Es ist der 26.05.2012, ich habe mir das Bier in den Kühlschrank gestellt, die Erdnüsse sind griffbereit, die Sofakissen perfekt angeordnet, sodass sie sich optimal meinen Körpermaßen anpassen.
Ich freue mich wie ein kleines Kind auf Weihnachten, denn gleicht geht es los, 21 Uhr MESZ beginnt der Sängerwettstreit, nicht auf der Wartburg, sondern in Baku, Aserbaidschan. Der ESC, früher Grand Prix Eurovision de la Chanson, was heute einer paradoxen Fehlbezeichnung gleichkommt, wird wieder einmal in einem Land veranstaltet, welches auf die Menschenrechte pfeift. Außerdem; Aserbaidschan ist doch gar nicht in Europa? Das ist doch Asien, aber was macht es, denn die Eurovisionsfamilie nimmt gerne jeden zahlenden Gast auf.
Oppositionelle, die die Plattform dieses Spektakels suchen um auf das despotische Herrschen der königsgleichen Absolutistenfamilie hinzuweisen werden einfach geknüppelt, in Busse verfrachtet und irgendwo in der schönen Wildnis Aserbaidschans ausgesetzt, wo sie dann viel Zeit haben Steine durch die unendlichen Weiten von Sand und Steppen zu schnippen.
Aber was hat es uns denn schon jemals gekümmert, was einer der Teilnehmer oder Ausrichter auf dem Kerbholz hat? Waren wir nicht auch in Russland, bei Zar Putin? Aber selbstverständlich, außerdem kann man in der „heute show“ vom 03.02.2012 auch mal nachsehen, wie Herr Gu Xuewu vom Zentrum für globale Studien der Universität Bonn dieses dauernde Bemängeln von Menschenrechten sieht: „Eine Überbetonung von Menschenrechten ist auch nicht gesund!“ Recht so! Da kriegt man doch Pickel von.
Aber hören wir auf mit Politik, die kehrt bei der Punktevergabe erst wieder.
Vorab möchte ich 3 Teilnehmerländer nennen, die ich gerne im Finale gesehen hätte, die aber dort nicht erschienen.
Zuerst sei Pernilla Karlsson mit "När Jag Blundar" aus Finnland genannt. Stimmgewaltig, gutaussehend, wirklich talentiert und obwohl das Lied in Landessprache gesungen wird gefällt es, ein eindeutiges Zeichen für Qualität, aber was soll man sagen, Qualität ist eine Zierde, die diesen Contest nicht wirklich schmückt.
Nummer zwei in dieser Reihe bildet Portugal mit Filipa Sousa "Vida Minha". Portugiesischer Blues, genannt „Fado“ in der Lightversion. Folklorekost ist normalerweise schwer verdaulich und nur schwer in das Gute-Laune-Image dieses Wettbewerbs, welches sich in den letzten Jahren mehr als deutlich herauskristallisiert hat, nur schwer vereinbaren. Trotzdem nicht schlecht, es verursacht keine Bauchschmerzen und ist gut hörbar, trotzdem nicht weiter.
Und dann noch ein Gruß an unsere lieben Nachbarn in die Niederlande. Joan Frankas
"You And Me" habe ich mir mehrmals angehört. Eine nettes Liedchen, kein politischer Tiefgang, der bei diesem Wettbewerb sowieso ein No-Go ist. Dazu sieht die Interpretin auch nur zu lustig aus, beherrscht ihr Instrument fehlerfrei und seien wir doch mal ehrlich, es klingt doch auch schön, wenn das harte Englisch durch typisch niederländische Lautsprache entschärft wird. Und auch dies ist beachtlich: eine Folk-Country Nummer hat dieses Jahr gar keine andere Nation zu bieten. Das hätte was werden können. Aber auch hier hieß es wieder, Niederländer müssen draußen bleiben.
Aber nun zum eigentlichen Wettbewerb, die erste Bierflasche wird geöffnet.
Fröhliche Folklore, Aserbaidschan zeigt sich westlich, weltoffen. Allein der Herr, der singt, als hätte man ihm seine Genitalien geknackt stört den Gesamteindruck.
