Oft hat meine Mutter, die in Ostpreußen aufgewachsen ist, diese Geschichte erzählt, die mich immer wieder zum Weinen gebracht hat:
Meine Mutter begann ihre Erzählungen immer damit, dass sie uns erklärte, dass die Mitglieder ihrer Familie keine Nazis waren. Die Töchter wären so gerne zu Treffen der BDM gegangen, durften sie aber nicht. Also taten sie es heimlich und erfanden dafür irgendwelche Ausreden.
Der Krieg ging seinem Ende entgegen. Die Russen kamen immer näher. Viele andere deutsche Einwohner dieser Gegend packten ihre Sachen auf Leiterwagen, setzten die kleinen Kinder oben drauf und machten sich auf den Weg in den Westen.
Auch die Gefangenenlager im Osten wurden geräumt und viele Menschen, die sowieso schon so schwach waren, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnten, wurden durch den Heimatort meiner Mutter gen Westen getrieben. Wer nicht mehr weiter konnte oder sogar auf diesem Marsch starb, wurde einfach an den Straßenrand gelegt. Es müssen wirklich schockierende Bilder gewesen sein.
Mein Opa erklärte seiner Familie: „Wir können beruhigt hier bleiben. Uns wird nichts geschehen, schließlich sind wir keine Nazis.“ Alle glaubten ihm und so blieben sie.
Meine Mutter hatte uns schon vorher erzählt, dass der kleine Bauernhof, auf dem sie aufgewachsen ist, mit Hilfe von Trakehnern bewirtschaftet wurde. Diese Pferderasse ist bekannt für diesen Landstrich. Oft erzählte sie von dem Temperament dieser Tiere und davon, wie schwer es mitunter war, den Milchwagen mit davor gespannten Trakehnern zu lenken. Ihr absolutes Lieblingspferd war die Stute Hella. Es brach ihr fast das Herz, als Hella gegen Ende des Krieges von der Wehrmacht beschlagnahmt wurde.
Nun, im Frühjahr 1945, den letzten Tagen des Krieges, blieb also die Familie Sarnovsky auf ihrem Hof. Als sie hörten, dass die Russen kamen, versteckten sie sich auf dem Heuboden und spähten durch die Ritzen der Holzwand. Bevor die Russen kamen, vernahmen sie allerdings Pferdegetrappel. Es war Hella. Sie trabte auf den Hofplatz, blieb stehen, schnaubte, senkte ein paar Mal den Kopf Richtung Stall, schnaubte noch einmal, drehte sich um und trabte davon.
Kurz darauf erschienen die Russen auf dem Hof. Meine damals 20-jährige Tante wurde vergewaltigt. Deshalb kennt meine älteste Cousine auch ihren Vater nicht. Meine damals 24-jährige Mutter kam für fünf Jahre in russische Gefangenschaft.
Heute noch sagt meine Mutter, dass ihr bei dem Lied: Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand! Immer noch Tränen in die Augen steigen, weil sie dann an Hella denken muss.
Ich kann das gut nachvollziehen. Es waren schlimme Zeiten.