Beschreibung
eine Radtour, wie sie verträumter nicht sein kann
„Spinne, aufstehen! Es wird langsam Zeit!“, ruft Oma Trudi fröhlich und klopft forsch an die Zimmertür ihrer Enkelin Sabine.
„Noch fünf Minuten kuscheln“, nuschelt die Zehnjährige, dreht sich auf die Seite und wickelt sich schlaftrunken das Kopfkissen um die Ohren.
Konrad, Vati und Mutti wuseln um die Drahtesel herum. Schon bald ist alles für die Radtour durch den Wald in Taschen und Beuteln auf den Rädern verstaut. Auf Vaters Gepäckträger klemmt Trudis große bunte Picknickdecke, die sie in liebevoller Kleinarbeit aus verschiedenen Stoff- und Wollflicken eigens für Picknicks den Winter über zusammengefummelt hat.
„Vergesst Asta nicht!“, ruft Oma.
Konrad holt die vor Freude jaulende und herumspringende junge Bernasennhündin aus dem Zwinger, leint sie an, wickelt sich das Ende der Leine ums Handgelenk und wartet am Fahrrad auf den Start. Endlich! Los geht es!
Nach etwa einer Stunde wird der Wald dichter und dichter, ein Weiterkommen scheint unmöglich.
„Ich glaub, wir haben uns verfahren. Der Weg hört hier auf, als hätte man ihn abgehackt“, brummt Vati verdrießlich und alle steigen enttäuscht von den Fahrrädern.
„Am besten, wir stärken uns erst mal und versuchen dann den richtigen Weg zu finden“, schlägt Oma aufmunternd vor.
Gesagt, getan. Omas Decke kommt jetzt zum Einsatz und die Köstlichkeiten, die die Frauen gestern Abend zubereitet haben, liegen bald appetitlich auf Papptellern in der Mitte der Decke. Jeder hockt sich auf den Deckenrand, wo es ihm gerade gefällt. Konrad schnappt sich als erster gierig ein Hühnerbeinchen.
Es knackt laut. Erschrocken starren alle mit offenen Mündern in die vermeintliche Richtung.
„Vielleicht ein Tier, dass unser gutes Essen gerochen hat“, wehrt Vati ab, lacht und beißt herzhaft in sein Schnitzel.
Konrad nagt genüsslich sein Hühnerbein ab und legt schon mal ein zweites auf seinen Pappteller. Plötzlich schraubt er entsetzt seine Augen raus, zeigt mit dem Finger auf seinen Teller und stammelt: „Da, da hat gerade irgend etwas mein Hühnerbein geklaut.“
Mutti schmunzelt, sie kennt nur zu gut Konrads Verfressenheit, die auch äußerlich nicht zu verleugnen ist.
Asta legt sich flach auf den Boden, beginnt zu winseln und ihre Ohren zeigen Angst.
„Hier stimmt was nicht. Asta lässt sich doch so schnell nicht aus der Ruhe bringen“, brummt der Vater, leckt sich das Fett von den Finger, reibt den Rest in die Hände, steht schnaufend auf und wendet sich zu Konrad. „Los komm, Junge! Wir werden der Sache jetzt auf den Grund gehen.“
Schon stiefeln beide los. Als sie außer Sichtweite sind, knackt es wieder. Sabine glaubt kaum, was sie sieht und ruft ganz begeistert: „Ein Waldmännchen!“
„Da sind ja noch mehr!“, amüsiert sich Oma, stupst Mutti gegen die Schulter und zeigt in einen dichten Busch vor ihnen. Gemeinsam locken sie nun die kleinen Wichte. Kurze Zeit später sitzen sie umringt von vielen kleinen Wesen und schauen vergnügt zu, wie diese den Inhalt des Picknickkorbes bis auf den letzten Krümel flink verspachteln. Mit dem Kopf auf den Vorderpfoten schaut Asta dem Treiben gelassen zu, ihre Schnauze scheint zu grinsen.
Vati und Konrad kommen zurück, wobei sie hitzig diskutieren. In Windeseile hopsen die Kerlchen in den nun leeren Picknickkorb oder verstecken sich hinter den Frauen.
„Och nööö!“, nörgelt Konrad enttäuscht. „Habt ihr etwa alles aufgegessen?“
„Nicht wir“, lacht Mutti, „sondern unser Besuch.“
Nun purzeln die Kobolde aus dem Korb und kommen zaghaft aus den Verstecken hervor. Vor lauter Überraschung plumpsen Vati und Konrad auf ihre Hosenböden.
„Ich bin Hitzliputz“, piepst eine helle Stimme aus der Mitte. Die Wichte schauen aus lustigen Augen zu den „Riesen“ empor und ihre ungewöhnlich liebevolle Art macht sie augenblicklich zu guten Freunden.
Es ist schon später Nachmittag, Zeit zum Abschiednehmen. Hitzliputz trommelt nach altem Koboldbrauch mit einem Hölzchen gegen einen Baumstamm. Das Trommeln geht über in Klopfen.
„Spinne, jetzt steh aber endlich auf! Du verpasst noch unsere Radtour“, schimpft Trudi ungeduldig und pocht energisch gegen die Tür.
Sabine rappelt sich mühevoll aus dem Bett, reibt sich die Augen und murmelt lächelnd: „Schade! Das hab ich ja alles nur geträumt.“