In der Innenstadt Tenvoras geht in den nächtlichen Nebeln ein mörderischer Schatten um. Die Wachen sind an den Grenzen ihrer Möglichkeiten angekommen und ein wohlhabendes Mitglied des Stadtrates beauftragt einen Joker...
Neblige Schwaden schlängelten vom Fluss herauf, hüllten Straßen und Gassen in ihrer weichen, feuchten Umarmung ein und gaben der Welt eine friedliche Stille vor der Dämmerung, die nur zum Schein der Wahrheit entsprach. Der bläuliche Lichtschein der Gaslaternen drang nur mühevoll durch die gräulichen Schleier aus Nebel und erhellte nur die nähere Umgebung ihres Standortes, wahre Inseln aus feuchten Nebelschatten waren so zwischen den einzelnen Laternen entstanden, so dass es kaum möglich war, weiter als bis zur nächsten Laterne zu sehen. Auch alle Geräusche wurden vom feuchten Nebelschleier geschluckt und verzerrt, so dass es passieren konnte, dass ein Pferdefuhrwerk wie aus dem Nichts aufzutauchen schien, um nach wenigen Augenblicken wieder in den gräulichen Schlieren zu verschwinden, als wäre es nur eine geisterhafte Erscheinung gewesen. Mehr als ein unachtsamer Nachtschwärmer hatte eine solche Begegnung bereits mit Knochenbrüchen hinter sich gebracht und die weniger glücklichen waren Opfer der stahlverstärkten Räder geworden, wenn Kutscher zu spät reagierten, denn was auf die Fuhrwerke zutraf, galt nun einmal auch für betrunkene Fußgänger, die sich wankend auf den Heimweg machen wollten. Und trotz dieser ungastlichen Umwelt waren die nächtlichen Straßen nicht ohne Leben, gerade diejenigen deren Lebensunterhalt eher zwielichtigen Ursprungs war, bevorzugten diese Art des Wetters um ungesehen ihre Bestimmungsorte zu erreichen und ihre Geschäfte ohne neugierige Augen abzuwickeln.
Doch um diese besondere Form des Lebens und die dazugehörigen Individuen zu finden, musste der interessierte Suchende sich von den üblichen Pfaden des Stadtlebens lösen und neue, dunklere Wege beschreiten, wenn er nicht bereits Angehöriger des gesuchten, lichtscheuen Dunstkreises war. Zwar gab es auch im Kern der großen Stadt einige gut besuchte Lokale, Pubs und sogar eines der fortschrittlichsten Theater des gesamten Landes, sowohl im Hinblick auf die progressiven Inhalte der gezeigten Stücke als auch bei Betrachtung der technischen Unterstützung der Aufführungen, doch waren in den frühen Morgenstunden die rechtschaffenden und gesetzestreuen Bürger bereits lange zurück in ihre Wohnstätten gekehrt.
Doch in der Nähe des Flusses, mit all seinen Anlegestelle und Verladebuchten, abseits der gutbürgerlichen Augen und gerne von der Stadtwache ignoriert, hatte sich eine eigene Form des Nachtlebens entwickelt, welches selbst jetzt, in den nebligen Stunden nach Mitternacht, noch lange nicht zum Erliegen kam. Näherte man sich diesen Bereichen, konnte sich der Eindruck aufdrängen, dass man mit einem Male eine vollkommen andere Stadt betreten hatte, denn bereits an der Verschmutzung der Gehwege und Straßen war zu erkennen, dass man das die gepflegten Stadtteile verlassen hatte und in andere Gefilde eingedrungen, auch wenn es sicherlich ein bis zwei Straßenzüge dauern mochte, bis der Verstand diese Veränderung registrierte. Hatte man dann aber diese Veränderung der äußeren Umgebung einmal wahrgenommen, drängten sich sofort weitere Unterschiede in den Vordergrund, die Gebäude wirkten verwittert und weniger sauber als ihre Entsprechungen in anderen Teilen der Stadt, als ginge es den Bewohner und Besitzern vor allem um Funktionalität und weniger um den äußeren Anschein einer korrekten, angepassten Fassade. Doch Gebäude und äußerer Anschein waren nicht die einzigen Veränderungen, die einem aufmerksamen Betrachter ins Auge fallen mochten. Wie minderjährige Grenzposten waren Gassenkinder in den äußeren Bereichen ihren Territoriums unterwegs und beobachteten alle Personen, die es wagten eben dieses zu betreten, um dann die älteren Mitglieder ihrer jeweiligen Bande mit Informationen über Neuankömmlinge zu versorgen, wobei das besondere Augenmerk darauf lag wie viel an Barschaft der Neuankömmling wohl in seinen Taschen mit sich führen würde und ob eine kreative Umverteilung des Geldes lohnenswert sein mochte. Ob man allerdings mit der Aufmerksamkeit einer Bande bedacht wurde, würde sich allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt erweisen, denn zuvor würde man mit der Aufmerksamkeit der nächsten Riege zwielichtiger Gestalten bedacht werden. Wiederum mochte sich der Vergleich mit der Einreise in ein fremdes Land aufdrängen, denn nach den Grenzposten hatten nun die freischaffenden Dienstleister des grenznahen Gebietes ihren Auftritt.
