Es war einmal ein junger, unerfahrener Prinz, der an einem heißen Sommertag von einer unbändigen Unternehmungslust gepackt wurde. Ohne lange zu überlegen, verließ er das gut bewachte Schloss seiner Eltern und machte sich auf den Weg in die nicht weit entfernte Stadt. Vor kurzem hatte er von einem Tierpark erfahren, der seine Pforten geöffnet hatte und die Neugierde hatte ihm zu dem Entschluss gebracht, sich die Exoten, die dort ausgestellt wurden, anzusehen.
Um jedoch dorthin zu gelangen, war es seines Wissens von Nöten, eines der allgemein zugänglichen Verkehrsmittel zu benutzen, die auch für das gemeine Volk bestimmt waren. Wie er es schon einmal mit seiner Mutter getan hatte, schritt er schnurstracks auf den Automaten zu, der ihm einen Schein aushändigen würde, der es ihm erlaubte, jedes Fahrzeug dieser Stadt zu betreten und sich an jeden beliebigen Ort chauffieren zu lassen.
So geschah es also, dass der Prinz, wie er es gelernt hatte, zwei Goldmünzen in den Schlitz des Automaten steckte, um seine Karte zu erhalten. Wie immer hörte er, wie das Geld nach unten fiel und mit wartend nach dem Ticket ausgestreckter Hand, erwartete er das übliche klickende Geräusch zu vernehmen, das verkündete, dass sein Ansuchen bearbeitet wurde. An diesem Tag jedoch blieb dieser Laut aus.
Stirnrunzelnd klopfte der Prinz dagegen und als auch das nicht half, trat er verärgert mit dem Fuß nach dem Gerät. Wieder und wieder tat er dies und geriet dabei so sehr in Rage, dass sein Kopf rot anschwoll.
Durch dieses Verhalten wurde jedoch ein Ordnungshüter auf den jungen Adeligen aufmerksam gemacht, der schnurstracks auf den Tobenden zuschritt. „Was fällt dir eigentlich ein, du Rotzbengel!“, schimpfte er und hob drohend seinen Schlagstock. Der Prinz jedoch zog, erbost über diese Unverschämtheit, sein Schwert, um damit dem Beamten den Stock einfach aus der Hand zu schlagen.
Verwundert sah dieser erst auf seine leere Hand, dann auf die gefährlich scharfe Waffe des Prinzen, die dieser immer noch nicht gesenkt hatte.
Als der Prinz erkannte, dass er von dem Erwachsenen nicht richtig ernst genommen wurde, wollte er erneut zuschlagen.
Allerdings gelang es ihm nicht, den sicherlich tödlichen Streich auszuführen, da ihm jemand von hinten mit voller Wucht auf den Kopf schlug.
Prompt wurde ihm schwarz vor Augen und er brach an Ort und Stelle zusammen.
Er erwachte mit einem pochenden Schmerz in der Stirn und öffnete ruckartig die Augen. Beinahe hätte er aufgeschrieen, doch der Laut blieb ihm im Halse stecken.
Direkt vor seinem eigenen Gesicht befand sich das Antlitz eines Mannes, der so hässlich war, dass ohne Zweifel jede anständige böse Hexe Respekt vor ihm gehabt hätte.
Obwohl er für einen kurzen Moment von diesem grässlichen Anblick gelähmt war, versuchte der Prinz sich aufzurichten.
Der Hässliche streckte die Hände aus, wohl um ihm zu helfen, doch der entsetzte Blick seines Gegenübers, ließ ihn innehalten.
Stattdessen stützte der Mann sich auf und drehte sich zu einigen anderen Anwesenden um.
Als dem Prinzen wieder klar wurde, wer er eigentlich war, stemmte er sich vollkommen in die Höhe und baute sich mit stolz vorgestrecktem Kinn vor den anderen auf, was ziemlich merkwürdig wirkte, da diese ihn um ein bis zwei Köpfe überragten.
„Wer seid ihr und wo bin ich hier überhaupt?“
Fragend deutete er auf die schmutzigen Wände und auf die Gitterstäbe, die eine Seite anstelle des Betons ersetzten.
Niemand antwortete ihm. Dahingegen fragte der abscheuliche Mann: „Wir sind hier schon länger als du, also haben wir auch das Vorrecht, zuerst deinen Namen zu erfahren.“
Auch wenn er keine offensichtliche Drohung ausgesprochen hatte, so sah der Prinz sich doch gezwungen, zu erwidern: „Es steht euch nicht zu, meinen Namen zu kennen. Es muss genügen, wenn ich sage, dass ich hier der Prinz bin.“
„Hier?“ Grinsend sah der Hässliche ihn an. Anstatt jedoch weiter darauf einzugehen, erklärte er: „Na gut, da du anscheinend ein Adeliger bist, werden wir dir unsere Namen wohl verraten müssen, nicht? Dann fange ich doch gleich mal an. Also, mein Name ist Hans.“
Er deutete auf sich selbst.
Verwundert musterte der Prinz ihn genauer. „Kenne ich dich irgendwo her?“
Hans zuckte mit den Schultern und meinte nur: „Kann schon sein. Ich bin weit herumgekommen, habe meistens gehandelt, wenn du verstehst. Mit Schweinen habe ich angefangen und mich bis zum Goldklumpengeschäft hochgearbeitet, aber es wurde immer schwerer diese Waren loszuwerden, weshalb ich schlussendlich ins Drogengeschäft eingestiegen bin. Da ist wirklich Geld zu holen, sage ich dir.“
Mein Kumpel, Rumpelstilzchen, meinte, das wäre nach Kindesentführung die einfachste Art an Kohle zu kommen. Wegen meines glücklichen Händchens im Tauschhandel nannten mich einige meiner Kollegen auch Hans im Glück.“
Für einen Moment schwelgte er in glückseligen Erinnerungen, doch dann fuhr er, deutlich kälter fort: „Um es kurz zu machen: Ich wurde erwischt und in den Knast gesteckt.“
„Oh“, machte der Prinz nur, weil er dachte, sich verhört zu haben, während Hans einfach weiter sprach.
