Fjodor Mandzukicz geht seinem gesellschaftsdienlichen Dienst nach und dabei wird erklärt, warum es kein Geld mehr gibt. Titelbild: www.pixelio.de/©Gerd Altmann/PIXELIO
Waffe und Ausrüstung hatte Fjodor gegen seine Zivilkleidung getauscht. Doch auch für ihn war die Involvierung in die nicht wirklich freien Räder der Gesellschaft noch nicht beendet. Er saß in der Straßenbahn und fuhr seinem Bestimmungsziel für diesen Nachmittag entgegen. Ein Altenheim in Berlin.
Jetzt werden einige Leser aufspringen und dem armen Fjodor ihr Beileid aussprechen wollen, weil sie selbst ihre Angehörigen im Altenheim vielleicht günstig deponiert haben, aber keinesfalls freiwillig besuchen würden und schon gar nicht ihre Nachmittage darauf verschwenden würden. Wenn ich aber sage, dass dieser von ihnen Bemitleidete sogar  eine rege Freude daran hatte, diesen Dienst zu verrichten, dann würden einige wohl meinen, er sei verrückt geworden. Doch es hatte seine Gründe.
Diese älteren Damen und Herren waren froh über jede Art der Gesellschaft. Meist brauchten sie nur jemanden zum Zuhören. Und das war Fjodor sehr lieb, denn den ganzen Tag bis dahin hörte er nichts, außer den typischen Geräuschen der Stadt, das Knistern des Grenzzaunes, wenn man ihn unter Strom setzte und den eigenen Fußtritten. Das war auf die Dauer verdammt monoton, weshalb er diese Geräuschkulisse gar nicht wahr nahm, sondern nur ein gleichbleibendes Rauschen, das seine Gedanken in dieser Zeit untermalte. Hier aber konnte er einer lebendigen Stimme lauschen, oder gar mehreren. Allein das reizte ihn, dieser Kontrast. Er musste sich gar nicht selbst beteiligen, er musste nur passiv zuhören.
Daneben gab es aber noch einen schönen Nebeneffekt. Wie es ältere Leute zu tun Pflegen sprachen sie nicht von der Gegenwart, sondern immer nur von der Vergangenheit. Und so erfuhr der wissbegierige Frederik eine ganze Menge über die Anfänge jenes Goldenen Zeitalters, die noch nicht ganz so golden waren, weil man nach einer Katastrophe vom Ausmaße des Totalen 3. Weltkrieges erst einmal eine Menge Dinge vollkommen neu aufbauen musste. Dazu kamen die Schwierigkeiten der Anpassung auf ein vollkommen neues Gesellschaftssystem, das dass bekannte Denken der Überlebenden jener Katastrophe gänzlich über Bord warf und das auch von ihnen verlangte, was aber schwer zu realisieren war. Zudem war damals nicht jeder, was sich heute eigentlich nicht mehr denken lässt, von dieser vollkommenen Ordnung nicht zufrieden. Man berichtete von Sprüngen über die Grenzzäune, die man gerade hochziehen wollte. Eine vollkommen surreale Vorstellung, weshalb man nicht in diesem korrekten System leben wollte, weshalb man die gegebene Ordnung dadurch durchbrechen wollte, dass man seinen rechtmäßigen Platz verließ.
Und dann natürlich die Geschichten von den ersten Jahren, in denen man noch manchen Mangel litt, bevor man wieder ein vollständig funktionierendes Versorgungsnetz aufgebaut hatte und die Empörung über die Einfrierung menschlichen Lebens. All diese Aufstände der ersten Generation nach der Stunde Null konnte die herrschende Meinung der Geschichtsforscher vollständig erklären. Wenn noch nicht alles vollkommen funktioniert neigt der Mensch dazu keine Fortschritte, sondern nur die Fehler zu sehen und darauf entsprechend negativ zu reagieren. Zudem hatte man die Größe des neuen Systems noch nicht verstanden, was sich aber schnell ändern sollte. Die letzten Proteste ereigneten sich 4 Jahre nach der großen Weltkonferenz, also 2030. 82 Jahre voller Ordnung und Zufriedenheit hatte die Welt seit dieser Zeit erlebt und würde noch viele Jahrzehnte und Jahrhunderte erleben, wenn man auch den Einschätzungen der Alten glaubte, die meist ein paar Jahre nach diesem letzten großen Aufstand geboren worden sind.
