Fantasy & Horror
Custodia - Wächter des verlorenen Pfades (1)

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"Custodia - Wächter des verlorenen Pfades (1)"
Veröffentlicht am 04. Dezember 2011, 22 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Ich ...bin Österreicherin ...studiere Archäologie, Germanistik und Geschichte ...vertrage Kritik, solange sie begründet und ehrlich ist ...lese quer durch viele Genres ...glaube anders als Max Frisch und ähnlich wie Bert Brecht dass Literatur sehr wohl (wenn auch nur in geringem Maße) dazu beitragen kann, gesellschaftiche Veränderungen zu erwirken
Custodia - Wächter des verlorenen Pfades (1)

Custodia - Wächter des verlorenen Pfades (1)

Kapitel 1 - Kartenspiele

Es herrschte angespannte Stille.

Die Einsätze waren hoch und nur ein einziges Blatt war noch nicht aufgedeckt. Doch das Mädchen, das inmitten all dieser grobschlächtigen Trunkenbolde saß und immer noch seine Karten in der Hand hielt, hatte es nicht eilig. Ganz im Gegenteil.

Mit gleichgültiger Miene musterte es die aufgedeckten Karten. Es war knapp gewesen. Fast ein bisschen zu knapp. Das Mädchen setze ein falsches, erleichtertes Lächeln auf und legte die Karten langsam, eine nach der anderen vor sich auf den Tisch.

„Anfängerglück“, meinte es mit einem verschmitzten Grinsen und streckte die Arme nach dem Gewinn aus.

Doch eine andere Hand, eine große, kräftige, kam ihr zuvor und klatschte so hart auf den ohnehin schon wackeligen Tisch, dass aus mehreren Krügen Bier spritzte.

„Zieh deine Jacke aus!“, donnerte er und funkelte das Mädchen zornig an. Dieses erwiderte: „Es ist nicht gerade warm hier.“

Schnaubend vor Wut stemmte sich der Mann in die Höhe. Er torkelte leicht, was darauf hinwies, dass er sein letztes Geld wohl in mehrere Krüge Bier investiert hatte.

„Du …du spielst falsch“, lallte er und machte, mit anklagend ausgestrecktem Zeigefinger, zwei wackelige Schritte auf das Mädchen zu, das noch immer völlig ruhig sitzen blieb und sein unschuldigstes Gesicht aufsetzte, als es sagte: „Ich habe genauso ehrlich gespielt, wie ihr alle.“ Es wies auf den Bierkrug vor sich. „Ich habe sogar dasselbe getrunken wie ihr. Somit habe ich das Geld auf ehrliche Weise gewonnen. Du hättest vorher überlegen sollen, ob du dein ganzes Vermögen setzen willst, oder nicht. Jetzt ist es zu spät dafür.“

Erst blinzelte der Mann verwirrt, dann jedoch setzte er mit erhobener Faust seinen Weg fort. „Ich werd’ dir zeigen, was …“

„Wenn jemand betrogen hat“, unterbrach ihn das Mädchen gelassen und deutete auf ein paar Spielkarten, „dann solltest du dir mal deine eigenen Karten ansehen. In welchem Spiel gibt es schon fünf Eichen?“

Zwei weitere Männer sprangen auf und wandten sich dem Betrunkenen zu, der nun wieder anklagend mit dem Finger auf das Mädchen zeigte. „Sie hat die Karten gemischt, also muss sie die fünfte Eiche darunter geschummelt haben!“

„Verdammt“, entfuhr es dem Mädchen und mit einem Satz war es auf den Beinen, als sich ihm drei wütende, um ihr ganzes Geld betrogene, Männer zuwandten.

Für eine Flucht befand es sich in einer ziemlich ungünstigen Position. Die Tür befand sich auf der gegenüberliegenden Seite und wurde somit von den Männern versperrt. Auch durch die Fenster konnte es nicht fliehen, da diese wegen des starken Regens fest verschlossen waren. Eines davon zu öffnen, würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen.

Also blieb nur noch eines.

Von einem Moment zum anderen hielt das Mädchen ein Messer in der Hand. Einer der Männer griff nach einem Stuhl, während die anderen beiden ebenfalls Messer zogen.

Drei gegen eine. Das würde kein fairer Kampf werden.

Trotzdem mischte sich niemand ein. Die übrigen Gäste hatten die Schänke verlassen und der Wirt brummte nur: „Die Reinigung müsst ihr mir aber bezahlen.“ Mit diesen Worten verließ er den Raum und überließ die Kämpfenden ihrem Schicksal.

