Kurzgeschichte
Kerzenstrahlen

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"Kerzenstrahlen"
Veröffentlicht am 24. April 2012, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Menschen tun Dinge an Orten aus Gründen.
Kerzenstrahlen

Kerzenstrahlen

Beschreibung

Ein kurzer Moment aus einem fremden Leben kann trotzdem viel aussagen.

Der Docht der Kerze zischte kurz, als sie das Streichholz dranhielt. Abrupt flackerte die Flamme auf, bevor sie sich gemächlich über das Wachs hermachte. Angesichts der Tatsache, dass es drei Uhr Nachmittags war, wäre diese zusätzliche Lichtquelle eigentlich gar nicht nötig gewesen. Aber das interessierte sie nicht. Wie so vieles. Langsam ging sie mit dem Streichholz in der Hand an den heruntergelassenen Rolläden vorbei durch das Zimmer und zündete nacheinander alle Kerzen an, die sie aufgestellt hatte. Die Sicht wurde besser, wenn auch nur geringfügig.
  In dem kleinen, unordentlichen Raum befand sich nichts außer einer alten, von Brandlöchern übersäten Couch, einem kleinen, brummenden Kühlschrank und einem Tisch, der, obwohl er dafür ein wenig zu hoch war, direkt vor der Couch stand. Auf der Fensterbank reihte sich Tequila an Whiskey an Rum. In einer leeren Bierflasche stand eine halb verwelkte weiße Rose.
  Sie pustete das Streichholz aus und ließ es in den Aschenbecher fallen. Dann holte sie eine eingeknickte Schachtel Zigaretten aus ihrer Hosentasche, steckte sich eine in den Mund und zündete sie an der großen Kerze, die in der Mitte des Tisches nur in ihrem eigenen Wachs stand, an. Sie nahm einen tiefen Zug, hielt den Rauch einen Moment und blies ihn dann in Richtung der Fensterbank, sodass er die Rose leicht umspielte. Sie setzte sich auf die Couch und zog ein aus dem Leim gehendes Notizbuch zu sich heran. Eine Weile betrachtete sie es einfach nur ohne jegliche Regung. Es war schwarz, sonst nichts. Nur an zwei Stellen trat das Weiß der sich nach außen drehenden Innenseite hervor. Wachs tropfte darauf, als sie es aufschlug, aber sie achtete nicht darauf. Ein weiterer tiefer Zug an der Zigarette folgte, dann nahm sie sich einen Stift.
  Das Buch war restlos vollgeschrieben mit Notizen. Namen, Zahlen, Uhrzeiten, Beträge, Orte. Alles in einem heillosen Durcheinander, aber ohne dabei eine gewisse Ordnung zu missachten, die man nur dann erkannte, wenn man sich das Buch etwas genauer ansah. An vielen Stellen waren Wachsflecken auf den Seiten, an manchen war die Schrift verwischt von Flüssigkeit oder Fingern. Vieles war durchgestrichen und überschrieben. Kaum ein Satz hatte einen wirklichen kausalen Zusammenhang, an einigen Stellen waren es Halbsätze oder sogar bloß Wortfetzen, die für sich allein stehend niemand verstand. Niemand außer ihr. Sie blätterte achtlos über die vollgeschriebenen Seiten bis hin zu einer freien Stelle kurz vor Ende des Buches. Unter einer Einkaufsliste, die Fladenbrot, Tomaten, Pilze, Schinken, Mozarella und Kondome beinhaltete, schrieb sie ein paar Zahlen. Asche ihrer Zigarette fiel auf die Seite. Sie wischte sie mit der Hand weg, was dem schmutzigweißen Blatt einen grauen Strich eintrug. Eine Narbe mehr für das alte Teil. Inzwischen hatte es schon fast so viele wie sie. Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen. Über den Blüten der Rose und den Flammen der Kerzen tanzte in lautloser Anmut der Rauch ihrer Zigarette.

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jimihurricane
Menschen tun Dinge an Orten aus Gründen.

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jimihurricane Re: -
Zitat: (Original von EagleWriter am 24.04.2012 - 22:25 Uhr) Gänsehaut beim lesen. Du hast die Atmosphäre in der Wohnung wirklich gut
rübergebracht

Jimi dankt ;)
Vor langer Zeit - Antworten
jimihurricane Re: Mhm... -
Zitat: (Original von damnshit am 24.04.2012 - 22:27 Uhr) Deine Beschreibung dieses privaten, kleinen Moments ist gut gemacht. Man kann sich schon ganz gut vorstellen wie deine Hauptfigur so drauf ist und was sie ausmacht....bei so wenig Text ist das garnicht so einfach, Hut ab!

Mir fehlt es allerdings ein bisschen an Storyline, was passiert denn, was ist passiert? Oder ist das beabsichtigt nud es sollte nur ein kleiner Ausschnitt präsentiert werden? Ein ausgeschmückteres Ende hätte das Ganze sicher aufpoliert!

Lg

Angy

Schön, wenns gelungen ist. Sollte in der Tat nicht mehr sein als diese drei Seiten. Deshalb hat sie zB. auch keinen Namen.
Wer weiss, vielleicht bau ich das ganze noch aus... aber erstmal bleibts dabei, ich hab grad so viele Projekte^^
Vor langer Zeit - Antworten
damnshit Mhm... - Deine Beschreibung dieses privaten, kleinen Moments ist gut gemacht. Man kann sich schon ganz gut vorstellen wie deine Hauptfigur so drauf ist und was sie ausmacht....bei so wenig Text ist das garnicht so einfach, Hut ab!

Mir fehlt es allerdings ein bisschen an Storyline, was passiert denn, was ist passiert? Oder ist das beabsichtigt nud es sollte nur ein kleiner Ausschnitt präsentiert werden? Ein ausgeschmückteres Ende hätte das Ganze sicher aufpoliert!

Lg

Angy
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EagleWriter Gänsehaut beim lesen. Du hast die Atmosphäre in der Wohnung wirklich gut
rübergebracht
Vor langer Zeit - Antworten
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