Fjodor stieg an der Haltestelle aus und begab sich in die Seniorenresidenz.
Alles hier war sauber und groß. Die Gänge waren extra breit, dass problemlos sogar 3 Rollstuhlfahrer nebeneinander fahren konnten. Alles war in hellen Farben getüncht, nirgendwo sah man dunkle Farbtöne oder grau. Wie überall waren große Teile der Fassade aus Hochsicherheitsglas, so dass viel Licht hindurch scheinen konnte. Die Bilder an der Wand zeigten fröhliche Familienszenarien und schöne Landschaften. Wenn man es nicht besser wusste, würde man diesen Ort nicht für ein Altenheim halten, zumindest nicht Sie, geneigter Leser, der doch ganz andere Zustände in solchen Einrichtungen kennt.
Fjodor meldete sich bei der Rezeptionsdame an, die ihn vermerkte. Alles musste nachweibar sein, denn es war kein reines Vergnügen, auch wenn Mandzukicz so empfand. Die Pflege der Alten war einerseits die Erhaltung des Gedächtnisses der Welt, denn diese Menschen kannten gewisse Zustände noch aus eigenen Erfahrungen und nicht aus Schulbüchern. Sie waren deshalb für die Geschichtsforscher von enormem Wert. Aber auch die Politologen konnten sie nützlich sein, denn sie halfen dabei zu ergründen, wie gut das System funktionierte bzw. was einst nicht gut lief, also was man auf gar keinen Fall zulassen durfte, wenn man nicht wieder in die alten Zustände zurückfallen wollte.
Fjodor klopfte an der Tür von Herrn Döring, seinem zugewiesenen Senioren.
„Herein!“, rief es fröhlich von innen.
Fjodor trat in ein Zimmer, welches geschmückt war mit lauter Blumen. An den Wänden hingen lauter Vasenartige Töpfe, in denen ebenfalls Blumen steckten, neben den Blumen in den üblichen Gefäßen auf Tischen und auf dem Boden. Herr Döring war einst Gärtner gewesen und züchtete in den Vasen auch weiterhin Blumen, wobei er die Zucht nicht mehr in dem Stile wie früher betreiben konnte, als er noch eigene Gewächshäuser hatte. Die Familie schenkte ihm aber immer noch eine ganze Reihe Blumen, die sein Zimmer förmlich fluteten. Gewisse Pfade ließ man frei, damit er sich noch darin bewegen konnte.
„Ah, Fjodor!“, rief er freudig und umarmte den Wächter.
Klaus Döring war einen ganzen Kopf kleiner als Fjodor, rundlich mit feisten Bäckchen und kurzen, grauen Haaren. Seine Augen blickten hinter wulstigen Lidern und buschigen Brauen hervor, die aber selbst ein Glitzern hatten, wie man es nur selten sah. Klaus hatte eine Lebensfreude, wie sie in dieser Zeit pathologisch war für die ältere Generation. Alles war zu schön und wohlgeordnet, als das man sich nach dem Ende sehnte. Vor allem, weil diese Generation noch widrigere Umstände kannte. Deren Kinde kannten solche Zeiten nur noch im geringeren Maße und die Enkel gar nicht mehr.
„Und Herr Döring, wie geht es?“
„Bestens, ich könnte Bäume ausreißen, mein Junge! Und wenn ich ein paar Jahrzehnte jünger wäre, dann wäre die flotte Schwester, die ich habe, auch dran. Dann würde ich ihre Welt aus den Angeln reißen, du weißt doch was ich meine?“
Er grinste anzüglich, was aber durch sein fröhliches Gesicht fast charmant anmutete, zumindest aber lustig und nicht frivol.
„Herr Döring, bitte“, ermahnte ihn der junge Mann und sie setzten sich in die Sessel, welche sich gegenüber standen.
„Und, was macht der Job?“, fragte der Senior unbefangen.
„Naja, so wie immer, eigentlich. Recht eintönig möchte ich sagen, aber es ist eine wichtige Arbeit und notwendig zum Erhalt des Systems und der vorgegebenen Ordnung. Und man wird von überall her dafür bewundert. Also kann man die Eintönigkeit auch gerne in Kauf nehmen.“
Der Alte nickte.