 

*

 

Derjenige, der als erstes angreift, ist immer im Vorteil.

Allerdings gilt der dann auch als derjenige, der den Kampf provoziert hat, was einem durchaus eine Gefängnisstrafe einbringen kann.

Dem Mädchen war dies entweder egal, oder aber es wusste nichts davon. Jedenfalls nutze es den Vorteil des Erstangriffs. Es sprang auf den Tisch, griff nach einem der Bierkrüge und schleuderte diesen in derselben Bewegung nach einem der Männer. Dieser duckte sich ungeschickt und rempelte dabei einen seiner Kameraden an. Der torkelte kurz, fand dann aber sein Gleichgewicht wieder und ging erstaunlich schnell zum Gegenangriff über. Mit dem Messer stieß er nach den Beinen des Mädchens. Behände, wie ein junges Reh, sprang dieses in die Luft und rammte dem Mann einen Fuß ins Gesicht. Er prallte zurück und hielt sich die gebrochene Nase. Das Mädchen holte erneut zu einem Fußtritt aus, doch die Gegner waren schneller. Beherzt griff einer von ihnen nach dem, auf ihn zurasenden, Fuß und bog ihn nach oben. Das brachte die Angreiferin aus dem Gleichgewicht und sie schlug so hart mit dem Rücken auf dem Tisch auf, dass dieser unter ihrem Gewicht zusammenkrachte.

„Das bezahlt ihr mir auch“, rief der Wirt aus einem Nebenraum, doch niemand achtete auf ihn.

Hustend und heftig blinzelnd, kämpfte sich das Mädchen aus den Trümmern hervor und sah sich sogleich einer scharfen Klinge gegenüber.

„Du solltest besser tun, was ich dir sage“, knurrte der Mann, der den Streit überhaupt erst begonnen hatte. „Wenn du artig bist, lasse ich dich vielleicht sogar am Leben. Ohne den ganzen Schmutz im Gesicht könntest du eine Schönheit sein. Ich könnte ein neues Hausmädchen gebrauchen.“

Ein hämisches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit und er gab den Männern hinter dem Mädchen ein Zeichen, woraufhin diese je einen von dessen Armen packten.

Ohne mit der Wimper zu zucken, stand das Mädchen stolz und aufrecht da. Es blickte dem Mann direkt in die Augen.

Er spürte es zwar nicht, doch genau in diesem Moment drang das Mädchen tief in eine Gedanken ein, entwirrte den Knoten aus Unsicherheit und Selbstblendung und erkannte seine wahren Absichten, die ihm selbst noch nicht einmal in den Sinn gekommen waren.

Unwillkürlich zuckte das Mädchen zusammen, als er einen weiteren Schritt auf es zutrat. Dann straffte es sich, zog trotzig die Schultern hoch und spuckte dem Mann ins Gesicht.

Voller Abscheu wischte er den Speichel weg und schlug dem Mädchen dann, wie beiläufig, mit dem Handrücken ins Gesicht.

„Ich werde dir wohl erst Manieren beibringen müssen.“ Er schlug auch noch mit der anderen Hand zu. Dann rammte er ihr die Faust mit voller Wucht in den Bauch.

Das Mädchen sackte in sich zusammen, versuchte aber, sich wieder aufzurichten.

Erbarmungslos hob der Mann die Hand erneut.

„Sofort aufhören.“

Wie durch Wolle drang die Stimme in das Bewusstsein des Mädchens. Sie war sanft, aber autoritär. Der Schläger zögerte und blickte zur Tür. Dort stand ein Mann mittleren Alters, mit kurz geschnittenem schwarzem Haar und einem Kinnbart. Er hatte seine Arme unter den Ärmeln seines weiten Gewandes verschränkt und blickte mit wachen, hellblauen Augen zu den Männern, die zu dritt ein junges Mädchen verprügelten.

Hinter ihm tobte das Unwetter. Der Wind zerrte an seiner Robe.

„Lasst das Mädchen los“, befahl er mit ruhiger Stimme.

„Aber“, begann einer, doch der Fremde ließ ihn gar nicht erst aussprechen, sondern wiederholte: „Loslassen, habe ich gesagt.“ Einen Moment lang tat sich überhaupt nichts, doch dann geschah das Unglaubliche.

Wie ein Mann zogen sich die drei Schläger von dem Mädchen zurück. Kraftlos sackte es gänzlich in sich zusammen.

Doch, noch ehe es den Boden berührte, hatte der Fremde es aufgefangen.