Dann treten die Gewinner des letzten Jahres auf: Romeo und Julia des Landes, die Stimmen hören sich schwach an, das bemerkt auch der Techniker, schnell mal aufdrehen. Und der Herr bleibt gleich da, denn er ist einer der Moderatoren dieses Jahres, flankiert von einer Juristin und einer Fernsehmoderatorin beginnt dann endlich das, worauf wir alle schon sehnlichst warten, dass der erste Gladiator die Bühne dieses Wettbewerbs betritt und seine Stimme durch die Halle dröhnen lässt, worauf das Publikum in unbändige Verzückung geraten kann.
Und wir starten mit einem Urgestein. Engelbert Humperdinck “Love Will Set You Free”. Der Schulzenbarde, zu dem schon Oma nicht rockte, weil sie ihn zu schmalzig fand, mit einer typischen Nummer. Liebe, Mondschein, blah. Aber eines darf man dem annähernd tausend Jahre alten Herren nicht nachsagen, dass er nicht könne singen. Schmalz und Emotionen liegen in der Luft, Die weiche Stimme erklingt, steigert sich zu einem vollen, satten Finale, ohne einmal daneben zu liegen. Gelungener Start, für mich ein Favorit.
Es folgt ein Land, dem grundlegende Freiheiten, wie die der Presse, seit Neuestem auch egal sind. „Back In The USSR“, wie die Beatles auf dem White Album sangen. Compact Disco “Sound Of Our Hearts” ist eine tanzbare Nummer, mehr nicht. Da greife ich mir die ersten Erdnüsse.
Was folgt ist ein erster Höhepunkt des Wahnsinns. Rona Nishliu mit etwas, was Kommentator Urban als Klagelied bezeichnet. “Suus” ist jedoch nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Urschreien. Und dieser Mist ist dabei?! Kräftiger Schluck aus der Flasche!
Doch der Wahnsinn hat sich jetzt erst richtig aufgeschwungen. Es tritt Litauen auf. Donny Montell “Love Is Blind”. Doch nicht nur die. Der junge Herr beginnt dramatisch mit tuffiger Glitzerbinde um die Augen. Dann reißt er sie sich herunter, versucht sich als Jacko für Arme, wirklich ganz Arme. Zum Glück sind die Lieder nicht lang. Biernachfluss!
Der Sturm der Bekloppten lichtet sich, wir betreten endlich das Auge des Orkans. Einen Beitrag, welchen ich für den wohl Stärksten des Abends halte. Maya Sar mit “Korake ti znam” für Bosnien-Herzegowina. Sie sitzt am Klavier, trägt ein geheimnisvolles schwarzes Kleid, keine wildgewordenen Tänzer, gar nichts nur starke orchestrale Unterstützung und eine Stimme zum Niederknien. Ich bin gefesselt, welch eine Kraft diese Frau in ihrer Stimme hat.
Doch wo wären wir, wenn nicht sofort der tiefe Sturz, besser gesagt, Rücksturz erfolgen würde. Da atmeten wir gerade durch, fühlten, dass unsere Gehörgänge noch keinen irreparablen Schaden erlitten haben, da kommen die auf die Bühne, die den Abend wieder einmal das Prädikat „Freakshow“ aufdrücken. Die von der Kolchose entflohenen Buranowski Babuschki mit dem Smash Hit “Party For Everybody!” Sie simulieren Plätzchenbacken, beginnen schwach, übrigens in ihrer Heimatsprache russisch. Doch dann erhaben sie sich, der Refrain setzt ein, der Teil, bei dem die Großmütterchen gar nicht wissen, was sie da eigentlich singen. Jetzt ist Stimmung unterm Zeltdach! Sie schwingen die selbstgestrickten Kopftücher, stampfen in ihren Fellstiefeln auf, lächeln zahnlos. Wie ein elektrischer Schlag sind sie erfüllt vom hymnischen Text dieses Refrain. Und was sie dann wieder, deutlich beseelter in Russisch singen, das ist doch allen Wurst. Hauptsache, sie singen nochmal ihren Refrain, der auf „Bumm, bumm, bumm“ endet. Bummsfidele Großmütter aus dem Mutterland der sozialistischen Unterdrückung, sieht so die Freiheit des Westens aus? Wenn ja, dann will ich sofort den Ostblock wieder her haben!
Kommen wir nun zu einem Paar, den Isländern Greta Salóme & Jónsi, armer Mann, kann sich nur einen Namen leisten. “Mundu Eftir Mér” ist Drama, beginnt nordisch düster, dazu fiedelt die kühle Blonde zähnebleckend wie eine Zuchtstute. Aber genug der Diffamierung. Das Lied hat wirklich was, wohl ist es der deutlich kompliziertere Aufbau, der mich interessiert. Das ist kein einfaches Liebesgesäusel, dort wird etwas erzählt und die beiden machen das toll. Auch hier kann man sagen, dass es sich um Favoriten handelt.
