Ihre Handfläche war feucht. Sie war furchtbar nervös, was er nicht verstehen konnte. Schliesslich war es nur Ela, seine beste Freundin, die gleich kommen würde um mit ihm und Ilara ins Kino zu gehen. Wenn er ehrlich war, war er auch ein wenig nervös. Nicht wegen Ela oder Ilara. Nein. Es lag an Elas Begleitung. Er war sich nicht sicher, ob zwischen den beiden was lief, aber das würde er herausfinden. Er kannte Ela gut genug um zu sehen, was da war. Wieder einmal fragte er sich im Stillen, weshalb es ihm so wichtig war, zu wissen, welcher Mann was in ihrem Leben verloren hatte.
„Hoffentlich mag sie mich“, sagte Ilara und sah wieder aus dem Fenster.
„Sie mag dich.“, antwortete er.
„Woher willst du das wissen?“, sie sah ihn an.
„Weil sie es gesagt hat. Sie sagte, du wärst sĂĽss und lieb.“
„Woher will sie das wissen?“
„Nun ja.“, er dachte kurz nach, nahm Ilaras Hand und erzählte ihr zum wiederholten Mal, dass Ela sich sehr selten irrte. Auch zum wiederholten Mal wollte sie von ihm wissen, wie sich Ela nicht irren konnte, wenn sie sich noch nie gesehen hatten. Geschweige denn miteinander gesprochen hatten.
„Ich kann es dir nicht genau erklären, Ilara. Aber Ela sieht die Menschen anders, als das normale Menschen tun. Sie… sie liest in den Gesichtern.“
„Auch auf Fotos?“, fragte Ilara ein wenig irritiert.
„Auch auf Fotos.“, bestätigte er.
„Zum GlĂĽck sind es gute Fotos von mir. Auf diesem da“, sie deutete auf das Foto, das auf seinem Tisch stand, „bin ich perfekt geschminkt. So perfekt, dass es natĂĽrlich aussieht.“
Jonas schwieg. Ilara sollte nur glauben, dass Ela sich von Schminke täuschen liess. Vielleicht war es besser so. Zum ersten Mal spĂĽrte er einen leisen Zweifel aufkeimen. War die Idee wirklich gut, die beiden miteinander bekannt zu machen? Die Antwort kam von der Hausglocke. Sie war da. Er schluckte, warf Ilara einen Blick zu. „Ready?“, sie nickte, schnappte nach ihrer Handtasche und ging zur TĂĽr, er folgte ihr. „Guckst du mir auf den Hintern?“, fragte sie und sah in ĂĽber die Schulter kokett an.
„Nein!“, gab er zurĂĽck und grinste.
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„Ich fand den Film nicht so gut“, sagte Ilara und nippte an ihrem Drink. Jonas beobachtete den Mann an Ela’s Seite. Daniel. Er nannte sie beim vollen Namen, was ihr zu gefallen schien.
„Kannst du sagen, was dir nicht gefiel am Film?“, wollte Ela wissen. Ilara schĂĽttelte den Kopf.
„Jonas?“, Daniel stupste ihn an, „kommst du mit neue Drinks holen? Manuela hat leer und du auch.“
„Ich auch gleich“, verkĂĽndete Ilara. Ela warf Jonas einen seltsamen Blick zu. Den Blick den sie erst seit kurzem drauf hatte und er ĂĽberhaupt noch nicht verstand.
„Ja klar.“ Die beiden Männer erhoben sich und gingen zur Bar. Es dauerte ewig, bis sie endlich bedient wurden. In dieser Zeit beobachtete Jonas die beiden Frauen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Ilara erzählte irgendetwas, fuchtelte mit ihren Händen durch die Luft und Ela hörte ihr konzentriert zu.
„Sag mal“, er drehte sich zu Daniel um, „was läuft zwischen Ela und dir?“
Der andere wandte ihm sein Gesicht zu und lächelte. „Leider nicht viel. Wir sind nur Freunde.“
„Leider?“
„Ja. Ich… mir wĂĽrde sie schon gefallen. Aber ich scheine nicht wirklich eine andere Chance zu haben, als ihr ein Freund zu sein. Mehr nicht.“
„Nun ja“, sagte Jonas langsam und sah zu Ela, „sie hat ein bisschen die Angewohnheit die Sache mit dem befreundet sein sehr, wie soll ich sagen…“
„Offen sieht?“
„Ja.“
„Bei mir nicht.“
„Oha.“, machte Jonas.
