Beschreibung
Noch einmal heißt es "Einsteigen bitte!" und natürlich "Herzlichen Dank!", danke nämlich für die vielen Mitfahrer und Leser, die sich in das Abenteuer des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin gewagt haben. Noch alle an Bord? Gesund und munter? Na gut, dann wollen wir die letzten beiden Etappen in Angriff nehmen. Was? Gleich zwei? Ja, zweie noch, erstmal der Bus und das nächste Mal dann - na, Ihr werdet ja sehen. Gute Fahrt!
Hinweis des Hauptstadtkorrespondenten an den Leser
So, dit hättn wa ooch! Jetzt freuen wir uns alle, dass erstens auch der Bus überlebt wurde, und dass zweitens vorerst nur noch ein weiteres Beförderungsmittel zu erkunden ist, nämlich die Straßenbahn. Dafür müssen wir leider in den Osten, und weil wir gerade am Zoo gelandet sind, heißt das: Stadtbahn nehmen! Die führt nämlich vom Zoo Richtung Osten nach.... na? Ach Mensch, ich hab doch gesagt, das wird alles abgefragt. Egal, die Straßenbahn kriegen wir schon noch. Ab Alexanderplatz. Bis dahin noch gute Zwischen-Fahrt. C.
Vorankommen in Berlin: Der Bus
Es fällt wirklich nicht schwer, das Charakteristische an den Berliner Linienbussen zu beschreiben: Die Berliner Doppelstöcker sind fast so ein markantes Wahrzeichen der Stadt wie das Brandenburger Tor oder die allgegenwärtigen Bären. Zwar machen die Doppelstockbusse nur einen Teil der gewaltigen Berliner Linienbusflotte aus, aber das ist ja die spezielle Fähigkeit eines Wahrzeichens, größer zu wirken, als es wirklich ist. Nur in einer Hinsicht sind die Busse hier noch größer als ihr Ruf: Die Berliner Doppelstockbusse gelten zu Unrecht als die kleinen Brüder der weltberühmten knallroten Doppelstöcker aus London. Die Doppeldeckfahrzeuge im Dienste der BVG sind in Wahrheit aber deutlich größer als die klassischen knallroten Busse an der Themse. Wer schon einmal vergeblich versucht hat, das Oberdeck eines Londoner Busses aufrecht laufend zu durchqueren, weiß wovon die Rede ist. In Berliner Bussen kann man oben zwar auch keinen Stabhochsprung vollführen, aber wenigstens muss man dort nicht im Büßergang zu seinem Platz kriechen.
Länger als die Londoner Busse sind die Berliner Busse auch. Deshalb hat es seinen guten Sinn, dass die Doppeldecker hierzulande über gleich zwei Treppen (vorne und hinten) und über gleich drei Türen (vorne, mittig und hinten) verfügen. Soviel großzügige Praktikabilität überfordert den Berlin-Besucher natürlich, und so ist der Tourist leicht daran erkennbar, dass er, nachdem er die Haltestelle zu spät als sein Ziel erkannt hat, in ängstlicher Hast zur vorderen Treppe läuft – ganz schlechte Idee, denn vorne steigen die Leute ein, also kommen sie auch vorne die Treppe hoch, und für Gegenverkehr sind die Treppenhäuschen einfach viel zu schmal. Da flucht der Berliner, gleichviel ob einheimisch oder zugezogen, und der Tourist versteht’s natürlich nicht und drängt sich schließlich aller Schimpfworte zum Trotz doch zur Vordertür hinaus.
Schlimmer wird es nur, wenn die Touristen so ängstlich bedacht sind auf das rechtzeitige Aussteigen, dass sie erst gar nicht aufs Oberdeck gehen. Und sich nicht einmal mehr als zwei Schritte von der Tür wegtrauen – noch so eine ganz schlechte Idee, denn die Busse sind modern und verfügen zur Sicherheit aller Beteiligten über sehr gut funktionierende Lichtschranken. Stehen desorientierte Touristen oder ignorante Berliner zu nahe an der Tür, dann schließt diese schon aus Prinzip und Sicherheitsgründen nicht und der Bus kann nicht abfahren, selbst wenn der zunehmend übellaunige Fahrer das wollte. Eben dieser Fahrer versucht also auf zunächst vergleichsweise höfliche Art, die Fahrgäste zu bewegen, aus der Lichtschranke zu treten. „Kommnse vonner Tür weg!“ lautet die deutliche Ansage dann. Philologisch natürlich ein Rätsel für die Fahrgäste, die nicht Deutsch als Muttersprache und Busfahrer-Berlinerisch als Wahlfach haben. Erstaunlich, wie häufig diese erste Stufe der Warnansage doch verstanden und der mit ihr transportieren Anweisung des Fahrers (dieser ist laut BVG-Beförderungsordnung Folge zu leisten, versteht sich) gehorcht wird. Endlich kann’s dann also weitergehen, die Traube der bangen Touristen unmittelbar an der mittleren Tür wird weitergeschaukelt. Manchmal funktioniert es auch nicht, dann zündet Stufe zwei der Busfahrerbefehle: „Also mir isset ja ejal, obwa weitafahn!“ raunzt des dann aus den Lautsprechern. Ist die Wut des Fahrers besonders groß, unterstreicht er diese Aussage durch einen bösen Blick in den Fahrgastraum.
