Dieses Buch ist die zehnte und damit letzte Folge einer Neuausgabe des Titels "Der vergessene Likör". Ihr könnt, wenn Euch der Umfang nicht schreckt, den gesamten Text unter eben diesem Titel finden, wenn Ihr in meine Buchliste schaut. Von der Neuausgabe in einzelnen Folgen verspreche ich mir eine bessere Lesefreundlichkeit und weniger Abschreckung durch den Gesamtumfang. Ich habe nämlich mittlerweile volles Verständnis dafür, dass mehr als 10 Seiten schon verdammt gut geschrieben sein müssen, damit man sie gerne liest. Der Gesamttext übrigens ist einer Romanhandlung vorgelagert, die sich dann ganz und gar um Adam Bocca handelt. Diese Figur soll mit dem Text vorgestellt werden.
Um Euch Lesern den Ãœberblick über die einzelnen Folgen zu erleichtern, ist jeder einzelnen Folge eine Angabe zur Szene und zu den auftretenden Personen vorangestellt.Â
Szene: Das Treffen, das Oskar mit der Clique, seinem guten Kumpel Adam Bocca und vor allem mit seiner angebeteten Olga organisiert hat, geht unweigerlich in seine letzte Runde. Nach vielen größeren und kleineren Katastrophen hat  Oskar endlich den Versuch gewagt, seine Chance bei Olga zu auf die Probe zu stellen. Nicht erfolgreich.
Personen: Oskar und Olga; Adam,  Sammy und den anderen Jungs aus der Clique; auch Carlo; und natürlich Mick, ganz plötzlich.Â
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Und das ist in den ersten neun Folgen bisher geschehen: Oskar hat bei seinem guten Kumpel Adam angerufen, um den an das Treffen der Clique im Strandbad am "Goldenen Erpel" zu erinnern. Adam hat, obwohl er der Hauptlieferant für das Bier sein sollte, die Verabredung total vergessen. Oskar nutzt Adams schlechtes Gewissen aus und lässt sich von ihm versprechen,noch viel mehr Bier als ursprünglich zugesagt mitzubringen. Nun will Oskar Adam auch noch für einen idiotischen Plan gewinnen: Das ganze Treffen soll für Oskar nur die Gelegenheit bilden, die von ihm angebetete Olga zu treffen, damit er eine letzte Chance bekäme, bei Olga zu landen. Mit Olga verbindet Oskar nämlich eine heftige aber leider unglückliche Verliebtheit. Weil er sich nun nicht mehr traut, Olga direkt zu umwerben, will er etwas inszenieren, um sie zu beeindrucken. Er hat da auch schon einen Plan, aber in den muss er nun, ob er will oder nicht, Adam einweihen, und ihn außerdem dafür gewinnen, bei dem Plan mitzumachen. Und das gelingt ihm auch. Später trifft Oskar sich mit Olga erst einmal alleine im Strandbad. Als Adam auftaucht, gehen die Dinge schief: Adam, gerät in einen Streit mit einem anderen Besucher und zieht die Aufmerksamkeit zweier Aufpasser auf sich. Oskar kann Olga weder überreden, das Geschehen zu ignorieren, noch bringt er es über sich, helfend einzugreifen. Erst als die anderen Jungs aus der Clique ankommen, beruhigt sich die Situation wieder. Dafür haben Carlo und seine Verlobte ihren großen Auftritt - der in einem wütenden Streit zwischen Carlos Verlobter und Olga gipfelt. Zum Glück ist es Carlos Verlobte, die daraufhin beleidigt geht. Oskar will schließlich aus Verzweiflung die geringe Chance nutzen, die ihm bei Olga vielleicht bleibt, doch Olga zeigt ihm endgültig die kalte Schulter. Dass es immer noch schlimmer kommen kann, davon handelt diese zehnte, letzte Folge.
Allein – auch mein mitfühlendes Trösten vermochte Adams Jammer über den vergessenen Likör nicht zu lindern, so wie es mir zuvor mit Niederzischen und Schimpfen nicht geglückt war, ihn von dieser fixen Idee abzubringen. Der Typ, der plötzlich und wie aus dem Nichts an unserem Trinklager auftauchte, hörte deshalb als erstes Adams gebetsmühlenhaft wiederholten Klagelaut, wie sehr es ihm doch leid tue, das mit dem Likör verschusselt zu haben.
