Erster Akt - Der Einbruch
Johannes Rasputin Solaris schnupperte in die Nachtluft. Er umklammerte einen edlen, dunklen Gehstock mit einem goldlackierten Totenkopf als Knauf, bei dessen Formung weniger darauf geachtet worden war, dass er menschlich aussah, als dass sich Johannes Finger perfekt daran schmiegen konnten. Erneut zog der junge Mann die würzige Nachtluft ein. Das Aroma des Baumes, auf dem er und sein Partner in Militärs Sitz knieten roch nach nassem Laub und borkiger Rinde.
Er besah seinen Kumpanen, der rechts von ihm auf einem stabileren Ast Stellung bezogen hatte. Trotz seiner schweren Lederjacke und den dicken Cowboystiefeln war Solaris verdammt leicht, weniger weil er es so wollte, als dass er nicht zunehmen konnte, egal wie sehr er fraß.
Raphael Angel Gerassimow zu seiner Rechten aber, ein langjähriger Freund und einer seiner engsten Vertrauten, war sehr breit gebaut, das meiste waren Muskeln und Knochen aber Fett war ohne Zweifel auch dabei. Im Gegensatz zu Johannes trug er ein reißfestes Thermopolymer Und darüber dünne Kleidung. In der Hand trug er einen zielsicheren Compoundbogen und dazu auf dem Rücken einen Köcher. Darin waren einige leichte bis schwere Jagdpfeile, einige Sportpfeile und sogar ein paar von Johannes Spielereien, eine kleine Überraschung für seinen Partner, da er diese Pfeile vorher nicht hatte ausprobieren dürfen.
Plötzlich schaltete sich in dem Hochhaus gegenüber ein Licht an, ein kleines Fenster flammte auf. Ein breites Grinsen zog sich über Johannes Gesicht und er ergriff seinen Stab fester.
"Angel?" fragte er leise.
"Rasputin?" brummte sein Kumpan.
"Es geht los" flüsterte Johannes und lies sich vom Baum ab, wo er ohne ein Geräusch auf dessen überstehenden Wurzeln landete und auf das Haus zu rannte.
"Gib mir Rückendeckung, Gerassimow!" schrie er noch, dann verschwand er in dem kleinen Eingangshäuschen vor dem Gebäude.
Seine Lederjacke knarrte, als er sich drehte und aus einer Tasche an seiner Seite einen kleinen Stecker zog. Er benutze ungern Funkgeräte, die man sich ins Ohr stecken musste, aber in diesem Fall ging es kaum anders. Sorgsam steckt er sich den Knopf ins Ohr und drückte darauf. Mit einem leisen Surren im Hintergrund meldete sich Raphael.
"Ich sehe dich" funkte er knapp.
"Das ist auch dein Job" flüsterte Johannes.
Er legte die linke Hand auf das Tastenfeld an der Tür, da er die rechte Hand nicht von seinem Gehstock heben wollte und ein paar kleine Entladungen knisterten zwischen seinem Fleisch und dem kalten Metall. Mit einem sterilen Zischen öffnete sich die zweiflüglige Metalltür vor ihm und gab den Weg in das mehrstöckige Firmengebäude frei.
Sorgsam setzte der Deutsche einen Fuß vor den Anderen. Wie sein Kumpan war er zwar nicht hier in Weißrussland geboren, aber hatte sich einen Namen zugelegt, der wenigstens ansatzweise russisch klang. Oder auch nicht.
Johannes trat in einen kleinen Vorraum, wohl die Informationsschalter und tat, was er immer tat, wenn er an einen neuen Ort kam; er lehnte den Kopf etwas zurück und roch in die muffige Luft des ansonsten topmodern wirkenden Raumes. Er konnte Kupfer riechen, Eisen und Argon in den Neonlampen im Nebenzimmer. Er zog die Stirn kraus. Argon war ein Edelgas, dass in dieser Lampenart blau leuchtete.
Wofür braucht man in einer Abstellkammer blaues Licht?, fragte er sich.
Es knackte in seinem Ohr.
"Rasputin, ich sehe drei Typen die auf dich zukommen. Bist du da gleich weg, oder soll ich mich drum kümmern?" meldete sich Angel.
"Mach du das, ich sehe mir das hier mal an"
"In Ordnung. Auf Spur bringen, Ablenken, Ausschalten. Nicht tödlich nehme ich an?" fragte er fast beiläufig.
