Für die aufstrebende Ermittlerin Patrizia läuft alles wie am Schnürchen. Sie scheint ihre Fälle wie im Vorbeigehen zu lösen. Doch der versuchte Mord eines Mannes, bringt Dinge ans Licht, die sie niemals für möglicht gehalten hätte. Als dann ein Unbekannter auftaucht, der mehr zu wissen scheint, als er zugeben will, scheint ihr gesamtes Leben aus den Fugen zu geraten. Die erste Idee zu einer kleinen Reihe mit dem Charakter Alex. Kritik erwünscht!
Aus der Küche kam das seit zwei Wochen der immer gleiche Geräusch tropfenden Wassers. Seit zwei Wochen lag und lauschte Herald dem monotonen Platschen. Seine Muskeln fühlten sich lahm und schwach, als hätte er sich seit Wochen nicht mehr bewegt. Vielleicht hatte er das auch nicht. Vielleicht hatte er nur jegliches Zeitgefühl verloren. Heralds Gedanken schwärmten wild durch seinen Kopf. Unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, nahm er alles auf. Kein Detail entging ihm, doch er vergaß es sofort. Der Raum lag im Zwielicht der anbrechenden Abenddämmerung. Das gleißende Orange gab dem Raum etwas anmutiges. Seine Frau liebte kräftige Farben. Auch im Schlafzimmer hatte sie sich ausgetobt. Er konnte diese Spielereien nicht leiden. Die gelben Tapeten hatte er noch nie gemocht, doch musste er zugeben, dass er die kräftigen Farben abends immer genoss. Vermutlich hatte sie das gewusst, vielleicht wollte sie ihn necken oder mit etwas überraschen, von dem er nie gedacht hätte, begeistert werden zu können. Die dunklen Schränke und das dunkle Holz des Bettes lieferte einen starken Kontrast. Er hatte sie rausgesucht. Vielleicht dachte er das selbe? Das zerwühlte Bett roch schon lange. Das glänzend weiße Laken war schon leicht vergilbt und mit Essensresten verklebt. Wenn es nicht sein musste, hatte Herald das Bett nicht verlassen. Nur für die notdürftigsten Dinge konnte er sich aufraffen. Ab und an wärmte er etwas in der Mikrowelle auf oder ging zur Toilette. Dann legte er sich wieder an die gleiche Stelle, als hätte er sie nicht verlassen. Und seine Gedanken kreisten wieder.
Er musste sich ablenken. Doch die Realität holte ihn immer wieder zurück, wenn er die kalten Hände seiner geliebten Josephine drückte, in der Hoffnung, sie dadurch wieder zurückzuholen. Oder zumindest aus dem Traum zu erwachen, in dem er sich glaubte.
Das Laken klebte schon an ihr, wo ihr Blut es in ein tiefes, fast schwarzes Rot färbte. So lag er da. Zusammengekauert um den Leichnam seiner Frau. Ihre Hand haltend, bewegungs- und mutlos. Unfähig die Polizei zu rufen, unfähig eine Nummer zu wählen.
Bis ein Muskelzucken seine Hand drückte. Herald riss seine Augen auf. Er stammelte nur vor sich. Mit heiserer Stimme flüsterte er ihren Namen. Noch ein Zucken. Möglicherweise waren es nur die letzten Zuckungen einer Sterbenden. Die Verzweiflung ließ ihn hoffen. Obwohl sein Kopf ihm sagte, dass es nicht sein konnte.
Da war noch eines. Und noch eines. Sie drückte fester.
„Josi. Josi....“, keuchte er aus seiner trockenen Kehle. Tränen füllten seine Augen. Kurzes, keuchendes Atmen bewegte ihre Brust ruckartig. Bis sie Blut hustete und sich dabei fast übergab.
Herald hielt ihr Gesicht, als ihre Augen sich leicht öffneten. Seine Tränen flossen über sein gesamtes Gesicht. Er lachte und weinte gleichzeitig, bis er sich aufraffen konnte, den Notruf zu wählen, voller Angst, dass sie wieder weg wäre, wenn er wiederkam. Seine Finger zitterten. Er ließ sein Handy drei Mal fallen, bis er die Konzentration und das Glück fand, die Tasten bedienen zu können.
„Sie lebt... oh mein Gott, sie lebt tatsächlich!“, schrie er in heller Aufregung. Natürlich verstand niemand, was er sagen wollte. Es dauerte einige Minuten, bis er sich genug gefasst hatte, seine Situation zu erklären.
Dann ging alles schnell. Es wirkte auf Herald wie ein Traum. Als wäre er eine Nebenperson, die das Geschehen abseits betrachtete. Wie ein Unfallopfer kam es ihm wie in Zeitlupe vor, als die Ärzte den blassen Körper auf eine Trage hievten. Die Polizistin neben ihm nahm er gar nicht erst wahr. Er verstand nur vereinzelte Satzfetzen, als sie ihm Fragen stellten, aber das interessierte ihn nur wenig. Ein großes Aufgebot an Ärzten, Helfern und Polizisten standen in seiner Wohnung, machten Aufnahmen des Tatorts, den Herald noch vor wenigen Stunden für einen Mordschauplatz gehalten hatte. Es war wie vorher. Er fühlte sich in Trance, doch dieses Mal gab es diesen gleißenden Lichtstrahl.
Erst als er schon im Verhörraum der Polizei saß, fand er seine Fassung wieder. Der Weg dorthin oder die vorherige Befragung ging spurlos an ihm vorbei. Er hatte kaum mehr Erinnerung daran.
Die Ermittlerin starrte Herald verärgert an. „Wenn sie nicht bald anfangen, mit uns zu reden, dann schmeiß' ich Sie ins tiefste Loch, das wir haben. Kapiert?“
„Äh, was?!“, stammelte Herald abwesend. Die Ermittlerin schüttelte fassungslos ihren Kopf. Ihr Partner intervenierte. „Hören Sie, wir wollen nur wissen, was passiert ist. Mehr nicht. Aber wenn Sie uns nichts sagen, dann können wir auch nicht für Sie tun. Das verstehen sie doch, oder?“
Herald suchte in seinem noch wirren Kopf nach passenden Antworten, Formulierungen. Nach irgendetwas, dass man in solchen Situationen sagen könnte.
„Ich will meinen Anwalt...“, sagte er verwirrt, aber mit Nachdruck in der Stimme.
„Na toll, dann haben wir zwei von denen hier!“, schnaubte die Ermittlerin.