Und wieder das alte Lied. Gerade noch Komplexität und Geschichtenerzählen, jetzt, richtig, Plattheit regiert die Bühne. Zypern holt zum Schlag aus, Ivi Adamou mit dem textlich hochfordernden “La La Love”, da muss man schon studierter Anglistiker sein um diesen sinnschweren und verkopften Text zu verstehen. Und die Künstlerin, nennen wir sie mal optimistisch so, versucht dagegen nicht einmal anzukämpfen. Das sind eben Länder, die von der Krise geschüttelt sind, denn die Dame hat nur sehr wenig Stoff gefunden um ein Kleid daraus zu machen. Dafür ist der Mund so extrem überschminkt, dass dessen Größe noch schlimmer wirkt, man verzeihe mir den schlimmen bildlichen Vergleich, aber die junge Dame wirkt, als könne sie gleichzeitig zwei Herren oral befriedigen. Dazu hat sie 4 Tänzerinnen, die ihre akrobatischen Aufreizungen unterstützen. Da braucht man viel Alkohol, wenn man diese Pornobarbie überstehen will. Ach ja, gesanglich ein Flop, das sei hier noch erwähnt.
Und gleich die nächste Teilnehmerin versucht es mit deutlich mehr Stoff, nicht am Körper, aber flatterndem Stoff in der Luft und 4 Turnern im Hintergrund. Anggun mit “Echo (You And I)” für Frankreich. Das sieht ganz hübsch aus, hört sich aber, genau wie ihre schon karikierend aufreizende Vorgängerin, nicht besonders an.
Man glaubt schon, dass die Beleidigung des Gehörs nicht mehr enden will, da erscheint wieder Licht am Horizont. Die Italienerin Nina Zilli mit “L’Amore È Femminia (Out Of Love)”. Die junge Dame erinnert an Amy Winehouse, entfernt vom Aussehen her und auch vom Musikstile her. Doch das ist ja nicht gleichbedeutend mit schlechtem Plagiat. Die Dame kann singen und gibt die beste Vorstellung ab, wenn man die schnelleren Lieder heranzieht, denn sie wendet sich gar ans Publikum. Nicht schlecht, Herr Specht.
Hätte man den roten Faden der Veranstaltung konsequent weitergeführt, dann wäre es jetzt wieder zur Trommelfellerschütterung gekommen, doch dieser Abend soll birgt auch positive Überraschungen. Estland, vertreten durch den Musicalsänger Ott Lepland mit “Kuula” ist nach der souligeren, schnelleren Nummer zuvor ein herrlich ruhiges Lied, vorgetragen von einem Herren, der von Berufswegen her weiß, was man mit seiner Stimme anstellen kann und dies auch zeigt, zwei gute Lieder hintereinander, Rekord für diesen Abend!
Dem Alkohol hatte ich jetzt schon länger nicht zugesprochen, hatte dazu auch gar keinen Grund, die Erdnüsse wurden nur weniger. Doch jetzt muss ich das Bier leeren, eine neue Flasche nehmen, denn es folgt der Ken, damit meine ich den geschlechtslosen Freund von Barbie, Norwegens - Tooji mit “Stay”. Muss ich noch etwas zum Lied sagen, wenn ich bereits so begonnen habe? Nein, denn es ist wie erwartet, Eurotrash ohne Haltbarkeitsdatum, denn schon nach erstmaligem Hören ist es überschritten.
In meinen Zug an der Flasche fällt plötzlich tosender Applaus. Wie, ist alles schon vorbei? Nein, natürlich nicht, aber erstens ist Bergfest, also die Hälfte gleich geschafft und genau hier hinein fällt der Beitrag der Lokalmatadorin Sabina Babayeva mit “When The Music Dies”, ein Titel bei dem mir sofort Don McLeans Klassiker „American Pie“ einfällt, doch der sang ja: „The Day, The Music Dies“. Vom Aussehen her ist die Dame ein Klon der Sängerin des Vorjahres ihres Landes. Das Kleid wird effektvoll angestrahlt und die darin verpackte Sängerin weiß auch zu singen, trotzdem bleibt das Lied nicht im Ohr, nicht so toll.