Aus kaum erleuchteten Gassen heraus wurden leise Einladungen gewispert, beinahe alles wurde versprochen von schmierigen Rauschmittelhändlern, aufgetakelten, welken Dirnen und Anderen, deren einzige Gemeinsamkeit es war, meist mehr zu versprechen als sie wirklich halten konnten. Denn sowohl die Damen und Herren der käuflichen Zuneigung als auch die hier postierten Händler verdienten sich entweder als Neulinge in ihrem jeweiligen Gewerbe ihre ersten Sporen oder befanden sich bereits wieder auf dem absteigenden Ast, aufgrund ihres Alter oder weil sie sich zu viele Fehler in einem Geschäft erlaubt hatten, dass keine Fehler verzieh.
Und so hatte man es mit zu stark geschminkten Mädchen zu tun, die hastig ihre Angebote herunter ratterten und dann voller offensichtlicher Abscheu ihren Versprechungen kaum nachkamen oder alten Frauen, deren Schminke die tiefen Falten in ihrer Haut nicht verbergen konnte und deren Atem nach zu viel Alkohol und Laudanum stank. War man weniger an der Befriedung sexueller Natur interessiert war, boten die verschiedenen Rauschmittelhändler eine Auswahl an beschämenden Betrügereien, wie mit wirkungslosen Kräutern gestreckte Rauschmittel oder gar Gewürzmischungen ohne jegliche Wirkung, und auch von anderen Händlern, verkauften sie Schmuck oder angeblich magischen Tand, war kaum mehr zu erwarten und Arzneien entpuppten eher als Gift denn als Heilmittel, ebenso wie die meisten Talismane alleine ein Bedeutung als schmückendes Accessoire geltend machen konnten.
Allerdings konnte man manchmal auch die sprichwörtliche Perle innerhalb dieser wenig versprechenden Schar von Dienstleistern finden, wenn man nur lange genug suchte, doch dies rührte meist daher, dass eine etablierte Vereinigung, von der Stadtwache als Bande bezeichnet, ihre Mittelsmänner geschickt positioniert hatte und auf der Suche nach neuen Kunden war. An dieser Stelle angekommen beendeten aber auch die meisten Besucher aus der gewöhnlichen Gesellschaft ihre Besuch, sei es weil sie sich wirklich verlaufen hatten oder doch weil sie auf der Suche nach einem billigen Nervenkitzel waren und diesen hier bekommen konnten.
Nur Naturen, die sich bereits im Vorfeld Gedanken über ihre Ziele gemacht hatten oder ihre Ziele bis zum Letzten verfolgen wollten, wagten sich weiter in die Nähe der Etablissements vor, deren in der Nacht allzeit beleuchteten Fenster das immerwährende Interesse an Kunden signalisierte. Im Gegensatz zu ihren Konkurrenten in den besser gestellten Vierteln der Stadt, waren diese Geschäfte allerdings nicht auf eine kontinuierlichen Fluss beliebiger Kunden angewiesen, sondern mehr daran interessiert die richtige Art von Kunden, zahlungsfähig und verschwiegen in erster Linie, zu ihren Gästen zu zählen. Und daher wurde die erste Kundenverbindung bereits vor der Tür geknüpft, wo erfahrene Werber und Wächter nach Interessenten Ausschau hielten und die Werbetrommel rührten. Dabei wurden diese Rolle sowohl von Männern als auch von Frauen übernommen, ganz der Willkür und Eignung für die Aufgabe überlassen, was bei einigen männlichen Herrschaften der Oberschicht immer wieder zu Verwirrung führte, wenn sie mit einem Male von Frauen Anweisungen entgegennehmen mussten, obwohl die Gleichberechtigung schon vor 20 Jahren bei der Krönung Königin Miranias eingeführt worden war, als eines ihrer ersten Edikte.
