Beschreibung
So, nach einer gewissen Pause - war halt viel los, hier in Berlin - geht es mit der Korrespondenz aus der Hauptstadt weiter. Nein, keine Angst, keine Parks, und auch keine Verkehrsmittel der ÖPNV. Dafür das ganz große Parkett der ganz großen Diplomatie: Botschaften, ausländische nämlich. Und davon jede Menge und alle hier in einem kleinen Überblick. Viel Spaß dabei! Und die herzliche Bitte: Wer sich an diesem Text erfreut, ist herzlich eingeladen, die 17 vorangegangenen Korrespondenzen anzuschauen; vielleicht nicht alle auf einmal, aber die vorhandenen bleiben ja auch noch ein Weilchen hier stehen.
Große Berliner Repräsentanz: Die Botschaften
Botschaften, also Botschaften im völkerrechtlichen Sinne, das sind nicht nur in der Regel sehr beeindruckende Gebäude mit allem Gepränge modernen Geltungsanspruchs. Botschaften auch mehr als nur die höchste Stufe der diplomatischen Vertretung. Botschaften sind, wenn es gut geht, vor allem das sicherste und schönste Zeichen dafür, dass eine Stadt nicht nur Regierungssitz, sondern wahrhafte Hauptstadt eines Staates ist. Nach Wiedervereinigung und Hauptstadtbeschluss sind die Botschaften nach Berlin zurückgekehrt. Die Stadt hat ungemein dadurch gewonnen.
Dabei sind noch nicht einmal alle Staaten, die mit Deutschland diplomatische Beziehungen unterhalten, in Berlin mit einer Botschaft vertreten. Eine ganze Reihe vor allem afrikanischer Botschaften hat den Umzug von Bonn nach Berlin nicht nachvollzogen, jedenfalls noch nicht. Woran genau das liegt, bleibt das Geheimnis dieser in der Regel nicht gerade mit demokratischer Transparenz regierten Staaten. Doch die Vermutung liegt nahe, und ist ja auch gar nicht böse gemeint, dass es diesen Staaten auf eine örtliche Nähe zum Entwicklungshilfeministerium und dessen Behörden und Hilfsgesellschaften ankommt, die ihren Hauptsitz allesamt noch in Bonn haben.
Aber von diesen Ausnahmen einmal abgesehen ist die große weite Welt mit mal mehr mal weniger großartigen Botschaftsgebäuden in Berlin vertreten. Das traditionelle Botschaftsviertel dort ist die südliche Seite der Tiergartenstraße. Aufgereiht wie an einer Schnur finden sich dort die Botschaften beispielsweise von Südafrika, Indien, der Türkei, Österreichs – und der nordischen Staaten, die sich Aufbau und Unterhalt einer Botschaft in Berlin geteilt und die Institution der „nordischen Botschaften“ begründet haben. Immer freundlich und pragmatisch diese Skandinavier, denn in den nordische Botschaften an der Ecke Tiergartenstraße / Hofjägerallee sind die Staaten Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland und Island vertreten. Jeder dieser Staaten begnügt sich bescheiden mit einer Botschaftskanzlei, von denen fünf zusammen genommen das große Gebäude füllen. Fragen der Exterritorialität werden genauso locker und unverkrampft gehandhabt, wie man sich das von gelassenen Nordlichtern vorstellt. Andere Staaten haben einen solchen Zusammenschluss nicht hinbekommen, weder in Berlin noch in irgendeiner anderen Hauptstadt.
Der Aufbau von Botschaften in Berlin in logistischer und architektonischer Hinsicht ist kein bloßer Nebenaspekt diplomatischen Handelns. Mit wenigen Ausnahmen mussten alle Staaten des ehemaligen westlichen Blocks komplett neue Botschaftsgebäude errichten. Die sozialistischen Bruderstaaten hatten es da zunächst einfacher, sie konnten ihre zum Teil grotesk überdimensionierten Botschaften im Ostteil der Stadt weiterbenutzen. Jedenfalls solange, wie sich ein solcher Staat des ehemaligen Ostblocks aufteilte, dann musste, wie bei einem verkrachten Ehepaar, der eine gehen, während der andere im dann viel zu groß gezogenen Haus bleiben durfte. In der Mohrenstraße etwa residiert nunmehr nur noch die Tschechische Republik in einem Monstrum von Gebäude, das den Betrachter an das aus dem Weltraum gefallene Flaggschiff feindlich gesonnener Aliens erinnert.
