Kapitel 10 Irrlicht, Nebel, Spiegelglas
Liron sah zu der über dem Boden schwebenden Lichtkugel.
,, Und was seit ihr ?“ , fragte er.
,, Das ist ein Irrlicht. Es hat mich hergeführt.“ , erklärte Fylla.
,, Ich kann mich durchaus selbst vorstellen.“ , antwortete das Irrlicht. ,, Mein Name ist Lis. Und ihr heißt Liron?“
,, Richtig.“ , antwortete Liron.
,, Ich kannte mal einen Liron. Allerdings habe ich das letzte Mal gesehen als er noch ein Kind war. Ich frage mich allerdings immer noch wie es euch möglich war das Wesen hier zu Vernichten.“
,, Ich weiß es nicht.“ , antwortete Liron als er an den im hinteren Teil des kleinen Hains gelegenen Brunnen zuging. ,, Aber…“ Er sah ins Wasser und verstummte. Da war wieder die Gestalt die nicht er sein konnte… und doch so ähnlich. Dieselben glühenden Augen die ihm entgegensahen wo eigentlich sein Spiegelbild sein müsste. Er sah weg. ,, Ich weiß es nicht.“ Und er fürchtete die Antwort.
Was geschah mit ihm? Verlor er vielleicht einfach langsam den Verstand?
,, Also wir sind hier. Wie geht es weiter?“ , fragte Fylla. Genau in diesem Moment trat eine weitere Gestalt aus dem Nebel und nahm Form an. Gefolgt von einer weiteren. Auf allen Seiten erschienen geisterhafte, menschliche Gestalten. Dieselben Zwanzig denen sich Liron das letzte Mal gegenüber gesehen hatte.
Fylla sah sich nach allen Seiten um. Das plötzliche Auftauchen der Gruppe von Geistern hätte wohl jeden der es nicht schon kannte verunsichert.
Varis , Jaret und die anderen Seher deren Namen teilweise in der Geschichte verloren waren.
,, Warum sucht ihr uns nach all der Zeit erneut auf ?“
,, Ich brauche ein paar Antworten. Es gibt einige Dinge über die ich mehr wissen muss.“ , antwortete Liron an den Geist eines alten bärtigen Mannes gerichtet. Varis Galeron, der erste der Seher.
,, Und ihr bringt weitere Lebende an diesen Ort.“ , meinte der Geist einer jungen Frau. Allerdings nicht als Vorwurf sondern mehr als eine simple Feststellung.
,,Ich stehe übrigens genau hier.“ , sagte Fylla. Wenn man sich erst einmal an den seltsamen Anblick von zwanzig durchscheinenden Gestalten gewöhnt hatte kam es einem nur noch halb so seltsam vor. Trotzdem musste sie sich einfach fragen was für Magie hier am Werk sein musste. Mit den Toten in Kontakt treten war etwas das selbst für Magier als unmöglich galt. Möglicherweise war es ja umgekehrt. Die Geister traten mit ihnen in Kontakt. Was immer noch zu derselben frage führte.
Das Irrlicht hatte bisher geschwiegen. Jetzt jedoch wendete es sich an Fylla. ,, Er ist ein Seher ?“
,, Lis ?“ , Einer der Geister hatte sich zu ihnen umgedreht. Einer der beinahe eine ältere Version von Liron hätte sein können.
,, Hallo alter Freund.“
,, Es ist eine Weile her. Aber zurück zu euch. Liron. Was machst du hier?“
,, Wie schon gesagt. Ich muss einige Dinge wissen. Zum Beispiel über das Buch des Blutes. Die Schriften der alten Magier.“
,, Hat es also doch einen Weg zurück in die Welt gefunden. Ich hätte es verbrennen sollen. Aber ich fürchte ich kann dir nicht helfen. “ Die übrigen Geister verschwanden und wurden wieder zu formlose Nebel. ,, Du hast die Geschichten darüber doch sicher gehört. Ein altes Buch mit allem Wissen das man begehrt. Das einen Zauberer in den Wahnsinn trieb.“
,, Aber ihr müsst doch irgendetwas Wissen.“
,, Liron. Es ist nicht so, dass ich es nicht wissen würde. Es geht mehr darum das du es besser selbst rausfindest. Aber… eines vielleicht.“
,,Was ?“ , fragte er. Grade hatte er noch gefürchtet die ganze Reise umsonst gemacht zu haben, jetzt jedoch war er bereit jeden Hinweis anzunehmen die ihm der Geist noch geben konnte.
,, Such nach Alexis. Möglicherweise kann er einige eurer Fragen beantworten. Und Liron… fang.“
Aus dem Nebel heraus formte sich ein kreisrunder Gegenstand den Liron auffing. Ein Spiegel etwa so groß wie seine Faust. Und wieder sah er nicht sich selbst darin.
,, Was soll ich damit ?“
,, Ich denke du wirst es im richtigen Augenblick schon wissen.“ Erklärte Jarets Geist während Liron den Spiegel an seinem Gürtel befestigte, sorgsam darauf bedacht nicht hinein zu sehen.