Und gerade in diesem Moment konnte man beobachten wie ein durch die Umstände des Viertels zusammengeführtes Paar aus dem Eingang des „Scharlachroten Skorpidans“ unter den aufmerksamen Blicken der Wächter und Wächterinnen des Hauses verließen. Der „Scharlachrote Skorpidan“, benannt nach dem giftigen krebsartigen Wüsteninsekt, war eines der erlesensten und berüchtigtsten Bordelle des Halbreiches, angeblich konnten dort wirklich alle sexuellen Vorlieben und Bedürfnisse ihre Erfüllung finden, wenn man bereit war den Preis zu zahlen, der nicht nur in klingender Münze bestehen musste, wenn man den Gerüchten Glauben schenken mochte. Bereits auf den ersten Blick konnte man erkennen, dass sowohl der dunkelhaarige Mann im langen, braunen Ledermantel als auch die Frau, deren halblangen, roten Haare die linke Hälfte ihres Gesichts verdeckten und deren Körper von einer roten, samtenen Korsage und einem schwarzen, wollenen Überwurf eingehüllt wurde, ausgiebig dem Alkohol zugesprochen hatten und sich kaum noch auf den Beinen halten konnten. Dieses Kunststück gelang ihnen nur deshalb, weil sie sich gegenseitig als Stützen gebrauchten, was bei jedem Taumeln zu leisem Lachen des Mannes und zu einem kehligen Kichern der Frau führte. Langsam und torkelnd entfernte sich das Paar von der hell erleuchteten Front des Bordells und tauchte in den grauen Nebel ein, der bereits nach wenigen Metern das Licht verschluckte und erst in einiger Entfernung vom Leuchten einer einzelnen Laterne wieder durchbrochen wurde. Wie nicht anders zu erwarten wurden auch die Wände der nahen Gebäude von dem Paar als zusätzlicher Schutz vor Stürzen genutzt, was bereits nach fünfzig Metern dafür sorgte, dass sie ein eine dunkle Gasse taumelten und dort lachend inne hielten.
„Ich will dich… gleich hier“ flüsterte der dunkelhaarige Mann keuchend der Frau ins Ohr und schob sie rückwärts gegen die ziegelsteinerne Wand, was sie mit einem leisen Auflachen beantwortet. Leidenschaftlich versuchte er ihr einen Kuss zu stehlen, doch im letzten Moment drehte sie den Kopf zur Seite, so dass er nur ihre Wange traf.
„Nicht so… stürmisch. Am Ende lässt du mich noch hier… Wo du mir doch eine Übernachtung versprochen hast.“ erwiderte sie neckend mit ihrer rauchigen Stimme und knetete dabei den Schritt seiner Hose mit ihrer rechten Hand, deutlich konnte sie fühlen, dass der Alkohol kaum Auswirkungen auf diesen Teil seines Körper hatte.
Seine Hände lagen neben ihrem Kopf an die Wand gestützt und er musste kurz die Augen schließen, ob der aufreizenden Behandlung, sein Atem ging schneller und er konnte nur schwach nicken, da ihm bereits jetzt die Knie weich wurden. Dann schlug er die Augen wieder auf und suchte ihren Blick.
„Also gut, Mae. Aber einen Kuss schuldest du mir…“ stellte er nun seine eigene Forderung, woraufhin sie mit ihrer anderen Hand seinen Nacken ergriff und ihn so näher heranzog. Ihre Lippen legten sich auf die seinen und gierig holte er sich seinen Kuss. Doch als er seinen Körper an den ihren presste, brach sie den Kuss und auch die intime Massage ab, ein breites Grinsen auf den Lippen.
„Na, na, mein harter Kavalier. Später gibt es mehr.“ flüsterte sie dem schweratmenden Mann ins Ohr und schob ihn etwas von sich, mit etwas mehr Kraft als er von der schmal gebauten Frau erwartet hätte. Nur kurz leistete er Widerstand bevor er übertrieben seinen Mantel zurechtrückt und dann mit einer spöttischen Verbeugung, die sicherlich nicht in sein übliches Repertoire an Verhalten gehörte, der rothaarigen Frau seinen Arm anbot. Ganz offensichtlich hatte der kleine Stopp in der Gasse den Alkohol wenigstens teilweise aus dem Blut der beiden getrieben, denn mit wesentlich sichereren Schritten waren sie nun auf dem Weg zur Unterkunft des Mannes, ganz wie er seiner Dame der Nacht zugesichert hatte.