„Viermal Pinacolada“, die Bedienung hatte endlich Zeit fĂĽr sie. Daniel bestellte und bezahlte. „Hier“, sagte er und drĂĽckte Jonas zwei Gläser in die Hand.
„Und du? Bist du in Ilara so richtig verliebt?“, wollte er wissen.
„Ja. Sehr sogar. Sie ist… sie ist einfach wunderbar!“
„Das freut mich fĂĽr dich. Keine Ahnung weshalb, aber ich mag dich irgendwie. Und deine Freundin.“, Daniel grinste breit.
„Danke!“, gab Jonas ehrlich erstaunt zurĂĽck. Sein Blick glitt wieder zu Ilara und weiter zu Ela. „Und mir tut es leid, dass du sie nicht haben kannst“, sagte er mit einem Nicken zu Ela. Daniel zuckte die Schultern.
„Wer weiss… Geduld bringt Rosen!“
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„Zuerst kommt die Grundfarbe darauf, die heller sein sollte als das Muster, das darĂĽber gemalt wird“, sagte Ela gerade. Ilara hielt Ela’s Hand und betrachtete mit gerunzelter Stirn ihre Fingernägel. „Und dann nimmt man einen dĂĽnnen Pinsel und malt das Muster darauf.“
„Und du machst das wirklich selbst?“, Ilara sah wieder in Elas Gesicht. Diese lächelte fast schon sanft und nickte.
„Oh. Unser Nachschub!“, sagte sie und zog ihre Hand wieder weg. Jonas stellte die beiden Gläser hin und setzte sich. Daniel folgte ihm.
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Stunden später streichelte er Ilaras Haare aus der verschwitzten Stirn. Sie hing über der Kloschüssel und kotzte sich die Seele aus dem Leib.
„Dasch waren mindessschtensch“, sie wĂĽrgte wieder, „drei tschuuvieeeeel!“
„Mindestens.“, brummte Jonas. Es war unnötig, ihr zu sagen, dass sie nur drei getrunken hatte. Er runzelte die Stirn. Plötzlich sank Ilara in sich zusammen und begann zu schluchzen.
„Esch dud miiiir schoooo leid!“, nuschelte sie. „Isch habe eusch den Aa-a-abend verschschaut!“
„Nein, Schatz! Das hast du nicht! Wir geben dir nächstes Mal einfach kein Alkohol mehr!“
Sie schluchzte wieder. Er nahm sie in die Arme, mit dem Risiko, dass der nächste Schwall nicht in die KloschĂĽssel sondern… er dachte den Gedanken nicht weiter, sonst hätte er sie gleich los gelassen. Er wiegte sie ein wenig hin und her, bis sie ganz schlaff in seinen Armen lag. Vorsichtig stand er auf und hob sie hoch. Jonas trug sie in ihr Bett, deckte sie zu, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und ging nach Hause.
Alles in allem war der Abend nicht schlecht gewesen. Ilara und Ela schienen sich gut zu verstehen und er mochte Daniel. Wobei das nicht von Belang war, Jonas bezweifelte, dass er Daniel noch einmal wieder sehen wĂĽrde. So wie dieser sagte, lief zwischen ihm und Ela gar nichts. Jonas verwirrte nur ein bisschen der Umstand, dass er sogar froh darĂĽber war, dass Daniel und Ela kein Paar waren.
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Er legte sich in sein Bett, griff nach seinem Telefon und wählte Ela’s Nummer.
„Eyho!“, meldete sie sich.
„Hallo.“
„Alles klar? Geht es Ilara gut?“
„Ja. Sie schläft. Glaube ich. Ich bin zu Hause.“
„Hmmm.“
„Und? Magst du sie?“
„Sie ist lieb. Und sie ist sĂĽss.“
„Magst du sie?“
„Sie ist jung, Jonas.“
„Das bin ich auch.“
„Ja. Das stimmt.“, sie lachte. „Ey. Sorry, Daniel und ich sehen uns gerade noch einen Film an.“
„Oh. Entschuldige!“
„Kein Problem. Wir hören uns! Bye!“ und weg war sie. Er legte das Telefon wieder weg und ĂĽberliess sich seinen Gedanken. Nach einer Weile schwang er seine FĂĽsse auf den Boden und stand wieder auf. Musste er sich Sorgen machen, dass er weniger an Ilara dachte als an Ela? Plötzlich fasste er sich mit beiden Händen an den Kopf – der Speer drang wieder durch seinen Kopf! Stöhnend liess er sich wieder ins Bett fallen.