Natürlich kommt es auch hier nicht auf die eigentliche Bedeutung des Spruchs an, denn es ist natürlich gelogen, dass es den Fahrern egal wäre, wann sie wo mit ihrem Bus sind. Es mag bedauerliche Menschen in erbärmlichen Städten geben, die darunter leiden, dass dort die Busse fahren wann es den Fahrern passt. Berlin gehört, allen Unkenrufen gegen das System der BVG zum Trotz, nicht dazu. In Zeiten von GPS und computergestützten Verkehrsüberwachung muss der Fahrer jederzeit mit Ärger aus der Zentrale rechnen, wenn er allzu sehr und vor allem ohne ersichtlichen Grund aus dem Fahrplan heraus fährt. Selbst der überkritische Fahrgast kann dem Fahrer vorhalten, er fahre gerade jetzt so und so viele Minuten dem Fahrplan hinterher. Eine spezielle App der BVG macht es möglich, die Position des nächsten Busses auf einer bestimmten Linie abzufragen und die Ist-Zeit mit der Soll-Zeit mit einem Wisch übers Display abzugleichen. Eigentlich ist diese sinnreiche App dafür gedacht, die Kundenzufriedenheit zu steigern, indem jeder Passagier weiß, wie viel Minuten genau noch zur Abfahrt des Busses verbleiben. Der überkritische und voll vernetzte Berliner nutzt diese Information freilich dazu, sich mal wieder über den verspäteten Bus zu ärgern „war ja klar!“. Ach, wie man’s macht.
Öffentlicher Nahverkehr lebst schließlich vom Mitmachen und davon, dass der Passagier seine Fahrt mit freudig zufriedener Gelassenheit antritt. In keinem Verkehrsmittel der BVG ist das nötiger und lohnender als im Bus. Ja, wenn man da so am Straßenrand steht, dann kommt einem jede Warteminute nochmal doppelt so lang vor wie auf einem U-Bahnhof, der ja schon baulich ein gewisses Gefühl von Fahrplantakt und -verlässlichkeit vermittelt. Und, ja, wenn der Bus dann kommt, geht es drinnen nicht selten eng und durcheinander zu, ganz zu schweigen von den ruppigen Beschleunigungen und Verzögerungen, die den ungeübten Passagier flink aus den Pantinen heben können.
Aber lohnt sich die Erregung über all diese Widrigkeiten? Nein, sie sind schließlich von niemandem verschuldet, jedenfalls nicht von den Verantwortlichen der BVG und ganz bestimmt nicht vom jeweiligen Busfahrer. Der Bus muss mitmachen im eher, sagen wir mal: sportlichen Berliner Stadtverkehr, und es ist immer wieder überraschend, wie flink und zentimetergenau die gelben Elefanten sich durchwuseln. Also lieber dankbar sein, dass es einen nicht noch schlechter getroffen hat: Als aktiver Autofahrer zum Beispiel.
Der Bus-Passagier kann sich stattdessen für das denkbar kleine Geld des BVG-Tarifs ein wenig wie auf einer Besichtigungsfahrt fühlen. Das gesamte Oberdeck der Doppelstöcker etwa bietet auf jedem Platz eine sehr ungewohnte und entsprechend spektakuläre Perspektive auf den Verkehr und die Sehenswürdigkeiten Berlins. Echte Logenplätze sind das, von denen herab sich Reiz und Mühen des Alltages interessiert beobachten lassen. Natürlich stellt sich dieses Glücksgefühl eher zögerlich ein auf Routen, die durch weniger sehenswürdige Stadteile führen, aber dafür gibt’s ja den Hauptstadtkorrespondenten, dass er dem in Berlin Unerfahrenen oder wenigstens selten mit dem Bus Gefahrenen Empfehlungen an die Hand gibt.