"Nein, nur betäuben. Keine unnötige Aufmerksamkeit erregen"
Ein Seufzen tönte durch die Leitung.
"War ja klar. Aber im Ernst, die drei stehen so dämlich da, die könnte ich mit zwei Schuss ausschalten. Ich kann ohne Zielfernrohr die Halsschlagader von Nummer Drei sehen. Und solche Idioten nennen sich Profis!"
Johannes seufzte.
"Mach deine Arbeit, Raphael"
"Das würde ich, wenn Herr Moralapostel mir nicht immer dazwischenfunken würde."
Der Deutsche zog zischend die Luft ein und als er wieder begann zu reden, hatte er einen staken Akzent.
"Herr Moralapostel? Ich geb dir gleich..."
" Mannaggia!" rief der Bogenschütze dazwischen.
Johannes Italienisch war gut genug um den Fluch herauszuschmecken.
Johannes wirbelte herum und stand vor drei bewaffneten Wachen, die hektisch versuchten ihre Elektroschocker auf ihn zu richten.
"Meine Herren, ich kann ihnen versichern, dass..." begann er, da seine sprichwörtliche Silberzunge ihn schon aus so mancher Patsche befreit hatte, doch in diesem Moment klirrte ein Fenster und ein Pfeil schoss herein. Die Spitze des Geschosses barst unter lautem Zischen und ein übler Gestank breitete sich in dem Raum aus. Neon, wusste Johannes, das bevorzugte Element Raphaels. Durch das giftige gas betäubt, brachen die Wärter zusammen und fielen in einer leicht prekären Stellung übereinander.
"Das wäre nicht nötig gewesen!" zischte der Deutsche in das kleine Mikro.
"Das wäre nicht nötig gewesen?", echote der Italiener, "Bist du sicher Rasputin?"
Der Deutsche ließ seinen Blick über die zusammengebrochen Männer schweifen. Der Oberste, also der der ganz hinten gestanden hatte, hatte noch den Finger am halb zurückgezogenen Abzug eines modernen Revolvers.
"Oh..." murmelte der Mann mit der Lederjacke.
"Ja, Oh! Und jetzt mach du deinen Job!" schnarrte der Andere und legte hörbar einen neuen Pfeil an.
Rasputin sah aus dem zersplitterten Fenster und erkannte in einiger Entfernung zwei gelbe Lichtpunkte, eine Spielerei mit Neon mit der Raphael gern angab.
Schnell drehte sich Johannes um und sein Gehstock klickte leise, als er zu der kleinen Abstellkammer eilte.
Wieder legte er die linke Hand auf und die Tür schnurrte widerwillig auf. Eilig trat er hinein und stand tatsächlich in einem blau erleuchteten Räumchen. An der Wand befand sich eine Steuerung wie in einem Aufzug.
Rasputin grinste und griff sich ans Ohr.
"Raphael ich habs. Die Idioten habens gleich beim Eingang versteckt. Wir treffen uns in zwei Minuten hier, ich knacke solange den Kasten"
"In zwei Minuten? Meinst du nicht in t minus zwei Minuten?" fragte Raphael hoffnungsvoll.
"Nein, ich meine in zwei Minuten"
"Oh. Okay"
Johannes drehte sich zurück zu der Steuerung und leckte sich über die Lippen. Langsam hob er die Hand und der Geruch von Ozon kam auf.
Eine Minute und dreiundvierzig Sekunden später standen mit ihm in dem engen Aufzugsschacht noch Raphael und sein sperriger Bogen. Mit einem Klicken ließ er diesen aber zusammenfahren und steckte ihn in eine Art Holster an seinem rechten Oberschenkel. Stattdessen zog er aus einer kleinen Sporttasche, die er diagonal zu seinem Köcher auf seinen Rücken geschnallt hatte, eine modifizierte Sportarmbrust und ein von Johannes entwickeltes Magazin mit Bolzen statt Kugeln.
Wieder knisterten Entladungen um die Hand des Deutschen und sein mittellanges, braunes Haar hob sich etwas. Seine stechend blauen Augen wurden in dem intensiven Licht zu zwei wahnsinnigen Lichtpunkten. Gegen ihren Willen wurde die Tafel grün und gab ein gequältes Pfeifen von sich.
Surrend fuhren die Beiden den Schacht hinunter.