Die folgende Formation lässt mich schon zu Beginn zur Flasche greifen. Rumänien tritt auf, mit einer Gruppe, deren Künstler gebürtige Kubaner sind. Das merkt man auch, denn als einer der Herren beginnt, einen futuristischen Dudelsack, den er offenbar nicht spielt, moonwalkend über die Bühne zu gleiten, da setzt bei mir der Synapsenfasching ein. Die Dame ist eine wahre Kubanerin, auffälliges, kurzes Kleid und immer mal Englisch, Spanisch und wahrscheinlich Rumänisch, poppig, bunt, aber doof.
Dänemark folgt, Künstler, auf die ich mich schon gefreut habe. Denn Soluna Samay und Gruppe stammen aus dem Singer-Songwriter Fach und “Should`ve Known Better” hat zwar eine gewisse Simultanität zum Beatlesklassiker „I Should Have Known Better“ ist aber radiotauglich, sehr schön anzuhören und selbstgespielt. Die Drummerin der Gruppe erinnert ein wenig an das Tier aus der „Muppets Show“, kommt aber an die realen Vorbilder John „Bonzo“ Bonham und Keith Moon nicht heran. Trotzdem für mich Favoriten.
Der Leser wird bemerkt haben, dass zuletzt eine hohe Dichte guter Künstler vorhanden war, das kann doch bei einem Songcontest nicht sein, also sofort den Schalter umlegen und die Bierflasche fest umklammern, denn es wird wieder gemein.
Neben Zypern zeigt auch Griechenland, dass man für seine Künstlerinnen erstens kein Geld für lange Kleider hat. Eleftheria Eleftheriou zeigt zu ihrem Lied “Aphrodisiac”, genau das, was man bei einem solchen Titel zu erwarten hat. Sie reibt ihren Hintern lüstern an einem der Tänzer, Aphrodisiakum ja, aber das Lied hat es einfach nicht, da kann sie noch so viel Körpereinsatz zeigen. Die Griechen setzten in den letzten Jahren eigentlich permanent auf „Sex Sells“, doch diesmal sollte es nicht belohnt werden.
Nach dieser Sexbombe muss man(n) erst mal wieder herunterkommen. Und da tritt die Favoritin aller Buchmacher auf; Loreen mit “Euphoria” aus Schweden. Die junge Dame, mit wallender Mähne, flatterndem, schwarzem, ja, sind es Tücher, ist es ein Kleid mit Hose, ich weiß es nicht. Sie versucht sich als mystische Elfe zu verkaufen, welche einen Song trällert, der im Stile des derzeit berühmtesten DJs Frankreichs daher kommt, richtig, David Guetta. Und da man ja weiß, was für ein Quark dessen Musik ist, der ahnt, was für ein Quark dieses Lied ist. Ich trinke, trinke, erkenne jedoch nicht, warum zum Teufel dieses Lied jetzt so großartig sein soll, nur wie es dem Zeitgeist entspricht? Mag sein, doch als die scheinbar an Waldpilzen berauschte Sängerin von der Bühne geschwebt ist hinterlässt dieses Lied einfach keinen bleibenden Eindruck.
„Michael Row The Boat Ashore“, dachten sich wohl die Türken, denn Can Bonomo kommt mit einem maritimen Lied um die Ecke. “Lobe Me Back” ein türkisches Seemannsshanty? Wo ist Ina Müller, wenn man sie wieder nicht braucht? Die Hampelmänner drum herum bilden ein Boot, nette Sache, aber das Lied hinterlässt keinen Eindruck.
Genug Hirnzellenvernichtung betrieben? Ja, endlich wieder mal eine Pause, denn es folgt Spanien. Die Flamengosängerin Pastora Soler trägt ein langes Kleid, bei dem man einfach Stoff an der Seite gespant hat um es dafür lang zu halten. Doch die schöne Dame muss nicht mit Reizen werben, dafür hat sie eine gewaltige Stimme! Vergleichbar mit dem Beitrag von Bosnien-Herzegowina wird hier eine Powerballade vom Stapel gelassen, dass Celine Dion neidisch werden kann, top, gar keine Frage.
