Humor & Satire
Der Zeuge

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"Der Zeuge"
Veröffentlicht am 25. März 2013, 6 Seiten
Kategorie Humor & Satire
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Über den Autor:

Rainer Güllich, Jahrgang 1954, lebt in Marburg/Hessen. Als begeisterter Leser schon ewig von dem Wunsch getrieben selbst zu schreiben, nahm er an einem Kurzkrimiwettbewerb teil, der im Rahmen des 1. Marburger Krimifestivals stattfand. Er kam auf einen der vorderen Plätze und sein Kurzkrimi ?Hass? wurde in der regionalen Presse veröffentlicht. Dadurch motiviert belegte er seinen ersten Schreibkurs in kreativem Schreiben. Weitere schlossen sich an ...
Der Zeuge

Der Zeuge

Der Zeuge

„Was ist denn nun genau geschehen?“ Der Polizeibeamte nahm seine Mütze vom Kopf, wischte sich den Schweiß aus der Stirn und atmete schwer.

Auch für ihn wäre es gut, wenn er ein paar Kilos weniger auf den Rippen hätte.

„Äähhh, ich weiß nun auch nicht genau. Es ging ja alles so schnell. Ich wollte gerade in den Duty-free-Shop hineingehen, als mir dieser schlanke Mann entgegenkam, mich zur Seite stieß und an mir vorbeistürmte. Ich bin in dieses Regal mit dem Parfum reingefallen. Warum das aber auch am Eingang steht …“

Der Dicke, ich konnte ihn nicht anders benennen (er war noch bedeutend dicker als ich), winkte ungehalten ab. Seine Finger sahen aus wie Cocktailwürstchen. Apropos … das nagende Gefühl in meinem Magen konnte nur Hunger sein. Kein Wunder bei dem Stress.

„Das interessiert jetzt nicht. Können Sie den Mann denn beschreiben? Sie sind der Einzige, der ihn aus der Nähe gesehen hat.“ Der Beamte schaute mich aus seinen Schweinsäuglein an.

Zwei Schweineschnitzel gestern Abend waren doch zu viel gewesen. Meine Magensäure kroch mir wie eine Schnecke mit brennender Schleimspur die Speiseröhre hinauf. Ich griff in meine Jackentasche, öffnete das Döschen mit den Säureblockern und nahm zwei heraus.

„Haben Sie vielleicht ein Glas Wasser für mich? Ich muss meine Tabletten nehmen. Mein Sodbrennen bringt mich um.“

Der Dicke schaute mich entgeistert an. „Sodbrennen!? Mein lieber Mann! Sie sind hier um eine Aussage zu machen. Was geht mich jetzt ihr Sodbrennen an. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Bei einem Raubüberfall zählt jede Sekunde …“

„Ist ja gut. Ich meinte ja nur …“ Ich versuchte mich auf die Situation zu konzentrieren, doch in meinem Mund hatte sich mittlerweile ein zäher Speichelkloß angesammelt, den ich unmöglich wieder runterschlucken konnte. Wohin damit? Mit meiner Konzentration jedenfalls war es vorbei.

So war es immer. Immer wenn ich versuchte abzunehmen, weil die Hose mal wieder unangemessen um den Bauch herum spannte, überfielen mich anfangs der Diät diese Hungerattacken. Hungerattacken, denen ich nicht widerstehen konnte. Die Folgen davon waren Magenprobleme, teuflisches Sodbrennen und Fixierung auf genau diese Probleme. Erst wenn diese kritische Phase überstanden war, gelang es mir einige überflüssige Pfunde zu verlieren. Leider nicht lange, denn wie durch Zauberhand saßen die Kilos wieder auf meinen Rippen. Dann ging alles wieder von vorne los. Nein, eigentlich war es ein ewiger Kreislauf, dem ich, wie es schien, nicht entrinnen konnte.

„Ich muss mal auf die Toilette.“

Der Dicke ließ den Mund offen stehen. Er wollte etwas sagen, doch dann nickte er nur.