„Mein Bruder war auch Wächter, hab ich das schon mal erzählt?“
Hunderte Male, aber Fjodor war jedes Gespräch willkommen und Herr Döring konnte in der Tat sehr gut erzählen, also verneinte er. Und irgendwie merkte man dem Mann an, dass er wusste, dass er die Geschichte schon häufig erzählt hatte, denn seine Augen blitzten verschmitzt. Doch kannte er das Bedürfnis nach Konversation solcher Gruppen, bedingt durch seinen Bruder. Also tat er Mandzukicz gerne den Gefallen.
Ja, 2052 ist er eingestiegen in den Dienst. Ich weiß noch wie stolz unsere Mutter war, als er verkündete, dass er die Ausbildung gemeistert habe und am Grenzzaun nun patrouillieren würde. Sie hat Tränen der Freude geweint, die gute Frau. Unsere Mutter war damals eine der wenigen Frauen in unserem Viertel gewesen, die sich sofort mit dem neuen System arrangiert hatte. Sie war sehr weise musst du wissen. Denn viele Frauen sahen beispielsweise die Meldung von ungeschütztem Geschlechtsverkehr als hinderliches Ãœbel an. Weil sie eben nicht den Sinn dahinter verstanden, oder ihn nicht verstehen wollten. Natürlich begehrte niemand dagegen auf, aber zu Hause und an den Stammtischen zerriss man sich die Mäuler. Es dauerte noch eine Weile, oder besser gesagt, erst ihre Kinder, also meine Generation, verstanden die Vorteile dieser neuen Ordnung vollkommen und begannen vollkommen zufrieden zu werden. Und mein Bruder war genau wie du, ja, ich erkenne ihn in dir wieder, mein Kleiner. Immer fragte er uns aus, was wir taten, wie es uns ging etc. Zuerst waren wir alle verwirrt wieso er immer so viel von uns erzählt bekommen will, wo wir doch schon ein wenig müde waren und eigentlich nicht erpicht darauf waren von unserem Tagewerk zu erzählen. Aber dann erzählte er uns von seiner Arbeit und wir verstanden. Naja und so vollzog er bis zu seinem 60. Lebensjahr seinen Dienst und schied dann, wie alle anderen, aus dem Arbeitsleben aus. Vor 4 Jahren ist er dann im Alter von 75 Jahren verstorben.“
Klaus Döring wurde kurz still, wie er es immer tat, wenn er von seinem verstorbenen Bruder gesprochen hatte.
„Enzschuldigen Sie, soll ich etwas für Sie erledigen?“, fragte Fjodor verlegen. Sofort war der alte Mann wieder munter.
„Ja, einkaufen kannst du für mich gehen, Jungchen!“
Er reichte Fjodor seine Essensmarken.
„Da muss ich die nicht dem Herrn geben, der normalerweise die Marken einsammelt und für alle einkaufen geht. Zudem Bist du dann erst einmal beschäftigt, nicht dass ich deine Gesellschaft nicht genießen würde, im Gegenteil. Aber wenn ich lange allein bin kommt die süße Schwester wieder rein und setzt sich zu mir.“
Beide mussten laut lachen.
„Na dann, Waidmanns Heil bei der Schwester!“, wünschte der Wächter und war schon im gehen begriffen, als ihn Klaus noch einmal zurückrief.
„Bevor du gehst wollte ich dir noch etwas ganz Besonderes zeigen. Sieh dir mal das an.“
Aus seiner Hosentasche kramte er ein 2 Euro Geldstück hervor.
„Was ist das?“, fragte Fjodor und nahm die Münze vorsichtig in die Hand. Er betrachtete sie von allen Seiten, als wäre sie ein wertvolles Artefakt, was sie, wie man noch sehen wird, in der Tat auch war.