 

*

 

Besorgt musterte Cinàed van Grass das Mädchen, das unbeweglich auf einer der Sitzbänke lag. Diese Betrunkenen hatten es arg zugerichtet. Sein rechtes Auge war geschwollen und, mittlerweile getrocknetes, Blut klebte ihm im Gesicht.

Wäre er nur einen Moment später gekommen, wäre es vielleicht zu spät gewesen.

Allerdings hatte das Mädchen sein Eingreifen nicht nur einem glücklichen Zufall zu verdanken.

Tatsache war, dass ihn etwas hierher gelockt hatte. Die Schreie und das Poltern hätte er einfach ignoriert, wie immer. Schlägereien standen in diesem Teil der Stadt an der Tagesordnung.

Es war ein Gefühl gewesen, eine Bewegung, die nur er wahrnehmen konnte, da sie sich in seinem Geist abgespielt hatte. Er hatte sie gespürt. Die Kraft.

Und sie war eindeutig hier eingesetzt worden. Hier in dieser Schänke.

Als Custos war es seine Pflicht, der Sache auf den Grund zu gehen. Und seine Pflichten nahm er äußerst ernst. Diese Schlägerei war nur ein unangenehmer Zwischenfall gewesen, den er allerdings nicht hatte ignorieren können.

Nun musste er nur noch herausfinden, wer die Kraft benutzt hatte. Aus diesem Grund hatte er den Wirt gezwungen, die Gaststätte zu schließen und niemanden hinein oder hinaus zu lassen. Somit gab es nur vier Männer, die infrage kamen.

Nachdenklich richtete Cinàed den Blick wieder auf das Mädchen. Wäre es möglich …? Nein. Seit Jahrhunderten war die Kraft nur noch beim männlichen Geschlecht aufgefunden worden. Aber irgendetwas stimmte nicht mit diesem Kind, das vielleicht gerade einmal fünfzehn Jahre alt war und doch so viele Schläge beinahe lautlos ertragen hatte.

Irgendetwas war anders an ihm und Cinàed würde herausfinden, was es war. Und er würde den neuen Tiro finden.

Schließlich war das seine Pflicht und er würde sie wir immer gewissenhaft erfüllen. Selbst, wenn das Ärger bedeuten würde.

Während er so dasaß und darauf wartete, dass das Mädchen endlich die Augen aufschlug, spürte er, dass es tatsächlich Ärger geben würde. Und zwar gewaltigen Ärger.

Allerdings nicht von der Sorte, wie er es gewohnt war.

 

*

 

Alika schlug die Augen auf, blinzelte, blinzelte erneut, doch das Bild änderte sich nicht. Sie lag auf dem Rücken und starrte an eine Holzdecke.

Zuerst dachte sie, ihre Arme und Beine wären gefesselt, doch als ihr klar wurde, dass dies keineswegs der Fall war, sondern, dass ihre Glieder ihr einfach nicht gehorchen wollten, kämpfte sie sich mühsam in die Höhe und erstarrte.

Ihre Erinnerungen kehrten schlagartig zurück und damit auch die Schmerzen. Ihr Magen zog sich qualvoll zusammen und ihr wurde übel. Trotzdem stellte sie sich schwankend auf die Beine. Ihre Knie drohten nachzugeben und zu dem Schwindelgefühl gesellte sich ein stechendes Pochen hinter der Stirn.

Alles drehte sich.

„Du solltest dich besser wieder setzen. Es geht dir nicht gut.“

Die Sanftheit dieser Stimme beruhigte das Mädchen zwar, weckte aber gleichzeitig seinen Trotz.

„Mir geht es ausgezeichnet“, wollte sie sagen, doch aus ihrem Mund kam nur ein verzerrtes Krächzen und ihre Knie gaben vollends nach, sodass sie zurück auf die Bank sackte.

Sie presste die Lippen fest aufeinander, um keinen Laut von sich zu geben, als eine erneute Schmerzwelle sie innerlich aufstöhnen ließ.

Was hatten die bloß mit ihr angestellt? So schlimm war sie noch nie verprügelt worden. Nicht nur ihr Körper, sondern auch ihre Seele, schienen sich vor Schmerzen zu winden.

Sie war so sehr abgelenkt, dass sie nicht einmal bemerkte, dass ihr jemand eine Hand auf die Schulter gelegt hatte. „Der Schmerz wird gleich nachlassen“, meinte jemand voller Mitgefühl. Und von einer Sekunde auf die andere, fühlte sie sich besser. Die Schmerzen waren wie weggeblasen. Überrascht schlug Alika die Augen auf.