Zwei davon sind todsichere Tipps und idiotensicher zu merken: Die Buslinien 100 und 200. Die dreistellige Liniennummer ohne Buchstaben-Vorsatz verrät zwar, dass diese Linien weder Express durch die Stadt rauschen (sonst ein „X“ vor der Nummer), noch dass sie beschleunigt Stadtteile „metropolitan“ miteinander verbinden (sonst ein „M“ vor der Nummer). Aber bei der 100 und der 200 ist das gar nicht schlimm, denn beide Linien sind so sehenswert geführt, dass der Fahrgast es gar nicht darauf anlegt, mit diesen Bussen besonders schnell durch die Stadt zu sausen.
Die Linie 100 hat verkehrstechnisch eigentlich so gut wie keine Bedeutung, denn sie führt in einer guten halben Stunde Fahrzeit vom Bahnhof Zoo zum Alexanderplatz – eine Distanz, die sich mit den zahlreichen S-Bahnen auf der Stadtbahn locker in 10 Minuten bewältigen lässt. Auch diese S-Bahn-Trasse ist spektakulär schön, aber die Busse fahren natürlich noch viel unmittelbarer durchs Berliner Leben, und so hat es fast den Anschein, als sei die Linie 100 vor allem als öffentliche Sightseeing-Linie eingerichtet worden. Vom Bahnhof Zoo aus geht es über den Breitscheidplatz und die Kante des Wittenbergplatzes am südlichen Tiergarten entlang. An den nordischen Botschaften dann aber ein sehenswertes Abbiegen über den Großen Stern und am Schloss Bellevue vorbei Richtung Norden, dann wieder ostwärts am Haus der Kulturen der Welt („Schwangere Auster“) entlang zum Reichstag und zum Brandenburger Tor. Anders als die zahllosen Reisebusse, muss sich der Linienbus nicht den Beschränkungen des Stadtverkehrs beugen, und kann mit Sonderrechten durchfahren. Leider nicht mehr durchs Tor. Das war nur für eine ganz kurze, glückliche Ausnahmezeit für Busfreunde die Attraktion in der Stadt, durch das Symbol der Teilung hindurch zu fahren, oben sitzend dabei mit dem Gefühl, gleich gegen die Oberkante des erstaunlich kleinen Tors zu knallen. Aber auch ohne die Durchfahrt durchs Tor kommt im Anschluss das Filetstück der Route: Bis zum Alexanderplatz geht es auf der großen Achse weiter, die Unter den Linden über die Museumsinsel in die Karl-Liebknecht-Straße führt. Aus dem Zentrum des Westens in das Zentrum des Ostens, die wichtigsten Eindrücke Berliner Stadtstrukturen in nur einer halben Stunde für nur zwo Euro fuffzig – da kann man einen schimpfenden Busfahrer schon hinnehmen, oder?
Auch die Linie 200 kann sich sehen und als Besichtigungsvehikel nutzen lassen. Mit ihr kann man beispielsweise vom Alexanderplatz wieder zum Zoo zurück fahren, sollte man dort sein Basislager in einem der vielen Hotels rund um den Kudamm aufgeschlagen haben. Die Linie 200 teilt sich westwärts zurück zunächst die Route mit der 100, also wieder über die Museumsinsel. Dann geht es aber links von den Linden in die Wilhelmstraße, bis vor zur Leipziger Straße und schließlich an den Potsdamer Platz. Dort wird die erste Ampel Deutschlands (als Nachbau) in Sichtweite passiert. Kurz hinterm Potsdamer Platz dann der abrupte Wechsel von der Skyline-City zur Parkstadt: Auf der Tiergartenstraße geht es zwischen dem Grün des Parks auf der rechten und den gediegenen, teils imposant großen Botschaftsgebäuden auf der linken hindurch. Gerade auf diesem Abschnitt lohnt sich der Platz im Oberdeck, der hübsche Einblicke in die Botschaftsgärten erlaubt.
Am Bahnhof Zoo wieder angekommen, stellt sich vielleicht das Gefühl ein, ganz Berlin sei mit dem Bus unterwegs. Das täuscht natürlich, aber in der Tat beginnen und enden besonders viele Linien am Zoo. Am dortigen Busbahnhof geht es weit lebhafter zu als im Bahnhof selbst, der, wovon noch zu reden sein wird, unnötig viel Bedeutung verloren hat. Egal, die Busfahrten sind überstanden.