„Das ist Geld, mein Sohn. Meine Mutter hat mit so etwas noch bezahlt, nicht wie wir heute mit Essensmarken.“
„Aber, hier steht doch gar nicht, was man dafür bekommt!“
„Natürlich nicht! Aber das erklär ich dir später mal, wie das mit dem Bezahlen funktionierte. Meine Mutter hat es noch gewusst und uns allen erzählt. Wir waren ebenso verwundert wie du eben. Man konnte Dinge kaufen für 2 Euro, also die diesen oder einen geringeren Wert hatten. Nicht wie heute, wo wir Essens- und Wertmarken haben um unsere Sachen zu kaufen. Aber wenn ich damit anfange dir das zu erklären, dann bist du bis morgen früh nicht losgezogen um meinen Wocheneinkauf zu erledigen. Also, husch! Und gibt mir das Geldstück wieder!“
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Fjodor ging wie hypnotisiert in eines der Einkaufzentren, welches von der Seniorenresidenz nur einen Fußmarsch von 5 Minuten bedeutete. Dort steckte er die Essenmarke in ein Lesegerät, die diese schluckte und einen Bon ausdruckte, auf dem alles stand, was Herr Döring in dieser Woche an Nahrungsmitteln erhielt, mit seiner persönlichen Kennnummer und dem Wochendatum. Bewaffnet mit dieser Liste schlenderte Fjodor durch diesen gewaltigen Tempel des Konsums und besorgte in den jeweiligen Geschäften alle Dinge auf der Liste, die, nach jedem Geschäftsbesuch, durch eine Maschine von der Liste gestrichen worden, so dass man nicht mehr einkaufen konnte, als einem zustand. Zudem registrierte die Maschine, dass nicht der Empfänger, sondern ein von ihm eingesetzter Bote die Einkäufe erledigte. So konnte man sofort nachweisen, denn die Daten wurden natürlich gespeichert, wenn sich der vermeintliche Empfänger der Einkäufe beschwerte, seine Sachen nicht erhalten zu haben, wer sie gekauft hatte und nicht abgeliefert hatte. Der Schuldige musste zur Strafe auf seine wöchentliche Essensmarke verzichten. Sollte dies ein Dieb mehrerer Marken gewesen sein müsste dieser entsprechend so viele Wochen auf seine Nächste warten, wie er missbraucht hat. Da dies einer längeren Fastenkur gleichkam kamen solche Straftaten niemals vor, weil es auch keinen Grund dazu gab.
Fjodor war am Ende seines Einkaufs mit 4 großen Taschen behängt. Das war viel mehr, als der Alte normalerweise innerhalb einer Woche verkonsumieren konnte. Niemand litt Mangel, also war der Diebstahl von Essensmarken ein vollkommen sinnloses Unterfangen, denn mit der Mehrnahrung konnte man nicht viel anfangen, außer sie so zu verwahren, dass man die entsprechende Zeit, in der man keine Marken erhielt, überbrücken konnte, denn verkaufen, wie es der geneigte Leser vermuten könnte, war ja aufgrund der Bargeldlosigkeit der Gesellschaft, einfach unmöglich.            Â
Nun werden Sie zu Recht fragen, wie dies alles kam, dass man hier gar nicht mehr mit Werten arbeitet und wie eventuell vorkommende Wertschwankungen ausgeglichen werden können.
Dies muss wieder historisch betrachtet werden. Die Diskussionen über dieses Thema waren in der Tat höchst kontrovers, denn es bildeten sich mit der Zeit 3 Meinungen heraus, die die noch vorhandenen verschiedenen geldmarktpolitischen Ideen der überlebenden Staatsoberhäupter zeigte.
Eine Mindermeinung wollte nach dem Wiederaufbau den freien Markt in seiner ursprünglichen Form wieder errichten. Man zeigte auf, wie erfolgreich dieser doch gewesen war und wie viele Jahrhunderte lang dieses System sich bewährt hatte. Doch damals war allen bereits klar, dass dies keine sinnvolle Alternative war, denn gerade der Zusammenbruch dieses nicht regulierten freien Marktes hatte ursächlich dazu beigetragen, dass der Totale 3. Weltkrieg überhaupt ausgebrochen war.
So stritten die großen Lager darum entweder den freien Markt mit weltweit einheitlichen Regulierungen einzuführen, oder den freien Markt vollkommen abzuschaffen. Lange Zeit schien die erste Alternative eingeführt zu werden, denn eine Welt ohne Markt konnte sich jene Generation nicht vorstellen, bzw. verwies auf die gescheiterten Experimente in den ehemaligen sozialistischen Staaten des Ostblocks mit einer reinen marktunabhängigen Planwirtschaft.