„Dann trab doch los und hol dir fix eine Pulle am Büdchen draußen vor dem Eingang; ist nicht so billig wie im Supermarkt, aber bestimmt nicht so teuer wie am ‚Goldenen Erpel‘“, riet der Typ. Keiner von uns kannte ihn, und ich glaube jeder von uns hasste ihn vom ersten Augenblick an, und zwar aus purem, eifersüchtigem Neid. Der Kerl sah ganz gut aus, keine Frage, in den Augen eines hübschen Mädchens war er vermutlich – ach was, vermutlich, ganz sicher sogar – umwerfend attraktiv: Groß, breite Schultern aber keinen Stiernacken, akkurat kurzes aber nicht zu kurzes nussbraunes Haar, kräftige Jochbeine, ins Strahlendblaue changierende Augen, ebenmäßige Zähne für ein Lächeln wie aus dem Katalog und ein Kinngrübchen. Ja, auch das noch: Ein Kinngrübchen! Muss denn jede Ungerechtigkeit des Schicksals gleich so… so grenzenlos sein? Der Typ lächelte sein Kataloglächeln in unsere Runde, Olga lächelte fröhlich zurück (und ein wenig aufgeregt), Carlo lächelte aus Höflichkeit, Adam aus Verlegenheit. Wir anderen starrten den Typen mit finsterem Hass an.
Das bemerkte der Kerl natürlich, doch es machte ihm nichts aus. Er sah uns an mit der Gelassenheit eines Menschen, der zwar nicht willkommen ist, der aber weiß, dass ihm die unfreundliche Aufnahme schon deshalb nichts anhaben kann – weil er sich ohnehin gleich wieder mit dem aus dem Staub machen wird, weswegen er gekommen ist.
„Na, Prinzessin“, sagte der Depp dann tatsächlich zu Olga, „alles gut?“
Diese Wendung, dieses unendlich hirnlose und oberflächliche „alles gut“ hatte ich schon immer gehasst, aber ab dieser Sekunde wurde es für mich zu der Phrase, die mir für den Rest meines Lebens Gänsehaut und Ãœbelkeit bereitete.
Olga, die sonst so sensible und geistreiche Olga, störte sich an solcher hölzernen Dummheit hingegen nicht im Geringsten.
„Alles gut, Mick“, antwortete sie vielmehr strahlend, „jetzt, wo du da bist, sogar alles so gut, wie es nur sein kann.“
Mick also. Genug, grausames Schicksal, was denn nun noch?
Ich hätte es wissen müssen: Mick machte einen entschiedenen Schritt auf Olga zu, so dass der arme Sammy, der nun wirklich nichts dafür konnte, gerade noch seine Füße in Sicherheit brachte. Dann reichte Mick seiner Prinzessin Olga in einer affektiert eleganten Bewegung die Hand und zog sie hoch. Kaum dass sie stand, gab sie ihm zwei schmatzende Küsse auf die Wange. Na gut, immerhin nicht auf den Mund – von wegen! Schadenfroh, ja, wirklich schadenfroh grinste Olga mich an, dann knutschte sie ihren magischen Mick mitten auf den Mund. Igitt! Oder anders gesagt: Warum nicht mich?
Mick tätschelte ihr zum Dank das Gesäß und fragte sie: „Na dann, sollen wir gleich los?“ Olga nickte heftig wie ein Schulmädchen, das endlich nach Hause abgeholt wird. „Ach, und das…“, Mick machte eine Kopfbewegung auf Adam, Carlo und mich, „… das sind die Verliererfressen, vor denen ich dich retten sollte?“
Olga lachte glockenhell mit vielleicht ein bisschen weniger Schadenfreude, trotzdem tat mir der Laut körperlich weh.
