Beschreibung
TRAUM EINES LEBENS
"Wenn ein Stern stirbt, kann sich etwas Neues aus ihm entwickeln. Wenn aber ein Mensch stirbt, wir dann auch aus ihm neues Leben geboren?"
(Falls sich noch jemand an meinen Science - Fiction - Roman"Weltenwanderung" erinnern sollte, so kommen demjenigen die Figuren vielleicht bekannt vor. Diese vier kurzen Geschichten sind Auszüge aus den Ereignissen nach den Geschehnissen in Weltenwanderung; können aber auch gelesen werden, ohne den dazugehörigen Roman zu kennen.)
Wie immer freue ich mich über jeden Leser und über ehrliche Kritik!
Stian Kan - Selveren
Regen prasselte auf die Dächer der Häuser und Nebel hüllte das Dorf ein.
Man konnte kaum mehr als drei Schritte weit sehen. Trotzdem ging Stian weiter, wollte nicht zurückkehren, ohne das Ende des Weges erreicht zu haben. Kälte kroch unter seine Kleidung und Wasser sickerte in seine Schuhe.
Ein eisiger Wind peitschte ihm ins Gesicht. Seine Nase war bereits eiskalt und seine Hände spürte er nicht mehr.
Man hatte ihm gesagt, dass es nicht weit sein würde, doch er ging bereits seit mehreren Stunden in dieselbe Richtung und noch immer hatte er es nicht entdeckt. Ein Blitz erhellte die Gegend, gefolgt von einem lauten Donnergrollen.
Er wusste, dass es gefährlich war, sich hier aufzuhalten, doch er wollte nicht so schnell aufgeben. Es war zu wichtig.
Dummerweise konnte er den Pfad nur schwer vom übrigen Gelände unterscheiden und so geschah es, dass er mehrmals vom Weg abkam. Bisher war es ihm immer wieder geglückt, zurück zu finden, doch wenn er es einmal nicht merken würde…
Ein zweiter Blitz zuckte herab und der Donner ließ den Boden vibrieren. Erschrocken zuckte Stian ein wenig zusammen.
Ihm kam es fast so vor, als wolle jemand verhindern, dass er sein Ziel erreichte. Eine höhere Macht schien etwas dagegen zu haben.
Erneut blitzte es und vor sich erkannte er den Eingang einer Höhle. Schnellen Schrittes eilte er darauf zu. Was auch immer ihn dort erwarten sollte, er würde darauf vorbereitet sein.
Wie ein nasser Hund schüttelte er sich, kaum dass er den trockenen Spalt erreicht hatte. Irgendwo im hinteren Bereich flackerte ein Feuer.
Unschlüssig sah er sich um und entschied sich schließlich dazu, weiter in die Höhle vorzudringen. Dem Leuchten der Flammen folgend trottete Stian hinein und sah sich plötzlich einer alten Frau mit einem vom Wetter gegerbten Gesicht gegenüber.
„Willkommen, Stian Kan – Selveren“, sagte sie und deutet zum Feuer. „Setz dich.“
Innerlich völlig ruhig kam er der Aufforderung nach und ließ sich im Schneidersitz vor dem Feuer zu Boden fallen. Irgendwie hatte er gewusst, auf wen er hier treffen würde.
„Du hast auf mich gewartet“, stellte er fest und während sie selbst sich auf einem Stein niederließ, der nahe beim Feuer lag, erklärte sie: „Ich habe gesehen, dass wir uns wieder treffen werden. Es musste so kommen. Du brauchst diese Begegnung.“
Stian runzelte die Stirn. „Ich brauche sie? Warum?“
„Das weißt du selbst am besten. Schließlich bist du es, der mich aufgesucht hat, nicht umgekehrt.“
„Ich bin verantwortlich für deinen Tod, für den Tod deines Volkes“, gestand er und blickte betreten ins Feuer. Erst jetzt spürte er, wie nass er tatsächlich war. Um seine Finger zu wärmen streckte er sie den Flammen entgegen. „Ich habe euren Planeten vernichtet.“
„Ja, das hast du“, stimmte sie ihm emotionslos zu.
Verwirrt blickte Stian sie an.
„Ich…“ Er wusste nicht, was er noch sagen sollte, deshalb hielt er inne und schwieg.