„Verzeihen sie meiner Patnerin. Natürlich haben sie ein Recht auf ihren Anwalt. Lassen Sie mich raten, er arbeitet wohl bei der gleichen Kanzlei, wie sie es tun, nicht wahr? Pat, bring mir bitte das Telefon.“, sagte er und sah freundlich zu seiner Partnerin.
Beide Ermittler gingen aus dem Verhörraum heraus. Die Tür schlug laut in das Schloss, als Patrizia sie zumachte.
„Ich wünschte manchmal wirklich, wir hätten die Todesstrafe für solche Arschlöcher. Ich bin wirklich dabei zu Überlegen, nicht nach Texas zu ziehen.“
„Bleib ruhig. Noch ist gar nichts raus. Wir wissen weder, was passiert ist, noch haben wir irgendwelche handfeste Beweise oder auch nur eine brauchbare Aussage, Arthur.“
Patricias Partner verzog sein Gesicht zu einer zornigen Fratze, als sie den Gang entlang spazierten.
„Keine Beweise. Der Typ hat drei tagelang bei seiner schwerverletzten Frau gelegen, ohne auch nur einen Finger zu rühren. Und alle Pfeile zeigen in seine Richtung. Wann hat mich mein Gefühl denn schonmal im Stich gelassen?“
„Seit wir zusammenarbeiten? Ungefähr vier Mal. Diesen Monat. Also beruhige dich. Das ist kein Wettbewerb, wer der schnellste ist.“
Ungläubig sah er seine Partnerin an. „Doch, ist es. Und du weißt das auch.“
„Das Labor wird sich wohl nicht nach deinem perönlichen Zeitplan richten. Also sei geduldig und warte einfach, bis wir Klarheit haben.“
„Ich hasse es. Warten.. du hast ja Glück, dein Urlaub fängt heute an. Du kannst ihn echt vertragen. Inzwischen siehst du richtig ausgemergelt aus.“
„Dankeschön. Mach was du willst. Sperr ihn ein, bis wir mehr wissen. Ich geh nachhause. Wie du dich vielleicht erinnerst, habe ich eigentlich schon seit zwei Stunden Urlaub.“
Patrizia griff nach ihrem hellbraunen Mantel, den sie über ihren Stuhl geschmissen hatte und zog ihn mit einer schnellen Bewegung an. Sie konnte es kaum erwarten endlich aus dem Büro herauszukommen. Sie mochte ihren Job. Trotz der unschönen Bilder, die die meisten Leute bis an ihr Lebensende schocken würde, liebte sie die Herausforderung. Die Zusammenarbeit von denen, die die Puzzleteile fanden und denen, die sie zusammensetzen. Und das Schauspiel. Das Hin und Her während Verhörungen. Vermutlich ist an ihr eine hervorragende Charakterdarstellerin verloren gegangen. Zumindest dachte sie das, wenn sie sich mal wieder im Kino langweilte.
Doch den Urlaub hatte sie sich genommen, als Richard letzte Woche ohne ein Wort zu sagen ausgezogen war. Die immer gleichen Büroräume machten sie wahnsinnig. Ein Tapetenwechsel war wirklich nötig für sie. Was in ihrem Fall schon ein Urlaub daheim bedeuten würde. Und wie sie sich freute. Sich endlich wieder zuhause wohl fühlen zu können, nachdem sie mit dem Streichen fertig war. Noch sah alles nach einer Wohnung aus, die sie sich mit einem Mann geteilt hatte. Doch in ein paar Tagen dürfte dieses leidige Thema erledigt sein. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass ihr das passierte und sie würde sich garantiert nicht einen Liter Eis reinpfeifen und Schnulzen sehen. Wenn ihre Kollegen davon erfahren würden, wäre das wohl ihr Ende. Patrizia könnte sich wohl nicht einmal mehr selbst im Spiegel ansehen. Heulend unter der Dusche stehen und Welt aufgrund ihrer Gemeinheit verfluchen. Nein. So wollte sie nie werden. Das hatte sie schon in dem Alter gehasst, als es noch angebrachter gewesen wäre.
Ihr Handyklingelton erschrak sie. Beinahe wäre sie in die Straßenabsperrung gebrettert, die die Baustelle mitten in der Stadt einzäunte. Die rote Ampel hätte sie auch fast übersehen, sowie das Auto vor ihr, in das sie beinahe reingerauscht wäre. Hätte ein waschechter Hattrick werden können.
Pat atmete einmal durch und ging dann schnell an ihr Telefon, dass sie immer noch daran erinnterte, dass es da war.
„Ja?“
„Pat? Hast du gerade noch Zeit?“
„Ich hab Urlaub. Wegen dir hätte ich beinahe einen Unfall gebaut!“
„Wir haben hier eine Entwicklung zu dem Fall.“
„Hör mal. Ich habe Urlaub. Ich dachte, der Fall wäre so einfach, dass du ihn alleine beenden könntest? Ich kann mich da an sowas erinnern. Ich bin ja nicht die einzige Ermittlerin.“
„Richtig, aber der Kerl hat nach dir verlangt.“
„Der mutmaßliche...“
„Nein. Ein Typ, der ihn befreien wollte. Ist bei uns eingebrochen und wollte ihn rausholen.“
„Äh.... was?!“
Es dauerte fast eine Stunde, bis sie den Weg zurückgefahren war. Merkwürdig, wie es auf einmal eine rote Welle gibt, wenn man es eilig hat, dachte sie. Der zähfließende Verkehr und abrupt einsetzende Regenschauer taten noch ihr übriges die Stimmung der Ermittlerin gen null zu bringen.
Sie zog ihren nassen Mantel aus. Verschwand schnell ins Bad, um mit den Papiertüchern ihre tiefschwarzen Haare ein wenig zu trocknen, band sie schnell zu einem Zopf zusammen und setzte sich in den Verhörraum.
Die graue Seidenbluse konnte sie gerade so am Heizstrahler trocknen. Es gibt nichts schlimmeres, als wenn die Dinger sie anstarrten, nur weil sich ein paar Tropfen Regenwasser auf ihrer Brust hatten fallen lassen.
Der junge Mann, der sich gegenüber setzte, sah ein wenig anders aus, als sie erwartet hatte. Er war recht jung. Sie würde ihn auf ungefähr dreiundzwanzig schätzen. Er trug eine schwarze Anzugshose mit passender Weste und lila Hemd. Er hatte etwas bubenhaftes und eine gewisse Leichtigkeit in seinem Auftreten. Die Handschellen hielten seine Arme hinten.