Wohl dem Staat also, der noch auf einen Gebäude-Altbestand zurückgreifen kann. Die anderen, wie gesagt: die ganz große Mehrzahl, musste neu bauen. Ergebnis ist, dass Berlin wohl die Hauptstadt mit dem weltweit modernsten und abwechslungsreichsten Bestand ausländischer Botschaften ist. Nun ist ja kaum ein Bürogebäude denkbar, an dessen repräsentativen Charakter höhere Ansprüche gestellt werden als eine Botschaft. Kommt hinzu, dass nicht wenige Botschaften in geradezu irrwitziger Weise vor Anschlagsgefahren aller Art geschützt werden müssen. Die Botschafts-Architekten, die all das bei begrenztem, öffentlich-rechtlich kontrollierten Budget unter einen Hut kriegen müssen, sind um ihre Aufgabe nicht zu beneiden. Wie gut diese Aufgabe bewältigt werden kann, lässt sich ganz gut besichtigen am Pariser Platz.
Auf diesem Platz sollte sich der Besucher nicht ablenken lassen, von dem vermeintlich geschichtsbewussten Jahrmarkttubel, von dem in einer gesonderten Lieferung noch ausführlich die Rede sein wird. Nein, der Besucher sollte über lustige Studenten in Militäruniformen der Alliierten hinwegsehen, zum Beispiel ins Angesicht der Quadriga, die just am Pariser Platz ins eigentliche Berlin einfährt. Das Brandenburger Tor hat sich so sehr in das Gedächtnis der Westdeutschen eingeprägt, dass sie meinen, es sei eigentlich nach Westen hin orientiert und damit auch die Quadriga. In Wirklichkeit ist es anders herum: Das historische Berlin liegt östlich des Brandenburger Tors und die Quadriga ist das Gespann des triumphalen Sieges, das deshalb selbstverständlich die Stadt nicht verlässt, sondern in sie einfährt. Der Besucher, der also auf der Straße des 17. Juni vergeblich nach dem Fernsehbild des vor dem Tor sprechenden Ronald Reagan sucht, wird das Hinterteil der Quadrigenfiguren sehen – auch nicht das schlechteste.
Wendet der Besucher dann voller Staunen darüber, wie sehr sich hier doch alles verändert hat in den läppischen fünfundzwanzig Jahren seit Reagans „Mr. Gorbachev, tear down this wall!“, wendet er also mit dieser Empfindung seinen Blick nach rechts, dann erblickt er einen Bürokomplex. Keinen riesenhaften und auch keinen besonders protzigen, aber einen doch so großen, dass das Brandenburger Tor daneben vergleichsweise klein und unscheinbar wirkt. Dieser Bürokomplex ist die US-amerikanische Botschaft. Man möchte meinen, wenn man ihrer zum ersten Mal ansichtig wird und in ehrfürchtigem Schreiten feststellt, dass sie sich tatsächlich vom Brandenburger Tor bis zum Mahnmal der ermordeten Juden Europas erstreckt, dass das wohl die größte Botschaft Berlins ist. Ist sie aber nicht. Nur durch einen historisch bedingten Trick sind die USA der Staat mit der größten diplomatischen Vertretung in Berlin: Neben der sehr großen und – da täuscht der harmlose Eindruck – sehr gut gesicherten Botschaft neben dem Brandenburger Tor gibt es noch ein US-amerikanisches Konsulat draußen in Zehlendorf, ungefähr noch einmal so groß wie die Botschaft selber. Das Konsulat ist natürlich ein Relikt aus Zeiten des Viermächtestatus‘ Berlins und beheimatet auf einem ehemals militärischen Gelände.
Auf diese Weise übertrumpfen die US-Amerikaner im Ergebnis die Russische Föderation, die gar nicht weit davon, unter fünfhundert Meter die Linden hinauf, das größte zusammenhängende Botschaftsgelände Berlins unterhalten. Auch das ist natürlich historisch bedingt: Der Altbau der russischen Botschaft stammt noch aus der Zeit der Zaren und der zaristische Glanz hat in den letzten Jahren in Russland und eben auch in der russischen Botschaft in Berlin eine erstaunliche Renaissance erlebt. Erweitert wurde dieser Altbau dann zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik um eine gewaltige Fläche. Dem sozialistischen Bruderstaat, von dem zu lernen schließlich siegen lernen bedeutete, sollte es nicht zu eng haben mit seinem damals wahrlich gigantischen Stab offizieller und nicht ganz so offizieller Mitarbeiter. Die russische Botschaft zeigt sich heute weit weniger stark bevölkert und dafür im Rahmen von Besuchertagen sehr viel transparenter als noch zu DDR-Zeiten. Verkleinern will sich die Russische Föderation aber auch nicht, obwohl sie, wenn sie das denn wollte, für diese Lage ein gutes Geld am florierenden Berliner Immobilienmarkt bekäme. Aber Botschaftsgebäude sind mehr als nur Bürohäuser und ihr wirtschaftlicher Wert deshalb nur zweitranging. Zumal für eine so reiche Regierung wie die der Russischen Föderation.