In der Toilette ließ ich den Speichelkloß im Waschbecken verschwinden, schluckte meine zwei Säureblocker und schaute mir im Spiegel ins Gesicht. Was ich dort sah, kannte ich zur Genüge. Zwei hellblaue Augen, eingebettet in Lidern aus Fett, zwei feiste Wangen, die die zwischen ihnen liegende Nase fast verschwinden ließen. Der kleine Kussmund, der das Ganze abrundete, tat sein Übriges dazu, dass mir schlecht wurde. Ich übergab mich ins Waschbecken (das kannte ich ja auch schon) wischte mir den Mund mit den bereitliegenden Papiertüchern ab und ging zurück in den Vernehmungsraum.

Mir war jetzt klar, was geschehen musste. So konnte es nun wirklich nicht weitergehen. Ich führte mich hier ja auf wie das totale Weichei. Ich musste die Situation hier beenden, mich im nächsten Fitnessstudio anmelden, eine Ernährungsberatung in Anspruch nehmen, vielleicht sogar eine Gesprächstherapie beginnen.

„Hören Sie“, sagte ich zu dem Beamten, der mir, bedingt durch meine klare, laute Stimme, der man die Entschlossenheit anhörte, erwartungsvoll ins Gesicht blickte, „ich kann Ihnen zu dem Täter nichts sagen. Das ging alles so schnell. Das Einzige, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass es ein Mann war. Größe, Kleidung oder Sonstiges habe ich nicht erkennen können. Es tut mir leid.“

Die Schultern des Dicken sanken nach unten. „Gut Herr Kleinheinz. Dann danke ich Ihnen für Ihre Aussage. Auf Wiedersehen.“

Er wies mit seinem rechten Arm zur Tür. Irgendwie fühlte ich mich rausgeschmissen. Egal. Ich hatte ja nun einiges zu tun. Punkt eins Anmeldung im Fitnessstudio … da fiel mir ein: Hatte ich nicht vorhin, als ich aus dem Polizeiwagen stieg, dieses kleine, nette Restaurant gesehen …

 

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Hörbuch

Über den Autor

Epilog
Rainer Güllich, Jahrgang 1954, lebt in Marburg/Hessen. Als begeisterter Leser schon ewig von dem Wunsch getrieben selbst zu schreiben, nahm er an einem Kurzkrimiwettbewerb teil, der im Rahmen des 1. Marburger Krimifestivals stattfand. Er kam auf einen der vorderen Plätze und sein Kurzkrimi ?Hass? wurde in der regionalen Presse veröffentlicht. Dadurch motiviert belegte er seinen ersten Schreibkurs in kreativem Schreiben. Weitere schlossen sich an und als Folge davon erschienen in kurzer Zeit seine beiden ersten Krimianthologien. Der Kriminalroman ?Unter Druck - Ein Marburg Krimi? folgte.

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Fianna An und für sich eine ganz einfache Geschichte, die gerade wegen ihrer, ich würde fast "Banalität" sagen, gut unterhält :-)

Liebe Grüße
Fianna
Vor langer Zeit - Antworten
Epilog Re: Der Zeuge - Hallo Rainer,
Danke für den Kommentar. Zum besseren Verständnis: Die Geschichte war eine Aufgabe für meinen Schreiblehrgang, in der es genau darum ging, ein solches Problem zu beschreiben.
Viele Grüße
Rainer
Zitat: (Original von rainergoecht am 25.03.2013 - 21:54 Uhr) Hallo,
eine gutgeschriebene Geschichte, aus der man viel mehr machen könnte. Statt dessen wird zu viel auf dicksein-schlangsein herumgeritten.
LG Rainer

Vor langer Zeit - Antworten
rainergoecht Der Zeuge - Hallo,
eine gutgeschriebene Geschichte, aus der man viel mehr machen könnte. Statt dessen wird zu viel auf dicksein-schlangsein herumgeritten.
LG Rainer
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