„Der miesepetrige Kerl da in der Ecke“, er wies auf einen großen rothaarigen Mann, der ein ledernes Wams und grüne Strumpfhosen trug, „kommt von irgend so einer Insel. Wie hieß sie noch gleich…? …ach ja, Engelland, oder so ähnlich.“ Er tippte sich mit dem Finger an die Stirn und fuhr fort. „Heißt Wood oder Hood, oder so. Ich konnte es nicht richtig verstehen, weil er immer so undeutlich gesprochen hat. Wenn du mich fragst, dann ist er ziemlich durch den Wind, faselt ständig etwas von einem Scherriff, den er heiraten muss, einer Maid, die er bekämpfen muss und von seinem kleinen John, was auch immer das sein soll.“ Wiederum hob Hans den Zeigefinger und ließ ihn neben seiner Schläfe kreisen. „Na ja. Man sagt ja schon lange, dass mit diesen Inselbewohnern irgendetwas nicht stimmt. Das soll an dem Wetter dort liegen.“
Kopfschüttelnd trat er etwas näher an den Prinzen heran.
„Dieses hübsche Mädchen dort drüben, nennt sich Rotkäppchen. Du solltest dich aber besser von ihr fernhalten. Es heißt, sie hätte einen Wolf kaltblütig ermordet, nur weil er ihrer Großmutter Blumen schenken wollte. Woher hätte er auch wissen sollen, dass diese an einer Pollenallergie gelitten hat? Die Wölfe haben das jedenfalls nie wirklich verkraftet, weshalb sie sich von hier zurückgezogen haben.“
Erschrocken warf der Prinz einen Blick auf das Mädchen, das mit verschränkten Händen auf einem Stuhl saß, den es auf die Hinterbeine gekippt hatte. Einmal abgesehen von seinen mordlüstern glänzenden Augen, sah es eigentlich gar nicht so gefährlich aus.
Verschwörerisch senkte Hans die Stimme noch weiter, sodass er nun fast flüsterte: „Einige behaupten sogar, dass ihr Name gar nicht von der Kappe kommt, die sie trägt, sondern von dem ganzen Blut, das an ihren Fingerkuppen klebt. Rotküppchen, sozusagen.“
Den Prinzen schauderte es, doch der glückliche Hans achtete gar nicht darauf, sondern erzählte, jetzt wieder mit erhobener Stimme: „Der da“, er wies auf einen Mann, der durch die Gitterstäbe nach draußen sah, „nennt sich Gestiefelter Kater.“
Sofort wollte der Prinz fragen, weshalb das so war, doch Hans kam dieser Frage zuvor, indem er sagte: „Diesen Namen trägt er noch nicht all zu lange. Vielleicht sechs, sieben Jahre. Bekommen hat er ihn von ein paar seiner Freunde, weil er ständig zu viel getrunken hat, obwohl ihm das nicht gut bekommen ist. Nach den Saufgelagen hatte er dann immer einen solch gewaltigen Kater, dass es für ihn kaum auszuhalten war. Selbst hat er dieses Gefühl immer so beschrieben, als würde er von Tausenden von Stiefeln getreten werden. Der Gestiefelte Kater also, wenn man das kombiniert.“
Ungläubig hatte der Prinz die Augen aufgerissen und Hans schien mit sich zufrieden zu sein. Nach langem Schweigen fragte der Adelige: „Wo bin ich hier eigentlich genau?“
Sein Gegenüber stöhnte. „Hast du das wirklich noch immer nicht kapiert? Du bist hier im Knast, Mann.“
Erschrocken und ungläubig zugleich sah der Prinz sich ein weiteres Mal um, diesmal jedoch gründlicher. Jetzt, da er wusste, wo er sich befand, fragte er sich, wie er es nicht hatte erkennen können. Die Wahrheit sickerte trotzdem nur langsam zu ihm durch. Er, der Erstgeborene des Königs, war tatsächlich im Kerker gelandet. Dabei konnte er sich keines Verbrechens entsinnen.
Ruckartig stand er von dem Bett auf, auf dem er aufgewacht war und schritt entschlossen auf die Gitterstäbe zu.
Lange schrie er nach einem der Ordnungshüter und als dieser endlich auftauchte, hatte er zum Missfallen des Prinzen, den König im Schlepptau.
So zornig, wie an diesem Tag hatte der Prinz seinen Vater noch nie gesehen. Kaum waren sie zu Hause, in den gemütlich eingerichteten Gemächern des Schlosses, da hielt der König ihm auch schon eine gewaltige Standpauke.
Wie immer ging dieses Geschrei dem Prinzen jedoch beim einen Ohr hinein und beim anderen sofort wieder hinaus. Nach einer etwa einstündigen Moralpredigt ließ der verzweifelte Vater seinen Sohn endlich ziehen.
Dieser nahm sich sogleich fest vor, das nächste Mal, wenn ihn seine Unternehmungslust packen würde, seinen neuen Freund im Gefängnis zu besuchen um mehr über diesen seltsamen Haufen zu erfahren, mit dem er für kurze Zeit eine Zelle geteilt hatte.
Leider wusste der Prinz nicht, dass ihm Hans, der in Wirklichkeit nichts anderes als ein inhaftierter Schriftsteller war, nichts als Märchen erzählt hatte.
Aber wo genau liegt da schon der Unterschied?
© Fianna 31.03.2012