Zwischen den US-Amerikanern und den Russen liegen die beiden anderen Alliierten: Die Franzosen unmittelbar am Pariser Platz und die Briten in der Wilhelmstraße. Alle diese Neubauten, auch die der USA, stehen übrigens auf den historisch angestammten Grundstücken dieser Botschaften. Die Gebäude waren im Zweiten Weltkrieg zerstört und wurden danach vollständig abgebrochen. An einen Wiederaufbau war nicht zu denken, denn die Alliierten brauchten in Berlin, also auch in Ost-Berlin, Hauptstadt der DDR, keine diplomatischen Vertretungen. Sie hatten ihre militärischen Gelände in den Westbezirken, freien Zugang zu ganz Berlin dank des Viermächtestatus und außerdem Botschaften in Bonn. Letztere unterlagen aus Sicht der Bundesrepublik der sogenannten Hallstein-Doktrin: Die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen mit der DDR wurden aus Sicht der Bundesrepublik als „unfreundlicher Akt“ angesehen und wären gegebenenfalls entsprechend diplomatisch beantwortet worden, zum Beispiel durch Ausweisung von Botschaftspersonal. Ob die Bundesrepublik sich das gegenüber Großbritannien oder Frankreich getraut hätte? Wer weiß, die West-Alliierten ließen es jedenfalls um des lieben Friedens in der NATO lieber nicht drauf ankommen.
Vergangene Zeiten, heute sind die alten Botschaften überbaut durch neue, sehr beeindruckende Gebäude. Das der Franzosen liegt schöner, das der Briten ist schöner. Kleiner Schönheitsmakel für die britische Botschaft: Sie ist, nicht zuletzt durch den „Krieg gegen den Terror“, so stark gefährdet, dass um ihretwillen die gesamte Wilhelmstraße dauerhaft gesperrt ist. Und so weht der Union Jack in der Riesengroß-Version einsam über der in diesem Abschnitt autofreien Wilhelmstraße und Fußgänger und Radfahrer haben ihrer Ruhe.
Überhaupt ist der Umgang Berlins mit den Botschaften in der Regel ein friedlicher. Ein Kuriosum etwa ist die recht große nordkoreanische Botschaft (Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Korea) an der Ecke Voß- und Mauerstraße. Das Regime mauert sich auch dort ein in einem lebensbejahend grauen Plattenbau. Na und? Botschaften müssen respektiert und geschützt werden vom Gastland, sonst darf man sie gar nicht erst aufnehmen. Protestiert wieder einmal ein kleines Häufchen Demonstranten, dann bezieht die Polizei Stellung. Demokratisch gesonnenen Zeitgenossen treibt das verwirrten Zorn ins Gesicht, aber so ist die Logik nun einmal: Bloß weil wir ein Rechtsstaat sind, dürfen wir uns nicht über das Gastrecht von Diplomaten aus Unrechts-Regimen hinweg setzen. Das ist erstens eine moralische Pflicht und folgt zweitens aus der Wiener Konvention.
Genau dasselbe gilt übrigens auch für die syrische Botschaft am Südrand des Tiergartens. Sie wurde im Frühjahr 2012 von Gegnern des Assad-Regimes gestürmt und beschädigt. Der deutschen Polizei blieb gar nichts anderes übrig, als die Demonstranten gewaltsam aus dem Botschaftsgebäude zu treiben. Das hat, wie gesagt, nichts damit zu tun, ob die Bundesrepublik das Treiben des Assad-Regimes billigt oder verurteilt. Dass sie letzteres tut, bewies sie kurz darauf: Der syrische Botschafter und alle noch in Berlin verbliebenen Diplomaten wurden binnen 72 Stunden zur Ausreise verpflichtet. Die syrische Botschaft steht seitdem leer, ist aber immer noch die schützenswerte Vertretung eines fremden Staates – der ja vielleicht einmal und hoffentlich recht bald eine andere Regierung haben wird.
Den Berlinern und ihren Besuchern bleibt nicht mehr als das Abwarten und Beobachten – bis denne!
Hinweis des Hauptstadtkorrespondenten an den Leser
Na, Gefallen gefunden am Repräsentieren und am großen Auftritt in Berlin? Dann wird auch die nächste Lieferung vielleicht von Interesse sein, denn beim nächsten Mal wollen wir uns mit den "kleinen" Repräsentanzen in Berlin beschäftigen, also mit den Vertretungen der Bundesländer. Sind nicht ganz so viele, aber nicht minder abwechslungsreich. À bientôt! C.