Biografien & Erinnerungen
Lehrzeit

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"Lehrzeit"
Veröffentlicht am 07. Juni 2008, 10 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Es fällt mir nicht leicht, etwas über mich zu schreiben. Also ganz kurz: 52 Jahre alt,glücklich geschieden, Mutter von drei Superkindern, Psychologisch-technische Assistentin - fühle mich viel jünger als ich bin. Noch Fragen, dann fragt ruhig, ich stehe jederzeit Rede und Antwort.
Lehrzeit

Lehrzeit

Lehrjahre sind keine Herrenjahre, heißt es. Das mag wohl stimmen, aber es gibt schon so einige Dinge, an die ich mich sehr gerne erinnere, wenn ich an meine Lehrzeit denke. Ich habe eine Ausbildung zur Verwaltungsangestellten in  einer größeren Kommunalbehörde gemacht. Allerdings ist es mir auch schon innerhalb der ersten drei Tage gelungen, mich in ein schlechtes Licht zu bringen. Das lag daran, dass der Auszubildendenbetreuer dieser Abteilung, in der wir zu dritt unsere Lehrzeit begannen gleich zu Beginn sagte: „Wenn einer von Euch irgendeine Frage hat, dann kann er jederzeit zu mir kommen.“ Ich hatte gleich zwei Fragen und meldete mich zu Wort: „Weshalb stecken in sämtlichen Zimmertüren die Schlüssel von außen? Wenn sich jemand einen blöden Scherz erlauben will, dann braucht er nur alle Bediensteten der Reihe nach einschließen. Und noch eine zweite Frage: Weshalb stehen überall Schilder herum, auf denen Vorsicht frisch bebohnert steht, wenn doch die Fußböden nie gebohnert werden?“ Er sah mich verdutzt an, ging auf meine Fragen nicht ein sondern erwiderte nur: „Das beantworte ich später. Sonst noch jemand eine Frage?“ Damit war dieses Thema erst einmal für ihn erledigt. Allerdings trat er schon nach wenigen Tagen an mich heran und erklärte, dass die Schilder versicherungsrechtliche Gründe hätten, denn wenn ein Besucher stürzen würde, könnte man sich auf die Schilder berufen und die Versicherung bräuchte nicht zahlen. Zu den Schlüsseln sagte er nichts, aber schon kurze Zeit später waren sie von den Außenseiten der Türen verschwunden und es wurden Schlüsselkästen eingeführt.

In dieser Abteilung bekam ich übrigens die schlechteste Beurteilung während meiner gesamten Ausbildungszeit. Warum, weiß ich auch nicht.

Wenige Monate später zog die gesamte Verwaltung um in ein neues Gebäude. Dieses Gebäude war so neu, dass schon in den ersten Tagen eine große Herausforderung auf sämtliche Mitarbeiter zukam. Das Gebäude war bei unserem Einzug nämlich noch nicht komplett fertig gestellt. So mussten beispielsweise  die Treppen alle noch mit Teppichboden verlegt werden. An diesem besagten Tag fielen zudem auch noch die Fahrstühle aus, so dass wir nur die vorhandene Nottreppe bis zur ersten Etage benutzen konnten. Allerdings befand sich auf der ersten Etage auch eine Plattform. Als wir diese überquert hatten, sahen wir am Haupteingang eine Leiter stehen, durch die wir den sicheren Boden erreichen konnten. Ich war diesen Weg mit der ca. 60-jährigen Chefsekretärin gegangen. Nun standen wir da, blickten auf die Leiter hinunter, wobei uns schon etwas mulmig wurde. Sie raunte mir ins Ohr: „Ich steige da nicht runter, im Leben nicht.“ Ich ließ sie nicht allein, raunte nur zurück: „Ich auch nicht.“ Und wir gingen in das Gebäude zurück, bis die Fahrstühle wieder funktionierten.

In diesem Gebäude gab es auch eine Rohrpost, was damals eine absolute Neuheit war. Folglich mussten wir Auszubildenden diese auch ausprobieren. Wir taten das allerdings auf unsere Weise. Nur zur Information: Birnen kann man damit befördern, Bananen aber nicht.

 

Ich erinnere mich auch noch lebhaft an den Mitarbeiter in der Personalabteilung, der ich damals zugeteilt war. Irgendwie erinnerte er mich ein wenig an Columbo. Das Gebäude war, wie ich schon erzählte, noch nicht fertig. Auch die Kantine war noch nicht betriebsbereit. Deshalb brachte dieser Mitarbeiter sich sein Mittagessen in Thermosgefäßen von Zuhause mit. Sobald er morgens in den Fahrradkeller radelte, ließ er sein Fahrrad samt Taschen und all dem, was er transportierte, fallen, rannte so schnell er konnte zur Stempeluhr, stempelte sich ein, um anschließend ganz gemächlich zurück in den Keller zu gehen, seine Sachen zusammenzuraffen und sich genauso gemächlich auf den Weg zu seinem Büro zu machen. Arbeitszeit ist wertvoll, heute verstehe ich das.

