Kleine Berliner Repräsentanz - Die Landesvertretungen
Von den interessanten Folgen des Föderalismus für die Berliner Politarchitektur im übertragenen wie im buchstäblichen Sinne, war im Rahmen diese Korrespondenz ja schon mehrfach die Rede. Sichtbarster Ausdruck der Implikationen, die sich aus der sogenannten vertikalen Gewaltenteilung ergeben, sind die Gebäude der Vertretungen der Länder beim Bund. Schon von der Lage her reihen sich diese Landesvertretungen in die Gesellschaft ausländischer Botschaften ein, denn sie befinden sich überwiegend in der Tiergartenstraße und an der angrenzenden Ebertstraße in den Ministergärten. Unser Rundgang an den Botschaften vorbei, den wir in der letzten Lieferung diese Korrespondenz unternommen haben, gibt Anlass zu einer Klarstellung: Landesvertretungen sind keine Botschaften, auch nicht solche im Kleinformat. Landesvertretungen sind, besonders prosaisch betrachtet, weit weg vom Regierungssitz des jeweiligen Bundeslandes unterhaltene Büroflächen der jeweiligen Landesverwaltung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Denn wie ist das nochmal gewesen mit der Bedeutung der Aufteilung unseres Staates in Bund und Länder? Dazu ist ein kleiner Exkurs in die Grundzüge des Grundgesetzes, unserer Verfassung, unumgänglich, ich will mich aber so kurz und verständlich fassen wie möglich: Die sechzehn Bundesländer bilden, wie sich aus dem zweiten Absatz der Präambel des Grundgesetzes ergibt, insgesamt den deutschen Staat, also die Bundesrepublik Deutschland. Die staatliche Gewalt geht grundsätzlich von den Bundesländern aus, von der Bundesrepublik nur in den Fällen, die durch das Grundgesetz ausdrücklich geregelt werden.
Besonders deutlich wird das am Beispiel der Gesetzgebungskompetenz, denn die liegt, wie Artikel 70 des Grundgesetzes überraschend verrät, vollständig bei den Bundesländern, soweit sie nicht durch einen sogenannten Kompetenztitel der Bundesrepublik übertragen ist. Im Alltag fällt das nicht so sehr auf, denn ungefähr gesprochen lässt sich feststellen, dass so gut wie alle besonders wichtigen Rechtsmaterien in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fallen: Das gesamte Strafrecht (neuerdings mit Ausnahme des Strafvollzugsrechts), das fast vollständige Zivilrecht und die wichtigen Bereiche des Wirtschaftsrechts. Beim öffentlichen Recht liegen die Dinge etwas ausgewogener. Wer schon einmal mit schulpflichtigen Kindern von einem Bundesland ins andere gezogen ist, durfte vielleicht die Vorzüge des Föderalismus am eigenen Leib und in Gestalt ganz anderer Lehrbücher und Lehrpläne miterleben.
Ironisch formuliert lässt sich die staatliche Struktur der Bundesrepublik mit einem Kleingartenverein bestehend aus sechzehn unterschiedlich großen Parzellen vergleichen: Erst die Fläche der Parzellen bildet die Fläche des Vereins an sich. Wichtig sind aber vor allem die einheitlich im Verein geltenden und vom Verein formulierten Regeln, die in allen Parzellen gleichmäßig gelten. Nur manche Dinge kann der Parzellenbesitzer für sich alleine entscheiden. Also, sagen wir mal: Bäume, zum Beispiel: Die müssen im gesamten Verein bis spätestens zum 31. März jedes Jahres für die kommende Saison beschnitten sein, außerdem dürfen sie nicht überhängen, das bestimmt der Verein. Der Parzellenbesitzer kann sich nur überlegen, wann genau er schnibbeln will und bis wie weit bis zum Überhängen er die Äste stehen lassen will. So etwas nennt man im Verfassungsrecht übrigens Rahmengesetzgebungskompetenz.