Deutsche Fangemeinde jetzt die Herzpillen einwerfen und Doppelherz zum runterspülen, Roman Lob betritt den Kessel von Baku. Und er ist vom Beginn bei der Sache, keine Zitterei in der Stimme, augenblicklich, die Kameras sind mit ihren kalten, gläsernen Augen auf ihn gerichtet, blickt er wie ein trauriges Robbenbaby in jene und singt sein „Standing Still“ souverän herunter. Gutes Lied, dass wussten wir schon und gute Performance, welche, wie auch die meisten anderen Favorisierten durch Schlichtheit besticht.
Nun Malta, keine Ralph Siegel Komposition, aber Kurt Calleja liefert mit “This Is The Night” auch nichts Besseres ab. Er ist adrett, der Song ebenfalls, nicht außergewöhnlich, Einheitsbrei!
Dann tritt plötzlich Christine Neubauer für Mazedonien auf. Moment, das wievielte Bier ist das? Waren die Erdnüsse schlecht? Nein, nur Kaliopo sieht von, also wirklich von ganz weit weg betrachtet wie die mir zum Halse heraushängende Frau Neubauer aus. “Crno I Belo”, war das der Versuch zu rocken, oder was? Keine Ahnung, deshalb Daumen runter!
Die folgenden Künstler, ja ich weiß, dies ist ein inflationärer Begriff, umschrieb ein Kommentator auf „Youtube“ mit dem Begriff „Durazellhäschen“. Irland hat Europa den Krieg erklärt, Schuldenkrise, also müssen wir leiden, denn Jedward, die beiden ADHS Patienten sind wieder da. Diesmal singen sie von der “Waterline”, der sie so nahe stehen, haben wohl auch öfter mal, genau wie Bruce Darnell „Pipi in den Augen“? Vorsicht, dabei verschmiert man den Kajal. Wie die aufgezogenen Roboter hüpfen sie, in ihren, sollen das Rüstungen sein, über die Bühne und lassen sich am Ende nass machen, einmal in ihrem Leben feucht sein – ich entschuldige mich schon jetzt bei allen Lesern für diese Niveaulosigkeit. Endlich ausgehampelt, die Herren scheinen eingerostet, wir gehen auf die Zielgerade zu.
Serbien schickt einen Veteranen des ESC, Zeljko Joksimovic, der sein “Nije Ljubav Stvar” professionell trällert, hebt nicht an, ist aber auch nicht wirklich schlecht, auch dies ist Einheitsbrei.
Als Gaitana auf die Bühne, ja wie soll man es sagen, gehampelt kommt, muss man an Shakespeares Ophelia aus „Hamlet“ denken, denn die Dame trägt Rosen im Haar. Es hampeln 4 animierte und später 4 Herren im Hintergrund mit, so viel Aufgebot an Backgroundtänzern und -tänzerinnen war wohl noch nie. “Be My Guest”, wird ja inoffiziell als EM Hymne der Ukraine gehandelt. Ehrlich gesagt, da ist es kein Wunder, wenn man nicht in die Ukraine will.
Das Bier geht zur Neige, glücklicherweise nur noch ein Auftritt, jedenfalls offiziell. Moldawien darf singen, stellvertreten durch Pasha Parfeny mit “Lautar”. Und er scheint sich etwas vom ehemaligen Gewinner aus Norwegen, dem fiedelnden Alex Rybak abgeschaut zu haben, denn er springt in Schmiedkleidung herum, wie gerade vom Arbeitsplatz weggeholt. Dazu tanzen vier ansehnliche Damen, gekleidet in Kleider, die an Lampenschirme erinnern. Auch die Haartrachten erinnern an Mensch-Ärger-Dich-Nicht Figuren. Ja, Folklore, das ist toll, fröhlich und seicht. Da muss wieder Bier Abhilfe schaffen und dann sind die Sänger und was sich so bezeichnete fertig.
Doch bis zur Punktevergabe dauert es noch, deshalb darf der Schwiegersohn des Präsidenten auftreten. Gefühlte Stunden spielt ein weibliches Streichorchester, halten Damen irgendwelche Fackeln hoch und werden Trommeln geschlagen, zu deren treibenden Takt Tänzer über die Bühne fegen. Dann endlich, sich dem Prunk und Pomp der Sowjetzeit erinnernd, schwebt jenes gottgleiche Wesen ein, das zum inneren Zirkel der Herrscherfamilie gehört. Er muss sich für Ricky Martin halten, jedoch hat er nicht dessen Energie und Stimme. So lala, aber man klatscht, als gäbe es kein morgen. Und das muss man auch, denn sonst gibt es für jene auch kein morgen mehr, denn dann erwartet diese Klatschdissidenten Frühsport der besonderen Art, wenn Gehirnweitspritzen veranstaltet wird.