Das grelle Licht der Halogenlampen leuchtete jeden Fleck im Raum aus. Die gesamte Trostlosigkeit der lieblosen Steinmauern in ihrem grauweißen Ton lies Patrizia wünschen, doch nicht zurückgekommen zu sein. Aber manchmal folgt man merkwürdigen Impulsen und denkt erst dann darüber nach, wenn es zu spät ist. Und im Normalfall kam ihr Job zuerst. Die Befriedigung, die sie mit sich selbst erreichte, wenn sie einen Fall löste war für sie wichtiger, als das Alltägliche. Die Aufregung, die sie empfand war intensiver, als es eine Beziehung irgendeiner Art je sein könnte. Tatsächlich keimte in ihr seit längerem eine Erkenntnis. Wirklich wohl und Geborgen fühlte sie sich einzig und allein, in einem blutbeschmierten Raum, der nach Schweiß, Kampf und Gewalt roch. Im Normalfall hatte ein Ermittler am Tatort nichts zu suchen. Das war das Refugium der Spurensicherung. Doch ab und an war es ihr vergönnt ihrer Leidenschaft nachzugehen. Dem Auffinden des Täters direkt nach der Tat. Es war nicht die Jagd, die sie befriedigte, es war der Erfolg. Dieses Häufchen Elend vor sich zu sehen. Denn letztenendes spürte sie, wie auch der härteste Kerl in seinem Innern von den ganz eigenen Dämonen gejagt wurde, wenn ihnen bewusst wurde, was sie getan hatten. Egal ob sie sich einredeten, dass es zum Wohl aller war oder dass es ihr Opfer verdient hatte, sie wussten es . Man kann vor vielem fliehen, aber nicht vor sich selbst. Dieses Gefühl, dieser Eindruck, diese Blicke; diese Momente liebte sie. Und sie waren es, die Patrizia antrieben.´Sie waren es auch, warum sie trotz ihrer Interessen an den Schauplätzen, nicht zur Spurensicherung gegangen war. Den Tätern in die Augen sehen. Das kann man nur in Verhören oder vor Gericht.
Doch bei dem Mann, der vor ihr saß, war es anders. Er hatte nicht die geringste Spur von Scham aufgrund der Tatsache etwas falsches getan zu haben. Das Gespräch wurde so fast schon zu Arbeit.
„Könnten Sie bitte aufhören, auf dem Stuhl hin und her zu wackeln? Das wäre nett.“, sagte sie recht pampig. Sie hoffte, dass sie diesen Tag zu ihrem Urlaub zurückbekommen würde.
„Oh, entschuldigung. Ich bin etwas aus der Übung, was diese Dinge anbelangt. Und ihr Partner musste mir ja mein Notizbuch abnehmen. Ich fühle mich nackt, ohne das Ding.“
„Na dann, sollten wir uns wohl beeilen.“
„Als ob sie das nicht interessieren würde.“, sagte er und zwinkerte ihr zu.
Sie konnte ein Augenverdrehen gerade noch zurückhalten. „So ein Verhör wird das also werden“, dachte sie, jetzt schon genervt.
„Okay.“, sagte sie und massierte sich ihre Schläfe. „Warum und wieso sind Sie in ein Polizeirevier eingebrochen? Aus meiner Sicht, war das nicht gerade die klügste Entscheidung.“
„Ich hatte erwartet, dass mich niemand sehen kann. Naja, eigentlich hat mich auch niemand gesehen, bis ich zu Herald gekommen bin. Der Sack hat mich auffliegen lassen!“
„Was soll das denn jetzt heißen?“ Jetzt war sie sich sicher, dass es definitiv ein langer Tag werden würde.
„Ach, wenn ich es erklären würde, würden Sie es eh nicht glauben. Oder verstehen.“
„Nun, ich halte mich doch für relativ klever.“
„Okay. Mein Tarnzauber funktioniert nur, wenn keiner darauf aufmerksam wird. Es ist weniger Tarnung, als Ablenkung. Da Herald aber besessen ist, funktioniert das bei ihm nicht und er hat so ein Gebrüll gegstartet, dass es jeder bemerkt hat. Und sehen Sie, ihr Gesichtsausdruck sagt alles. Kann ich jetzt erwarten, eingewiesen zu werden? Ich habe heute noch mehr zutun.“
„Ich denke, das wird wohl kein Problem sein.“ Patrizia stand auf.
„Wäre ja nicht das erste Mal. Aber bitte sagen Sie den Leuten, dass ich Handschellen gar nicht leiden kann.“ Alex warf die Handschellen auf den Tisch und hielt seine Arme mit den hochgekrempelten Ärmel nach oben.
„Sehen sie, nichts in den Ärmeln.“
Wortlos nahm Patrizia die Handschellen mit nach draußen. Ihr Partner wartete schonauf sie.
„Und? Ziemlich verrückt, was? Ich glaube, dass ist nur Show.“
„Ich hab Urlaub.“
„Ja, ich weiß. Und es tut mir auch leid. Du wolltest informiert werden, wenn es Neues gibt. Tada, was Neues.“
„Ich wollte Infos, ein Update. Nicht extra herkommen, wenn ich noch nicht einmal daheim angekommen bin.“
„Jetzt sag mal, was hältst du von ihm?“
„Der ist verrückt. Komplett. Schau mal, was er gemacht hat.“
„Sind das seine Handschellen? Warum hast du sie ihm abgenommen?“
„Das hat er selbst getan. Und wenn du mal darauf achten würdest, die sind noch abgeschlossen.“
„Mh. Was soll uns das sagen?“, er sah sie verwirrt an.
„Ich weiß es nicht, aber ich habe ein seltsames, vertrautes Gefühl. Irgendwas ist mit ihm. Sperr ihn ein. Morgen können ja die Männer in den weißen Kitteln kommen und ihn abholen. Er verschwindet ja nicht.“
Sie verließ ihren Partner mit siner Verwirrung in dem langen Gang zurück.
„Ach.“, sagte sie und drehte sich um. „Halt ihn von Herald fern.“
Murrend sah ihr Arthur hinterher, um sicher zu stellen, dass Patrizia wirklich ging. Sie verhielt sich schon seit längerem auffällig. Arthur erinnerte sich. Seit sie sich kannten, war sie immer stur gewesen. Fixiert auf ihren Beruf. Doch in letzter Zeit wurde es schlimmer. Sie war nicht bloß konzentriert auf ihre Aufgabe, sondern zwanghaft. Über ihr Privatleben wusste er nichts. Es interessierte ihn auch nicht. Arthur hatte nie viel davon gehalten Privat- und Berufsleben zu vermischen. Die Lektion hatte er gelernt, als er ein paar Beweisfotos in seinem Wohnzimmer rumliegen ließ und sein kleiner Junge zwei Wochen nicht schlafen konnte. Deswegen verstanden sie sich wohl überhaupt. Sie, die sich als einziges um ihren Beruf scherte und er, der das freimütig akzeptierte.
