Biografien & Erinnerungen
Kleeblatt

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"Kleeblatt"
Veröffentlicht am 17. Juni 2008, 8 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

16. Oktober 1952 erblickte ich das Licht der Welt in sehr bescheidenen Verhältnissen. Als Nesthäkchen wurde ich von meinen zwei Schwestern, zwei Brüdern und meinen liebevollen Eltern umsorgt. In meinen Erinnerungen ist die alte Hütte noch sehr präsent. Um das elterliche Bett vor Regen und Schnee zu schützen spannte mein Vater eine Plane an die Decke. Meine Schulzeit war alles andere als glücklich. Ungerechtigkeiten konnte und kann ich nur ...
Kleeblatt

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 „Leider habe ich keinen erfreulichen Bericht für sie, der alljährlich durchgeführte Krebsabstrich ist positiv. Es besteht keinen Zweifel sie haben Krebs!“ 

Mit diesen Worten eröffnete der Gynäkologe in der weissen Kittelschürze das Gespräch. Sachlich und ausführlich erklärt er mir die notwendigen weiteren Schritte. Ich höre interessiert zu, versuche seinen Zeichnungsbemühungen zu folgen und sie zu verstehen.
Akzeptiere ohne Widerrede seine, mir vorgeschlagen medizinisch geeigneten Massnahmen um diese lebensbedrohliche

Gefahr lahmzulegen.
Nichts unterscheidet dieses Gespräch von einem beruflichen Meeting. Instinktiv beschäftige ich mich in Gedanken mit meinem randvollen Terminkalender und äussere meine notorische Zeitnot.
„Ja, ich verstehe, ihren unumgänglichen Spitalaufenthalt werde ich so kurz wie möglich halten, aber sie werden sich schon auch noch mit ihrer Gesundheit befassen müssen!“ War sein gut gemeinter väterlicher Rat.
In meiner unentbehrlichen Agenda steht ein Termin nach dem anderen, ich bin beschäftigt und ausgebucht, alles ist strukturiert und organisiert. Ich bin auf

der Überholspur angekommen die angestrengten Erfolge sind eingetreten.
Als alleinerziehende glückliche Mutter kann ich mich auf meinen freundschaftlichen und hilfsbereiten Exmann verlassen, es ist für ihn eine Selbstverständlichkeit für alles von mir Gewünschte da zusein. Nach einem kurzen Anruf ist auch meine beste Freundin bereit meinen damals 12-jährigen Sohn während des bevorstehenden Spitalaufenthalts und der folgenden Genesungszeit für ihn zu sorgen.
An einem einzigen Nachmittag ist mein ganz normales Leben reorganisiert und auf ein Ziel beschränkt. Man wünscht

mir Glück und gute Besserung, drückt Daumen und man will auch an mich denken.
Morgen werden einige Untersuchungen ambulant durchgeführt und übermorgen werden mein Sohn und ich getrennte Wege gehen, aber vorerst packen wir gemeinsam unsere Koffer.
Er ist voller Vorfreude, denn er geht nicht nur zu meiner Freundin sondern auch zu seinem besten Freund, ihrem Sohn. Meine herannahende Operation kümmert ihn nicht sonderlich, denn er kann sich noch gut erinnern als ich vor zwei Jahren an einer Hirnhautentzündung erkrankt war und in weitaus dramatischeren Umständen ins Spital

eingeliefert wurde. Angst? Nein, wir albern unbekümmert während wir unsere Habseligkeiten einpackten. Erst als er mir sein selbst gesammeltes und seit geraumer Zeit in einem Buch, zwischen den Seiten gepresstes vierblättriges Kleeblatt schenkt, musste ich kurz durch atmen und leer schlucken. Fröhlich schultert er seinen Rucksack - sagt: „Tschüss Mami mach’s gut!“ „Tschüss mein Grosser, kann ich gerade noch sagen bevor meine Stimme ein erneutes versagen droht. Ich räuspere, schneuze und putze meine Nase und beobachte wie er sich auf sein Fahrrad schwingt und davon radelt.
Erna Müller-Rytz

 