„Schlafen!“ murmelte er, drehte sich um, rollte sich zusammen und schloss die Augen. „Schlafen. Schlafen. Schlaf endlich!“, er richtete alle seine Gedanken darauf.
Sein Handy fiepte. Er griff blind danach. Es war einige Stunden später. Ela hatte eine SMS geschickt. „Gute Nacht Jonas!“ – er legte es wieder weg. Er mochte nicht zurĂĽck schreiben. Eigentlich schlief er ja. Die Kopfschmerzen waren weg, stellte er erleichtert fest.
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Intermezzo III
14. Februar 2012
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Valentinstag. Sie schĂĽttelte sich. Herzchen- und Heuchlerbesen-Tag. Vor ihr auf dem Tisch lag ein kleines Geschenk. Sie hatte es vor ein paar Wochen gekauft, als er noch ihr Freund war. Ihr Schatz. Das Beste in ihrem Leben. Sie hatte es gekauft, als sie noch die Hoffnung hatte, sich zu irren. Wie oft hatte er ihr gesagt, dass sie sich irrte? Dass er sie ĂĽber alles liebe? Aber er konnte ihr nie die Fragen beantworten, die sie ihm stellte. Er wich ihr aus. Tat so, als hätte sie keine gestellt. Wie konnte man auf diese Fragen so reagieren? Das fragte sie sich immer noch. Wie konnte man jemanden, den man angeblich so sehr liebt, so ignorieren? Ihr Herz zog sich zusammen. Sie erinnerte sich an seine Lieblingsantwort auf ihre Feststellungen. „Wenn du meinst…“, sie äffte ihn nach. „Wenn du meinst…“ – sie starrte wieder das Geschenk an. Es war eine Schneekugel, einfach keine Kugel sondern ein Herz und es war kein Schnee sondern Sterne und Herzen. Kitschig. Wie verliebte halt so sind. Sie erhob sich und holte eine Aale, setzte sich wieder an den Tisch. Langsam löste sie die Schleife, dann die Kleber, wickelte das Herz vorsichtig aus und stellte es vor sich hin. „Du glaubst immer alles zu wissen“, hörte sie ihn sagen, und sich selbst: „Erstaunlich so etwas von jemandem zu hören, der ziemlich genau weiss, wie oft ich mich nicht irre.“ – darauf hatte er nicht mehr gewusst, was er sagen könnte und hatte mit dieser dämlichen „Wenn du meinst“-Antwort das Gespräch beendet. Sie nahm das Herz in die eine Hand, die Aale in die andere. Konzentriert begann sie ein Loch zu bohren. Sie kam nicht umhin, sich vorzustellen, wie sie das spitze Ding in sein Herz bohrte. Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Die Vorstellung war einfach zu gut. Sie bohrte weiter, bis FlĂĽssigkeit herauszutropfen begann. Sofort begann sie mit einem neuen Loch. Gewissenhaft bohrte sie viele Löcher in das Herz, blieb mit ihren Gedanken bei seinem Herzen. Stellte sich vor, wie die Aale die Haut durchdrang, wie sie immer weiter in seinen Körper drang – wie sie seine Herzhaut erreichte und das Blut ĂĽber ihre Hände floss. Vor ihren Augen war das Wasser das aus dem Schneekugelherz floss, rot wie Blut. Sein Blut.
Die FlĂĽssigkeit sammelte sich auf dem Tisch. Das Herz war ausgeblutet. Sie hob den Kopf und betrachtete die Wand ihr gegenĂĽber. Dann hob sie den Arm und schmetterte das leere Herz mit aller Kraft an die Wand und stellte sich vor, dass sie gerade sein Herz aus seinem Körper gerissen hatte… Das fĂĽhlte sich gut an. Sie holte einen Lappen und wischte die FlĂĽssigkeit weg, dann holte sie eine Kehrschaufel und räumte die Scherben weg.
Ihr Valentinstag war gerettet. Nun konnte sie raus gehen in die kalte Welt und sich um ihr eigenes Leben kĂĽmmern.