,, Lebt Wohl. Ich bezweifle das wir uns wiedersehen werden. Und passt mir auf sie auf.“, sagte Jaret in Richtung des Irrlichts Lis bevor die Gestalt ihre Form verlor und zu Nebel wurde.
,, Ihr kanntet Jaret ?“ , fragte Fylla an das Irrlicht gerichtet.
,, Ich kannte ihn noch da war er selbst nichts als ein Junger Mann auf der Flucht. Seit dem ist einiges geschehen. Und nach dem Krieg gegen Darelto hat mich nichts mehr dort gehalten und letztlich bin ich hier gelandet. Aber das ist vielleicht eine Geschichte die ich später erzähle.“
,, Viel wichtiger ist doch. Was machen wir jetzt?“ , meinte Fylla.
,, Es sieht so aus als bliebe uns nur ein. Zurück nach Grauhafen und dann ein Schiff suchen das uns zurück nach Ephesus bringt. Ihr meintet Alexis sei in Raven?“
,, Zumindest war er dorthin Unterwegs.“
,, Dann hoffen wir mal das er noch dort ist. Und ihr kommt mit?“
,, So war der Plan.“ , antwortete das Irrlicht. ,, Wobei wenn ihr in die Stadt geht warte ich besser.“
,, Ihr könnt euch bei einem von uns verstecken.“ , schlug Fylla vor.
,, Das weckt Erinnerungen.“ , antwortete Lis und verschwand in Fyllas Rucksack.
Mittlerweile hatte es zu schneien begonnen. Alles was Liron durch die Fenster der kleinen Herberge sehen konnte war ein weißes Nichts. Sie hatten sich vorübergehend hier einquartiert während Sendor versuchte ein Schiff aufzutreiben das bereit war sie zurück zu bringen. Ein Unterfangen das sich möglicherweise als Schwierig erweisen könnte. Bereits jetzt hatte sich auf dem Wasser des Hafens eine dünne Eisschicht gebildet. Noch kamen die Schiffe durch, doch wenn das Wetter so blieb würde ihnen bald nicht einmal mehr Feuermagie einen Weg bahnen können.
Dann würden sie fürs erste festsitzen. Etwas über das Liron überhaupt nicht nachdenken wollte.
Fylla schien die gleichen eher niederschmetternden Gedanken nachzuhängen.
Nun wenigstens saßen sie drinnen. Die Temperatur auf den Straßen musste langsam unerträglich kalt werden. Im inneren der kleinen Gaststube allerdings brannte ein großes Feuer und sorgte dafür, dass es angenehm warm blieb. Vermutlich war genau dieses Feuer der Hauptgrund warum der kleine Raum fast brechend voll war.
,, Sind die Winter hier immer so schlimm ?“ , fragte Liron den Wirt der grade mit zwei Krügen irgendeines Getränks herüberkam.
,, Schlimm ? Für Grauhafen ist das da draußen noch Sommer.“
,, So langsam versteh ich weshalb die Hostis hier wegwollten.“ , meinte Fylla.
,, Ihr seid nicht von hier, oder ?“ , fragte der Wirt vorsichtig.
,, Spielt das für euch eine Rolle ?“ , wollte Liron wissen
,, Nicht für mich. Ganz sicher nicht. Aber es gibt immer noch einige die nur eine Gelegenheit für Streit suchen. Am besten ihr passt einfach etwas auf.“
,, Ich werde es mir merken.“ , antwortete Fylla und probierte Vorsichtig einen Schluck aus dem Krug. ,, Was ist das ?“
,, Met nach Hauseigenem Rezept. Wieso ?“
,, Ich hab vorher nie verstanden wie die Leute in Raven das Zeug trinken können. Aber das hier ist nicht übel.“ , meinte Fylla.
Der Wirt entfernte sich wieder.
,, Ihr könnt das echt trinken ?“ , fragte Liron. ,, Da könntet ihr auch gleich ein Glas Honig nehmen.“
,, Das ist wohl momentan das geringste unserer Probleme richtig ?“
,, Richtig. Wisst ihr was genau Alexis in Raven sucht?“
Fylla schüttelte den Kopf. ,, Darüber kann ich nur spekulieren. Offenbar sucht er nach alten Ruinen aus dem Magierreich von Indigor. Aber wozu… da bin ich überfragt.“
Liron sah Gedankenverloren aus dem Fenster. Sein verzerrtes Spiegelbild grüßte mit glühenden Augen zurück. Was immer es war… er wurde es nicht los. Und natürlich war die Veränderung auch Fylla nicht entgangen.
,, Was war das mit euch am Brunnen ? Ich meine du hast dieses Ding grade zu in Staub verwandelt. Es ist egal.“
,, Ich weiß es nicht. Aber möglicherweise kann mir Alexis ja weiterhelfen.“
Fylla wurde, sofern das überhaupt möglich war, noch ein Stück ernster. ,, Liron. Das ist höchst beunruhigend. Ich habe euch gesehen. Es war als wärt ihr gar nicht richtig da… als… hätte etwas anderes euren Platz eigenommen. Und verdammt ich habe Angst vor dem was es bedeuten könnte.“
,, Wenn das euch beruhigt : ich gebe euch hiermit offiziell die Erlaubnis mich zu töten solltet ihr je einen Grund haben mich für eine Bedrohung zu halten.“ , versuchte Liron das ganze herunter zu spielen. Er hatte ja selbst Angst.