„Du hast Unheil über uns gebracht“, redete sie schließlich weiter. „Und jetzt fühlst du dich schuldig. Alles, woran du einmal geglaubt hast, ist für dich nichtig geworden. Das Leben hat für dich seinen Sinn verloren.“
Erstaunt über ihre Kenntnis schluckte er. „Ich…woher?“
„Ich weiß von Dingen, bevor sie geschehen. Für mich hat dieses Gespräch bereits stattgefunden, vor langer, langer Zeit und doch geschieht es jetzt und in der Zukunft. Die Zeit ist ein rätselhaftes kleines Ding. Einmal scheint sie still zu stehen, dann entflieht sie dir. Versuchst du sie anzuhalten, so wird alles nur noch schlimmer. Es ist ein Teufelskreis. Der Zeit kann man nicht entkommen. Man ist ihr hilflos ausgeliefert.“
„Aber was hat das mit mir zu tun?“
Sie blickte ihn mit ihren dunklen, unergründlichen Augen an. „Du bist ein Opfer der Zeit, Stian Kan – Selveren. Schuldig und doch wieder nicht. Das was du getan hast, wäre ohnehin geschehen.“
„Dann ist alles vorherbestimmt?“
Unbestimmt wiegte sie den Kopf hin und her. „So einfach ist das nicht, wie du zu glauben scheinst. Es gibt eben Dinge, die geschehen müssen, damit etwas anderes beginnen kann. Das Leben regelt sich selbst. Das müsstest du bereits herausgefunden haben. Manchmal muss etwas gehen, damit etwas anderes kommen kann.
Manche Pflanzen sterben, damit aus ihnen Neues erwachsen kann. Manche Tiere sterben, damit ihre Jungen etwas zu fressen haben. Das ist der Lauf der Dinge, der Kreislauf des Lebens. So ist es nun einmal und so wird es bleiben.“
„Ich verstehe nicht“, bekannte Stian und zog seine Schuhe aus, um das Wasser, das sich darin angesammelt hatte, auszuleeren.
„Das musst du auch nicht. Wichtig ist, dass du uns Unrecht getan hast und das weißt du auch. Wir haben dir bereits vergeben. Auch wenn wir dich hassen sollten, so wissen wir es besser. Du leidest unter dem Wissen, unseren Tod verschuldet zu haben. Das ist schlimmer, als alles was wir dir antun könnten. Ich spüre, wie sehr es dich grämt. Du hast sogar schon daran gedacht dir selbst das Leben zu nehmen, um das Unrecht wieder gut zu machen. Aber lass dir gesagt sein: Dein Tod macht das Geschehene nicht rückgängig. Dein Schmerz macht das Geschehene nicht rückgängig. Das, was bereits passiert ist, ist nicht mehr zu ändern. Du musst jetzt nach vorne blicken. Du musst etwas tun, was die Zukunft verändert, nicht etwas, das die Vergangenheit aufwühlt.“
„Und woran denkst du dabei? Was kann ich tun, damit das Unrecht, das ich euch angetan habe, getilgt wird?“
„Gar nichts kannst du tun um das zu erreichen. Was du jedoch tun musst, ist, dir selbst zu vergeben. Erst wenn du mit dir wieder im Reinen bist, kannst du etwas Neues anstreben.“
Für eine Weile sagte keiner von den beiden ein Wort. Die Frau musterte Stian, der gedankenversunken in die Flammen starrte. Nur das Prasseln des Regens und das Knacken des Holzes waren zu hören.
Irgendwo im hinteren Bereich der Höhle fielen vereinzelte Tropfen von der Decke.