Endlich geht’s ans Eingemachte, Punktevergabe. Hier zeigt sich, wer Freund und wer Feind ist. Und wie immer, man kennt es doch. Die netten Nachbarn schieben sich die Punkte zu. Das ehemalige Jugoslawien existiert hier noch, genauso wie die Sowjetunion, jedenfalls teilweise.
Einziger Ausreißer aus dieser Kette ist die bekiffte Elfe Loreen, die von überall Punkte erhält, deshalb gewinnt sie auch. Ihre zwischenzeitliche Reaktion „I’m so happy“, gerade so noch hervor genuschelt lässt auf einen ordentlichen Genuss bewusstseinserweiternder Mittel schließen. Fast schon erschrocken wirkt sie, wenn man sie einblendet, sobald Schweden die magischen 12 Punkte erhält.
Kommen wir mal zum Resümee dessen, wer uns denn noch lieb hat und wer nicht.
Österreich und die Schweiz geben uns Punkte, halleluja! Jeweils 4, besser als gar nichts. Unsere freundlichen niederländischen Nachbarn nur 2 Punkte, ist das jetzt weil der Gauck erst kürzlich da war, oder hätten wir mehr bekommen, wenn er fern geblieben wäre? Spanien gibt uns 3 Punkte, zu wenig, wozu haben die einen Konservativen an der Regierung?! Dafür liebt uns das Baltikum. Ja, sie hassen die kürzlichen Fremdbesetzer Russland, den völkerrechtlichen Nachfolger der UdSSR, dafür aber die alten Nazis, die sie vorher unter der Knute hatten, man kann eben auch mal schnell vergessen. Estland 10, Lettland 7, Litauen 3 Punkte. Bei Frankreich und Italien muss man zittern. Mag man uns da noch? Nehmen uns die Franzosen übel, dass wir ihnen in den Wahlkampf hineingepfuscht haben, als die Bundesmutti Herrn Sarkozy tatkräftig unterstützte? 7 Frankreich, 8 Italien, Schwein gehabt. Auch Dänemark, Ungarn, Irland und Portugal danken wir für jeweils 10 Punkte.
Dagegen hat Israel enttäuscht, nicht mal einen Punkt? Nehmen die uns den Grass immer noch übel? Wenn die so weiterstänkern liefern wir keine U-Boote mehr, da kann Netanjahu sehen, wo er seine Waffen herkriegt. Auch Griechenland gab uns keine Punkte. Das heißt nur eines: keine Milliardenrettungen mehr, das haben sie sich selbst eingebrockt, undankbares Völkchen! Aber auch Belgien hat uns nichts gegeben, sind wohl neidisch, weil wir ein Parlament haben, welches nicht mal über 200 Tage nicht zusammenfindet?
So steht nun das Endresultat. Immerhin ein guter 8. Platz für Deutschland, meine restlichen Favoriten haben auch nicht viel besser abgeschnitten, Dänemark und Großbritannien sind gar ganz hinten zu suchen, wieder einmal ist Talent nicht ausreichend für diesen Wettstreit der Absurditäten.
Platz 3 für den erfahrenen Zeljko Joksimov und Serbien. Damit kann man irgendwie noch leben, obwohl da hätten einige Künstler weiter vorne sein sollen, wenn der schon Dritter ist.
Silber für die Omas aus Russland. Toll, waren sie noch einmal im Ausland, bevor der Sensenmann sie holt. Jetzt aber nichts wie ab in den Bus und wieder ab ins Dorf, die Kühe warten schon auf euch!
Und Platz 1, wie sollte es anders sein, hat sich Schweden gesichert. Darauf den letzten Schluck des n-ten Bieres. Das hätte doch nicht sein müssen. Wenigstens kann man sich damit trösten von der Dame wohl nie wieder etwas hören zu müssen und so geht er zu Ende, der Wettbewerb des Wahnsinns, der wieder einmal zeigte, dass Talent kein Faktor für eine gute Bewertung ist, sondern Skurrilität, Show und die richtige Nationalität.
Und während ich mich betäubt zu Bette begebe knüppelt man in der „Demokratie“ Aserbaidschan bestimmt noch ein paar Regierungsgegner zusammen, während in dem Protzpalast des Kapitalismusses noch lange gefeiert wird. Man sieht sich in einem Jahr in Schweden!