Ihr kennt mich nun schon eine ganze Weile und niemand kann sich wahrscheinlich vorstellen, dass ich Gewalt anwende. Tue ich in der Regel auch nicht. Im Grunde meines Herzens bin ich nämlich ein außerordentlich friedlicher Mensch es sei denn – ja, es sein denn, jemand wagt es, einem meiner Kinder etwas zu tun. Dann werde ich zur Löwenmutter, dann wachse ich über mich hinaus. Anmerken möchte ich noch, dass diese Geschichte tatsächlich so passiert ist.
Es macht mir nichts aus, wenn jemand mich angreift. Ich persönlich kann jede Menge einstecken. Wenn mich jemand beleidigt, ignoriere ich es, wenn jemand über mich lacht, lache ich mit. Nur – und diese Warnung ist wirklich ernst gemeint – lasst meine Kinder in Ruhe, sonst bekommt ihr es mit mir zu tun.
Hätte es jemals jemand gewagt oder würde es jemals jemand wagen, sich an meiner Tochter gegen ihren Willen zu vergreifen, dann würde er das nicht überleben, dessen bin ich mir sicher.
Nun aber endlich zu meiner Geschichte:
Damals lebte bei uns ein junges Mädchen zur Untermiete. Wir haben ihr Obhut angeboten, weil ihr Vater Alkoholiker war und sie es Zuhause nicht mehr länger aushielt. Ihr Freund, Jörg K., 21 Jahre alt, war gelernter Kfz-Mechaniker, locker 1,90 Meter groß und breitschultrig. Hätte mir vor diesem Ereignis jemand gesagt, dass ich ihm gegenüber jemals handgreiflich werden würde, hätte ich geantwortet: „Im Leben nicht, ich bin doch nicht verrückt, er ist doch viel stärker als ich.“ Stimmt so auch alles, aber an diesem besagten Tag, hat dieser Jörg K. meinen Sohn angegriffen. Ich weiß noch, dass der Auslöser für diesen Ausraster eine völlig belanglose Angelegenheit war. Jörg K. begann nun, auf Benjamin einzuschlagen und zu treten. Meine beiden anderen Kinder und Julia hatten sich aufgeregt um dieses Schauspiel herum versammelt und schrieen auf Jörg ein, er solle doch aufhören. Unsere Rauhaardackelhündin Trina sprang aufgeregt kläffend um die beiden jungen Männer herum. Ich kam erst Minuten später hinzu, durch den Lärm aufmerksam geworden. Ich sah nur, dass Benjamin hilflos am Boden lag und Jörg K. auf ihn einschlug und eintrat. Ich habe noch nie in meinem Leben so einen Kontrollverlust und so eine Aggressivität bei einem Menschen gesehen.
Ich kam hinzu, stürzte mich auf Jörg, packte ihn tatsächlich am Kragen, beförderte ihn zur Haustür und warf ihn hinaus. Dann schrie ich ihm hinterher, er solle es ja nicht wagen, sich noch einmal bei uns im Haus oder in der Nähe des Hauses blicken zu lassen, dann würde er etwas erleben.
Seitdem habe ich diesen jungen Mann auch nie wieder gesehen. Um unser Haus machte er zukünftig einen großen Bogen. Das war auch besser so. Ich fuhr sofort mit Benjamin zum Arzt. Wir machten Fotos und erstatteten Anzeige wegen Körperverletzung. Das Verfahren wurde allerdings eingestellt, weil für die Allgemeinheit kein Interesse an der Verfolgung dieser Straftat bestand. Ich muss zugeben, dass ich von der Staatsanwaltschaft sehr enttäuscht war.
Nur wenige Wochen später sahen wir uns im Familienkreis den Film „Schindlers Liste“ an. Meine Kinder meinten: „Mama hätte die SS-Männer reihenweise zusammengehauen.“ „Und“, sagte mein Mann: „Was hätte ihr das gebracht?“ Ich antwortete nur: „Eine Mutter denkt nicht darüber nach, was ihr das bringt. Es gibt Situationen, in denen reagiert eine Mutter nur.“
Heute weiß ich sicher, dass das wahr ist. Jede Mutter ist in der Lage, über sich hinauszuwachsen, wenn sie das Gefühl hat, ihre Kinder werden bedroht. Auch ich habe in dieser Situation überhaupt nicht nachgedacht, ich habe nur reagiert. Gedanken an eigene Gefahr oder daran, dass er mir kräftemäßig überlegen sein konnte, hatte ich in dieser Situation nicht. Ich sah mein Kind bedroht und habe gehandelt, so einfach ist das.
Also seit lieber friedlich euren Mitmenschen gegenüber, denn jeder Mensch hat eine Mutter, die zur Löwenmutter wird, wenn sie ihr Kind in Gefahr sieht.