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Hörbuch

Über den Autor

Coeur
16. Oktober 1952 erblickte ich das Licht der Welt in sehr bescheidenen Verhältnissen.
Als Nesthäkchen wurde ich von meinen zwei Schwestern, zwei Brüdern und meinen liebevollen Eltern umsorgt.
In meinen Erinnerungen ist die alte Hütte noch sehr präsent. Um das elterliche Bett vor Regen und Schnee zu schützen spannte mein Vater eine Plane an die Decke. Meine Schulzeit war alles andere als glücklich. Ungerechtigkeiten konnte und kann ich nur schwer ertragen und davon gab es in der Schule und außerhalb mannigfach.
Frauen brauchen keine Bildung, dieser Meinung war damals mein Vater obwohl meine Mutter einem 100% Job nachging.
1970 ziehe ich für einige Zeit zu meiner damals geschiedenen Schwester Irene und in diesem Jahr lernte ich meinen ersten Mann kennen.
1971 wurde unser gemeinsamer Sohn geboren.
Am 26. November 1974 erhängte sich meine Schwester Irene in ihrer Wohnung, am Schlafzimmerfenster. 13 Tage vor ihrem 29. Geburtstag! Mein verzweifelter Versuch eine Logik in den chaotischen Tod von Irene zu bringen, scheiterte. Entsetzen, Wut, Schuld, Enttäuschung und auch Angst der Verantwortung nicht gerecht zu werden.
Plötzlich war ich mit meinen 22 Lenzen die Ersatzmutter vom damals 10-jährigen Jungen, natürlich nicht ohne die Unterstützung meines ehemaligen Mannes, er war in all den schwierigen Zeiten mein fröhlicher und treuer Begleiter, auch wenn sich unsere Wege später getrennt hatten blieben wir jedoch Freunde. Abschied für immer musste ich am 18. Januar 1983 von Bruder Hans nehmen.
Im 33. Lebensjahr wählte er den Freitod. Ein Schnellzug erfasste ihn in Lenzburg.
Im gleichen Jahr starb auch mein Patenkind. Er war im zarten alter von 3 Jahren in ein Desinfektionsbad für Schafe gestürzt.
Der ohnehin schon angeschlagene Gesundheitszustand meines Vaters verschlechterte sich nach dem Todesfall von Hans zusehends, ja sogar schlagartig.
15. Juni 1984 war mein Vater gestorben. Wenigsten blieb ihm die nur ein gutes Jahr später schmerzliche Nachricht von meinem verunglückten Bruder Hugo, die ich meiner Mutter überbringen musste, erspart.
Am 5. Oktober 1985, im 39. Lebensjahr war er bei einem Tauchgang im Zugersee tödlich verunglückt.
Dieser Abschied war sehr, sehr, sehr schwer, dabei hat das Jahr 1985 glücklich angefangen.
Damals lebte ich allein mit meinem Sohn der ein fröhlicher, lieber und sorgloser Teenager war, ja, sicher in der Schule hätte er durchaus mehr leisten können...
Ich war glückliche Kioskleiterin. Durch gute Leistungen sowie Umsatzsteigerungen gewann ich immer wieder traumhafte und einzigartige Motivationsferien im Ausland unter anderem im Piemont, in Florida, Norwegen, Andalusien und vieles mehr. Den Kontakt zu den unterschiedlichsten Menschen war eine Herausforderung die ich gerne annahm. In meinem Team waren Frauen und Männer mit unterschiedlichsten Berufsausbildungen sowohl Hausfrauen, Lehrerinnen, Studenten und Verkäufer auch auf meinen 20jährigen Sohn durfte ich mich eine Zeitlang verlassen. Er war eine super tolle Unterstützung für unser Team. Zu den Kunden gehörte der Designer Luigi Colani oder der bekannte Jan Tinguely ebenso wie Obdachlose und natürlich meine neue große Liebe.
Am 17. Mai 1991 starteten wir mit einem gecharterten Düsenflugzeug im Berner Flughafen Belpmoos um über den Wolken unser Jawort zu besiegeln.
Am 17. Dezember 2003 wurde ich erneut daran erinnert, dass man diese Zeit nicht für immer hat! Mein geliebter Mann erlitt einen Herzinfarkt. Dieses Mal war es glücklicherweise nur eine Warnung. 2004 und 2005 wurde mein Mann erneut am Herzen operiert und konnte so einem erneuten akuten Herzversagen vorbeugen.
Während ich diese Zeilen schreibe genieße ich ein harmonisches und glückliches Leben!



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Rattenfaenger Re: Re: Kleeblatt -
Zitat: (Original von Coeur am 29.07.2008 - 14:28 Uhr)
Zitat: (Original von Rattenfaenger am 27.07.2008 - 18:42 Uhr) ...Ich bin auf der Überholspur angekommen die angestrengten Erfolge sind eingetreten... Ist für mich der Kernsatz, liebe Erna, um den herum Du bewegend lebensnah geschrieben hast*****
LG
Karl-Heinz


In der Tat - ist mir bis jetzt noch gar nicht aufgefallen!
Du kannst auch zwischen den Zeilen lesen....
Deine Kommentare würde ich auch mit ***** belohnen, wenn ich könnte.
....wäre eine Idee für Lukas....
Danke und liebe Grüsse
Erna