Und was ist nun mit den Landesvertretungen? Na ja, das sind, um den Vergleich mit dem Kleingartenverein noch ein bisschen zu strapazieren, sozusagen die für die einzelnen Parzellenbesitzer reservierten Stühle im Vereinsheim. Denn ab und zu müssen sich die Parzellenbesitzer ja treffen und austauschen darüber, wie es mit dem Verein weitergehen soll. Ob der Beschnitt-Termin nicht doch lieber auf den 15. Februar oder auf den 15. April verlegt werden soll, zum Beispiel. Das Vereinsheim der Bundesländer ist der Bundesrat, und wer einmal Gelegenheit hatte, sich das Gebäude in der Leipziger Straße von innen anzuschauen, der wird wohl anerkennend durch die Zähne pfeifen und sich eine ähnlich noble Unterkunft für den eigenen Tennis- oder Geflügelzüchterverein wünschen. Aber daraus wird nichts werden, denn Gebäude wie dasjenige, in dem früher das preußische Herrenhaus untergebracht war und heute also der Bundesrat tagt, solche Gebäude sind eher selten.
Gerade für das Verhältnis der Länder zum Bund ist es eine hübsche Anekdote, dass die Regierungschefs der Länder im ehemaligen Herrenhaus zusammenkommen, also an dem Ort, an dem vor allem die Mitglieder des in Preußen doch deutlich privilegierten Adels Einfluss auf die insgesamt nur schwach demokratisch legitimierte Gesetzgebung Einfluss nahmen. Die heutigen Ministerpräsidentinnen und Bürgermeister und dergleichen sind selbstverständlich demokratisch legitimierte Amtsträger, und doch kommen sie aus ihrer Rolle als Schwundform der Landesfürsten nicht ganz heraus. Es ist wohl zu verlockend, sich zum Fürsprecher regionaler Interessen zu machen und dabei hin und wieder auch über das sachlich gebotene Maß hinaus zu schießen. Dieses Ritual gehört zum Föderalismus dazu und hat grundsätzlich seinen guten Sinn in einem Staat, der ganz unterschiedliche Landschaften und Kulturen in sich vereint. Dennoch wirkt es hin und wieder etwas skurril, wenn sich eine Landesmutter oder ein Landesvater so aufführt, als sei das mit dem Zusammenschluss zum Bund eine Art Zweckverband, der zur Not auch gelockert werden könnte – doch, solche Töne gibt es, immer wieder, und sehr häufig aus selbstbewussten südlichen Bundesländern. Das ist ein bisschen so, als denke ein Parzellenbesitzer darüber nach, seine ein Parzelle zukünftig aus dem Kleingartenverein aussondern zu wollen, zu dem sie nun einmal gehört.
Dieses regionale Selbstbewusstsein trägt auch die Landesvertretungen als Institutionen. Natürlich ist es wichtig, dass die Länder Strukturen schaffen, mit deren Hilfe sie ihre Mitsprachemöglichkeiten und Einflussnahme umsetzen. Dafür täte es freilich auch eine Büro-Etage, von denen es gerade rund um den Alexanderplatz ohnehin zu viele gibt. Manche ausländische Botschaft, davon war in der letzten Lieferung die Rede, begnügt sich damit, simple Büroräume anzumieten und das Landeswappen an die Fassade zu nageln. Das kam offensichtlich für keines der chronisch klammen Bundesländer in Betracht. Die Landesvertretungen, und zwar ausnahmslos alle, wurden eben nicht nur als logistischer Stützpunkt der Interessensvertretung konzipiert, sondern auch als Vertretung nach außen, als regelrechte Repräsentanzen. Zwei Modelle standen zur Auswahl: Der schicke Neubau oder das gediegen hergerichtete Stadtpalais.
Für das Modell Stadtpalais entschieden sich unter anderem zwei Bundesländer, die es allgemein ernst meinen mit dem standesgemäßen Auftreten nach außen und der Bewahrung tatsächlicher oder vermeintlicher glanzvoller Traditionen, nämlich Bayern und Hamburg. Die bayerische Landesvertretung liegt überdies in der Behrensstraße sehr günstig zum Regierungsviertel hin: Reichstag und Bundeskanzleramt lassen sich sehr schnell erreichen, einige wichtige Ministerien ebenso – man weiß ja nie, ob bayerische Repräsentanten mal eben hierhin oder dorthin müssen oder sich von dort kommend auf quasi heimischem Terrain treffen wollen. Insbesondere für die bayerische politische Kultur gilt schließlich, und das lässt sich ganz gut in der bayerischen Landesvertretung erahnen, dass das alles Demokraten sind, nur der Union, der christsozialen nämliche, sollten sie nahestehen oder idealiter angehören. So ist die bayerische Landesvertretung beispielsweise immer wieder Veranstaltungsort für Aktivitäten der Hanns-Seidel-Stiftung, die bekanntlich nicht etwa dem bayerischen Freistaat zuzurechnen ist, sondern der CSU, die dort, in ihrer politischen Stiftung, manchem lieben Parteifreund, der sich um die CSU verdient gemacht hat, einen ehrenvollen Posten verschafft hat. Wenn nun diese Herren – so direkt Frauenquote hat’s da, also quasi, sanma ehrlich, ist in der CSU und ihrer Stiftung eher nicht – wenn also die Herren von der Hanns-Seidel-Stiftung die Gäste in der bayerischen Landesvertretung willkommen heißen, kann es schon ein bisschen durcheinander gehen: „Ich heiße Sie bei uns herzlich willkommen“, hieß es da einmal. Und auf den Hinweis des geladenen Gastes, eines CSU-Abgeordneten und späteren Bundesministers, dass dies die Landesvertretung und keine Räumlichkeit der Stiftung sei, replizierte der Stiftungs-Vertreter: „Na, aber doch quasi!“ Gott mit dir, du Land der Bayern.
