Die Handlung beginnt ungefähr in hundert Jahren. Die globalen Kräfteverhältnisse haben sich total geändert. Die Mächte der neuen Welt heißen: Chinesisches Reich; Russisches Reich; Amerikanisches Reich; IAA und Hyperborea, das unter der Schirmherrschaft der IAA steht. Die subversive und politisch verfolgte Gruppe um den Protagonisten versucht im vorgestellten Kapitel von dem russischen Reich in den geheimnisvollen und sagenumwobenen Staat Hyperborea zu fliehen, jedoch werden sie kurz vor der Grenze vom russischen Geheimdienst abgefangen. Es entsteht eine Auseinandersetzung zwischen beiden Parteien, wo der Protagonist scheinbar als Einziger überlebt.
Das gesamte erste Kapitel findet ihr auch hier: http://hyperborea-roman.blogspot.de/
Dort sind viele Sätze zur Pointierung und besseren Übersicht in kursiv, was jedoch beim Kopieren nicht übertragen wurde.
Kapitel 1 – Jenseits der Utopie
1.1– In Medias Res: Besuch eines alten Bekannten
Schwache Lichtwellen strahlten durch meine Augenlider, als man versuchte mich zu wecken. Noch halb im Tieschlaf nahm ich die Konturen eines silbernen Kreuzes wahr, das für einen winzigen Moment die spärlichen Lichtstrahlen einer einsamen Glühbirne, die an einer von Asbest verseuchten Decke hing, verdeckte. Es hatte fast schon etwas Bemitleidenswertes, wie sie verzweifelt versuchte den Raum zu erhellen, der selbst einen fast noch jämmerlicheren Eindruck machte und schon im Begriff war vollkommen in sich zusammen zu fallen. Der Raum enthielt keine Möbel, nur zwei alte Matratzen, und die Tapeten fielen von den spröden Wänden ab. Das lag daran, dass das Haus, in dem dieser Raum sich befand, bis vor ein paar Tagen lediglich von Schimmel und von Termiten bevölkert wurde, die sich in obsessiver Zusammenarbeit durch die Überreste des Wandinnenlebens fraßen. Ein verlassenes Haus in einer verlassenen Gegend in einer verlassenen Welt in der verlassenen Unendlichkeit des Universums.
Das spärlich funkelnde Kreuz wurde kurz vor der Kollision mit meiner Nasenspitze von den Gliedern einer ebenfalls silbernen Königskette, an welcher es hing, aufgehalten, und gab deshalb ein leises Klirren von sich. Der erste Reiz, den ich in vollständiger Geistesgegenwärtigkeit wahrnahm, als ich aufwachte. Obwohl das Geräusch nicht lauter als das flüsternde Zirpen einer Grille war, war es in seiner symbolischen Dimension doch eher mit dem Peitschen von Kanonensalven zu vergleichen – ein Startschuss sozusagen, im Angesicht dessen, was mich erwartete. Das silberne Kreuz gehörte meinem Bruder, der es selbst beim Schlafen und Duschen trug. Sein Oberkörper schwebte parallel über meinem Körper, als er mich weckte. Ich fühlte mich wie ein Leiche in einem Sperrholzsarg drei Meter unter der Erde. Das Kreuz pendelte in einer hypnotischen Kreisbewegung über meinem Gesicht. Mein Bruder machte einen aufgebrachten, aber gleichzeitig entschlossenen Eindruck. Sein Ausdruck machte mir schon klar was geschehen ist. Er sagte atemlos: „Sie kommen.“ Diese Aussage hatte mehr als genug Informationsgehalt. Und leider viel zu viel Wahrheitsgehalt. Meine lähmende Schlaftrunkenheit wurde spontan von der Vorhut eines Adrenalinrausches in den seichten Gewässern der Vergessenheit ertränkt. Ein Plan zeichnete sich in meinem Kopf ab. Meine Sinne schärften sich und die trommelnden Befehle meines Gehirns beförderten meinen Körper in Aktionsbereitschaft.
