Romane & Erzählungen
Das Goldene Zeitalter - Kapitel 8

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"Das Goldene Zeitalter - Kapitel 8"
Veröffentlicht am 10. November 2012, 4 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.
Das Goldene Zeitalter - Kapitel 8

Das Goldene Zeitalter - Kapitel 8

Einleitung

Ein sogenannter sonntäglicher "Gottesdienst", wie er beim Fortschrittlichen Utilitarismus ausieht. Titelbild: www.pixelio.de/©Gerd Altmann/PIXELIO

Es ist Sonntag. Dieser Tag steht allen Menschen zur freien Verfügung, zumindest hat man mehr Freiraum. Wichtig ist es allerdings, dass man am Morgen in den Tempel geht. Es ist sogar verboten nicht im Tempel zu erscheinen, es sei denn, man muss auch am Sonntag arbeiten, wie die Mitarbeiter der großen Zentralen und in den Krankenhäusern. Doch dafür bekommen sie den sogenannten „Gottesdienst“ übertragen über Fernsehgeräte, denn solange die Gottesdienste laufen gibt es kein anderes Fernsehprogramm mehr und das trotz Zeitverschiebung auf der Welt, was bedeutet, dass man schon zuvor in Nordamerika kein anderes Programm mehr empfängt als Gottesdienstübertragungen.

Nicht zum Gottesdienst zu erscheinen, oder aus keine wichtigen Grund der Übertragung fern zu bleiben wird mit einer empfindlichen Geldstrafe von 100 Wertmarken belegt, was bei einem durchschnittlichen Einkommen, was ja fast das Normaleinkommen war, ungefähr 25 Wochen keine Wertmarken bedeutete. Da es aber so gut wie unmöglich war dieser wichtigen Veranstaltung fern zu bleiben bzw. keiner diese Strafe erhalten wollte, blieb man ihr nicht fern.

Bevor wir uns den Vorgängen im Tempel zuwenden, den Fjodor Mandzukicz betrat, wollen wir einen Blick auf das internationale Recht werfen, das wir ja schon verschiedentlich angesprochen haben.

Wie Sie, geneigter Leser, vielleiht wissen gibt es eine internationalen Rechtsbereich auch bei Ihnen, was aber missverständlich ist. Denn es gibt in dem Sinne kein einheitliches Recht, sondern verschiedene Nationale Rechtsordnungen, wo man dann, im Zuge von Kollisionsregeln, entscheiden muss, welches Recht nun im Streitfall anzuwenden ist. Dies hat man auf der Weltkonferenz von 2016 über Bord geworfen, denn wenn man einmal alles regelt, dann befand man auch, dass man ein einheitlich, weltweit geltendes, Recht schaffen müsse. Und so schuf man ein weltweit geltendes Straf-, Verwaltungs- und Zivilrecht eingeführt. Das ist aber änderbar bzw. erweiterbar, allerdings dürfen diese Änderungen nur durch die Experten der Weltrechtszentrale vorgenommen werden, nachdem man die Änderungen öffentlich publiziert hat, weil man den vorherigen Klageweg eröffnen will. In den wenigsten Fällen kam dies aber vor, denn im Allgemeinen sind die neuen Gesetze vollkommen konsistent mit der Grundeinstellung der Gesellschaft und spiegeln die aktuelle Rechtssprechung sowie die herrschende Lehre wieder, wobei man immer versucht beides möglichst gleich zu halten.

Bei den Bestrafungen muss man den doppelten Sinn des Strafrechts sehen, den man auch noch heute genauso lehrt, wie führende Strafrechtler dies schon vor dem Totalen 3. Weltkrieg taten. Einerseits schrecken die rigiden Strafen ab, haben also ein präventives Element. Andererseits wird man während der Haft „resozialisiert“ (umerzogen), wobei man den Häftlingen in dieser Zeit ihrer elementaren Fähigkeiten beraubt, wie der Freizügigkeit, oder ihren Tagesablauf in Eigenverantwortung zu gestalten. Zudem ist die Höchststrafe 25 Jahre und es gibt keine Todesstrafe, was man einigen mächtigen Vertretern der anderen Ansicht seinerzeit erst in langem Ringen klarmachen musste, damit sie dem zustimmen sollten. Dies beruht beides auf dem Prinzip der Hoffnung, dass man irgendwann wieder freikommen muss als Täter.