Es dauerte etwa eine halbe Stunde bis das Paar die Grenzen des Viertels verlassen und in die bürgerlichen Bereiche der Stadt vorgedrungen waren, wo es auch nicht lange dauerte bis der dunkelhaarige Mann einen Kutscher geweckt und dessen Pferdedroschke für die letzte Etappe des Weges gemietet hatte. Weder das laute Klappern der beschlagenen Pferdehufe noch das wogende Schaukeln der Gästekabine störten das Pärchen bei ihrem ganz persönlichen, anregenden Zeitvertreib. Das Schaukeln und Schwanken stellte sogar eine nicht zu unterschätzende Bereicherung der Fahrt dar, da es die körperliche Distanz zwischen den beiden immer wieder unvermutet veränderte und so der rothaarigen Frau bei ihrem Bemühungen entgegen kam, ihren Begleiter auf der schmalen Linie zwischen Erfüllung und Frustration zu halten, ohne diese Absicht dem Leidtragenden allzu bewusst werden zu lassen.
Als die Droschke schließlich am Bestimmungsort, die Herberge „Gorbinas“, angekommen war, zerrte der Mann seine Begleiterin förmlich aus der Fahrgastkabine und warf dem Kutscher eine kleine Börse als Bezahlung zu, die mit Leichtigkeit das Dreifache des Fahrpreises enthielt, was ihm aber im Moment egal zu sein schien. Hätte er auch nur ein wenig Geistesgegenwart übrig behalten, so hätte er vielleicht das wissende Grinsen auf den Lippen der Frau und das Funkeln in ihrem blauen, sichtbaren Auge wahrgenommen. Beides wollte nicht ganz zu ihrem bisherigen Verhalten passen, doch bemerkt wurde es nicht, als sie die Stufen zum Eingang hinaufeilten, wo bei die Rothaarige durch das Ziehen des Mannes beinahe ins Stolpern geriet und sich erst im letzten Moment fangen konnte.
„ Jetzt aber langsam, Trison. Sonst breche ich mir noch etwas… und dann musst du mich die nächsten Stunden mit einem Medicus teilen… statt mich ganz allein zu haben.“ meinte sie daraufhin mit einem zweideutigen Grinsen auf den Lippen und löste sich vorsichtig aus seinem Griff, der nur für einen Moment fester wurde, bevor er dann doch nachgab.
„Na gut, meine schöne Mae. Aber nur… weil ich nicht länger warten will… Du hast mich lange genug hingehalten.“ erwiderte der Mann namens Trison und strich sich betont lässig eine Haarsträhne aus dem Gesicht, bevor er die Eingangstür für seine Begleitung öffnete und sich dabei so stellte, dass sie ihn im Vorbeigehen streifen musste. Die rothaarige Frau schüttelte mit einem Auflachen belustigt den Kopf und betrat dann das Gebäude, wobei sie sich absichtlich gegen seinen drahtigen Körper drückte und mit dem Handrücken ihrer linken Hand gekonnt seinen Schritt berührte, was ihr einen leichten Klaps auf den Hintern eintrug, als Trison ihr in das Gebäude folgte. Doch statt mit seiner Eroberung in sein Schlafgemach zu gehen, stieß er mit ihr zusammen als sie vom Gehstock eines Mannes zum Stehen gebracht wurde. Der feine Stoff und der Schnitt des Anzuges wiesen den Mann als einen Vertreter der Oberschicht aus und in seinen Augen waren Ehrgeiz und Bestimmtheit zu lesen.
„Sindora Graevlin? Mein Arbeitgeber hat einen Auftrag für Sie.“ kam er ohne Umschweife zum Punkt, ohne die Spitze des Gehstockes von der Brust der rothaarigen Frau zu nehmen. Verwirrt und überrascht blickte Trison zwischen den beiden hin und her, die angedachten fleischlichen Festivitäten waren für den Moment vergessen.
„Was zum dreifach Gehörnten…?“ presste der überraschte Mann hervor und musterte die rothaarige Frau, die sich ihm als Mae vorgestellt hatte…
Chimera Re: - Zitat: (Original von Fianna am 04.01.2012 - 17:58 Uhr) Ich finde deinen Schreibstil wirlich hervorragend. Vor allem die Beschreibungen und Umschreibungen. Du ziehtst einen regelrecht in die Geschichte hinein. Liebe Grüße Fianna Ich danke dir fürs Lesen und Kommentieren, Fianna. Und es freut mich, wenn die Geschichte dich ein wenig in ihren Bann ziehen kann. Liebe Grüße Chimera |