Als man zu den entscheidenden Gesprächen zusammenkam um die welteinheitlichen Statuten festzulegen, denen der Markt unterworfen sein sollte, wusste man bereits, dass es ein schweres Unterfangen werden würde, denn die Annahme solcher weltumspannenden Regelungen, so hatte man es festgelegt, konnte nur einstimmig erfolgen. Deshalb gingen dem auch mehrere Tage der Konsolidierung aller Parteien voraus, nur um dann alles in trockene Tücher zu bekommen. Und Tag eins verlief auch zufriedenstellend, denn schnell hatte man die Rahmenbedingungen abstecken können. Doch die folgenden zwei Tage sollten zeigen, dass man keineswegs in den Details einig war, was am dritten Tag in einem großen Streit endete, an dessen Ende man schließlich vor die Wahl gestellt war diesen Streitweg weiter zu verfolgen oder doch auf die bisher nur am Rande betrachtete dritte Meinung einzugehen.
Im Schatten des Konflikts hatten die Fürsprecher der Anschaffung des freien Markes selbstverständlich bereits alle wichtigen Daten gesammelt und zusammengefasst um schließlich den verdutzten Parteien am vierten Tag einen vollkommen ausgearbeiteten Bericht vorzulegen. Die Vorteile lagen auf der Hand. Marktkrisen waren durch die Planung ausgeschlossen, Preise konnten unmöglich schwanken, wenn man es technologisch korrekt anstellte. Auf der Basis der bereits beschlossenen Regulierung der Weltbevölkerung konnte man alle davon überzeugen, dass der Weg, anders als in der Vergangenheit, gangbar war, denn eventuelle Ausfälle von Ernten, um ein Beispiel zu nennen, konnte man effizient ausgleichen. Und so kam man überein den freien Markt abzuschaffen.
Zur Regelung aller Warenverhältnisse wurde die Weltzentrale für Wirtschaft eingerichtet, die alle Güter gleichmäßig verteilt auf Grundlage der Essensmarken. Dies ist dadurch möglich, weil es keine Preisschwankungen gibt. Wie aber nun das?
Die Weltbevölkerung ist stark dezimiert und durch die ständige Produktion wird immer zu viel hergestellt. Den Überfluss vernichtet man und kann so die Preise werden immer gleich halten und sollte doch einmal der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass das Angebot zu gering wird, kann die Weltzentrale dies anpassen, denn alles hat weiterhin seinen Wert, ein Zugeständnis an die Marktwirtschaftler jener Zeit, das sind allerdings abstrakte Werte, die nur die Mitarbeiter in der Weltwirtschaftszentrale und den Zentralen für Wirtschaft in den einzelnen Verwaltungseinheiten kennen. Auf der Welt ist somit eine immer gleichbleibende Planwirtschaft vorherrschend.
Zu Beginn war man aber noch skeptisch, ob der versprochene Erfolg würde eintreten, weshalb man in den ersten 20 Jahren jährlich eine Weltwirtschaftskonferenz einberief, auf der die Weltwirtschaftszentrale ihren Jahresbericht vorstellte. Und mit den Jahren wurden diese immer positiver, so dass man im Jahr 2046 beschloss, keine Konferenz mehr abzuhalten, weil sich das System bewehrt hatte. Man würde nur noch einmal zusammentreten, sollten eklatante Mängel festgestellt werden, was aber faktisch unmöglich ist.
Ebenso haben Sachen einen Wert, die Wertmarken haben einen ebenfalls gleichbleibenden Wert und so kann man berechnen wie viele Wertmarken man braucht um sich Dinge leisten zu können. Die wöchentlich erhaltenen Wertmarken richten sich nach dem Arbeitslohn, den man erhält, einem entsprechenden Ehrenlohn, den man ab dem Eintritt in den Ruhestand erhält, der bei Männern bei 60, bei Frauen bei 58 Jahren liegt und natürlich der Förderung von Kindern und Jugendlichen bis zum 25. Lebensjahr, den jede Familie erhält.