Er lehnte an der Wand und spähte heimlich aus dem Fenster. Er hielt eine Freedom-7 in der rechten Hand. Es war ein limitiertes Sammlerstück und ein Prachtexemplar von einem vollautomatischen Sturmgewehr aus der Zeit der europäischen Revolution und noch vor der Kette mit dem Kreuz aus purem Silber sein wertvollster Besitz, sowohl materiell als auch ideell. Ein Symbol der Revolution. Ein Symbol für der Widerstand. Ein Symbol der Freiheit und der Hoffnung. In dieser Momentaufnahme wurde dieser Waffe von ihm zwar noch keine Beachtung geschenkt, jedoch war er zu jeder Zeit bereit das Schmuckstück zu entjungfern, und mit dem Blut des Feindes einzuweihen.
Wir hatten die hyperboräische Grenze fast erreicht und das ohne jeglichen Konflikt. Und dann Nanometer vor dem Ziel die Entzauberung. Die Ernüchterung war wie ein Schlag ins Gesicht, der mich aus meinem Wunschtraum schleuderte. Ich war es Leid, jeden Augenblick meines Lebens in der ständigen Ungewissheit zu leben, möglicherweise im Schlaf erdrosselt zu werden oder unterwegs von einem Scharfschützen erschossen zu werden. Das Paradies ist zum greifen nah. Das Verlangen danach war unbeschreiblich. Der Entzug der Sehnsucht, konnte nur noch der endliche Einzug in dieses Paradies bewerkstelligen. Mein Vater erzählte mir und meinem Bruder in unserer Kindheit oft Geschichten darüber. Märchen und Mythen. Er beschönigte sein Halbwissen über diesen Staat immer mit bildhaften Metaphern und übertriebenen fiktiven Alltagsszenarien innerhalb des vorgestellten, öffentlichen, hyperboräischen Lebens. Er schuf eine Wunschvorstellung, die wahrscheinlich so greifbar war wie Wasser, doch die Geschichten die uns erzählt wurden, machten uns Freude. Und Hoffnung. Es waren die schönsten Erinnerungen, aus meiner Kindheit. Tief in meinen Gedankengängen verborgene Schätze, die jedoch fast schon von dem ganzen Leid, das mir widerfahren ist, in die Dunkelheit gedrängt wurde. Wenn ich jedoch nur lang genug in meinen Erinnerungen grub, dann war ich auch erfolgreich und wurde belohnt. In diesem dunklen Zeitalter der Grausamkeit und Tyrannei war dies fast das Einzige, was mich aufheiterte.
Im Grunde wusste niemand, wie es im Inneren von Hyperborea aussah, bis auf die Hyperboräer selbst natürlich. Sie mystifizierten ihre eigene Kultur gegenüber dem Ausland ins Bodenlose und gleichzeitig in den Himmel empor. Natürlich taten das die meisten Kulturkreise in dieser Zeit, die Hyperboräer jedoch schafften es, diesen Mythos über sich selbst zu perfektionieren. Sie schufen sozusagen einen dritten Pol auf der Erde, der die Menschen, die sich von den Legenden die dieses Utopia schuf, und vor allem von den Legenden, die dieses Utopia schufen, verzaubern ließen, und diese fast schon magnetisch anzog. Der Menschenschlag, der immigrierte reichte von armen Niemanden, die sich ein neues Leben erhofften, bis zu weltweit bekannten Künstlern und Wissenschaftlern, die ihr Schaffen vertiefen wollten.