,, Als ob ich dazu dann in der Lage wäre. Hoffen wir mal das wir es nie herausfinden müssen.“
Später als die Schneebedeckten Straßen langsam in der Dunkelheit versanken gesellte sich zu der großen Menge an Gästen noch eine weitere Gestalt dazu. Ein Mann betrat das Gasthaus und brachte damit Schnee und Kälte von der Straße mit hinein. Aus irgendeinem Grund machten ihm alle Platz, so, dass er sich vor den Kamin setzen konnte. Seine grauen Haare wirkten verfilzt und hingen ihm ins Gesicht. Insgesamt machte er einen etwas zerlumpten Eindruck. Trotzdem schien ihn jeder mit einem gewissen Respekt zu behandeln.
,, Wer ist das ?“ , fragte Liron einen der in seiner Nähe stehenden Gäste.
,, Ein wandernder Barde. Diese Leute kommen weit rum. Und meist wissen sie mehr über die Orte die sie Besuchen als ihre Einwohner, hab ich mir sagen lassen.“
,, Interessant.“
In diesem Moment stand der alte Wanderer wieder von seinem Platz auf und begann mit brüchiger aber dennoch klarer Stimme zu singen.
Aus den Tälern in die Weiten
Schroffgeformter Bergeshöhn,
Blassverhangen von Gezeiten
Wachsen Nebelschleier kühn.
Dicht gewoben aus Essenzen
Abendschwerer Sommerdüfte
Fängt mit seinen lichten Kränzen
Sanfter Nebel Regenlüfte.
Tanzt der junge Regen lachend,
Folgt den leichten Mädchenschritten
Jener graue König wachend
Mit kaum hörbar leisen Tritten.
Zieht den Mantel fahlen Lichts,
In dem Blätter sich verfingen,
Stolzen Hauptes hinter sich,
Um verzerrt sein Lied zu singen:
“Bin geformt auf eine Weise,
Die vergeht wie Windeshauch,
Die erstirbt wie Regen leise,
Und verblüht wie Rosen auch.”
Auf unbestimmte Weise stimmte Liron das Lied traurig. Nachdem die letzte Strophe endete setzte sich der Alte wieder. Einen Moment lang noch blieb es totenstill im Raum. Dann, beinahe zögerlich setzten wieder die Gewohnten Gespräche ein.
Als sich die Dunkelheit draußen endgültig die Straßen eroberte, machten sich die meisten Gäste auf dem Heimweg. Der Raum leerte sich bis letztlich nur noch Liron ,Fylla und der alte Barde im Schein des langsam herunterbrennenden Feuers saßen.
,, Das Lied von eben. “ , wendete sich Liron an den Fremden der vom Feuer aufsah. ,, Was bedeutet es ?“
Der alte sah einen Moment wieder ins Feuer. ,, Wisst ihr , ihr seid tatsächlich der erste der mich das fragt. Es ist eine alte Geschichte. Aber einfach gesagt es sind die Jahreszeiten.“
Iron glaubte zu verstehen. Am Anfang der Frühling mit Nebel und Blumen. Der Sommer und der Herbst in dessen Mantel sich die Blätter verfingen aber…
,, Fehlt nicht der Winter ?“ , fragte Fylla die offenbar zu der gleichen Erkenntnis gelangt war.
,, Der Winter fehlt richtig. Jede Jahreszeit hat ihre eigene Schönheit. Ihren Beginn und ihr Ende und dazwischen alle möglichen Facetten. Nur der Winter nicht. Der besteht lediglich aus Dunkelheit und Kälte. “
,, Danke. Ich glaube ich verstehe es jetzt. Zumindest etwas.“
Erneut schwang die Tür zum Gasthaus auf und Schnee wehte in den Raum. Sendor trat, in einen schweren mit Schneeflocken übersäten Pelzmantel gehüllt in den Raum und stellte sich zu ihnen ans Feuer um sich die Hände etwas zu Wärmen.
,, Ich hatte ganz vergessen wie kalt es hier oben werden kann.“ , sagte er. ,, Aber ich habe denke ich gute Nachrichten. Es gibt ein Schiff das euch mitnehmen kann. Ein Mann namens Dewin.“
,, Moment mal. Der wollte doch eigentlich längst zurück nach Hama segeln. Warum ist der überhaupt noch hier?“ , fragte Fylla laut.
,, Ich schlage vor wir finden es morgen heraus.“ , meinte Liron.
,, Viel Glück euch. Ich denke ihr könnt es brauchen. Und vergesst nicht. Was auch immer passiert. Ich stehe in eurer Schuld.“ Sendor trat wieder nach draußen in den Schneesturm.
,, Danke, denke ich.“