Irgendetwas war mit ihr los. Aus Arthurs Sicht lief einiges zu glatt. Die Fälle, die sie in letzter Zeit bekamen waren zu einfach. Entweder erwischten sie die Täter unmittelbar nach der Tat oder sie gaben es ohne eine Art von Kampf zu. In seiner gesamten Berufsbahn hatte er keine solche Glückssträhne erlebt. Zugegeben, die meisten Mordfälle waren simpel. Doch die letzten waren schlicht lachhaft einfach. Zu einfach.
Nun gut. Er sollte den Gefangenen zurück in die Zelle bringen, also würde er das tun. Patrizia hatte schließlich nie gesagt, wie lange er dafür brauchen sollte.
Arthur ging zurück in den Verhörraum. Wortlos setzte er sich gegenüber von Alex.
„Schade, wo ist denn ihre Partnerin hin? Das ist nicht, was ich unter vertrauter Zweisamkeit verstehe. Aber schön, sie wiederzusehen. Ihre Partnerin ist nett, aber irgendwie ein bisschen zu aufgebracht.“
„Nunja, Sie müssen das verstehen, sie hatte eigentlich Urlaub und musste extra wegen Ihnen zurückkommen. Es ist doch nur verständlich, dass sie dann ein wenig aufbrausend ist. Deswegen bin ich ja hier.“
„Und ich dachte, Sie wären bloß hier, um mich in die Zelle zu bringen, dachdem sie gegangen ist..“
Ärger kam in Arthur auf. Er arbeitet schon zwei Jahre länger bei der Wache als Patrizia. Und seit ihrer Glückssträhne wurde er mehr und mehr zu ihrem Gehilfen. Sie hatte den Urlaub nötig. Und er den von ihr auch.
„Nun ja. Was sollen wir denn auch mit einem Zeugen anfangen, der allem Anschein nach verrückt ist? Ich werde sie nicht anlügen. Wir halten Sie für verrückt.“
„Das sagt man mir öfter.“
„Woran dass nur liegt.“
„Ich bin eben ein offener Mensch. Aber das ist das Positive, wenn einem niemand glaubt, selbst nachdem man alles erklärt hat. Es gibt einem gewisse Freiheiten.“
Arthur kam eine Offenbarung. Ob verrückt oder nicht, dieser Mann war gefährlich. Das Grinsen, dass er bei diesem Satz angedeutet hatte, war eines der bedrohlichsten Dinge, die Arthur jemals gesehen hatte. Er war anscheinend wirklich verrückt.
„Ich hatte gehofft, Sie wären kooperativer. Ich habe mich anscheinend geirrt. Ich bin nur hier um sie zu informieren, dass wir Sie die Nacht über hierbehalten, bis Sie morgen früh von einem Psychologen besucht und voraussichtlich eingewiesen werden. Aber bis dahin, gehören Sie mir.“
Mit einer ruckartigen Bewegung packte Arthur Alex am Arm und zog ihn nach oben.
Energisch wurde Alex in Richtung Zellen gebracht.
„Langsam, wir haben doch die ganze Nacht.“
„Ich habe keine Ahnung, wie Sie mit Herald zusammenstecken, aber ich habe keine Lust, mich mit diesem Kinderkram zu beschäftigen. Die Spurensicherung wird unter Garantie Beweise finden. Verdammt, alleine schon, dass, was man mit bloßem Auge gesehen hatte, reicht schon für einen Schuldspruch. Ihnen kann ich nur die Empfehlung geben endlich zu kooperieren, verstanden.“
Alex wurde nochmals bevor er mit Wucht in die Zelle gestoßen wurde.
„Kann ich wenigstens ein Blatt Papier und einen Stift haben?“
Arthur sah ihn fragend an. „Was willst du?“
„Zum Schreiben. Komm schon. Ich hab doch nichts so schlimmes getan, da kann ich doch wenigstens ein bisschen was bekommen, um mich zu beschäftigen.“
Arthur schüttelte seinen Kopf. Er kramte in seinem Sacko und warf einen Block Post-It Zettel und einen Kugelschreiber in die Zelle.
„Milch nicht vergessen.“ Alex sah ihn lächelnd an. „Schonmal was von Gehirntraining gehört? Dann muss man sich nicht alles aufschreiben.“
„Schnauze“, rief Arthur mit rot unterlaufenem Gesicht. Die Hand, mit der er die noch offene Zellentür festhielt drückte er so fest zusammen, dass er eine Sekunde glaubte, das Metall würde nachlassen und brechen. „Ich kann es auch wieder konfiszieren!“
„Ist schon gut. Okay. Nur die Ruhe. Ich habe es nicht so gemeint. Sollte nur ein Tipp sein.“ Ruhig verzog sich Alex in eine Ecke und kritzelte etwas.
So langsam wurde ihm klar, dass er wohl mal wieder viele Überstunden sammeln würde. Als Partner von Patrizia müsste er schon oft unter ihrer Arbeitswut leiden.
Die schwere Zellentür machte er mit einer beiläufigen Handbewegung zu.
„Mist.“, fluchte er, als sie nicht einrasten wollte. Er sah in die Zelle. Alex schien sich nicht zu rühren. Ein warmes Gefühl von Scham kroch Arthurs Rücken runter. Vor Gefangenen durfte nichts versagen. Das war schlecht für das Ansehen. Die Scheißer mussten, wenn schon nicht Angst, dann wenigstens Respekt haben.
Mit aller Kraft riss Arthur die Zellentür zu. Drei Versuche, bis sie ins Schloss fiel. Er hätte schwören können, ein leises Jammern zu hören, als er ging.
Alex sah sich selbst ins Gesicht. Er hatte schon bessere Ablenkungen hinbekommen, aber bei der kleinen Zeitspanne, konnte er sich nicht beschweren. Mit einem schmerzenden Fuß, humpelte er hinter Arthur her. Jeden Ton runterschluckend. Er war recht stolz auf sich. Zwei Runen hatte er auf den Post It Zettel schreiben können. Eine Für einen Doppelgänger, eine, die er sich an die Stirn geklebt hatte, um unsichtbar zu werden. „Pergament und Tinte, hä.“, dachte er, lobte die modernen Büroutensilien, sah auf seinen Fuß und seufzte.