Den Neongestank von Raphael einmal ausgeblendet, roch Alles stark nach gammligem Fisch. Johannes Nase begann zu jucken. Er hatte Witterung aufgenommen.
"Vladimir..." murrte er.
"Du riechst ihn schon?" fragte der Italiener.
"Ja" antwortete Johannes.
"Wie weit ist er entfernt?" fragte sein Partner im Plauderton.
"Etwa... hundertfünfzig, maximal hundertfünfundsiebzig Meter?"
"Wie viele sind bei ihm?"
"Kann ich nicht sagen. Ich habe schon seine Witterung aufgenommen..."
"Beherrsch dich, Rasputin!" grollte der Hüne.
Konzentriert versuchte Johannes den Fischgeruch zu ignorieren.
"Es sind noch ein paar bei ihm... weitere drei Leute, also insgesamt vier. Einer riecht, die Anderen sind nur normale Menschen. Also haben wir vielleicht außer Vladimir noch einen Opponenten" ratterte der Deutsche herunter.
"Deine Nase ist beeindruckend" sagte Raphael.
"Wenn du wolltest, könntest du das auch lernen"
"Ich bin aber kein Naturtalent, wie unser Musterschüler hier. Und für den Job hab ich ja dich. Also?"
Rasputin schnaubte.
Mit einem Leisen Summton öffneten sich die Türen und gaben den Weg in die wohl geheime Etage frei. Der freundliche Ton schaffte es nicht ganz, das scharfe Klicken von Raphaels Armbrust zu überdecken.
"Rein, Informationen holen, raus?" fragte er, immer noch im Plauderton, aber diesmal gedämpft um bei geöffneter Tür nicht zu laut zu sein.
"Rein, Informationen holen, raus, ist ein bisschen arg vereinfacht, oder?"
"Möglich?"
Johannes seufzte.
"Na dann?"
Ohne ein Geräusch trabten die Beiden im Gleichschritt los. Sie folgten Johannes Nase bis vor eine verspiegelte Keramiktür, die mit geschmacklosen Topfpflanzen geziert war.
Rasputin konnte einen gereizten Huster nicht unterdrücken. Er hasste nicht akkurate Dinge über Alles.
Raphael schnippte mit den Fingern und mit einem demonstrativen Surren gingen die Neonlampen um sie herum aus, sodass Johannes linke Hand die einzige Lichtquelle war, als er sie erneut erhob und auf das digitale Zahlenschloss der Tür legte.
Schnarrend ging die Tür auf. Eine kleine Welle Blut schwappte ihnen entgegen.
"So viel dazu, dass es vier Leute sind?" fragte Raphael.
"Na gut, zwei Leute und zwei Leichen...?"
"Schon eher..."
Ein großgewachsener, schlanker Mann mit langem glatten Haar und einem feinen Gesicht wandte sich ihnen zu. Er öffnete gerade eine weiße Seidenkrawatte, die über und über mit Blut besudelt war.
"Meister Solaris? Und Meister Gerassimow? Was führt euch nach Russland?" fragte der Weißhaarige mit einem süffisanten Unterton in der feinen Stimme.
"Wir sind hier", begann Rasputin, "Um dich etwas zu fragen"
Raphael räusperte sich.
"Vampirismus ist aber illegal, wenn man sich an lebenden Menschen bedient, Vladimir, das weißt du?" fragte er und zielte ohne hinzusehen so, dass ein kleiner Laserpointer direkt auf das Herz des Vampirs zeigte. Johannes zog ein schimmerndes Abzeichen aus Perlmutt aus seiner Jacke.
"Vladimir Ivan Jorge, im Namen des internationalen Magierordens nehmen wir dich fest, mit der Befugnis, die uns das hiesige Amt in Moskau gegeben hat"
Der Vampir sah sie aus eiskalten, hellblauen Augen an.
"Zu Schade... Igor?!"
Mit einem Grunzen brach aus dem Nebenzimmer ein grotesker Humanoid vervor, dessen grüne haut von zahlreichen Nähten geziert waren. Seine gifgelben Augen schimmerten matt und in seinen deformierten Händen hielt er eine Axt auf die gelegentlich schwärzlicher Sabber tropfte.
"Oh..." machte Johannes.
Vladimir lachte.
"Johannes Rasputin, der Märtyrer und Raphael Angel, der Himmelsschütze! Seht nur, was man noch aus alten Büchern lernen kann; Fass, Igor!"