„Sie sind schon ganz in Ordnung“, erklärte sie ihrem Prinzen großzügig, „es war ein ganz netter… Versuch. Ein Experiment, ja. Jetzt ist aber auch gut mit Freaks für heute. Außerdem habe ich Hunger und Lust auf was Ordentliches zu trinken.“
Ein vernichtender Blick von ihr auf Adams Einkaufswägelchen und ein drohender Blick von mir auf Adam, jetzt bloß nicht wieder mit dem beschissenen, verdammten, vermaledeiten vergessenen Likör anzufangen!
Nein, Adam hielt die Klappe. Es kam aber noch schlimmer, als Olga zu mir sagte: „Nicht traurig sein, liebes Oskarlein.“ Wieder lachte sie glockenhell. „Nun schau nicht so. Hast du wirklich geglaubt, ich tue mir euren Wahnsinn freiwillig noch länger an? Trotzdem vielen Dank, das war heute sehr aufschlussreich. Ich war mir ja nicht ganz sicher, ob du nicht doch ganz interessant bist, aber jetzt weiß ich, dass es dann so interessant für mich doch nicht sein muss. Also, mach’s gut.“ Sie hakte sich bei Mick ein und wandte sich zum Gehen.
„Du warst die ganze Zeit mit ihm hier verabredet?“ fragte ich ihr heiser hinterher.
„Nein, Dummerchen, natürlich nicht. Mick wusste natürlich, wo ich bin, muss er als mein Beschützer ja auch. Ich hab ihn dann herbeigerufen, als ihr hier alle völlig durchgedreht seid. Und wie es sich für einen richtigen Kerl gehört, ist er auf meine Textnachricht auch gleich gekommen.“ Dankesschmatzer auf Micks Wange, herzlichsten auch!
Natürlich, ihr Rumgewische und -getippe auf ihrem Telefon: Sie hatte ihn hergetextet, als es ihr zu dumm mit uns wurde. Und bevor sie sich den Spaß erlaubte, mich noch ein letztes Mal auf die Probe zu stellen. Schlaue Pläne kannst du gerne schmieden, das zog ich als bittere Lehre daraus, nur müssen sie halt schlauer sein, als die des anderen, den – oder die – du überlisten willst. Wirklich ganz einfach.
„Lebe wohl, Carlo“, verabschiedete Olga sich dann noch huldvoll von ihren Gesprächspartnern. „Und auch du, Adam, lebe wohl. Ich werde noch viel von dir hören, das glaube ich ganz bestimmt. Doch dann wirst du von Menschen wie mir nicht mehr viel wissen wollen. Das ist ganz in Ordnung so. Viel Glück bei allem, was du tun musst. Denke immer daran: Du kannst es tun.“
Adam sah verwirrt drein. Er nahm das dahingeplapperte Rätsel wohl für bare Münze und forschte nun nach dem tieferen Sinn. Für Nachfragen blieb aber keine Zeit mehr, schon war das Traumpaar losmarschiert und kurz darauf in Richtung Ausgang verschwunden.
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Wir schwiegen. Der Nachmittag schritt voran in seine schönste, sonnigste und zugleich mildeste Phase. Das Strandbad leerte sich ein wenig, gerade so viel, dass es noch viel angenehmer wurde, dort nur zu sitzen und dem Fluss und der Sonne und den Bäumen zuzusehen. Wir schwiegen immer noch.
„Schade, dass ich die Flaschen nicht mitgenommen habe“, sagte Adam mit unwirklicher Deutlichkeit in die Stille hinein. „Obwohl: Ich habe jetzt auch gar keine Lust auf Likör mehr.“
„Ich auch nicht, Adam“, antwortete ich, „ich auch nicht.“
So, das war's. Schluss der Vorstellung am Strandbad an der Kirna, gleich beim Goldenen Erpel. Oder nicht? Geht die Geschichte vielleicht erst los? Hat Adam Bocca wirklich noch eine Geschichte vor sich, in der er dann im Mittelpunkt steht, und bei der es um mehr geht, als Flirtchancen und klebrigen Likör? Drückt mir die Daumen, vielleicht findet sich ja eines Tages jemand, der die großen Abenteuer Adam Boccas veröffentlichen will.
Bis dahin,
Cupator