Arthur schien Blut geleckt zu haben. Zu Alex' Erstaunen hatte er doch mehr drauf, als es schien. Kaum hatte der Mann sich in die Personalakten gehackt und herausgefunden, dass Patrizia seit Jahren schon heimlich zu einem Psychologen ging, schon hatte er die Daten von dessen Rechner heruntergeladen. Er schien sich tatsächlich Sorgen zu machen. Irgendwie glich das den mangelnden Respekt vor der Privatsphäre anderer aus. Zumindest hoffte das Alex.
Noch vor zehn Minuten hätte er geschworen, dass Patrizia das Gehirn dieses Teams wäre. Kein Wunder, dass sie ihre Fälle so leicht lösen konnten. Zumindestens sagten dass die Akten, die Alex durchging, als Arthur den Platz verließ. Es passte alles zusammen.
Die Aussagen, die er von Harald bekam, als er ihn anrief, um von seinem Drang seine Frau zu töten erzählte. In den letzten vier Monaten gab es drei solche Fälle. Alle ermittelt von dem Dreamteam.
Alex begann eine eigene Theorie zu entwickeln. Und Patrizia steckte mittendrin.
Tatsächlich hatte sie es dieses Mal nach hause geschafft. Sogar ins Bett. Die Wände waren abgeklebt, aber zu mehr hatte sie keine Lust mehr. In den letzten zwei Jahren hatte sie immer öfter Schwächeanfälle.
Die Pillendosen für alle möglichen Nahrungsergänzungsmitteln und Vitamine lagen leer auf ihrem Nachttisch. Das Licht hatte sie nicht mehr geschafft auszumachen und tauchte den Raum in ein warmes Orange.
Sie fühlte sich sehr träge, schwach. Ihre Augen waren halboffen. Ihr Mund trocken. Sie dachte daran, wie gut es war, dass sie morgen frei hatte und nicht schon um fünf aufstehen musste. Aber ein, zwei Minuten Schlaf wäre schon schön. Etwas ging in ihrem Kopf vor. Gedanken bildeten sich und rissen ab, ohne dass klar wurde, über was sie überhaupt nachdachte.
Sie blieb einfach ruhig. Das war nicht das erste Mal, dass sie das erlebte. Mittlerweile dauerten diese Anfälle ein paar Stunden. Es fühlte sich wie eine Panikattacke an. Nur wurde ihr Körper und Geist vollkommen kathatonisch. Doch innen fühlte es sich wie ein Krieg an. Die Impulse wegzurennen wurden ignoriert. Sie hatte keinerlei Kontrolle über ihren Körper. Dann fiel sie in tiefen Schlaf und erwachte drei, manchmal vier Stunden später wieder, als wäre nichts gewesen.
Es war wie immer. Ihr Herz beruhigte sich und langsam bekam sie wieder ein Gefühl in ihren Extremitäten.
Der Geruch der geöffneten Farbe war in dem gesamten Mietshaus zu riechen. Die dezenten beigen Räume waren jetzt im Licht betrachtetet vollkommen unzureichend abgeklebt. Wenn sie ehrlich war, konnte sich Patrizia noch nicht einmal mehr daran erinnern, dass sie es übhaupt getan hatte. Wirklich bei sich hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Tage lagen wie kleine Erinnerugsfetzen ganz hinten an ihren Geist. Auf der Küchentheke stand noch eine halb gefüllte Müslischüssel, die sie sich notgedrungen reinpfiff, bevor sie sich eine Bluse, Hose und ihren noch nassen Mantel schnappte und sich auf zum Revier machte. Sie musste dorthin. Sie hatte es im Gefühl, dass etwas vor sich gehen würde. Dieser neue Fall. Etwas ging vor sich, das wusste sie. Der Kerl, der versuchte, sich einzuschleichen. Es machte einfach keinen Sinn. Anscheinend beherrschte wieder Patrizias soziopathische Natur ihr Handeln. Sie konnte einfach nicht locker lassen. Sich mit etwas anderem beschäftigen. Solange nicht, bis sie zumindest begriff, was los war.
Es gab nur eine Spur. Der Mann, der mit Herald etwas zu tun zu haben schien. Herald selbst war unbrauchbar. Er war anscheinend verloren. Er konnte nicht kapieren – oder zumindest akzeptieren – was er getan hatte. Wer könnte das auch, dachte sie. Sie hatte wie jeder andere auch schmerzhafte Geschichten hinter sich. Doch was sich in dieser Wohnung abgespielt hatte, das war etwas, das sie niemals am eigenen Leib erleben wollte. Der Verkehr war dünn. Es war sehr früh. Um diese Uhrzeit gab es nur die, die von der Nachtschicht heimkamen. Das war auch gut so. In ihrem derzeitigen Zustand hatte sie kaum Reaktionen. Drei rote Ampeln hatte sie schon nicht bemerkt. Rote Rückspiegel und das Licht der Straßenlaternen vermischten sich zu einem Strahl, wenn sie vorbeifuhr. Ansonsten sah sie nur die weißen Linien auf dem Asphalt. Wie in Trance fuhr sie den Weg. Nach Jahren kannte sie ihn auswendig und das war auch gut so. Überlegen konnte sie nicht. Ihre Gedanken kreisten in einem unendlichen Raum. Aus ihrer eigenen Welt zurück kam sie nur zufällig. Ein paar Sekunden der Klarheit folgten minutenlangem Grübeln.
Wie ein Wunder, kam sie unbeschadet an. Der dunkle Gang wurde von einer kleinen Lampe erhellt, die schon lange flackerte. Ihre Kollegen grüßten und wunderten sich, warum sie wieder da wäre. Sie hatte sich schon ein paar Ausreden zurechtgelegt, womit sie die neugierige Ader ihrer Kollegen befriedigen konnte. Sie ging den beigen Gang entlang, der das Revier seit Jahren wie ein Relikt aussehen ließ.
„Hey, Patty... Patty... ICH REDE MIT DIR!?“
„Was?“ Patrizia drehte sich langsam um und bemerkte, das aufgeregte, als auch besorgte Gesicht ihres Partners.
„Du siehst wirklich nicht gut aus.“, sagte er.
„Ich bin okay. Mach dir keine Sorgen. Ich hatte nur eine unruhige Nacht.“
„Das sagst du öfters. Vielleicht solltest du deinen Urlaub dazu benutzen, dich auszuruhen. Was machst du überhaupt hier?“
Sie suchte sich einen Stuhl. Der, der normalerweise für Aussagen benutzt wurde, war nicht so gemütlich, wie ihr eigener, aber sie war sich nicht sicher, ob sie den Meter schaffen konnte.
