Dieses Buch ist die erste Folge einer Neuausgabe des Titels "Der vergessene Likör". Unter diesem Titel könnt Ihr den Text insgesamt finden. Von der Neuausgabe in einzelnen Folgen verspreche ich mir eine bessere Lesefreundlichkeit und weniger Abschreckung durch den Gesamtumfang. Der Gesamttext ist einer Romanhandlung vorgelagert, die sich dann ganz und gar um Adam Bocca handelt. Diese Figur soll mit dem Text vorgestellt werden.
Um Euch Lesern den Überblick über die einzelnen Folgen zu erleichtern, ist jeder einzelnen Folge eine Angabe zur Szene und zu den auftretenden Personen vorangestellt. Dies ist die erste Folge, deshalb gibt es noch keine Angabe zu dem, was bisher geschah. Das kommt erst bei den nächsten Folgen. Also, los geht's:
Szene:Â Oskar telefoniert mit Adam;Â
Personen:Â Oskar und Adam
„Adam Bocca? Hallo?“
Stille am anderen Ende der Leitung. Verschreckt womöglich von dem Eifer, mit dem der junge Mann in sein Telefon gebrüllt hatte, schwieg der Gesprächsteilnehmer.
Der junge Mann wurde ungeduldig: „Hallo? Adam Bocca? Hallo?“
Immer noch Stille. Adam Bocca kam gar nicht darauf, dass es seine eigene Schuld war, den Gesprächsteilnehmer zum Schweigen gebracht zu haben. Es war einfach seine Angewohnheit, sich am Telefon mit seinem Namen in einem Tonfall zu melden, als sei nicht er der Angerufene, sondern vielmehr der Anrufer, der nach einem Adam Bocca fragte.
„Hallo? Adam Bocca? Wer ist denn da?“, brüllte der junge Mann namens Adam Bocca mit nun wachsender Ungeduld ins Telefon.
Es war schon ein Kreuz, mit Adam, unserem guten Adam, zu telefonieren. Mir, der ich Adam nur so mal eben hatte anrufen wollen und deswegen zum verschreckten Gesprächsteilnehmer geworden war, ging es da nicht anders. Warum musste der Kerl seinen Namen als Frage intonieren, wenn er ans Telefon ging? Das war doch zum Verrücktwerden.
„Ja, Adam, hallo, immer schön ruhig, hier ist Oskar“, meldete ich mich schließlich doch, nachdem ich meine Fassung zurück gewonnen und den Entschluss gefasst hatte, mich nicht länger von Adam anbrüllen zu lassen.
„Ja“ antwortete Adam. Jeden anderen Gesprächspartner hätte diese Einlassung vor ein neues Rätsel gestellt, aber weil ich Adams telefonische Unarten gut kannte und seinen Tonfall zu deuten wusste, war mir klar, dass er sich beruhigt hatte und nicht mehr seinen Namen fragend in den Hörer schreien würde, immerhin. „Ach so“, fuhr Adam ungewohnt wortreich fort, „hallo Oskar. Na?“
„Na was?“ entgegnete ich unwirsch.
„Na, was gibt’s?“ wollte Adam wissen. „Warum rufst du an?“
„Ich…“ Es machte mich einfach sprachlos, dass Adam nicht einmal zu ahnen schien, warum ich anrief. Ich hatte ihn offenbar in einem seiner besonders zerstreuten Augenblicke erwischt. „Geht das klar?“ fragte ich. „Ich meine, heute Nachmittag?“
„Von mir aus“, antwortete Adam und ich war beruhigt. „Was schlägst du denn vor?“ Das hingegen beunruhigte mich wiederum.
„Wie wär’s mit Kaltgetränken?“ erinnerte ich Adam an seine Pflicht.
Immerhin hatten wir uns schon gut drei Wochen zuvor verabredet, bei einigermaßen brauchbarem Wetter ins große Strandbad an der Kirna zu gehen. Und um uns nicht für viel Geld am dortigen, zugegebenermaßen fantastisch sortiertem, aber strandbadmäßig teuren Kiosk, dem „Goldenen Erpel“, versorgen zu müssen, um also gepflegten Reisbierkonsum mit vertretbarem Aufwand sicherzustellen, hatten wir akribisch aufgeteilt, wer was mitbringen sollte. Adam hatte auch dabei nicht richtig aufgepasst und prompt die Mitnahme von vier Sixpacks aufgedrückt bekommen. In seiner Zerstreutheit war ihm vermutlich entgangen, dass er damit mehr als einen ganzen Kasten Bier mitschleppen musste, während wir anderen uns damit rausredeten, wir würden unsere Pflicht erfüllen, wenn wir ein oder zwei Flaschen Synthie-Likör oder ähnlichen Mist mitbrächten. Nun war das Wetter, genau richtig zum Wochenende, überaus prächtig, und der Reisbiergenuss konnte unter allerbesten Bedingungen steigen. Schon deshalb waren Adams Erscheinen und namentlich sein Anteil an der Getränkeversorgung überragend wichtig. Mal gut, dass ich ihn angerufen und daran erinnert hatte.