Authentische Quellen gab es kaum und wenn es wirklich welche geben sollte, würde sowieso kein Normalbürger im russischen Reich Zugriff darauf besitzen, und schon gar nicht ein subversiver „Terrorist“, wie das Dessens-Regime mich geißelte. Internet und World Wide Web wurden von dem kolossalen Absturz der Globalisierung und den Vereinten Nationen mit in die Tiefe der historischen Fußnoten gerissen, als die Traumblase einer kosmopolitischen Welt nach dem dritten Weltkrieg endgültig zerplatzte. Jeder andere Staat baute sich zwar, als der Frieden mehr oder weniger wieder einkehrte, ein neues, nationales Intranet, eine Art Ersatzinternet innerhalb der Kulturgrenzen, auf, das russische Reich war jedoch die einzige Ausnahme, das dies nicht tat. Die Dessens, das aktuelle absolutistische und totalitäre Herrschergeschlecht im russischen Reich von französischer Herkunft, und andere Oligarchen aus aller Welt, die Teil der zum Leben erweckten, politischen Inkarnation des Höllenfeuers werden wollten, verhinderten diesen Prozess. Kurz nach der Zweiteilung Europas wurden sämtliche Köpfe der Revolution, die für den Ostteil des alten Europas zuständig waren und den Kontinent eigentlich retten sollten, von den Dessens und anderen machtbesessenen, aber unfähigen, Politikern, umgebracht.
Eine umfangreiche Restaurierung fand statt und Osteuropa wurde so schon nach kurzer Zeit erneut dem russischen Reich angegliedert. Die Dessens formten ein totalitäres Regime mit erheblichen Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens. Besonders die Informationsgewinnung und autodidaktische Bildung des einfachen Bürgers wurden auf ein kümmerliches, im Grunde genommen nicht vorhandenes Minimum reduziert, da man die Etablierung neuer Massenmedien verbot, und speziell weil man deren bereits etablierte Väter ausrottete. Die Nation wurde somit nicht nur im 21. Jahrhundert festgehalten, sondern in ein quasi vormodernes, fast schon prähistorisches Zeitalter zurück katapultiert. Mobiltelefone waren verboten und Heimcomputer nur mit extrem beschränkten Fähigkeiten ausgestattet, wodurch sie fast nutzlos waren. Fernsehen und Radio wurden massiv zensiert und von Pro-Regime-Propaganda im Würgegriff gehalten. Die Dessens wären also die letzten gewesen, die einen geregelten Informationsfluss bezüglich hyperboräischer Kulturforschung zuließen, besonders weil Hyperborea neben dem chinesischen Reich, mit dem das russische Reich schon seit Jahrzehnten Konflikte austrug, der nächstgelegene Feind war.
Eine laute Alarmsirene schallte durch das Geisterdorf. Eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme von uns, falls einige Leute, die nicht durch das automatische Läuten unserer Funktelefone nach einer Massenbenachrichtigung durch die Nachtwache aufgeweckt wurden, noch schliefen. Das Exekutionskommando des wiederbelebten KGB wusste spätestens jetzt, dass ein Anschleichen überflüssig war und begann laute Schritte und Stellungsbefehle von sich zu geben. Sie waren nicht auf russischer Sprache, sondern hatten ihren eigenen militärinternen Befehlscode, um den Informationsgewinn, den wir uns erhofften, zunichte zu machen. Das Dessens-Regime nannte diese „Polizisten“ in der Öffentlichkeit „Antiterroreinheit“. Eine lachhaft zynische Bezeichnung für die Lakaien der größten Despotenfamilie des neuen Jahrtausends und der russischen Geschichte überhaupt, bestehend aus Scharfrichtern und Inquisitoren, deren Lebensaufgabe es war, willkürlich auserwählte politische Gegner mit „unmoralischen“ Ansichten zu Staatsfeinden und Volksverrätern zu erklären, um sie dann in einem sich ständig wiederholenden Akt des blinden Gehorsams auszulöschen. Dieser Haufen von mental vergewaltigter Mädchen für alles war nichts weiter als der Fingernageldreck der gesamten russischen Kulturgeschichte. Hellhöriges Gesinde, aber vor allem blindes Gesindel. Mit Hilfe von ideologischen Marionettenfäden kontrollierte Sklaven, die die despotische Drecksarbeit erledigen sollten und den schwammig definierten „Müll“ wegräumen sollten. Politische Säuberung des Staates durch militärische Beschmutzung der Menschlichkeit. Sie erklärten uns schon vor langer Zeit zu Vogelfreien. Leider waren wir so weit wie es auch nur möglich war davon entfernt, so frei wie die Vögel zu sein.