Dieser Herr war für die Gehaltsbögen zuständig. Jedes Mal, wenn diese Bögen eingingen, breitete er mehrere Stapel auf dem Fußboden aus. Das war seine Art, diese Bögen zu sortieren. Wir Auszubildenden waren mit allen Wassern gewaschen. Deshalb hatten wir die Abmachung getroffen, dass ich, sobald er mit dem Auslegen der Bögen – bei offenem Fenster – begonnen hatte, einen anderen Auszubildenden anrief und bei dem Telefonat ein bestimmtes Stichwort nannte. Daraufhin machte sich einer meiner Mitstreiter auf den Weg, riss die Tür auf und stellte eine Frage, die sich auf das Sachgebiet Personal bezog. Dieser arme Personalsachbearbeiter – heute tut er mir im Nachhinein ein wenig leid – hatte gar nicht genug Hände, um die herumflatternden Bögen festzuhalten. Also musste er mit dem Sortieren erneut beginnen. Unser Spiel aber hatte gerade erst begonnen. Abwechselnd kamen nun nach und nach immer mehr Auszubildende, die mit irgendwelchen Fragen an ihn herantraten. Ich konnte mir das Lachen kaum verkneifen, wenn ich seine Versuche, die sortierten Bögen zu retten, beobachtete. Zwischendurch musste ich einfach mal den Raum verlassen, um mich herzhaft auszulachen. Allerdings musste ich natürlich auch dazu die Tür öffnen. Ich stand, mir das Lachen verkneifend an die Tür gelehnt, während ich ihn drinnen heftig fluchen hörte. Also gab ich lieber das Signal zum Abbruch dieser Aktion. Es würden neue kommen.

Eine neue Aktion ließ auch nicht lange auf sich warten: Wir Auszubildenden hatten ein Zimmer im siebenten Stock, in das wir uns zum Lernen zurückziehen konnten oder in dem auch Extraunterricht erteilt wurde. Wieder einmal stand eine Schulung an. Beim Bau dieses Gebäudes, das aus vier gebogenen Seiten bestand, und bei der Einrichtung der Telefone hatte wahrscheinlich niemand mit so gewitzten Auszubildenden gerechnet, wie wir sie waren. Die Telefonnummern waren nämlich identisch mit den Zimmernummern. Wir standen also im Ausbildungszimmer am Fenster und sahen im vierten Stockwerk – Bauamt – einen Mitarbeiter vor ausgebreiteten Bauplänen auf der Erde liegen. Es war wieder einmal Unterricht für uns vorgesehen, aber auf die Lehrkraft mussten wir noch warten. Also kam uns die Idee, wir könnten doch diesen Mitarbeiter ein wenig Morgengymnastik machen lassen. Die Telefonnummer herauszufinden war nicht schwer, auch wenn wir seinen Namen nicht wussten. Wir brauchten nur von außen her nachzählen, um welche Zimmernummer es sich handelte. Also riefen wir ihn an. Vom Fenster aus sahen wir, wie er sich aufrappelte und zum Telefonhörer griff. In dem Moment, in dem er abnahm, legten wir auf. Es dauerte nicht lange und er hatte sich wieder bäuchlings vor die Baupläne gelegt. Also noch mal wählen und abwarten, was passiert. Dieses Spiel wiederholten wir einige Male. Immer dann, wenn er den Hörer aufnahm, legten wir auf. Bei dem vierten oder fünften Versuch trat er ans Fenster und wir sahen seinen Blick über die Fensterfront wandern. Schnell traten wir vom Fenster zurück und beendeten diese Aktion. In dem Moment betrat auch die Lehrkraft den Raum. Auch dieser Mitarbeiter tut mir im Nachhinein ein wenig Leid. Aber ich glaube nicht, dass ihm diese Morgengymnastik geschadet hat. Wir waren wirklich ein tolles Team.

Es gibt noch viele Dinge, die mich gern an meine Lehrzeit zurückdenken lassen. Ich finde es eigentlich schade, dass der Kontakt im Laufe des Lebens abgebrochen ist. Manchmal wünschte ich mir, ich würde den einen oder anderen noch einmal treffen, um über alte Geschichten zu reden, noch einmal herzlich zu lachen und uns daran zu freuen. Ich denke aber, jeder begegnet in seinem Leben Menschen und Situationen, an die er sich gerne erinnert, die aber Vergangenheit sind und damit abgeschlossen. Trotzdem erfreue ich mich an vielen Erinnerungen.

 

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Chrissy55
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