Aber wenden wir uns dem Geschehen im Tempel selbst wieder zu.

Die Wände waren vollkommen weiß gestrichen, wie überall. Die Strahlkraft das Weiß blendete den Besucher förmlich beim Eintreten. Die Fenster waren groß, allerdings nicht aus Buntglas bestehend, wie man es häufig in Kirchen findet, denn man sah keinen Grund dafür irgendwelche berühmten Glaubensstifter auf solchen Fensterscheiben zu verewigen.

Die Bilder dieser Menschen hingen in goldenen Rahmen über dem großen Altar. Die Glaubensstifter waren natürlich weder Jesus, Buddha, Mohammed, etc., denn eben diese Religionen hatten ja auch ursächlich für den Krieg gestanden und zu ihm geführt. Weshalb man neue Religionsstifter hatte, wobei diese nicht metaphysischem Ursprungs waren.

Diese neuen Oberhäupter des Aufgeklärten Utilitarismus waren Jeremy Bentham und John Stuart Mill, die den ursprünglichen Utilitarismus begründeten. Deren Schriften gehören zum Kanon an jeder Schule, weshalb jedes Kind die beiden kennen muss. Von ihnen leitet sich das gesellschaftliche Leitbild ab. Wenn man etwas tat, dann musste es den größten Nutzen für alle haben, denn das Individuum und seine egoistischen Belange waren immer nachrangig gegenüber den Belangen der Gemeinschaft.

Ehrfurchtsvoll setzte sich Fjodor auf eine der beheizten Bänke. Neben ihm nahmen zwei Herren Platz, die, ebenso wie er, ihre besten Anzüge aufgetragen hatten. Hier kam man zusammen, hier traf man sich, die Gottesdienste, die übrigens nur so hießen, weil man ein paar Überbleibsel von früher nicht vollkommen abschaffen wollte. Zu solchen wichtigen Anlässen zeigte man sich nicht in normaler Alltagskleidung, denn man stellte etwas dar.

Über ihren Köpfen hing ein vergoldeter Kronleuchter. Doch nicht nur einer, denn überall im Tempel hingen sie von der Decke. Manche Personen machten sich auf dem Weg nach oben, wo man dann sitzen konnte. Die Techniker überprüften das kleine Kragenmikrophon des Redners noch einmal, der bald seine mitreißende Rede würde halten.

Das Amt des Geistlichen war das einzige höhergeistige Amt, welches auch Proletarier innehaben konnten, denn man wollte auf gar keinen Fall den Aufwand betreiben jeden Sonntag eine ganze Kompanie von Geistlichen aus dem Norden in den Süden zu karren, was auch logistisch fast unmöglich war, also hatte man sich auf diesen Kompromiss geeinigt. Dafür arbeiteten die Geistlichen normalerweise auch als ganz normale Proletarier in den Fabriken und nur am Samstag bekamen sie frei um sich auf den Sonntag vorbereiten zu können, was bedeutete, dass die Ausbildung neben der herkömmlich staatlich vorgesehenen stattfand, was nicht jeder wahrnahm. Zudem hatte man äußerst strenge Kriterien zu erfüllen, wie das natürliche Auftreten, das Stimmvolumen, die vollkommene Darbietung der Überzeugung der Worte, die man da sprach. Denn genau das sollte ja Ergebnis der Veranstaltung sein, dass alle gingen und noch mehr in ihrem gesellschaftsdienlichen Tun bestätigt waren und noch viel weniger darauf kamen, dass sie andere, dem fremde Dinge, taten. Und dazu waren Redner ungeeignet, der die Worte verkündeten, als würden sie nur darauf warten, dass sie endlich in ihren freien Sonntag starten konnten. Vielleicht ist der geneigte Leser selbst regelmäßiger Kirchgänger und hat sich schon mal über den uninspirierten Pfarrer echauffiert. In Zukunft wird dies nicht mehr geschehen, freuen Sie sich schon einmal darauf.

