Fünf Jahre Haft!
Fünf Jahre!!! Ich höre wohl nicht recht! Jetzt haben mir die doch glatt die Höchststrafe verpaßt und das ohne Bewährung. Ob ich annehme? Aber natürlich, was soll ich denn sonst tun?
Mein Herr Pflichtverteidiger nickt mir gelangweilt zu, dieses blasse junge Bürschchen, der sitzt doch nur hier, um die Zeit totzuschlagen. Hätte wohl besser Staatsanwalt werden sollen, anstatt Verteidiger, zumindest nicht meiner. Der hat doch bei der ganzen Verhandlung kaum den Mund aufgemacht, außer beim Gähnen.
Sie müssen einen guten Eindruck vor Gericht machen...adrettes äußeres Erscheinungsbild, Krawatte, frisch rasiert, tadellos gekleidet, so etwas kann sich günstig auf den Verlauf der Verhandlung auswirken, hat er gemeint und ich habe ihm geglaubt... na ja, zum ersten Mal vor Gericht, er vermutlich auch....dabei hätte ich doch gleich merken müssen: Der hat keinerlei Erfahrung und auch kein Interesse an meiner Verteidigung, mein Fall wurde ihm einfach zugeteilt. Gut, dass ich den Kerl nicht selbst bezahlen muss, jeder Euro wäre zuviel.
Die Geschworenen waren sich naürlich auch einig: Schuldig! Schuldig! Schuldig!
Ja, einer der aussieht wie ich, kann nur schuldig sein. Brandnarben im Gesicht machen nicht unbedingt sympathisch.
Haben sie nach dem Unfall versucht wieder Arbeit zu finden?...Blöde Frage...Die Hacken bin ich mir abgelaufen, einen wahren MARATHON habe ich absolviert, doch wer stellt schon einen Automechaniker ein, der weder mit Schmieröl noch mit Benzin in Berührung kommen darf?...Vom Schweißen will ich gar nicht erst reden. Eine PFERDEKUTSCHE könnte ich zur Not noch reparieren, doch leider gibt es zu wenige.
Wie sie mich immer verstohlen mustern und dieses leichte Lächeln. Ist es nun Schadenfreude oder Mitleid? Aber so genau will ich es eigentlich gar nicht wissen...am besten, nicht hinschauen.
Die sind doch alle weltfremd, nicht die leiseste Ahnung vom wirklichen Leben. Invalide mit 25 Jahren, zu nichts zu gebrauchen, das muss man erst einmal verkraften.
Fünf Jahre Knast und dann? Was habe ich für eine Zukunft? Habe ich überhaupt noch eine Zukunft? Nein, sicher nicht, die ist verbrannt damals, mit dem Rest meiner Haut.
Dabei haben wir so große Pläne gehabt, Chris, mein ENGEL und ich: Eine eigene Tankstelle mit angeschlossener Werkstätte und einem Imbissshop dazu. Als Mechaniker habe ich gar nicht so schlecht verdient, konnte schon allerhand auf die hohe Kante legen. Chris war auch mit ihrer Lehre fertig, geprüfte Einzelhandelskauffrau, mit Auszeichnung. Sie im Geschäft, ich in der Werkstätte, wir hätten es sicher geschafft. Ja, Chris und ich, es hätte so schön werden können. Aber leider...Freitag, der 13.,...plötzlich war alles anders. Unser Traum... geplatzt wie eine KAUGUMMIBLASE.
Hat schon so komisch angefangen, der Tag. Hab ich doch glatt in der Früh verschlafen, so etwas passiert mir doch sonst nie. Eine Stunde zu spät in die Werkstätte... na, der Meister war vielleicht wütend.
Guten Morgen! Schon ausgeschlafen? So hat er mich vor allen Kollegen begrüßt. Ich hab mich noch entschuldigt und bin sofort an die Arbeit gegangen. War gerammelt voll die Werkstätte, einen Tag vor Pfingsten. Wollten alle über die Feiertage wegfahren und vorher noch schnell mit dem Wagen zum Service. Wie immer im letzten Augenblick, die Mechaniker sollen dann zaubern. Ich sehe den schwarzen Mercedes noch vor mir. Die Benzinleitung war undicht.
