Am nächsten Morgen, als Silvia, die gerade auf den Eiern saß, erwachte, hörte und spürte sie unter sich ein leises Knacken. Es war soweit. Heute würden ihre Kinder das Licht der Welt erblicken. Nur Eltern können verstehen, wie aufregend dieser Augenblick ist. Silvia konnte ihren Kindern nicht helfen. Sie mussten selbst den Weg nach draußen finden. Alle Vogelkinder haben auf ihrem Schnabel bevor sie schlüpfen einen kleinen Eizahn, mit dem sie die Schale von innen anpicken können. In den ersten Tagen ihres Lebens verschwindet dieser Zahn aber wieder. Silvia merkte an ihrem Bauch, wie ein Ei einen Riss bekam. Das Küken im Innern strampelte, so dass ein Teil des Eis wegplatzte. Das Küken atmete schwer. Nun musste es erst einmal Luft holen, um mehr Kraft für den Rest des Ausschlüpfens zu sammeln. Silvia stand auf und sah auf die Eier hinab: „Komm schon, du schaffst das“, klapperte sie ihrem Kind leise zu. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sich das erste Küken vollständig von der Eierschale befreit hatte. Seine tiefen Atemzüge zeigten, wie anstrengend die Geburt gewesen war. Sven stand am Rande des Nestes und frage aufgeregt: „Und, wie sieht es aus?“ „Alles in Ordnung“, antwortete Silvia erleichtert: „Du bist soeben Vater einer gesunden Tochter geworden, wir werden sie Stella nennen.“ Stella lag im Nest. Noch war sie ganz nass. Deshalb setzte sich Silvia schnell wieder auf ihre Brut. Was jetzt am wichtigsten war, war die Wärme der Mutter, das wusste sie. Zur Begrüßung zupfte sie leicht an Stellas Flügeln. „Ich liebe dich, mein Kind“, flüsterte sie, spreizte ihr Gefieder, damit ihr Bauch ihre Kinder ausreichend wärmen konnte. Sie war so stolz, wie es nur eine Mutter sein konnte, die soeben ein Kind bekommen hatte. Am liebsten hätte sie gerufen: „Kommt alle her und seht euch dieses wunderschöne Küken an, habt ihr jemals etwas Schöneres gesehen?“ Aber um ihre Kinder zu schützen ließ sie es sein. Es dauerte noch einige Stunden, bis alle ihre Kinder den Weg aus dem Ei geschafft hatten. Am Ende des Tages aber lagen zwei Storchenmädchen und ein Storchenjunge im Nest. Heute würde Silvia auf die Futtersuche verzichten. Sie war viel zu aufgeregt, um ihre Kinder allein zu lassen oder sie in die Obhut des Vaters zu übergeben. Morgen war auch noch ein Tag, da würde sie dann eben etwas mehr fressen.
Sie nannten ihre Kinder Stella, Stina und Stefan. Wunderschön sahen sie für ihre Eltern aus, auch wenn manch einer diese Meinung sicherlich nicht teilen würde.
Die 30 Tage brüten hatten sich wirklich gelohnt, meinten Sven und Silvia. Hier sah man nun das Ergebnis: drei Storchenkinder, die in den nächsten Wochen viel Futter brauchten, damit sie schnell heranwachsen und sich auf die lange Reise nach Afrika vorbereiten konnten. Sven und Silvia würden dafür sorgen, dass sie alles bekommen, was sie brauchten. Sie würden ihnen auch alles beibringen, was sie wissen mussten. Aber erst einmal mussten sie trocknen. Die Sonne meinte es heute gut mit ihnen. Sie schien warm vom Himmel, so dass die zarten Federn der jungen Störche schnell trockneten. „So“, sagte Sven zärtlich zu seiner Frau: „Jetzt musst du dir aber erst einmal etwas Fressbares besorgen, du siehst ganz erschöpft aus. Die drei kannst du beruhigt mir überlassen. Ich passe gut auf sie auf, schließlich bin ich ihr Vater.“
Nur ungern verließ Silvia das Nest. Konnte Sven wirklich so gut auf die Kinder aufpassen, wie sie es konnte? Sie war schließlich die Mutter. Aber sie wusste, dass er Recht hatte. Ihr war ganz flau in den Beinen. Jetzt musste sie bei Kräften bleiben. Es würde ihren Kindern nicht helfen, wenn sie nicht auch an sich dachte. Also stellte sie sich an den Rand des Nestes, klapperte laut und stolz, erhob sich und flog auf die Wiese, um sich ein paar Insekten oder Regenwürmer zu suchen. Lange würde sie aber nicht wegbleiben.