„Ich weiß nicht, ob ich mir vergeben kann“, flüsterte Stian schließlich und streckte sich. „Es… ich kann einfach nicht aufhören, daran zu denken.“
„Das sollst du ja auch nicht“, erwiderte die Frau. „Du darfst nie vergessen, was du angerichtet hast, Stian Kan – Selveren. Denn, wenn du es einmal vergessen hast, könnte es wieder geschehen.“
„Es könnte auch so wieder geschehen. Wenn mir jemand eine Waffe an den Kopf hält, würde ich alles tun, um nicht zu sterben.“
Bestimmt schüttelte die Frau den Kopf. „Das glaube ich nicht. Du hast ein gutes Herz.“
„Das mag ja sein, aber ein gutes Herz schenkt einem noch keinen Mut. Ich bin nun mal ein Feigling und ich werde immer einer bleiben. Mein Leben ist mir wichtiger als das von tausend anderen.“
„Dass du das zugeben kannst, ehrt dich“, erklärte die Alte. „Nur, wer seine eigenen Schwächen kennt, kann stark sein.“
„Das hört sich zwar schön an, aber so ist es nicht.“
„Oh doch, so ist es. Du weißt es nur noch nicht. Alle Menschen haben Angst, ihr Leben zu verlieren, aber nur wenige gestehen sich das ein. Erst, wenn sie dem Tod gegenüberstehen, wird ihnen bewusst, wie viel ihnen am Leben lag.“
„Ich hatte im Grunde nichts von meinem Leben“, meinte Stian. „Ich hatte weder Frau noch Kinder, noch Eltern. Das einzige, das mir etwas bedeutet hat, waren meine Geschichten.“
Die Frau überlegte einen Moment und starrte nun selbst in das Feuer. „Hm“, machte sie. „Dann sollte das dein Weg zur Selbstvergebung sein“, murmelte sie. Sie sah ihm direkt in die Augen. „Schreib alles auf. Alles, an das du dich erinnerst und wenn es dir noch so unwichtig erscheint. Schreib deine Erlebnisse der letzten Tage auf und lasse alle daran teilhaben. Das, was du im Zuge dieser Reise gelernt hast, könnte auch anderen von Nutzen sein. Das soll dir Erleichterung verschaffen.“
Zweifelnd blickte Stian sie an. „Bist du sicher, dass das helfen wird? Ich meine, wer sollte sich schon für so etwas interessieren?“
„Es gibt immer jemanden, der lernen will. Leider können wir nicht alles aus Büchern lernen. Doch deine Geschichte wird die Menschen zum Nachdenken anregen und das ist wichtig. Sie müssen wissen, was geschehen kann, wenn man nicht vor sich selbst auf der Hut ist. Selbst der einfachste und freundlichste Mensch könnte großen Schaden anrichten, wenn man ihm nur das richtige anbietet, oder ihm mit dem richtigen droht. Sobald man die Schwäche eines Menschen herausgefunden hat, kann man ihn manipulieren. Merk dir das für die Zukunft!“
„Ich werde es mir merken“, versprach Stian und erhob sich.
„Ich muss jetzt gehen“, erklärte er. „Danke für deine Gastfreundschaft. Vielleicht werden wir und ja wieder sehen.“
Er verließ die Höhle und die Alte blieb allein zurück.
„Ja, wir werden uns wieder sehen“, murmelte sie und stocherte mit einem Stock im Feuer herum. „Allerdings nicht in diesem Leben.“
Kadin Kan - Lervon
Kadin durchschritt die Wiese, ohne genau zu wissen, wo er eigentlich hin wollte. Er war einfach losgelaufen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, weshalb. Jetzt stand er inmitten von Kornblumen und Löwenzahn und wusste nicht mehr weiter.
Sonnenstrahlen wärmten sein Gesicht und ein leichter Wind strich ihm durchs Haar. Er hielt an und sah sich um.
Soweit sein Auge reichte, sah er nichts als Wiesenblumen und Sträucher. Am Horizont waren weder Berge noch Häuser auszumachen.
Seufzend ließ er sich ins Gras sinken, das so hoch gewachsen war, dass es ihn gänzlich verbarg. Ein paar Bienen flogen geschäftig an ihm vorüber.
Wo war er hier bloß hingeraten? Wie hatte er einfach loslaufen können, ohne sich Gedanken über seine Rückkehr zu machen.
„Du solltest dir nicht all zu viele Sorgen machen.“
Die Wand aus Gras neben ihm teilte sich und das Gesicht seines Bruders lachte ihm entgegen. „Bisher hast du dir nie Sorgen gemacht“, meinte dieser und ließ sich neben ihm zu Boden fallen.
Ungläubig starrte Kadin Feodor an.
„Es hat sich einiges geändert, seit du…“ Er konnte nicht weiter sprechen. Ein Kloß hatte sich in seinem Hals gebildet.
„Seit ich gestorben bin, wolltest du sagen, nicht wahr?“
Kadin nickte und starrte das Gras zu seinen Füßen an.