Im anderen Palais ganz in der Nähe, dem der Hamburger Landesvertretung in der Jägerstraße, geht es deutlich kaufmännischer, also politisch weniger voreingenommen zu. Die neue rot-grüne Hamburger Regierung nutzt den Bau ebenso gerne wie ihre schwarzen und schwarz-grünen Vorgängerregierungen, vornehmlich übrigens für Treffen von Wirtschafts- und Berufsverbänden, die die hervorragende Küche und den guten Weinkeller gerne nutzen – gegen Entgelt, versteht sich, so dass die Hamburger Landesvertretung ein nicht ganz unwichtiger gastronomischer Faktor geworden ist. Der Berlin-Besucher sollte aber nicht glauben, er könne einfach so mal die Hamburger Landesvertretung für eine hübsche Feier anmieten: Die Auswahl der Veranstaltungen ist ein politische Entscheidung, zumal für die Hamburger, die es ja mit dem Zug nicht weit nach Berlin haben und es sich deshalb nicht nehmen lassen, zu allen Veranstaltungen recht hochrangige Vertreter der Hamburger Landesregierung zu entsenden, die sich von der hinreichenden Köstlichkeit der Hamburger Bewirtung selbst überzeugen.
Immer lecker ist es aber auch in den modernen, schicken Gebäuden von Landesvertretungen. Die des Landes Baden-Württemberg liegt in der Tiergartenstraße neben ausländischen Botschaften und wird wegen ihres sehr groß geratenen Eingangsbereichs scherzhaft „Spätzle-Trichter“ genannt. Da kommen die Spätzle aber nicht rein, sondern raus, nämlich verzehrt von den glücklichen Gästen der Landesvertretung. Essen und Trinken sind bodenständig aber ausgezeichnet. Nur die Gästeliste hat sich nach Antritt der ersten grün-roten Landesregierung aller Zeiten verändert: Neben Maschinenbauern haben nun auch Vertreter von Nichtregierungsorganisationen die Gelegenheit, die Gastfreundschaft der Baden-Württemberger kennenzulernen.
Ums Essen und Trinken, vor allem darum, geht es auch in den nebeneinander gelegenen Landesvertretungen von Hessen und Rheinland-Pfalz in den Ministergärten. Der Wein fließt buchstäblich in Strömen, wie denn auch anders, wo doch den Garten der rheinland-pfälzischen Landesvertretung ein wahrhaftiger kleiner Weinberg ziert. Das Politische gerät da schnell in den Hintergrund bei so viel Geselligkeit – will heißen, dass gerade diese genannten Landesvertretungen ihren Zweck besonders gut erfüllen.
Brot und Spiele, dieses Motto wendet sich eben nicht nur an die Regierten, sondern ebenso sehr auch an die Regierenden. Immerhin ein verbindendes Element. Guten Appetit also – und bis denne!
Hinweis des Hauptstadtkorrespondenten an den Leser
Was hat denn, bitteschön, das wird sich mancher Leser vielleicht fragen, das Regieren und das Regiertsein mit Berlin zu tun? Bei Lichte betrachtet: Eine ganze Menge. Immerhin ist es eine Berliner Kernkompetenz, sehr dezidiert regiert zu werden, auch das muss mit dem Genus Loci zu tun haben. Denn es ist ja so, dass... aber das führt zu weit an dieser Stelle. Genauere Betrachtungen wollen wir in der nächsten Lieferung anstellen, die von Regierenden und Regierten handelt. À toute à l'heure! C.