Ein lauter Gong ertönte. Alle erhoben sich, ausnahmslos gekleidet in ihre besten Kleider. Die Frauen trugen lange Kleider und Überhänge, die meist von hoher Qualität waren. Manche trug Hut, doch als der Geistliche in seinem langen, weißen Ornat eintrat nahmen sie alle die Hüte ab und würden sie auch bis zum Verlassen des Tempels nicht mehr absetzen.

Der Redner kreuzte die Arme vor der Brust und rief dann: „Heil, Bentham! Beständigkeit für alle!“, was die Menge aus voller Kehle erwiderte.

Dann erhob er erstmals seinen Blick. Das dunkle Haar hatte er fein säuberlich nach hinten gekämmt. Seine braunen Augen blickten fast scheu zu der großen Masse, die seine Worte gerade hatte erwidert, doch das war alles nur Show. Er begann leicht zu grinsen, als sich alle gesetzt hatten und Stille herrschte. Man hätte eine Nadel zu Boden fallen hören, so ruhig war man, denn man erwartete voller Ungeduld seine ersten Worte.

„Utilitare Genossen!“, rief er der Menge zu. „Gestern bin ich einem Mann begegnet, der wusste viel von der Geschichte. Ja, er wusste wahrlich sehr viel, muss ich sagen. Er kannste die naturzustände, als hätte er selbst in ihnen gelebt. Das mag ja die Aufgabe eines solchen experten sein, aber wisst ihr was? Die Krönung dessen war, das er mir sagte, er würde gerne mal nur für einen Tag in jedem dieser Zustände leben um zu erfahren wie das sei!“

Er stieg mit großen Schritten zwischen den Reihen hindurch.

„Könnt ihr euch das vorstellen?!“, fragte er das Publikum, das mit einem dröhnenden „Nein!“, antwortete.

„Oh, Brüder und Schwestern, wie Recht ihr doch alle habt! Doch was wäre ich für ein guter Bürger, wenn ich ihm nicht seinen Fehler hätte ausgeredet“, sprach er fast niederwürfig um zu verdeutlichen, dass er nur ein kleines Licht war im Angesicht der Gemeinschaft.

„Aber bevor ich euch diese Geschichte erzähle, wollen wir „Anarchy In The UK“ von den Sex Pistols anstimmen!“, rief er aus und die Kapelle im Hintergrund begann zu schrammeln.

Selbst die Atheisten unter den Lesern werden jetzt ungläubig die Köpfe schütteln. Wie man nur so ein Lied anstimmen kann, werden sie nicht zu Unrecht fragen, zumindest aus ihrer Sicht heraus.

Dazu muss man die Kontroverse der Anfangsjahre, was die Musik angeht, kennen. 2026 war man sich ebenfalls sicher, dass man in der Musik klären musste, was noch akzeptabel war am vorhandenen Bestand. Für die Gottesdienste und überhaupt kam man schnell überein waren religiöse Lieder im herkömmlichen Sinne sofort zu verbieten, denn sie vermittelten eine falsche Botschaft, nämlich von der guten kraft z.B. des Christentums, die es aber eben nicht geben durfte, also waren es sogenannte Lügenlieder, die verboten worden sind.

Bei den anderen Liedern entbrach die Kontroverse darüber, was man spielen konnte und was nicht. Einig war man bei den Liedern, die sich gegen das alte System richteten. Vor allem Punk war sehr bevorzugt. Alle anderen Lieder, also vor allem die Liebeslieder waren lange umstritten.

Die eine Meinung ging davon aus, dass man sie nicht verbieten sollte, denn solche Lieder zeigten doch gerade die Schwäche der alten Gesellschaft, wenn man sich die Welt durch liebe schön machen musste und in andere Welten fliehen musste, weil die eigene so schlimm war.