„Du brauchst dich nicht davor zu fürchten, es auszusprechen. Es ist nicht so schlimm, wie du vielleicht glaubst.“
„Ich hätte dich nie auf diese Mission mitnehmen dürfen. Sie war von Anfang an zu riskant.“
„Hör auf, dir Gedanken über das Vergangene zu machen. Du existierst im hier und jetzt.“
„Ich existiere?“ Ungläubig starrte Kadin seinen jüngeren Bruder an. „Ich bin tot. Jedenfalls sollte ich das sein. Ich weiß nicht, was mit mir ist. Ich weiß nur, dass Kan – Mercrows Leute auf mich geschossen haben, dass ich gespürt habe, wie die Kugeln meinen Körper durchdrangen, wie mein Herz ein letztes Mal gezuckt hat.“ Er schüttelte den Kopf. „Und du behauptest, dass ich existiere?“
Feodor seufzte. „Gaia hat dich aufgenommen, wie auch mich. Sie hat uns alle gerettet.“
„Glaubst du wirklich? Ich bin mir da nicht so sicher. Wer weiß, was sie wirklich von uns will.“
„Du musst aufhören immer so negativ zu denken. Das passt nicht zu dir.“
„Ich bin ein anderer Mensch geworden, Feodor. Die Menschen, denen ich vertraute, haben mich hintergangen. Sogar unser eigener Vater hat mit Kan – Mercrow zusammengearbeitet. Kannst du dir das vorstellen? Er hat seine eigenen Kinder verraten.“
Feodor seufzte nur erneut.
Minutenlang herrschte Schweigen zwischen den beiden. Nur das Summen der Bienen war zu hören, durchbrochen vom Gezwitscher der Vögel.
„Wo sind wir hier überhaupt?“, fragte Kadin schließlich, was Feodor zu einem Lachen veranlasste.
„Das musst du wissen. Schließlich ist das dein Traum.“
„Ein Traum? Wie meinst du das?“
„Wie ich es sage.“ Ruckartig erhob der jüngere der beiden sich und drehte sich einmal im Kreis. „Ziemlich eintönig, deine Traumwelt.“
Kadin stand ebenfalls auf und blickte sich noch einmal um. An dem Anblick hatte sich jeodch nichts geändert.“
„Ich träume das alles nur?“
„Was dachtest du denn?“ Langsam setzte Feodor sich in Bewegung und sein Bruder folgte ihm. „Dein Körper existiert schließlich nicht mehr. Gaia hat dich in eine Art Tiefschlaf versetzt, in dem du solange verweilst, bis deine Seele stark genug ist, um eine neues Leben zu beginnen.“
„Und wie kommst du dann hierher?“, fragte Kadin.
Der andere drehte sich zu ihm herum und ging rückwärts weiter. „Du hast an mich gedacht und ich bin gekommen.“
„Können wir uns öfter sehen?“
„Natürlich, wenn du es willst.“
Der Wind wurde stärker. Er drückte das Gras zu Boden und ließ Kadin taumeln. Regenwolken ballten sich zusammen.
„Wird auch Zeit, dass du etwas Schwung hier herein bringst“, lachte Feodor und im nächsten Moment war er wieder verschwunden.
Kadin blieb allein zurück mit seinen Gedanken. Die ersten Regentropfen benetzten seine Haut, dann brach das Gewitter los. Völlig bewegungslos verharrte der junge Mann dort, wo er war. Wind und Wetter ausgesetzt.
Er war sich nicht sicher, was er von alledem halten sollte. Konnte dies wirklich sein? Für einen realistisch denkenden Menschen wohl eher nicht. Aber war es nicht ohnehin egal, ob das alles hier wirklich geschah, oder nur ein Teil seiner Einbildung war?
Kopfschüttelnd setzte er sich wieder in Bewegung. Regen und Wind trotzend schritt er weiter und weiter, bis ans Ende seiner Vorstellungskraft und darüber hinaus.
Averil
Das Wasser war angenehm warm. Mit schnellen Armbewegungen bewegte Averil sich auf die Mitte des Sees zu. Die Sonne schien vom Himmel und spendete wohlige Wärme. Der See lag auf einer Lichtung in einem kleinen Wäldchen, das sie erst vor kurzem entdeckt hatte. Hier war es so wunderschön, aber einsam.
