Am nächsten Morgen wurde Sven Storch schon früh wach, denn die Kinder spielten schon wieder auf dem Hof. Die Sonne schien wärmer als noch am Vortag. Sven stand auf, spreizte seine Flügel weit auseinander, reckte den Hals hoch nach oben und schüttelte sich. Nun war er wach. Er sah sich an, was er am Vortag geschafft hatte. Ganz zufrieden war er noch nicht, aber erst einmal musste er etwas fressen. Also erhob er sich vom Nest, um sich Futter zu suchen. So früh am Morgen war es leicht, Regenwürmer zu finden. Er erwischte sogar eine Maus. Frisch gestärkt machte er sich nun wieder ans Werk. Das Nest war schon fast fertig ausgebessert. Nur drückten in der Nistkuhle noch einige Zweige. Er würde heute also viel trockenes Gras sammeln müssen, damit seine Familie es richtig gemütlich haben würde. Wann Silvia ankommen würde, wusste er auch nicht. Besser, er war mit dem Nest fertig, bevor sie kam, sonst würde sie wieder meckern.
Mittlerweile waren noch mehr Störche angekommen. Nun musste er auch noch aufpassen, dass kein anderer Storch sein Nest besetzte. Das bedeutete, dass er noch schneller arbeiten müsste, als am Tag zuvor. Wenn doch bloß endlich Silvia da wäre, dann könnten sie abwechselnd das Nest bewachen. Gegen Mittag hatte er schon sehr viel Gras ins Nest als Polster gebracht. Er zupfte es zurecht, stopfte die Lücken aus, setzte sich in die Mitte und drückte seinen Körper fest auf das Nest. Gemütlich, fand er. Das würde Silvia gefallen.
Wieder einmal späte er in den Himmel. In weiter Entfernung sah er mehrere Störche fliegen. Ob Silvia dabei war? Er war ganz aufgeregt. Je näher sie kamen, desto sicherer war er sich, seine Frau erkannt zu haben. Er stellte sich an den Rand des Nestes, reckte den Hals hoch und begann mit seinem Schnabel zu klappern. Dieses Klappern würde Silvia bestimmt erkennen. Nun drehten die ankommenden Störche in großer Höhe einige Runden über dem Dorf, bevor sie nach und nach immer etwas tiefer flogen. Ja, da war sie, seine Silvia. Er klapperte jetzt noch lauter als vorher. „Komm her zu mir“, hieß das. Sie schien ihn zu verstehen und ließ sich langsam auf den Rand des Nestes herab. Jetzt klapperten beide um die Wette. Sie waren so froh, sich nach so langer Zeit endlich wieder zu sehen. Sie zupften sich gegenseitig einige Federn glatt, strichen sich mit den Schnäbeln durch das Gefieder und flüsterten sich zu, wie gern sie sich doch hatten und wie froh sie waren, endlich wieder zusammenzusein.
Als nächstes begutachtete Silvia das Nest. „Naja“, sagte sie: „Eigentlich sieht es ganz gut aus. Für die Feinarbeiten sind ja auch immer die Frauen zuständig. Ihr Männer seht das sowieso nicht.“ Schon zog sie den einen oder anderen Zweig aus dem Nest und ließ ihn mit verächtlichem Blick hinunterfallen. Auch in der Nestkuhle hatte sie noch etwas auszubessern. Sven war ein wenig enttäuscht, hatte er sich doch soviel Mühe gegeben. „Ich hol dir was zum Fressen“, sagte er, erhob sich und flog in die Felder hinaus. Er würde ihr jetzt die fetteste Maus oder den schönsten Frosch bringen, den er finden konnte. Sie würde schon sehen, dass Männer so etwas wirklich besser können als Frauen. Silvia zupfte und zerrte derweil weiter am Nest.
Nach etwa einer halben Stunde kam Sven mit einer dicken Maus im Schnabel zurück. Silvia begrüßte ihn klappernd. Gern nahm sie die Maus von ihm an. Laut klappernd zeigten sie sich nun, wie gern sie sich hatten.
Das Nest war fertig. Nun konnte die Familienplanung beginnen. Hier würden sie ihre Jungen gut aufziehen können. Das Nest war warm und sicher. Futter gab es genug in der Nähe. Das Nest war auch so hoch, dass niemand ihnen oder den Jungen etwas tun könnte. Sven wusste nämlich, dass nicht alle Kinder lieb waren. Manche versuchten mit Steinen nach den Nestern oder den Jungen zu werfen oder auch mit Steinschleudern zu schießen. Letztes Jahr war auf dem Nachbarhof dadurch ein Junges aus dem Nest gefallen und gestorben. Vielleicht sollten sie den Rand doch noch etwas höher machen. Aber nein, so war es in Ordnung.
In den nächsten Tagen konnte Silvia die Eier legen, damit sie beide mit dem Brüten beginnen konnten. Ja, bei Störchen ist es so, dass beide Eltern brüten und sich hinterher auch um die Aufzucht ihrer Jungen kümmern.
Aber solange Silvia noch keine Eier gelegt hatte, konnten sie sich noch ein wenig in der Gegend umsehen, damit sie später, wenn die Kinder geschlüpft waren, wussten, wo sie am besten Futter für sie finden konnten.
Viel zu schnell war der Tag vergangen. Silvia legte sich schon einmal ins Nest, steckte ihren Kopf unter einen Flügel, wie Vögel es nun einmal machen und schlief ein. Sven stand noch ein Weilchen am Rand des Nestes auf einem Bein, wie es Störche oft machen und sah sich um. Die nächsten Tage und Wochen würden spannend werden. Das wussten die beiden aber jetzt noch nicht.