Besuch hatte sich angekündigt, sogar mehr Besuch, als ich eigentlich erwartet hatte. Ich hatte zwar genug Schlafgelegenheiten, das war nicht das Problem, aber an Bettzeug mangelte es mir. In meiner Not erzählte ich einer Kollegin davon. „Ach“, sagte sie: „Das ist kein Problem, ein Kissen kannst du auch noch von mir haben.“ Gerne nahm ich dieses Angebot an. Schon am nächsten Tag brachte sie das Kissen mit zur Arbeit. Wir luden es allerdings auf dem Parkplatz um, denn es hätte sicherlich etwas befremdlich ausgesehen, wenn wir mit einem Kissen durch eine öffentliche Behörde liefen. Den Ruf der Beamten wollten wir wirklich nicht noch mehr ruinieren.
Mit Hilfe weiterer netter Menschen konnte ich den Besuch wirklich komplett mit Bettzeug versorgen. Schon nach wenigen Tagen fasste ich den Vorsatz, meiner Kollegin das Kissen zurückzugeben. Gleich morgen früh, dachte ich, werde ich es ins Auto packen. Als ich bei der Arbeit ankam, fragte sie, ob ich an das Kissen gedacht habe. Ich musste zugeben, dass dieser Morgen wieder einmal so hektisch war, dass ich es völlig vergessen habe. „Gleich heute Abend“, versprach ich ihr: „Werde ich es ins Auto packen, damit ich es wirklich nicht vergesse.“ Gesagt getan, ich hielt mein Versprechen.
Allerdings muss ich an dieser Stelle hinzufügen, dass vor unserem Haus zwei Autos standen, eines, das von meinem Mann gefahren wurde und auch auf seinen Namen zugelassen war und eines, ein Diesel, das auf meinen Namen zugelassen war. Selbstverständlich packte ich das Kissen in mein Auto.
Am nächsten Morgen sah ich meinen Mann nur kurz. Er nahm den Autoschlüssel und rief mir zu: „Ich werde in den nächsten Tagen nicht Zuhause sein, weil ich nach Dänemark muss und auch noch nach Süddeutschland. Ich nehme deinen Wagen, Diesel ist schließlich billiger.“ Sprach es und entschwand mit meinem Wagen und mit dem Kissen.
Kleinlaut beichtete ich meiner Kollegin das Missgeschick, erklärte ihr aber auch, dass ich nichts daran ändern konnte, weil ich gerade im Badezimmer war, als mein Mann Auto und Kissen entführte. „Immerhin sieht dein Kissen dann etwas von der Welt.“ Erwiderte ich schmunzelnd.
Ändern ließ sich jetzt sowieso nichts mehr, sie bat mich aber eindringlich, sobald wie möglich daran zu denken, ihr das Kissen zurückzugeben, weil sich auch bei ihr Besuch angekündigt hatte. Ich versprach es.
Schon wenige Tage später waren Auto und Kissen wieder da. Mein Mann kam ins Haus und sagte: „Sieh mal, was ich im Auto gefunden habe, ein Kissen. Das hat da aber wirklich nichts zu suchen. Ich habe es mit reingebracht.“ So kam es, dass ich auch am nächsten Tag erst kurz vor meinem Arbeitsplatz erschrocken feststellte, dass ich das Kissen schon wieder vergessen hatte. Nun reicht es, dachte ich mir, das darf dir morgen nicht passieren. Wie auch immer, du musst das Kissen mitnehmen.
Am nächsten Morgen flüsterte ich schon beim Aufstehen halblaut vor mich hin: Kissen, Kissen, Kissen, Kissen. Ich schlenderte ins Bad, zog mich aus und stellte mich unter die Dusche, intensiv an das Kissen denkend. Nun stellte ich fest, dass ich vergessen hatte, mir ein Handtuch mitzunehmen. Ich rief meinen Sohn Dirk, der gerade am Badezimmer vorbeiging: „Kannst du mir bitte mal ein Kissen geben?“ Ein Weilchen war es still, dann öffnete sich die Tür zur Duschkabine einen Spalt, mein Sohn blinzelte hinein und fragte: „Waaass, ein Kissen, willst du jetzt in der Dusche schlafen?“ Wir mussten beide lachen: „Ein Handtuch meinte ich natürlich.“
An diesem Tag habe ich das Kissen aber nicht vergessen. Ehrlich gesagt war ich nach dieser Geschichte auch heilfroh, als sie es endlich wiederhatte. Wer weiß, wo ich sonst noch darum gebeten hätte, mir ein Kissen zu reichen.