„Irgendwas geht vor sich. Es ist dieser letzte Fall. Er lässt mich nicht los. Eigentlich sollte er ganz einfach sein. Aber dann dieser Typ, der eingebrochen ist. Doch wie hing er mit dem Ganzen zusammen? Ich verstehe es einfach nicht. Ich verstehe es nicht und ich kann nicht aufhören, darüber nachzudenken. Es bringt mich um den Schlaf. Die letzten drei Fälle, alles Morde aus Leidenschaft. Alle drei hatten sich mit ihrem Partner zerstritten und waren danach noch tagelang in der Wohnung mit den Leichen. Und alle drei konnten sich nicht an die Tat erinnern. Ich verstehe nicht, wie so etwas Zufall sein könnte. Ich verstehe es nicht“, sagte sie wie unter Wahn.
Arthur sah sich nach allen Seiten um. Es hatte sie keiner Reden hören. Wenn es so gewesen wäre, könnte man seine Partnerin für verrückt halten. Was ihrer Karriere nichts gutes tun würde.
„Hör zu.“ er versuchte, so ruhig wie möglich zu sein. „Ich – un eigentlich auch die anderen – machen sich schon lange Sorgen um dich. Schau dich mal. Du bist vollkommen mager. Du wirkst oft abwesend. Abseits der Fälle bist du nicht zu gebrauchen. Du hast dich schon ewig nicht mehr an unserem Stammtisch blicken lassen und über dein Privatleben brauchen wir wohl gar nicht erst zu reden.“
„Ich hatte eben viel Pech in letzter Zeit, was solls.“
„Nein. Nein, nein. Das war kein Pech. Du sabotierst dich mit Absicht. Du interessierst dich für gar nichts mehr, abgesehen von der Arbeit.“
„Alles andere ist auch verdammt langweilig“, sagte sie genervt. Sie hatte genug davon. Alle zwei Tage wollte ihr jemand den Kopf waschen.
„Ich versuch dir nur zu helfen. Warst du bei schon bei einem Arzt, wie du es verpsorchen hast?“
„Wozu denn? Es ist alles in Ordnung.“
„Es ist nicht alles in Ordnung. Und du weißt das auch.“ Arthur hatte es schwer, seine Fassung zu waren, um nicht zu brüllen. „Du hast sieben Tage Urlaub. Geh zu einem Arzt...“
„Jetzt hör mir mal zu. Ich muss die Gefangenen sehen. Ich habe einige fragen an ihn und ich will mit ihm reden, bevor auch nur einer von beiden eingewiesen wird, verstanden.“
Arthur atmete schwer durch. „Okay. Aber schnell. Ich hab ja auch irgendwann mal frei. Eigentlich habe ich das schon seit dreizig Minuten.“
Der Gang zu den Zellen war wie eine Tortur für Patrizia. Jeder Schritt kostete sie Kraft. Ihrem Partner, der sie sowieso schon mit argwöhnischen Augen ansah, wollte sie nichts sagen. Was hätte das auch genutzt? Im besten Fall wäre er alleine gegangen und sie hätte warten müssen. Sie musste mit beiden Verdächtigen persönlich reden. Da gab es kein Zurück für sie. Dieses Gefühl, dass sie den Einbrecher kennen würde. Es beschäftigte sie die ganze Nacht, sowie jetzt auch.
„Wer ist der erste Kunde?“, fragte Arthur.
„Der Einbrecher. Wie hieß er noch?“
„Er gab an, sein Name ist Alexander Adams.“
„Gut. Er ist es.“ Sie war nun fast außer Atem. Ihre Hände zitterten. Sie versuchte es zu verstecken, indem sie sie in ihre Manteltaschen steckte. Schweiß rann über ihr aschfahles Gesicht. Es war kaum zu verstecken, dass sie am Ende war.
Die Sicherheitskontrollen gingen an ihr vorbei wie in einem Fiebertraum. Das grelle Licht der Lampen tat in ihren Augen weh. Die tiefen Tränensäcke waren deutlich zu erkennen. Arthur kam aufgeregt zu ihr gerannt.
„Er ist weg!“; schrie er wie am Spieß. „Er ist weg! Irgendwie hat es der Mistkerl geschafft!“
Mit ihren halb geschlossenen Augen sah sie ihren wild gestikulierenden Partner an. Sie konnte zwar kaum ein Wort von dem ausmachen, was er sagte, aber es schien schlimm zu sein. Nur verstand sie es nicht. Alex saß immer noch stillschweigend in seiner Zelle. Er sah zu ihnen rüber. Was hatte er vor?
Arthur rannte mit dem Zellenschlüssel an ihr vorbei. Im Schlepptau hatte er drei weitere Polizisten, die ihren Augen nicht trauen konnten. Alle Vier stürmten in den engen Raum. Kaum war die Tür offen, machte sich Alex auf und drängte sich an allen Wachen vorbei. Stets darauf bedacht, niemanden zu berühren.
Patrizia schüttelte den Kopf. „Aber da ist er doch. Wie könnt ihr ihn nicht sehen?“, sagte sie mit zitternder Sprache.
Jeder sah sie ungläubig an. „Ach, Mist.“, brachte Alex noch heraus, bevor vier mindestens achtzig Kilo schwere Körper sich auf ihn warfen.
Schon ein paar Minuten später brachte Arthur ihr eine Tasse Kaffee. Das Weiß des Verhörraums machte ihr zu schaffen, aber sie fühlte sich schon wesentlich besser. Mit jeder Minute schien sie kräftiger zu werden.
„Willst du das wirklich tun?“, fragte er. Seine Sorge war kaum zu überhören.
„Wüsste keinen Grund, warum nicht.“ Die Verbitterung in ihrer auch nicht.
„Ich werde dich nicht abhalten. Aber sieh dich doch an. Du bist ein Häufchen Elend.“
„Wenigstens konnte ich einen Typen sehen, der direkt vor mir stand. Also komm mir nicht so.“
„Da war niemand.“
„Und wieso konnte ich ihn dann sehen?“
„Woher soll ich dass denn... .okay. Hör zu. Irgendetwas ist mit dir los. Und ich halte es für keine gute Idee, wenn du so tust, als wäre es nicht wahr. Und erst recht halte ich es für keine gute Idee, dass du in deinem jämmerlichen Zustand ein Verhör abhalten willst.“
„Ich mache das. Und schluss mit der Diskussion!“
Arthur schüttelte seinen Kopf, als er die Tür hinter sich schloss. Patrizia fing an zu grübeln. Vielleicht hatte er Recht. In letzter Zeit ging es ihr wirklich immer schlechter. Nicht nur körperlich. Auch psychisch. Nein. Darüber konnte sie jetzt nicht nachdenken. Außerdem hatte sie es bisher immer geschafft. Aber nicht jetzt. Dafür war später noch Zeit.