Bisher war sie noch auf niemand anderen getroffen. Sie schien der einzige Mensch hier zu sein. Wo auch immer hier war.
Das letzte, an das sie sich erinnerte, war der Lauf einer Pistole, mit der aus nächster Nähe auf sie gezielt worden war. Danach setzten ihre Erinnerungen völlig aus. Was war bloß geschehen? Sie wusste nicht, wie viel Zeit seit daher vergangen war. Zeit hatte an diesem Ort keinerlei Bedeutung. Es gab Tage und Nächte, doch auch diese schienen sich nur in unregelmäßigen Zeitabständen abzuwechseln.
Sie holte tief Luft und tauchte unter. Lange blieb sie unter Wasser und genoss das kühle Nass. Dann tauchte sie wieder auf und schwamm auf das Ufer zu. Dort ließ sie sich nieder und ruhte sich für einen Moment aus.
Rund um sie herum war alles still.
„Ich hätte nicht gedacht, dich hier anzutreffen.“
Verwirrt öffnete Averil die Augen und musste blinzeln. Erst auf den zweiten Blick hin erkannte sie den Mann, der ihr im Licht stand wieder.
„Du?“
Stian ließ sich neben ihr zu Boden sinken und blickte auf den See hinaus.
„Es freut mich, dass auch du von Gaia aufgenommen wurdest. Einen solchen Tod hattest du nicht verdient.“
„Tod? Wovon sprichst du?“
„Haakon hat dich erschossen, aber Gaia, der Wanderplanet, hat deiner Seele ein neues Zuhause geschenkt.“
„Ich hatte Recht, oder?“, fragte sie unvermittelt.
Mit hochgezogenen Augenbrauen starrte Stian sie fragend an. „Womit?“
„Kadin hat diesen Planeten vernichtet.“
Ihr Gegenüber schüttelte bestimmt und gleichzeitig traurig den Kopf. „Nein, nicht er hat Sholgrath vernichtet, sondern ich. Kadin hatte vor die Bomben auf einem unbewohnten Planeten abzusetzen. Er wurde von denen beauftragt, die diesen Stoff entdeckt hatten. Sie hatten Angst vor ihren eigenen Entdeckungen bekommen und wollten diese Bomben auf schnellstem Wege loswerden. Lorcan, einer der Wissenschaftler, die mit an Bord des Raumschiffes waren, das du so erfolgreich geschrottet hast, hat für die Machthabenden Lunons gearbeitet. Er hat mich dazu gezwungen, die Bomben abzuwerfen.“
„Und das hast du tatsächlich getan? Wie konntest du nur?“
„Ich bin nicht stolz darauf“, gestand er. „Aber ich hatte keine Wahl. Lorcan hätte mich ansonsten getötet.“
„Na und?“, begehrte sie auf. „Was ist schon ein Leben im Gegensatz zu mehreren Hundert?“
„Ich bin noch nie mutig gewesen“, erklärte Stian. „Mag ja sein, dass du so gehandelt hättest, aber ich konnte es nicht. Ich hänge nun mal an meinem Leben.“
„Wie kann man nur so feige sein. Was machst du überhaupt hier?“, wechselte sie plötzlich das Thema.
„Das sollte ich eigentlich dich fragen. Schließlich hast du mich gerufen.“
„Was?“ Verständnislos blickte Averil ihn an. „Was redest du da?“
„Du musst an mich gedacht haben, ansonsten wäre ich nicht hierher gelangt. Das ist schließlich deine Welt.“
„Meine Welt?“, wiederholte sie und die Verwirrung stand ihr auf die Stirn geschrieben.
„Deine Seele hat deinen Körper verlassen, als du gestorben bist und sie hat in Gaia eine neue Heimat gefunden. Sie kann jedoch nichts anderes als zu träumen. All das, was du um dich herum siehst, ist von dir erträumt.“
„Ich habe aber nicht an dich gedacht“, erklärte sie trotzig und erhob sich, um ihn von oben herab anzublicken. „Verschwinde gefälligst.“
Von einem Moment auf den anderen war er tatsächlich verschwunden und sie blieb einsam zurück. Sie hob ihren Blick zum Himmel und flüsterte:
„Nein, bitte, komm zurück. Es ist so einsam hier.“
Richart Kan - Alder
Richart Kan – Alder saß an seinem Küchentisch und rauchte. Draußen war es bereits dunkel und im Kamin brannte ein Feuer. Seine Frau schlief tief und fest. Wieder und wieder fragte er sich, was geschehen war. Er konnte sich nicht mehr erinnern. Man hatte ihn hinrichten wollen. Soviel wusste er noch, aber was war dann passiert?
