Kapitel 2 - Aus Rost mach Stahl
„Kann man denn als Mensch überhaupt ein Zwergenschmied werden?“ fragte Neral, als sie eine Weile marschiert waren.
„Ein Zwerg“, begann Firix, „ein Zwerg bist du nicht im Kopf. Oder Im Körper. Ein Zwerg ist man im Herzen. Und ich werde euch beide schon lehren, das Herz eines Zwerges in euch schlagen zulassen. Ihr habt die idealen Vorraussetzungen... für Menschen eben.“
Keck zwinkerte ihnen der Zwerg zu.
Perren war sehr ruhig.
Lange hatte er über etwas nachgedacht.
„Zaubern.“ sagte er plötzlich.
Der Zwerg und sein Bruder sahen ihn fragend an.
„Lernen wir zaubern? Magie?“ fragte Perren deutlicher.
Firix schmunzelte.
„Du kannst zaubern, Perren, nicht wahr? Du hast doch euren Boot-Golem erweckt, stimmt’s? Dazu muss man zaubern können. Hmm… Perren Golemvater, wie klingt der Name?“
Der Junge schnaubte.
„Das ist ein dummer Name.“
„So?“, fragte der Zwerg, „dein Bruder wäre natürlich Neral Golemvater. Das wäre doch etwas, oder?“
Neral schüttelte den Kopf.
„Wir haben schon Namen. Wir sind Perren der Buddler und Neral der Schürfer. Wir haben uns diese Namen hart erarbeitet. Wir haben keine neunen nötig.“
Firix lächelte noch breiter.
„Ihr seit zwei, ganz einzigartige, Menschen, wisst ihr das?“
Die Gebrüder murrten unisono. Laut begann der Zwerg zu lachen und wischte sich mit einem dicken Finger eine Träne aus dem Auge.
„Aber zu deiner Frage, Perren; Ja, ihr lernt zaubern. Alle Zwergenschmiede bedienen sich ihr. Nur so wird unser Feuer so heiß, dass man Gallachit einschmelzen kann, ohne, dass es nur sinnlos beginnt zu leichten.“
„Was?“ fragte Neral perplex.
Bei dem Wort „Gallchit“ war er aus seinen Gedanken aufgeschreckt.
„Nun, das ist ein gelbes, glän…“
„Wissen wir, aber man kann es einschmelzen, wenn das Feuer heiß genug ist?“ bohrte Perren nach.
„Ja, natürlich“ der Zwerg sah verdutzt aus.
„Das ist es doch, was wir immer versucht haben, Bruderherz!“ strahlte Perren.
Zustimmend grinste Neral und nickte.
„Ihr wisst was Gallachit ist?“ fragte Firix, nun völlig verwirrt.
„Natürlich, wissen wir das! Wir buddeln es seit Jahren aus, aber egal wie heiß wir das Feuer geschürt haben, es ist nie geschmolzen, nur verglüht.“ begann Perren.
„Ja und wenn man es doch schmelzen kann, dann erklärt das, warum wir es in zwei Formen aufgefunden haben; Als Metallart und als Kristallartig!“ endete Neral.
Firix wurde mit einem Mal ganz ruhig. Dann brach er in schallendes Gelächter aus.
„Ihr Beide! Ihr seid vielleicht groß, aber Zwerge seit ihr auf jeden Fall! So habe ich noch nie einen Menschen reden hören!“
Immer noch lachend setzte er sich in wieder in Bewegung und beeilte sich, Langelohn wieder einzuholen.
Kurze Zeit später erreichten sie die Höhle der Brüder. Firix wurde mit einem Mal wieder ganz ruhig.
„Ich stelle euch diese Frage noch einmal. Wollte ihr beide Schmiede werden? Steinmetze? Golembauer? Wollt ihr Zwerge werden, so wie nur ein Zwerg ein Zwerg sein kann?“
Die Blicke der Beiden trafen sich. Ein Grinsen breitete sich über ihre Gesichter aus.
„Es gibt nichts, das wir lieber täten!“ lachten sie.