„Ach so, Kaltgetränke“, antwortete Adam, sich offenbar seines Versprechens erinnernd, „ja, von mir aus sehr gerne. Wann und wo? Und vor allem: Wer kommt alles mit?“
Er hatte es vergessen, soviel stand fest. Vollkommen verschwitzt. Ganz sicher hatte er das Bier nicht einmal besorgt. Ob es jetzt schon zu spät war? Meine Verwunderung wich grenzenloser Empörung über so viel Saumseligkeit in einer so wichtigen Sache.
„Ach, scheiße, Adam!“ entfuhr es mir deshalb, ich war sogar zu empört, um sprachlos zu sein. „Heute um drei! An der Kirna! Am ‚Goldenen Erpel’!“
„Wir – hatten wir uns verabredet?“
„Mann! Klar hatten wir uns verabredet! Aber, ey, auf so’nen Arsch wie dich habe ich ja schon fast keinen Bock mehr. Wenn das Bier von selber hinlaufen könnte, könntest du mir gestohlen bleiben. Und bitte“, fiel ich ihm ins Wort, als er etwas entgegnen wollte, „und bitte nerv‘ mich jetzt nicht mit so einer dämlichen ‚Was denn für’n Bier‘-Frage, ich dreh sonst noch durch.“
„Oh“, hauchte Adam verlegen.
„Allerdings ‚oh‘!“, schnauzte ich ihn an. „So was von unzuverlässig, einfach die Clique hängen lassen – scheiße, Adam!“
„Was…, wie…, ich meine, wie viel hatte ich denn versprochen mitzubringen?“ fragte Adam vorsichtig.
Ha, da waren wir ja wieder im Geschäft!
„Sechs Sixpacks, mein Freund“, log ich, Strafe musste sein und die Chance, Adams schlechtes Gewissen bis zum Anschlag auszunutzen, konnte ich mir nicht entgehen lassen. „Sechs Sixpacks, weißte Bescheid? Wir haben uns alle auf dich verlassen – alle! Okay, ich muss jetzt Schluss machen, um den anderen schnell abzusagen, schade dass es nichts wird. Keine Angst, ich sage denen schon nicht, dass du es versaut hast.“
Natürlich hatte ich nichts dergleichen vor. Ich dachte gar nicht daran, das lange geplante Strandbadvergnügen sausen zu lassen. Mit meinem Bluff wollte ich Adams Eilfertigkeit, seine Trödelei wieder gut zu machen, nur noch mehr steigern. Ich hatte keinen Zweifel, dass er darauf einsteigen würde.
„Nein, nein, nein!“ widersprach Adam prompt, „kein Thema, gar kein Problem, das krieg ich noch hin, ich komme und bring natürlich das Bier mit.“
„Ach nööö..“, maulte ich, „das schaffst du doch gar nicht mehr, ist doch schon viel zu spät, ist halt rum jetzt.“ Ich erschrak: Hatte ich es übertrieben? Adam eine zu einfache Ausrede geboten, sich doch noch auszuklinken?
„Ach was, Kinderspiel“, widersprach Adam – Glück gehabt! „Es ist jetzt“ – rumms! knallte sein Telefon runter als er auf seine Uhr sah, nach einigem Geraschel und Geknacke war er wieder dran – „es ist jetzt ja erst kurz nach zwölf, klar, schaffe ich. Wie viele Sixpacks nochmal?“
„Sechs, Adam, immer noch sechs.“ In voller Fahrt lügt es sich halt am besten. „Du hast uns sechs Sixpacks versprochen.“
„Echt? Gleich sechs?“
„Ja-a!“ bestätigte ich in strengem Befehlston.
„Boah, wie soll ich denn so viel schleppen?“ Ein berechtigter Einwand, den ich aber auf gar keinen Fall gelten lassen wollte.
„Keine Ahnung, hättest du dir vielleicht vorher überlegen sollen. Kannst ja diese komische fahrbare Einkaufstasche nehmen, mit der du immer ins Handelszentrum losziehst.“
„Stimmt, na gut. Irgendeine bestimmte Sorte? Berry-Bräu? Das Premium von denen vielleicht?“ lockte Adam meinen vergebenden guten Willen. Der arme Junge, ich hätte es eigentlich gut sein lassen sollen.
Aber ich konnte einfach nicht widerstehen: „Du musst schon selber wissen, was du uns versprochen hast.“
„Ist ja gut!“ moserte Adam, und ich ließ es lieber damit bewenden, noch hatte ich ja einen weiteren Wunsch an ihn, eine noch größere Zumutung.
„Also dann – vielen Dank, trotzdem“, verkündete ich huldvoll und konnte förmlich hören, wie erleichtert Adam darüber war, noch einmal alles geregelt zu haben.
„Gut. Prima. Also dann – bis nachher.“
Â
Weiter geht es mit der nächsten Folge übermorgen, 31. Juli 2012. Dann wird Oskar endlich mit der Sprache rausrücken, was eigentlich sein Plan ist, in den er Adam unbedingt einweihen will.Â
Bis dahin!