Gähnend blickte er aus dem Fenster. Jedoch konnte er fast nichts erkennen. Aus irgendeinem Grund erhob er sich, öffnete die Tür und trat hinaus in die klare kalte Nacht. Er hob den Blick zum Himmel, an dem so viele Sterne leuchteten, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte. In der Ferne schrie ein Vogel und der Wind rauschte durch die Blätter der Bäume.
Egal, wo er sich auch befand: Richart war zufrieden. Er hatte seine Frau hier bei sich und ebenso seine Kinder. Alles, was er liebte war hier und in Sicherheit, nur das zählte. Alles andere war nebensächlich.
Nachdenklich schritt er den Pfad entlang, der von seinem Haus in den Wald führte. Hohe Bäume mit gewaltigen Kronen ragten um ihn herum auf. Durch das Licht der zahlreichen Sterne konnte er gerade noch sehen, wo er hin ging. Mehr jedoch nicht. Es roch nach abgefallenen Nadeln und feuchtem Moos. Unter seinen Füßen spürte er die sanften Moospolster.
Eine leise Melodie schallte ihm entgegen. Er wusste nicht, woher sie kam, doch er wollte es unbedingt herausfinden. Seine Füße bewegten sich immer schneller, bis er fast lief. Seit sie hier her gekommen waren, waren sie noch auf keinen anderen Menschen gestoßen doch diesmal vernahm Richart hundertprozentig menschliche Stimmen. Schwer atmend hielt er im Laufen inne und horchte.
„Hohe Berge, tiefe Seen,
Menschen die sich verstehn,
weite Felder, so wunderschön.
Warum musste ich gehen?
Du schenktest Freude,
Du schenktest Mut,
Du gabst mir Hoffnung,
Das tat so gut.
Über dir leuchteten die Sterne,
So hell wie nirgends auf der Welt.
Spätabends blickte ich so gerne
Verträumt in dein Himmelszelt.
Du hieltest vielen Kriegen stand.
Von Blut getränkt war einst dein Land.
Doch den Kriegen folgte Frieden.
Die Menschen einte ein enges Band.
Dieses Band ist noch nicht gebrochen.
Solang´s dich gibt sollt auch es bestehn.
Wir lassen es unausgesprochen,
Doch irgendwann wird es vergehn.
Die Zeit ist bereits angebrochen,
Es vergeht und wir bleiben bestehn
Meine Gedanken sind nun ausgesprochen.
Ich werde immer zu dir stehn.
Ich stehe zu dir, meine Heimat.
Ich stehe zu dir, Land des Glücks.
Ich stehe zu dir, auch wenn ich fort bin.
Ich stehe zu dir und kehr zurück.
Ich stehe zu dir im Frieden,
wie auch in der Not.
Ja, ich stehe zu dir, da komme was mag
Im Leben wie auch im Tod.
Nur für dich geh ich in den Tod.
Nur für dich geh ich in den Tod.
Nur für die Heimat geh ich in den Tod.“
Das Lied berührte etwas tief in seinem Inneren. Tränen traten ihm in die Augen. Was war bloß aus Lunon geworden? Er hatte immer geglaubt, von anständigen Bürgern umgeben zu sein, doch die Geschehnisse der letzten Tage hatten ihn eines besseren belehrt. Die Lunoner waren nicht besser als der Rest des Universums.
Einen Moment lang verweilte er noch, lauschte weiter in die Nacht hinein, doch die Stimmen ließen sich nicht mehr vernehmen. Seufzend wandte er sich wieder um und schritt den Pfad zurück. Er würde sich schlafen legen und alles vergessen. Er wollte nicht länger darüber nachdenken. Es war Zeit, das Geschehene hinter sich zu lassen und in die Zukunft zu blicken. Mit einem letzten bedauernden Blick schloss er die Tür hinter sich, blies eine Kerze aus, die auf dem Tisch brannte und begab sich dann in sein Schlafzimmer.
Nun war es Zeit, an die Zukunft zu denken.
© Fianna 2012