Die andere Seite fand, man müsse auch diese Musik verbieten, weil sie eben den Zuhörern die falschen Signale sendete, denn auch die Liebe sollte gemeinschaftsdienlich sein, was bedeutet, dass man auch durch sie seine Pflichten nicht vergessen sollte. Wenn man aber eben solche Lieder spielte, dann übermittelte man ja gerade die falsche Botschaft. Man zeigte, dass man auch in den Zeiten des Sekundären Naturzustandes glücklich sein konnte, was aber eben nicht als Ergebnis zu deuten war.

Nur ein Kompromiss dieser beiden Gruppen konnte zu einem tragbaren Ergebnis führen. Man beschoss, dass die trivialen Schnulzen zu 20% gespielt werden konnte, die wichtige Musik zu 80% genauso achtete man darauf, dass neue Musikstücke dieses Verhältnis einhielten.

Das ergab manchmal ganz lustige Ergebnisse, denn z.B. war „Tomorrow Never Knows“ verboten, während man „Imagine“ praktisch als Hymne der neuen Zeit ansah, die aber beides Lennonkompositionen waren. 

Nachdem das Lied verklungen war stallte sich der Redner wieder auf und beschwor mit seinen Armen große Bögen in der Luft.

„Da sagte ich ihm, dass er das doch unmöglich könne ernst meinen, doch er bestätigte seinen Wunsch sogar noch! Es war unglaublich!“, rief er empört.

„Also klärte ich ihn auf. Im Primären Naturzustand lebten wir alle in einem ständigen Krieg gegeneinander. Alles war ungeordnet und verschiedene glaubten sich über andere hinwegzusetzen. Die Stärkeren unterdrückten die Schwachen, nahmen ihnen, was diese besaßen. Und das will man also erleben?! Ich frage euch alle, steht euch denn der Sinn danach? Wollt ihr alle nur einen Tag lang erleben, wie euer Nachbar, der doch so friedlich ist, euch einfach bestiehlt? Dass er euch verprügelt, euch nicht achtet, dass es keinen Staat gibt, der über euch wacht? Ich glaube es nicht, dass ihr das wollen könnt, oder irre ich mich da?!“

Die Gemeinde rief empört, dass sie das auf gar keinen Fall gut finden konnte.

Hierzu eine kurze Erläuterung. Der sogenannte Primäre Naturzustand ist dem des Thomas Hobbes nachempfunden, besser gesagt beschreibt genau seinen. Darum ist Hobbes Werk auch heute allen zugänglich, damit man sehen kann, wie man sich aus diesem Zustand befreien konnte hin zur Zwischenstufe auf dem Weg zur aktuellen, perfekten Gesellschaft.

„Das leuchtete ihm schnell ein, aber dann wollte er trotzdem noch in den Sekundären Naturzustand zurück, nur für einen Tag, das sei hier nochmal erwähnt. Und mir war immer noch unwohl zu Mute, ihr könnt es euch wohl vorstellen! Der Zustand, in dem die Menschen Staaten gebildet haben, weil sie merkten, dass es gut ist, wenn da einer ist, der auf sie aufpasst, der über sie wacht, für den sie auch Pflichten erfüllen müssen. Ja, diese Wohlordnung erscheint zuerst gut. Doch wollt ihr in einer Welt leben, die so zersplittert ist wie ein Puzzle? Wo jeder nur seine Interessen sieht? Wo das Wohl des Einzelnen, eigenen Staates mehr zählt als das Wohl der Gemeinschaft? Wo genau dieses politische Denken auch auf seine Bürger niederschlägt und auch diese lebende Egomanen sind?!“

Erschrocken sog man die Luft im Tempel ein. Nur wenige konnten sich vorstellen nur für die eigenen Ziele zu leben und nicht primär für die Gesellschaft. Der sogenannte Sekundäre Naturzustand bezeichnet die Zeit von den ersten Stadtstaaten der Antike bis zum Ende des Totalen 3. Weltkrieges.