Plötzlich ein fürchterlicher Knall und überall nur Rauch und Flammen. Das heißt, eigentlich habe ich den Knall nicht mehr gehört und auch nicht die MITTAGSGLOCKE. Das haben mir die Kollegen erzählt, nach etlichen Wochen Spitalsaufenthalt, als ich endlich über den Berg war.
In der Zeitung hab ich dann gelesen, dass der Kunde mit der Zigarette in der Hand nachschauen wollte. Diesen Leichtsinn muss man sich einmal vorstellen.
War ein Riesenbericht auf der ersten Seite, einen Tag lang war sogar WULFF aus den Schlagzeilen.
Gut, den Kunden hat es schwer erwischt, er hat mit seinem Leben bezahlen müssen ...einmal, dafür den Höchstpreis.
Aber ich, ich bezahle noch immer, Tag für Tag, Nacht für Nacht.
Quälende Albträume, zeitweise höllische Schmerzen und jetzt auch noch fünf Jahre Knast.
Mein patschertes, verpfuschtes Leben.
Vierzehn Tage im künstlichen Tiefschlaf...diese verdammte Explosion.
Erst der Schock, dann Probleme mit der Atmung, Verbrennungen aller drei Grade. Den rechten Arm hat es ganz arg erwischt...Brust und Hals eine einzige Wunde... bei einem VULKANAUSBRUCH kann es auch nicht schlimmer kommen.
Unzählige Hauttransplantationen vom Rücken auf die Hand, vom Oberschenkel ins Gesicht, mein ganzer Körper ein Fleckerlteppich.
Hab mich aber nicht unterkriegen lassen, hab immer gekämpft. Gekämpft gegen die unerträglichen Schmerzen und gegen die aufsteigende Verzweiflung.
Wollte raus aus dem Bett, wieder irgendwo arbeiten, ein normales Leben führen.
Chris ist jeden Tag gekommen, hat mich gefüttert wie ein kleines Kind, hat mir Mut gemacht, ja, sogar ein LIEBESGEDICHT hat sie mir gewidmet. Sie hat mich aufgeheitert, wenigstens anfangs. Aber bald sind ihre Besuche seltener geworden und als sie mich zum ersten Mal ohne Verband gesehen hat, ist sie weinend aus dem Zimmer gelaufen. War ja zu verstehen, Gesicht und Hals eine rote verschwollene Masse, die Hand nicht zu gebrauchen...hab meinen Anblick im Spiegel selbst kaum verkraften können.
Irgendwann nach meiner Entlassung hat sie mir dann plötzlich erklärt, wir hätten uns auseinander gelebt. Gelebt hat sie gesagt,.. möchte nur wissen, wer da gelebt hat, sie vielleicht schon...Schwamm darüber, vorbei ist vorbei. Sie wollte halt mit einem Invaliden nichts mehr zu tun haben. Sie war jung und hübsch, zu jung und zu hübsch für einen Krüppel wie mich, dabei habe ich immer an sie geglaubt. Ach Chris, du warst meine große Liebe...
Das Geld von der Versicherung ist gerade im richtigen Augenblick gekommen, übrigens ein ganz hübsches Sümmchen.
Ich war fix und fertig damals. Da liege ich eine halbe Ewigkeit im Spital, gerade noch mit dem Leben davongekommen, freue mich auf meine Entlassung, wie ein Kind auf Weihnachten und stehe dann ganz allein da, ohne Job, ohne Freundin. Hab einfach nur weg wollen, nichts wie weg, ein paar Wochen irgendwo Urlaub machen, um mein Leben wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen. Ist denn das so schwer zu begreifen?