„Dann packt eure Sachen! Wir brechen am besten jetzt noch auf.“
Die Gebrüder grölten zustimmend und schnappten ihre Beutel, woraufhin sie sich in den Schacht stürzten, nur um wenige Schritt tiefer nach den rettenden Strickleitersprossen zu greifen.
Sie wuselten wie gewaltige Maulwürfe durch ihr Tunnelsystem, sammelten übrig gebliebene Kristalle, Gallachit-Lampen und persönliche Dinge, wie ihre Spitzhacken, ihr Werkzeug und ihre Strohmatten zum schlafen. Die Säcke konnten diese gewaltige Masse an Dingen geradeso aushalten, spannten sich aber auf den Rücken der Beiden gefährlich.
Nach getaner Arbeit huschten sie zurück, die Leiter wieder hinauf. Auf der letzten Sprosse blieb Perren aber stehen.
„Auf Wiedersehen. Wir werden dich vermissen, du Bruchbude von einer Mine.“
„Amen. Los, weiter.“ grinste Neral.
Zu zweit stiegen sie aus dem engen Schacht und warfen einen letzten Blick hinein.
Es war ein schönes Heim gewesen, solange es gedauert hatte. Nun waren sie bereit, ihren Stein zu verlassen und über die Erde in einen neuen zu finden. Sie wandten sich um und beluden Langelohn mit ihren Beuteln und vergewisserten sich, dass Alles fest verschnürt war.
„Also Hopp“, lächelte Firix, wir haben einen weiten Weg vor uns.
„Firix, sag mal“, begann Neral, „Welchen Weg müssen wir eigentlich gehen?“
Der Zwerg blieb einen Moment stehen und überlegte.
„Erst nach Westen, bis wir an den Fluss Tür kommen. Dann nehmen wir einen Schiffs-Golem von Phansar, das ist die Hafenstadt, südlich der kaiserlichen Hauptstadt, zum Meer. Und von da aus lassen wir uns einfach nach Azar, das Land der Zwerge schippern.“
„Das klingt nach einem weiten Weg.“
„Das ist er auch, aber denk mal nach. Du erinnerst dich bestimmt an die Geschichten über Terrephilo vanQuis, oder? Damals, vor vierhundert Jahren mussten er und seine Mitstreiter den ganzen Weg von der Hauptstadt bis ins Land der Dunkelelfen laufen. Durch die Wüste. Also beschwer dich nicht.“
„Pah, die Legenden von Terrephilo vanQuis und Nefernian Thangrom sind doch nur irgendwelche Sagen um kleine Kinder ins Bett zu treiben. Das ist doch niemals wirklich passiert.“ schnaubte Perren.
„Ach nein? Glaub was du willst, Buddler, aber ich weiß, dass es stimmt. Aber lassen wir das gut sein.“
Perren schnaubte wieder.
Das anfänglich waldige und bergige Terrain wechselte bald zu einer nur noch leicht hügeligen, fruchtbaren Ebene, voller Sträucher und Farne. Überall prahlten dicke Pfingstrosen mit ihren prallen Blütenkelchen und findiges Vergissmeinnicht brach an den undenkbarsten Stellen aus dem Boden. Dotterblumen grünten mit roten Drachenmaulblumen auf den weiten Wiesen, an denen sie ab und an vorbeikamen und in manchen Felsnischen erblickten sie sogar einige Halbschattengewächse und Pilze.
Neral und Perren waren so von der Schönheit der vielen Pflanzen fasziniert, dass es erst nicht bemerkten als Firix sich hinsetzte und zufrieden seufzte.
Nach einigen Schritten bemerkten sie sein Fehlen und stoppten den Golem, woraufhin sie zu ihm zurücktraben.
„Warum halten wir?“ fragte Perren.
„Weil es jetzt Essen gibt. Was habt ihr dabei?“ sagte der Zwerg und packte eine knorrige Pfeife aus, die er mit den Blättern einer der Drachenmaulblumen stopfte und mit einem Feuerstein entzündete.
„Wir haben kaum Essen dabei, nur noch was wir in unserer Vorratskammer hatten.“ meine Neral missmutig.