Du bist ein Schatz, liebe Erna***** ***** *****
Karl-Heinz
Vor langer Zeit - Antworten
Coeur Re: Kleeblatt -
Zitat: (Original von Rattenfaenger am 27.07.2008 - 18:42 Uhr) ...Ich bin auf der Überholspur angekommen die angestrengten Erfolge sind eingetreten... Ist für mich der Kernsatz, liebe Erna, um den herum Du bewegend lebensnah geschrieben hast*****
LG
Karl-Heinz


In der Tat - ist mir bis jetzt noch gar nicht aufgefallen!
Du kannst auch zwischen den Zeilen lesen....
Deine Kommentare würde ich auch mit ***** belohnen, wenn ich könnte.
....wäre eine Idee für Lukas....
Danke und liebe Grüsse
Erna
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Rattenfaenger Kleeblatt - ...Ich bin auf der Überholspur angekommen die angestrengten Erfolge sind eingetreten... Ist für mich der Kernsatz, liebe Erna, um den herum Du bewegend lebensnah geschrieben hast*****
LG
Karl-Heinz
Vor langer Zeit - Antworten
Coeur Re: Kleeblatt -
Zitat: (Original von sanktpauli am 18.07.2008 - 20:03 Uhr) Wolf Biermann soll gesagt haben " es sei die größte Last in unserer Gesellschaft das unausgesprochene Wort ( Gedanke /Meinung) zwischen Freunden." So oder so ähnlich.

Eine Entdeckung in deiner Geschichte vom Kleeblatt, die sich viele zu Herzen nehmen sollten.

hat mir gefallen

St. Pauli


Ich freue mich sehr über deinen Besuch und bedanke mich herzlichst für deinen Kommentar.
LG, Coeur
Vor langer Zeit - Antworten
Coeur Re: Gefällt mir -
Zitat: (Original von Chrissy55 am 19.06.2008 - 14:14 Uhr) ausgesprochen gut. Man muss nicht immer alles dramatisieren und kann in wenigen Worten doch durch ein kleines Kleeblatt die Tragweite so einer Diagnose rüberbringen. Ich würde gerne wissen, wie es weitergegangen ist und hoffe, alles ist gut.
LG Chrissy


Die Diagnose war vielleicht ein Hammer für viele meiner Bekannten und Freunde aber für mich eigentlich nicht, denn ich war damals viel zu sehr mit meiner beruflichen Situation beschäftigt und ich habe mich nach der OP wieder voll darauf konzentriert. Ich liebte meinen Job und er war mir sehr wichtig und das war gut so...
Danke für deinen Kommentar und herzliche Grüsse
--Erna
Vor langer Zeit - Antworten
Coeur Re: Ich glaube -
Zitat: (Original von Florian am 19.06.2008 - 19:12 Uhr) ich wiederhole mich, dass ich deinen Schreibstil richtig gut finde. Auch inhaltlich sind deine Texte immer wieder interssant. Von dir würde ich mir ein Buch kaufen.....

lg Florian


es wird aber von mir nie ein Buch geben und darum musst meine Geschichten hier auf diesem Forum lesen müssen...
ich bin mit meinem Schreibkünsten alles andere als zu frieden aber ich denke und hoffe ich habe inhaltlich etwas zu bieten... Ich lese selber auch gerne Geschichten aus dem Leben...
Danke für deinen Kommentar und herzliche Grüsse
--Erna
PS. drücke heute Abend die Daumen für euch.....
Vor langer Zeit - Antworten
Chrissy55 Gefällt mir - ausgesprochen gut. Man muss nicht immer alles dramatisieren und kann in wenigen Worten doch durch ein kleines Kleeblatt die Tragweite so einer Diagnose rüberbringen. Ich würde gerne wissen, wie es weitergegangen ist und hoffe, alles ist gut.
LG Chrissy
Vor langer Zeit - Antworten
Coeur Re: Ist ein Thema -
Zitat: (Original von FSBlaireau am 18.06.2008 - 11:56 Uhr) bei dem ich nicht so recht weiß was man da als Kommi schreiben soll!? Ich sag mal, ist traurig und dennoch in der Wirklichkeit verankert. VG Falk


Ja, irgendwie denkt man immer, diese Dinge passieren nur den anderen...
LG, Erna
Vor langer Zeit - Antworten
Coeur Re: Hoffentlich... -
Zitat: (Original von ConnyB am 17.06.2008 - 22:20 Uhr) gab es ein glückliches Ende! Bewegend und super geschrieben! *****
vlg, Conny


Ja ich lebe noch... *grins*
Ich hatte glücklicherweise nie einen Rückfall und auch keine weiteren Komplikationen und hoffe es bleibt so...
liebe Grüsse
Erna
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