Die Tür schwang auf. Arthur brachte mit einer finsteren Miene Alex in den Raum. Wortlos warf er ihn auf den Stuhl. Genauso wortlos ging er wieder.
Soll er doch protzen, wie er will, dachte sich Patrizia und versuchte sich zu konzentrieren.
„Okay. Herr....“
„Dieses Mal läuft es ein wenig anders.“ Das bubenhafte war aus Alex' Gesicht verschwunden.
„Ich weiß wohl eher was los ist, als sie.“
„Ja, deshalb werden sie ja auch verhört.“
„Die Frage ist nur von wem.“
„Vielleicht von der Beamtin, die vor...“
„Seit langem fühlst du dich unwohl. Isst kaum, schläfst kaum. Kleines, ich kenn das alles. Und du hast Glück, dass ich in dein Gefängnis eingebrochen bin, denn ich kann dir helfen. Aber nur, wenn du mir endlich mal diese Handschellen abnimmst. Ach weißt du was, ich mach es selbst.“
Er warf ein Plastikband vor sie.
„Newsflash: Wenn mich Metall nicht festhalten konnte, wird es Plastik wohl auch nicht schaffen ,oder?“, zwinkerte er ihr zu. „Und jetzt mal etwas wichtigeres. Sie sind besessen und du, solltest sie besser loslassen. Ich habe dich nämlich mittlerweile durchschaut. Also gebe ich dir einen Tipp, der dir zumindest dein nicht existentes Leben retten kann: Hau ab. So schnell du kannst. Und lauf schneller als ich.“ er machte ein ernstes Gesicht.
Patrizia sah ihn verärgert an. „Was glauben sie eigentlich, wer sie sind?“
„Zumindest weiß ich, dass Sie nicht dass sind, was gerade für mir sitzt. Und das ist schon mehr, als er dich wissen lässt.“
„Wer ist er?“
„Oh man. Manchen Leuten muss man wirklich etwas öfter erklären. Erinnern Sie sich noch daran, als ich gesagt hatte, dass Herald von einem Dämon besessen wäre? Ich hatte mich geirrt.“
„Kein Scheiß, was?“
„Denn er ist nicht der Besessene, Sie sind es.“
„Oh, man.“
„Na denken Sie mal nach. Es macht doch total Sinn. Sie sind umgeben von Leid und Schmerz, können sich nicht konzentrieren, außer sie sind umgeben davon. Beziehungen können einfach nicht halten, da sie nur glücklich sind, wenn andere unglücklich sind. Und haben Sie einen Täter überführt – übrigens auf sehr einfache Weise, meistens direkt inflagranti – können Sie sich nicht einmal mehr in die Nähe von Ihnen begeben. Zudem können Sie nachts höchstens ein paar Stunden schlafen. Ich würde auf einen Seelenfresser tippen.“
„Woher... wissen Sie das alles?!“, fragte Patrizia geschockt.
„Ich kann mich unsichtbar machen, schon vergessen? Das erleichtert das Eindringen und stehlen von geheimen Akten.“
„Bei Dateien??“
„Nun... ja. Auch wenn ich sagen muss, dass ihr Psychologe, als auch ihr Partner ihre Passwörter sehr schnell tippen. Da musste ich ganz schön tricksen. Aber egal, ich war mit meinem wundervoll verspielten und beeindruckenden Monolog noch nicht fertig. Also. Ein Seelenfresser. Obwohl dass nicht so genau ist, wie ich es mir wünschen würde. Grundsätzlich ernährt er sich von negativen Gefühlen. Vermutlich hat ihre Verbitterung, nach dem Tod ihrer Elten ihn angelockt. Nur war das 20 Jahre her und langsam waren sie wohl leer. Deshalb auch das Scheitern jeder einzelnen Beziehung. Wer will schon mit jemandem zusammen sein, der einen nur unglücklich machen will? Oder gar keine Gefühle mehr hat?“
Patrizias Gesicht wurde immer ärgerlicher. Blinder Zorn war ihr ins Gesicht geschrieben. Wie konnte er es wagen, in ihren Privatleben herumzuschnüffeln. Aber dann kam ihr ein Gedanke. Wie hatte er es überhaupt geschafft? Vielleicht hatte er ja Recht. So unglaublich es auch klang, es war die logischste Erklärung. Nein, nein. Es konnte nicht sein. Mit ihr stimmte alles. Da war sie sich sicher. Wieso sollte denn nichts mit dir stimmen, fragte sie sich selbst. Denk doch nur an all die schönen Dingen, die wir erlebt haben.
Sie erinnerte sich. Sie erinnerte sich an Dinge, die sie vorher einfach nicht sehen konnte. An das Streichholz in ihrer Hand, als ihre Grundschule abbrannte und beinahe drei Mitschülern das Leben kostete. An das Messer in ihrer Hand, als ihr Hund überraschend starb. Als wäre ein Schleier, den sie seit ihrer frühesten Kindheit getragen hatte zu Boden fiel. Sie konnte sich erinnern. Sie konnte es sehen. Die roten Augen. Die glühenden Augen in absoluter Dunkelheit. Die sie verzehrten und lenkten. Augen, die ihr den letzten Willen Lebenswillen aussagten. Von einer Sekunde zur anderen erkannte sie die Wahrheit. Und die blickte mit messerscharfen Zähnen zurück.
Patrizia sprang von ihrem Stuhl auf und flüchtete sofort in eine Ecke. „Da ist jemand in meinem Kopf!“, brüllte sie wie am Spieß.
Alex sprang auch auf und rannte auf sie zu. Er kniete über ihr und hielt ihren Kopf fest.
„Beruhigen Sie sich. Alles ist gut. Ich bin da. Ich werde Ihnen helfen!“
„Was, was ist los mit mir!“ Tränen rannten ihr Gesicht runter. Erst kribbelte es unter ihrer Haut, dann brannte es wie Feuer.
Arthur brach mit brachialer Gewalt die Tür auf, als wäre sie verbarrikadiert worden. Er kam mit festem Schritt auf beide zu.
Alex schloss seine Augen. Er atmete tief durch. Die Zeit verlangsamte sich, stand fast still.
Er stand nun vor ihm. Vor einem Ungetüm, dass den ganzen Raum ausfüllte. Große Pranken waren am Ende der Spindeldürren Arme. Die langen, spitzen Ohren ragten aus dem buschigen Haar raus. Wo Augen hätten sein müssen, waren tiefe, pechschwarze Löcher, aus der schwarze Flüssigkeit an den im Gesicht verteilten Stacheln, bis hinunter zu dem mit Reißzähnen besetzten Mund lief. Er grinste teuflisch.
