bequemlichen in Lug und Trug verrannten, immer hoffend, dass einst auch jene ihr Licht sehen würden, das für jeden anders leuchtete und doch letztlich ein und dasselbe war. Denn so wie sich Sonnenlicht aus verschiedenen Farben zusammensetzte, so existierte auch die Wahrheit nur durch das Verschmelzen zahlreicher Wirklichkeiten. Eine absolute, allgemein gültige Wahrheit gab es nicht, würde es auch nie geben. Dafür waren die Menschen viel zu verschieden. Und das war auch gut so.

© Fianna 11/2012

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Fianna
Ich
...bin Österreicherin
...studiere Archäologie, Germanistik und Geschichte
...vertrage Kritik, solange sie begründet und ehrlich ist
...lese quer durch viele Genres
...glaube anders als Max Frisch und ähnlich wie Bert Brecht dass Literatur sehr wohl (wenn auch nur in geringem Maße) dazu beitragen kann, gesellschaftiche Veränderungen zu erwirken


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Fianna Re: Eine tolle Idee ... -
Zitat: (Original von MarieLue am 10.05.2013 - 00:27 Uhr) ... und du hast eine super Geschichte daraus gemacht. Dazu noch eine, die zum Nachdenken anregt. Hat mir sehr gut gefallen!

Herzliche Grüße
Marie Lue


Zum Nachdenken rege ich immer gerne an mit meinen Texten :-)

Danke dir für's Lesen und Kommentieren!

Liebe Grüße
Fianna

Vor langer Zeit - Antworten
MarieLue Eine tolle Idee ... - ... und du hast eine super Geschichte daraus gemacht. Dazu noch eine, die zum Nachdenken anregt. Hat mir sehr gut gefallen!

Herzliche Grüße
Marie Lue
Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Re: Und wieder -
Zitat: (Original von Acolmiztli am 22.04.2013 - 14:38 Uhr) bin ich begeistert...


Freut mich :-)

Dankesehr für's Lesen und Kommentieren!

Liebe Grüße
Fianna
Vor langer Zeit - Antworten
Acolmiztli Und wieder - bin ich begeistert...
Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Re: mir gefällt -
Zitat: (Original von Corine am 19.04.2013 - 15:10 Uhr) der Vergleich mit dem Sonnenlicht. Ja, es gibt sie nicht die einzige und eine Wahrheit außer........: in der Mathematik! 1 und 1 ist zwei. Da kann niemand dran rütteln! Auch die Lüge nicht.
Ein schönes Thema!


Ja...die Mathematik...ich bin ja eher eine Anhängerin der Theorie, dass alles nur solange als bewiesen gelten kann, bis jemand das Gegenteil beweist (gilt zumindest in der Physik so)....so wie 0 eigentlich nichts ist und doch alles bedeuten kann, wenn man eine 1 (oder auch irgendeine andere Ziffer) davor setzt :-)

Danke dir für's Lesen und Kommentieren!

Liebe Grüße
Fianna
Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Re: -
Zitat: (Original von EwSchrecklich am 19.04.2013 - 15:08 Uhr) Es gibt keine absolute Wahrheit (schon allein weil es nichts absolutes gibt)genauso wie man nichts als "unwahr" abstempeln kann. Ich denke du hast vollkommen recht, dafür sind wir einfach zu viele Menschen.
Genau deswegen misstraue ich Menschen die behaupten DIE WAHRHEIT gefunden zu haben zutiefst.
Schöner Text der zum nachdenken anregt.


lg



Dankesehr für's Lesen und Kommentieren! :-)

Liebe Grüße
Fianna
Vor langer Zeit - Antworten
EwSchrecklich Es gibt keine absolute Wahrheit (schon allein weil es nichts absolutes gibt)genauso wie man nichts als "unwahr" abstempeln kann. Ich denke du hast vollkommen recht, dafür sind wir einfach zu viele Menschen.
Genau deswegen misstraue ich Menschen die behaupten DIE WAHRHEIT gefunden zu haben zutiefst.
Schöner Text der zum nachdenken anregt.


lg
Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Re: -
Zitat: (Original von EagleWriter am 15.04.2013 - 14:38 Uhr) Wahrheit ist wohl, genau wie alles andere subjektiv. Aber man muss auch hier zwischen verschiedenen ,,Wahrheiten" wie etwa Religionen unterscheiden und echten Wahrheiten, wie etwa, das ein Mensch normalerweise Augen hat, die einfach unumstößlich und für jeden erkennbar richtig sind
lg
E:W


Ja, da hast du recht...es gibt Wahrheiten, die keiner einfach so beanstanden kann,...wobei es theoretisch natürlich möglich wäre auch so etwas simples, wie "Ein Mensch hat normalerweise Augen" zu kritisieren, in dem man sich z.B. fragt, was eigentlich normal ist und was nicht. Aber das wird dann schon ziemlich abstrakt :-)

Danke dir für's Lesen und Kommentieren!

Liebe Grüße
Fianna
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Fianna Re: Wahrheiten -
Zitat: (Original von Zeitenwind am 15.04.2013 - 01:02 Uhr) Ich denke, die Wahrheit ist einzig. Es gibt keine falsche Wahrheit, denn dann wäre es ja keine Wahrheit mehr. Aber viele kennen sehr wohl die Wahrheit und belegen sie mit der Lüge.
Schöner Text, lässt sich viel drüber philosophieren.

Gruß vom Trollbär


Freut mich, dass es dir gefällt!
Zum Denken und Philosophieren rege ich immer gerne an :-)

Dankesehr für's Lesen und Kommentieren!

Liebe Grüße
Fianna
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