Dabei bleiben auch die Sachwertpreise vollkommen gleich, denn auch hier herrscht das gleiche Prinzip wie in der Lebensmittelproduktion. Allerdings kann es hier zu Nachfrageschwankungen kommen, die man aber sofort ausgleichen kann, indem man weniger vernichtet, was ebenfalls von der Weltzentrale für Wirtschaft und ihren untergeordneten Einheiten gelenkt wird.
Bei den Essensmarken sei noch erwähnt, dass man ganz eng mit der Weltzentrale für Gesundheit zusammen arbeitete. Diese wusste über jeden Erdenbürger Bescheid, denn die Ergebnisse jeder Untersuchung erreichten sie in Windeseile, weshalb man dann entsprechende Anpassungen im Essensplan vornehmen konnte, wenn man z.B. bei Diabetikern oder Laktoseintoleranten bestimmte Nahrungsmittel wegnahm und ersetzte. Das war auch eine Maßnahme, die der Gesundung der Gesellschaft diente, denn Übergewicht und andere Probleme, die später zu Folgeerkrankungen erwachsen konnten gab es eigentlich nicht, denn die Essensmarken halfen bei bewusster Ernährung hilfreich mit, indem man gewisse Lebensmittel nur in geringen Portionen zuließ oder nur Jahreszeitbedingt. Auf dem Rückweg zur Seniorenresidenz dachte Fjodor darüber nach wie es wohl sein würde, hätte man das alte System noch, wie Sie es, geneigter Leser, noch kennen, also mit wertschwankenden Währungen und sich verändernden Preisen und Ungleichverteilung.
Der größte Vorteil dieses Systems war, dass eine vollkommen gleiche Verteilung des Vorhandenen möglich war und auch realisiert wurde, weil man dies als oberste Doktrin ausgab, denn wenn alle gleich waren in diesen Punkten und genug für ein sehr gutes Leben hatten, dann ergaben sich keine Missstände, niemand begehrt gegen das Bestehende auf und so bleibt die Gesellschaft erhalten, wie sie ist, beständig und zufrieden.
Um dies in allen Zweigen des Lebens zu ermöglichen sei hier gesagt, dass es in den jeweiligen Forschungsabteilungen einen kleinen Kreis von Forschern gibt, die nur darauf aus sind bestehende Fehler im System zu finden und diese schließlich auszumerzen, denn eine sich trotz aller Beständigkeit verändernde Gesellschaft kann Lücken in bestehende Formen und Muster reißen, die so schnell wie möglich zu schließen sind, bevor sie größer werden und dann der Gesellschaft schädlich werden. Der sich dabei einstellende Forschungserfolg kann dafür genutzt werden, dass bisher nur schwer vertretbare Meinungen, die aber der Dogmatik der Weltgesellschaft entsprechen plötzlich beweisbar sind und sie so zur herrschenden Meinung werden und schließlich die Einzige werden, es also nur eine wahre Lehre gibt. Diese Lehre kann man mit vollkommener Gewissheit verbreiten und gibt den Menschen keinen Grund mehr zu zweifeln, denn auch Zweifel können Probleme hervorrufen, weshalb man immer bemüht ist eine allen dienliche Meinung ständig zu unterfüttern um abweichende schließlich als veraltet über Bord zu werfen.
RogerWright Re: - Ja, solchen Murks mit den namen, da musste ich auch immer aufpassen, hoffe das aber sonst eingehalten zu haben. Zudme freu ich mich, dass gerade die technischen und komplizierteren Teile lesbar bleiben, die an sich keine Geschichte erzählen, sondern viel faktisch sind. Hoffe, dass ich dich bei der Stange halten kan und die Lust nicht irgendwann abebbt. |
Fianna Ich hatte es ja nie so mit Volkswirtschaftslehre und all dem Zeugs, aber deine Ausführungen fand ich doch ziemlich interessant und auf beunruhigende Weise schlüssig. Und trotz der ganzen Fakten, die einem präsentiert werden, lässt sich das Kapitel immer noch flüssig lesen. Ach ja und auf Seite 2 wird Fjodor plötzlich zu Frederik...ist wahrscheinlich nicht beabsichtigt, nehme ich mal an ;-) Liebe Grüße Fianna |