„Ein Magier.“, hallte es im gesamten Raum. „Was hat dich aufgehalten?“
„Der Verkehr war einfach grauenhaft.“
„Glaube ich. Es hatte immerhin zwanzig Jahre gedauert.“
Alex stand auf. Er lächelte. „Sich am Unglück anderer laben, ist nicht die netteste Art. Du gehörst übers Knie gelegt.“
Mit einem Brüllen griff der Dämon mit seinen Tatzen nach ihm. Alex sprang zurück und er warf ein Stück Papier nach ihm. Das Papier flackerte lila auf und verwandelte sich in Feuer, dass den Dämon mitten in sein schwarzes Auge traf. Seine riesige Pranke zerschlug den Tisch, als er aufschrie.
Alex sah den Dämon wütend an. „Du zerstörst Leben, wie du willst. Trägst keinerlei Konsequenzen für dein Handeln. Und ich habe keine Lust, meine Zeit länger mit dir zu verschwenden.“
Seine Augen fingen an zu leuchten. Sein gesamter Körper wurde zu einem dunklen Schatten seines Selbsts. Mit einem Satz sprang er auf den Dämon zu und packte ihn an seinem Kopf. Dieser versuchte sich zu wehren, schlug wild mit seinen Pranken. Nichts konnte Alex Griff lockern.
Langsam fing der Dämon an zu verschwinden.Von hinten nach vorne. Erst die Extremitäten. Langsam zerfiel er.
„Du. Du bist kein Mensch.“
Alex sah ihn mit ernster Miene an. „Auffallend richtig.“, sagte er kalt.
Als der Dämon vollkommen verschwunden war, lief die Zeit weiter, wie normal. Er ließ Patrizias Kopf los und setzte sich auf den Boden. Sofort tackelte Arthur ihn und verrenkte Alex' Arm.
Patrizia sah dem Schauspiel zu, als wäre sie an einem anderen Ort. Alex sah sie mit einem lächelnden Gesicht an.
„Keine Sorge. Es ist vorbei. Sie werden wohl auch jetzt gut schlafen können.“
Sie fing an, zu schluchzen. Arthur lief zu ihr und nahm sie in den Arm. Es war, als würden jahrelange zurückgehaltene Erinnerungen und Gefühle auf einmal auf sie einbrachen. Ohne Vorwarnung wurde sie weggespült in einem Meer, das ihre Kehle zuschnürte.
„Was hast du getan?!“ Als Arthur sich umdrehte, war Alex verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen.
In den nächsten Wochen passierte mit Patrizia einiges. Sie quittierte den Dienst. Nicht ganz freiwillig, da ihr Verhalten als Nervenzusammenbruch gewertet wurde. Doch irgendwie war sie glücklich.
Sie erwachte aus ihrem tiefen Schlaf. Einen kurzen Moment dachte sie, es würde wieder mit ihren Schlafstörungen anfangen. Dann hörte sie aber weiterhin Geräusche aus ihrer Küche. Langsam näherte sie sich.
„Was zur Hölle machen Sie denn hier?“
„Ich mache mir ein Sandwich. Sieht man doch.“, sagte Alex und schüttelte seinen Kopf. „Warum muss ich Ihnen denn immer das Offensichtliche erklären? Ihre Wohnung gefällt mir übrigens“
„Ja, ich konnte endlich streichen.“
„Ich habe gehört, dass sie letztens viel Freizeit haben. Tut mir leid.“
„Braucht es nicht. Es geht mir besser so.“
Alex riss die Augen auf. „Das sollte es auch! Immerhin hatte ich ganz schönen Ärger mit Ihnen.“
„Was das betrifft.....“
Alex sah sie mit einem Gemisch aus Mitleid und Erleichterung an.
„Hören sie. Je weniger sie wissen, desto besser.“
„Vermutlich. Endlich kann ich eine ganze Nacht durchschlafen.“
„Natürlich können Sie das. Es bereitet sich ja niemand merh darauf vor, in andere Körper zu schlüpfen, um alle möglichen Straftaten zu verüben, an denen man sich satt fressen kann. Sie haben ihre Ruhe. Müssen sie wirklich mehr wissen?“ Sie senkte ihren Blick.
„Nein. Nein, ich schätze nicht. Aber eine Sache muss ich wissen: War es echt? War es echt oder hatte ich eine Halluzination, einen Nervenzusammenbruch oder irgendwas in der Art?“
„Mh.“ Alex dachte einen Moment nach. „Was echt ist und was nicht, darüber habe ich schon lange aufgehört nachzudenken. Akzeptieren Sie einfach, womit Sie am besten leben können. Denn nur darauf kommt es an. Und für alles andere, haben Sie ja mich“
Als sie wieder nach oben sah, war Alex verschwunden. Auf dem Tisch lag ein Stück Papier. Darauf war Dankeschön gekritzelt.
„Er hätte wenigstens aufräumen können.“, sagte sie und ging zurück ins Bett.
Alex nahm den Post-it Zettel von seiner Brust, dass er wieder sichtbar wurde. Er machte eine Handbewegung, bis Runen auf den Wänden anfingen zu glühen.
„Jetzt kann es wenigstens nicht wieder passieren. Zieh bloß nicht so schnell um.“
Er biss in sein Sandwich, öffnete das Fenster, kletterte hinaus und verschwand.
Utopia Re: - Zitat: (Original von BuecherDrache am 22.12.2012 - 19:18 Uhr) Wie ich schon sagte der erste Krimi den ich mochte. Intressant und spannend so muss es sein. Ich mag Alex sehr, ich finde ihn sympatsich ^^ Ich hoffe du schreibst noch weitere Geschichten mit ihm^^ Und durch deine Verbesserung versteht man nun auch mehr, gute Arbeit. Ich habe aber endeckt das manchmal der falsche Buchstabe an einer stelle steht oder ein Wort fehlt. Aber das Problem kenn ich selbst wenn man etwas in den Pc ein tippt xD Gefällt mir aber trotzdem irgendwie nicht so richtig. |
BuecherDrache Wie ich schon sagte der erste Krimi den ich mochte. Intressant und spannend so muss es sein. Ich mag Alex sehr, ich finde ihn sympatsich ^^ Ich hoffe du schreibst noch weitere Geschichten mit ihm^^ Und durch deine Verbesserung versteht man nun auch mehr, gute Arbeit. Ich habe aber endeckt das manchmal der falsche Buchstabe an einer stelle steht oder ein Wort fehlt. Aber das Problem kenn ich selbst wenn man etwas in den Pc ein tippt xD |