Erst mal kurz auf die REEPERBAHN... Champagner, nette Mädchen...
für Geld gibt es vieles, auch für einen Mann, wie mich.
Nizza, Cannes, schon eine tolle Gegend...Tummelplatz der Reichen und Schönen.
Wollte auch einmal sehen, wie es sich mit viel Geld leben lässt, hab früher immer vom Urlaub am Meer geträumt. Die Sonne hat meine empfindliche Haut nicht gut vertragen, darum habe ich tagsüber meist geschlafen, aber abends gings dann richtig los.
Ab und zu ein Abstecher ins Spielcasino... ich hab ja anfangs gewonnen, doch dann ... Rien ne va plus!
Bin dann noch eine Zeitlang in Frankreich herumgezogen, einfach so, nur um die Zeit totzuschlagen.
Als das Geld dann immer weniger wurde, wollte ich mir einen Job suchen, Autoverkäufer zum Beispiel, davon verstehe ich etwas, doch leider...die Stelle ist schon besetzt, hörte ich immer wieder.
Bis ich dann auf die blöde Idee mit der Tankstelle gekommen bin.
Mit Harry habe ich sowieso noch was von früher zu klären gehabt. Der wollte sich tatsächlich einmal an Chris heranmachen, hat aber gegen mich keine Chance gehabt Damals!
Eine richtige Goldgrube, seine Tankstelle an der Panoramastraße. Untertags jede Menge Kundschaft, aber abends, ab Einbruch der Dunkelheit ruhig.
Da musste doch sicher allerhand in der Kasse liegen, einen Teil würde er mir bestimmt abgeben, wenn auch nicht ganz freiwillig - hab ich überlegt.
So bin ich halt eines nachmittags hin, hab mir einen Kaffee gekauft und dann lang mit ihm geplaudert. War nicht mehr viel los, er hatte schon angefangen, alles wegzuräumen.
Da habe ich ihn gefragt, ob er auch BUBBLE TEA führt.
'Natürlich, für dich alles', hat er gemurmelt und ist in den kleinen Vorratsraum hinter der eisernen Stellage gegangen. Warum ist er auch so schnell wieder zurück gekommen?... noch bevor ich das Geld einstecken konnte, die Lade war schon offen... da habe ich halt zugeschlagen... dummerweise fiel er gegen die Stellage und hat sich den Kopf aufgeschlagen... das viele Blut... grauenhaft...
Ich habe Angst bekommen und bin fortgelaufen ohne irgendetwas zu nehmen, einfach nur gelaufen und gelaufen.
Hoffentlich findet ihn bald einer, hoffentlich schafft er es... ich habe gezittert und gebetet um ihn. Ich bin doch kein Mörder, ich habe doch nur Geld zum Überleben gebraucht.
Gott sei Dank war er bald wieder auf den Beinen.
Versuchter Raubmord, so sieht es der Staatsanwalt, auch wenn du gar nichts genommen hast.
Eine Zeitlang habe ich mich dann in leerstehenden Wochenendhäusern und Gartenhütten versteckt, immer auf der Suche nach etwas Eßbarem... immer in Angst... immer auf der Flucht.
Aus einem Hotel bin ich einmal bei Nacht über den Balkon abgehauen, hab mir beim Sprung den Knöchel verstaucht, hat höllisch weh getan.
Ja und dann haben sie mich eines Tages geschnappt. Das Phantombild hätten sie sich sparen können... bei meinem Aussehen... obwohl, Gratulation dem Zeichner.
Berücksichtigen sie die schwere Kindheit des Angeklagten...mein Verteidiger wollte doch tatsächlich auch etwas sagen...
'Laßt meine Familie aus dem Spiel', habe ich gebrüllt und mir die Krawatte herunter gerissen...
Na ja, Ordnungsruf... wenn du das erste Mal im Gerichtssaal bist, kannst du da schon die Nerven verlieren...
Fünf Jahre keine Sorgen um Kost und Quartier, das besorgt Vater Staat.
Verdammt!