„Dann müsst ihr Beide eben jagen gehen.
"Jagen? Aber… aber wir können nicht jagen.“ stammelte Perren entsetzt.
„Dann lernt es, oder verhungert.“ griente der Zwerg und hielt ihnen zwei ziemlich stark betagte Messer hin.
„Das kann nicht dein Ernst sein. Die Dinger sind so verrostet, dass nicht mal ein Meisterjäger damit etwas töten könnte!“
„Dann macht sie scharf.“
„Man kann den Rost doch nicht wegschleifen, sonst würde das ganze Messer darunter leiden.“
„Schärfe es, ohne etwas abzuschleifen.“
„Das ist unmögl…“ in diesem Moment begriffen die Brüder.
Der Zwerg erwartete von ihnen, dass sie die Klingen in ihren Originalzustand zurückversetzten.
"Zauberei…“ murmelte Perren.
Vorsichtig legten sie die Messer überkreuzt auf den Boden vor sich.
Neral legte die Hände darauf, Perren hielt seine darüber. Beide begannen sich zu konzentrieren. Sie hatten das schon oft mit zerbrochenen Spitzhacken versucht, aber nie hatte es wirklich geklappt.
Minutenlang starrten sie, ohne mit der Wimper zu zucken auf die Messer vor sich. Jede Musterung des Rostes hatte sich in ihre Augen eingebrannt, jede Reflektion des, noch sauberen Metalls in ihren Blick eingraviert.
Plötzlich fiel ein Schatten auf sie.
„Ihr wisst, dass ihr eure Aura einsetzten müsst, oder?“ fragte Firix.
„Jaah, so in etwa. Aber wir wissen leider nicht, wie Perren es bei der Erweckung von Langelohn geschafft hat, seine aufflackern zu lassen.“ antwortete Neral entmutigt, aber ohne den Blick von den Messern zu heben.
„Aura…“, begann der Zwerg geheimnisvoll, „ist in euch. Aber man muss sie herausholen.“
Mit zwei schnellen Bewegungen presste er den Beiden die Daumen zwischen die Augenbrauen. Zu perplex um sich zu rühren, sahen die Brüder mit an, wie um sie herum plötzlich ein flackerndes Licht erwachte, erst schwach, bis es schließlich schien als seinen sie in farbiges Feuer eingehüllt.
Plötzlich flimmerte Nerals Aura und wurde komplett hellblau, Perrens dagegen leuchtete mit einem Mal in grellem rot.
Es war ein berauschendes Gefühl.
Ein Gefühl, als ob Neral Alles tun könnte. Ein Gefühl von Macht. Er nahm Alles war, jeden noch so versteckten Duft nach Tulpen, jedes noch so heimlich vorbeihuschende Mäuschen. Er sah Alles um sich herum. Roch Alles. Hörte Alles. Ein euphorisches Gefühl durchfloss ihn und eine Woge eiskalten Glücks schien seinen Brustkorb hindurch in seine Gedärme zu fließen.
Aber so schnell das Gefühl, das ihm die Aura beschert hatte, gekommen war, so war es auch wieder verschwunden. Mit offenem Mund, versuchte er zu begreifen, was geschehen war.
Vor ihm im Gras lagen zwei, auf Hochglanz polierte Messer.
Firix nickte.
„Ich habe nichts anderes von euch Jungs erwartet. Gut gemacht. Habt ihr verstanden, was ihr getan habt?“
Perren schwankte leicht mit dem Kopf.
„Wir haben es vom Rost befreit?“
„Genau, aber wie?“
„Indem wir den Rost durch Metal ersetzt haben?“ folgerte Perren.
„Nein, ihr habt das Metal von der Luft getrennt. Zusammen sind die beiden nämlich Rost. Verstanden?“ fragte Firix.
„Einigermaßen…“, antwortete Perren verwirrt, „komm, Neral, wir sollten los, es wird bald Dunkel.
Neral nickte. Hauptsache weg. Er schnappte sich die Messer und lief seinem Bruder hinterher in den Wald.