Meine These für alle Eltern muss ich an dieser Stelle einfach einmal loswerden:
Ich wünsche allen Kindern Eltern, die mal jung waren. Welch ein Blödsinn, werdet ihr sagen, alle Eltern waren auch einmal jung. Das weiß ich wohl, ich wünschte aber, dass die meisten Eltern das auch wüssten bzw. sich daran erinnern würden.
Wie oft hört man auch heute noch Eltern sagen: "ICH war früher ganz anders als du, ICH hätte mich das nie getraut. ICH habe immer fleißig für die Schule gelernt. ICH habe meinen Eltern täglich geholfen. ICH habe nie schlechte Noten geschrieben. ICH bin immer zu Erwachsenen höflich gewesen. ICH habe niemals widersprochen oder irgendeinen Blödsinn gemacht."
Ich war mit einem Paradebeispiel dieser Gattung verheiratet, mit einem Mann, der die Realschule kurz vor dem Abschluss mit dem Hauptschulabschluss verlassen hat, der in seiner Kindheit Eier aus dem Hühnerstall geklaut und im Dorfladen verkauft hat, der einen Fischteich hat leerlaufen lassen, der in einer Jagdhütte gezündelt hat und der zur Krönung als 17-jähriger ohne Führerschein unter Alkoholeinfluss mit dem Auto seines Vaters gefahren ist und dieses Auto gegen einen Baum gesetzt hat. Tatsache.
Was meint ihr wohl, meine lieben Leser, wie er sich seinen Kindern gegenüber verkauft hat?
Soll ich ihn zitieren? Also gut:
Ich habe in der Schule immer nur die besten Noten geschrieben. Ich musste morgens vor der Schule erst einmal in den Stall und die Kühe melken. Nachmittags musste ich erst aufs Feld zum Rübenhacken. Hausaufgaben musste ich spät abends machen. Trotzdem war ich ein guter Schüler. Ich habe alles gegessen, was auf den Tisch kam - an dieser Stelle ein Zitat meines Schwiegervaters, der seine eigene Frau imitierte: "Ach mein Jung, was möchtest du denn essen, magst du das nicht? Soll Mama dir was anderes kochen?"
Sicher gibt es Werte, die Eltern ihren Kindern vermitteln sollten, aber geht das nicht viel besser als Vorbild und mit ganz viel Liebe und vor allem Vertrauen? Wenn ich mir heute meine drei Kinder ansehe, dann bin ich mit meiner Erziehung sehr zufrieden.
Sicher ist es ab und zu auch sehr anstrengend, Kinder zu erziehen bzw. großzuziehen. Auch ich habe ab und zu gewünscht, man könne sie auch mal abstellen, vor allem, wenn ich von der Arbeit kam und drei Kinder, zwei Hunde und auch zwei Katzen mich mit Beschlag belegten. Trotzdem habe ich immer Prioritäten gesetzt. Meine Kinder sind und waren das Wichtigste für mich im Leben. Wir haben teilweise nächtelang philosophiert. Wir haben zusammen ihre Hausaufgaben gemacht, Vokabeln gelernt, Essen gekocht, gesungen, gelacht und ab und zu auch mal Blödsinn gemacht.
Wenn meine Kinder über die Strenge schlugen, dann dachte ich an meine Kindheit und an meine Jugend zurück - ich muss in meiner Pubertät unausstehlich gewesen sein - und konnte mich in meine Kinder besser hineinversetzen und mit der Situation gleich viel besser umgehen.
Heute glaube ich, dass die gegenseitige Liebe uns sehr viel dabei geholfen hat. So sagte Benjamin, mein Ältester, beispielsweise einmal: "Mir kann nichts mehr passieren, meine Mama weiß Bescheid."
Sicher, es gab auch sehr schwere Zeiten, vor allem, wenn es meinen Kindern gesundheitlich nicht gut ging, wenn ich Tage im Krankenhaus zugebracht habe, während meine Tochter im künstlichen Koma lag oder wenn ich mit meinem Sohn von einem Arzt zum anderen gefahren bin bis endlich die Diagnose Rheuma feststand und die Behandlung einsetzen konnte.
Bitte, liebe Eltern, bitte nehmt eure Kinder so an, wie sie sind. Ihr konntet euren Kindern das Leben geben, aber ihr könnt nicht ihr Leben leben. Was ihr aber könnt, ist ihnen jederzeit Halt und eine Zuflucht bieten, ihnen jederzeit zur Seite stehen, ihnen zuhören wenn sie es brauchen, ihnen helfen oder einfach nur Eltern sein.
Ihr seid etwas ganz Besonderes: Ihr seid die Eltern eurer Kinder. Sie sagen nur zu euch Mama und Papa, zu niemandem anderen auf der Welt. Wisst ihr das eigentlich zu schätzen? Wisst ihr eigentlich, welche Schätze ihr habt? Alle Kinder lieben ihre Eltern, selbst die, die misshandelt und gequält werden. Sie haben nur diese Eltern. Darum meine Bitte an euch: Versucht, für eure Kinder die besten Eltern zu sein, die sie sich wünschen können, dann versuchen sicher auch eure Kinder die besten Kinder zu sein, die ihr euch wünschen könnt. Vergesst dabei aber bitte nicht, dass auch eure Kinder eine eigene Persönlichkeit mit eigenem Rückrat sind. Unterstützt sie dabei, ihren Weg im Leben zu finden, ohne ihnen einen Weg vorzugeben.
Ich danke euch.