„Eine Zeit, in der die Menschen sich gegenseitig knechteten, wo sie durch Literatur und Musik in eine Phantasiewelt entfliehen mussten, weil sie die eigene n Realität nicht ertragen konnten! In eine solche Welt wollt ihr doch nicht, in eben diese Welt, wo es noch keine weltweite Ordnung gab und alles drunter und drüber ging, in genau diese Welt, die glaubte so perfekt zu sein und schließlich mit dem großen letzten Krieg ihr Ende fand. Dort, wo noch die falschen Religionen angeblich Liebe predigten und dann doch ursächlich mitverantwortlich waren für das Ende dieser Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die noch lange nicht so weit war, wie wir heute. Und das will man sehen? Das will man erleben? Nur für eine kurze Zeit lang dort sein und in dieser Zeit aber gleichzeitig dem Fortschritt und der Beständigkeit unseres Zeitalters, dem Goldenen Zeitalter, zu entbehren? Nein, also das kann ich nicht gutheißen und das sagte ich ihm mit diesen Worten! Und wisst ihr, was er antwortete?!“

Alle hielten den Atem an. Der Redner war permanent im Tempel herumgelaufen und sein Gesicht war puterrot, er schwitze und richtete seinen Blick nach oben, genauso, wie er seine Arme nach oben streckte, in Richtung der Bilder von Bentham und Mill.

„Dieser Mann hat mich gepackt, er hat mich umarmt und er hat geweint! Ja, er hat Tränen der Dankbarkeit vergossen, meine lieben Freunde! Geweint hat er, weil er so töricht war, weil er so törichte Wünsche hatte. Aber er weinte auch, weil er in mir den Menschen gefunden hatte, der ihn wieder auf den Pfad zurückbrachte, den unsere Gesellschaft präferiert. Ich habe ihn gerettet vor dem Zugriff staatlicher Behörden, weil er sich ungebührlich äußerte und benahm. Ich ersparte ihm einen jahrelangen Aufenthalt in einer Besserungsanstalt und hatte der Gesellschaft einen Dienst geleistet, indem ich einen Bürger wieder auf den rechten Pfad gelenkt habe!“

Die Zuhörer klatschten, ob dieser unglaublichen Tat. Auch wenn sie ausgedacht war, was sehr wahrscheinlich war, aber sie war perfekt verkauft worden und perfekt inszeniert. So sollte es sein und der Redner war dermaßen verausgabt, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen.

„Und so solltet ihr auch handeln, ja, wenn ein Genosse zu euch tritt und solche verqueren Ideen hat, dann solltet ihr ihn zur Seite nehmen und sie ihm nehmen, denn unsere Gesellschaft liefert euch die Argumente dafür, ja sie ist perfekt und wer möchte schon der Perfektion entbehren? Niemand! Also habt ein heißes Herz und einen festen Glauben an die Gesellschaft und ihr werdet selbst und auch den anderen immer wieder klar machen können, dass es keinen Zweifel an ihrer Herrlichkeit und Richtigkeit gibt. So hört auf Bentham und Mill, wenn ihr Zweifeln solltet!“

Er gab der Kapelle ein Zeichen.

„Und damit wollen wir enden mit „Imagine“ des Propheten Lennon.

Während das Klavier ertönte machten sich alle zum Singen bereit, erhoben sich und holten die Gesangtexte hervor. Wir wollen nun einmal ein paar ausgewählte Textstellen hernehmen und daran erklären, wieso dieses Lied so wichtig für die neue Gesellschaft ist.

„Imagine there’s no heaven […] No Hell below us/Above us only sky“

Allein schon dieser Beginn stellte die junge Generation vor ein Problem, welches der geneigte Leser nicht hat. Denn die Jungen kennen eigentlich nur den Fortschrittlichen Utilitarismus. Das System, dass es eine Hölle und einen Himmel gab war für die nicht mehr präsent, ebenso wie der Glaube an ein Leben nach dem Tod. Die neue Quasireligion war vollkommen säkular, also enthielt keine Metaphysis. Aus den kommentierten Ausgaben konnten sie dies entnehmen, allerdings wurde dieses System damit kritisiert, dass die Menschen an ein Leben nach dem Tod glaubten, damit sie einerseits zum utilitaren Leben angehalten waren und andererseits die Leiden auf Erden besser ertragen konnten. Beides wurde als deutliche Schwäche der vorherigen Gesellschaftsordnung angesehen.