Grelles Licht durchflutete das verlassene und schneebedeckte Dorf. Die weiße Farbe des Schnees reflektierte das Licht und machte es so noch heller, als es sowieso schon war. Der Leiter der Führungseinheit rief mit einem Megaphon verstärkt die Worte „KGB! An alle Personen in allen Häusern! Sie sind wegen Staatsverrat und Volksverhetzung offiziell verhaftet! Wir empfehlen ihnen, sich dringlichst zu ergeben und mit erhobenen Händen nach draußen zu kommen! Ihnen wird ein fairer Prozess gemacht. Ansonsten sehen wir uns dazu genötigt, Waffengewalt anzuwenden!“ in die Leere des Ödlandes. Er wiederholte die Worte noch einmal, als würde dies die inhaltslose Aussage seiner Floskeln bedeutsamer machen.
Genau in diesem Moment warf ich eine Prozium-Z-Pille aus meiner Tasche ein, die kurzzeitig die Ausschüttung von Adrenalin und sämtlichen anderen Stresshormonen im Körper rapide verstärkte. Die Wirkung setzte sofort ein. Mein Herz raste in gefühlter Lichtgeschwindigkeit. Die Pille entfachte ein Feuerwerk aus biochemischen Reaktionen in meinem Körper, das bis an meine Finger- und Zehenspitzen vordrang und meine Nägel zum Beben brachte. Dieses Medikament wurde von den gegenwärtigen Militärs entwickelt, um den gewöhnlichen Fußsoldaten zu einem gnadenlosen Berserker zu machen. Das letzte Ass im Ärmel für ein gewaltverherrlichendes Massaker. Das Ass für ein Bloody Heart Royal Flush. All In, All Out. Wetteinsatz: Leben. Hoffnung: Überleben.
Während des Amoktrips auf Prozium war die Empfindung von Schmerz verringert und sämtliche Sinne wurden auf den Kampf kanalisiert. Der Konsument bekam einen Tunnelblick für das Wesentliche. Einige, für den Kampf unwichtige Gehirnfunktionen wurden abgeschwächt, während relevante deutlich verstärkt wurden. Die gesamte Umwelt bekam einen rötlichen Anstrich. Bewegungen wurden deutlicher wahrgenommen, während Worte zu verzerrten Lautsignalen verkümmerten, ähnlich einem Bellen oder Brüllen. Man vergaß sämtliche moralischen Hemmungen und wurde zu einer animalischen Killermaschine, die nur noch das Töten und Sterben kannte.
Hassdemagoge Ja genau das war meine Intention. Und keine Angst, normal ist der Protagonist viel zahmer. Wird ab 1.3 deutlicher, obwohl er dann immer noch nicht nüchtern ist. ^^ |
Fianna Temporeicher Beginn... - Die Auswirkungen dieser Droge hast du ja ziemlich ausführlich geschildert und die gesamte Kampfszene dadurch irgendwie einzigartig gemacht. Allerdings wirkt der Protagonist durch diese Brutalität, die wohl auf diese Droge zurückzuführen ist, auf mich bisher nicht besonders sympathisch. Trotzdem, deine Art zu erzählen, reißt einen regelrecht mit. Vor allem scheinst du dir ja auch viele Gedanken im vornhinein gemacht zu haben, über diese neuen Staatsgebilde und deren Politik. Ich werde bestimmt noch mal auf deinem Blog vorbeischauen, um zu lesen, wie es weitergeht. Liebe Grüße Fianna |