„Imagine there’s no country […] Nothing to kill or die for/ And no religion, too”

Dass es keine Länder mehr geben sollte hatte man gewissermaßen bereits in die Tat umgesetzt. Die Verwaltungseinheiten existierten nur um eine gewisse Identität zu stiften und um die Verwaltung zu erleichtern, doch man hatte schon Pläne auch diese Grenzen immer weiter aufzuweichen, bis sie nur noch virtuell existierten. Dass man keinen Grund für Krieg dadurch mehr hatte sah man am aktuellen System, was tatsächlich Frieden stiftete und zwar dauerhaft, während man sich früher ständig bekriegte, weil man das Staatsgebiet eines anderen Staates einnehmen wollte. Dazu passte auch, dass man bereits erreicht hatte, dass alle Menschen „living life in peace“, auch weil es keine schädlichen Religionen mehr gab, die eine der Wurzeln allen Ãœbels waren, aber das hatten wir ja bereits ausführlich erläutert und jeder erkannte dies aus der Geschichte. Dieser Traum Lennons war bereits wahr geworden, weshalb man sich schon auf die Schulter klopfen konnte, dass man hier an seine Vorstellung der perfekten Gesellschaft herangekommen war.

„Imagine no possessions […] No need for grief or hunger/ A brotherhood of men”

Gut, eine Eigentums- und Besitzlosigkeit konnte man sich nicht vorstellen, denn man erkannte dies immer noch als wichtig an. Aber für Kummer und Hunger gab es in der Tat auch keinen Grund mehr. Die Idee des Allgemeineigentums hatte Lennon von Marx genommen, wobei man den historischen Kontext erklärte, dass dies damals wohl eine angemessene Utopie darstellte, aber eigentlich nicht funktionierte, denn der Mensch war zwar ein gesellschaftliches Wesen, aber doch immer darauf aus, dass gewisse Dinge ihm zugeordnet werden können. Und dies beachtete das neue System und schaffte doch die Probleme ab, konnte also weiter gehen als Lennons Vision.

„Imagine all the people sharing all the world“ und das taten sie wohl, die Welt zu teilen und zwar vollkommen friedlich in einer Gesellschaft. Und so hoben alle voller Stolz zu den letzten Worten an: „And the world will life as one!“

Als die letzten Töne verklungen waren spendete man den Musikern und vor allem dem Redner tossenden Applaus und ging beschwingt wieder nach Hause um den restlichen Tag auf seine individuelle Weise zu verbringen.

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RogerWright
Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.

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RogerWright Re: -
Zitat: (Original von Fianna am 03.05.2013 - 23:03 Uhr) Also mir stellt sich jetzt unweigerlich die Frage: Hast du schon als du begonnen hast, diese Geschichte zu schreiben, daran gedacht, Lennons Songtext einzubauen und damit deine Ausführungen noch besser zu untermauern oder ist das erst im Laufe des Schreibens gekommen? Die Übereinstimmungen zwischen dem Text und deiner Geschichte sind nämlich schon ziemlich groß.

Liebe Grüße
Fianna


Die Idee, das ich ja alles geplottet hatte, kam wirklich so nicht beim Schreiben, also sagen wir, die Grundidee "Imagine" als DAS Lied der neuen religion zu nehmen, die hatte ich seit Beginn. Aber dass ich jetzt die Gesellschaft auf das Lied hätte ausgerichtet, das stimmt nicht. Eher hab ich geschrieben, das Lied genommen und dann verglichen. Aber natürlich solte es untermauern und deshalb hab ich es ja genommen, weil es mir schon bei den Ideen in den Sinn kam, dass es passen könnte. Und es passt wirklich bestens.
Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Also mir stellt sich jetzt unweigerlich die Frage: Hast du schon als du begonnen hast, diese Geschichte zu schreiben, daran gedacht, Lennons Songtext einzubauen und damit deine Ausführungen noch besser zu untermauern oder ist das erst im Laufe des Schreibens gekommen? Die Ãœbereinstimmungen zwischen dem Text und deiner Geschichte sind nämlich schon ziemlich groß.

Liebe Grüße
Fianna
Vor langer Zeit - Antworten
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