Alles stand still; wie es sein sollte und sie hatte ihre Glieder wieder unter Kontrolle.

„Was …?“

„Frag nicht, bitte. Ich wäre nicht in der Lage dir zu antworten.“

Vor ihr saß der Mann, der ihr höchstwahrscheinlich das Leben gerettet hatte und blickte sie mit seinen eindringlichen Augen an. Sein Gesicht war freundlich und bar jeglicher Bosheit. Jedenfalls hätte das jemand anderes sicher geglaubt. Alika hingegen wusste es besser.

Kein Mensch war absolut gut. Egal, wie gerne er es auch wäre. Es lag einfach nicht in der Natur des Menschen nur Gutes zu tun. Außerdem waren Gut und Böse eine Sache der Definition. Wo es das eine gab, musste es auch das andere geben. Wie bei Licht und Schatten. Ohne Finsternis konnte Helligkeit nicht definiert werden.

Hinter dem herzlichen Gesichtsausdruck des Mannes konnten sich zahlreiche böse Absichten verbergen. Am Gefährlichsten war schließlich immer der Feind, der einen mit einem einladenden Lächeln auf den Lippen die Kehle durchschnitt.

Aus diesem Grund ließ Alika Vorsicht walten, als sie fragte: „Was willst du von mir? Falls du Geld willst, muss ich dich enttäuschen. Ich habe alles beim Kartenspiel verloren.“

Ihr Gegenüber schüttelte langsam, fast bedächtig den Kopf und erwiderte, immer noch lächelnd: „Eigentlich wollte ich dich zu einem Kartenspiel herausfordern. Es heißt, du seiest die beste Spielerin zurzeit. Davon wollte ich mich selbst überzeugen.“

Das war gelogen und Alika war dies völlig klar. Sie hatte eine Nase dafür, wann sie jemand über den Tisch zu ziehen versuchte.

Wortlos stand sie auf und schob drei Silberstücke über den Tisch. „Das ist alles, was ich noch habe. Nimm es als Dank dafür, dass du mir das Leben gerettet hast. Für heute habe ich genug vom Kartenspielen.“

Damit wandte sie sich um und schritt eiligst auf die Tür zu. Sie wollte nur noch fort. Fort von diesem schrecklichen Ort; fort von diesem seltsamen Mann, vielleicht sogar fort aus dieser trostlosen Gegend.

„Warte.“

Dieses eine Wort machte alle ihre Gedanken auf einen Schlag zunichte und anstatt die Schänke auf der Stelle zu verlassen, drehte sie sich um und ließ sich wieder auf die Holzbank sinken.

„Her mit den Karten.“

Als sie bemerkte, dass diese Worte aus ihrem eigenen Mund gekommen waren, war es bereits zu spät.

Die Karten waren verteilt und die übrigen Mitspieler, die Männer, mit denen sie heute bereits gespielt hatte und der Wirt höchstpersönlich, waren bereit.

Es hätte wenig Sinn gemacht, sich weiter zu sträuben. Wenn dieser Mann unbedingt ein Spiel wollte, dann sollte er es bekommen, aber sicher nicht umsonst. „Was ist der Einsatz?“

„Respekt dem gegenüber, der gewinnt“, erwiderte ihr Gegenüber mit der ruhigen Stimme.

Alika kniff die Augen zusammen und meinte: „Respekt kann man nicht gewinnen; man muss ihn sich verdienen. Außerdem werde ich davon bestimmt nicht satt.“

„Hast du Angst, dass du verlieren könntest?“ Das war eine ganz einfache Frage, weder eine Herausforderung, noch eine Kränkung und trotzdem spürte Alika, dass sie spielen musste, egal, wie hoch der Einsatz war.

Sie hatte weder etwas zu verlieren, noch zu gewinnen.

Wovor zur Unterwelt hatte sie eigentlich Angst?

Bevor sie eine Antwort auf diese Frage finden konnte, begann das Spiel.

Den aufmerksamen Augen Alikas entging nicht, dass sie nicht die einzige war, die unfreiwillig an diesem Spiel teilnahm. Keiner schien besondere Freude daran zu haben.

Als letzte griff Alika nach ihren Karten. Sie musste ein Grinsen unterdrücken, als sie ihr Blatt sah. Sie würde es nicht schwer haben. Der Wirt gab eine seiner Karten an den Fremden weiter. Dieser wiederum gab eine seiner Karten weiter. Und so ging es mehrere Minuten lang, bis endlich einer verlangte, dass jeder zwei Karten offen lege. In diesem Moment begann Alika die Gedanken ihrer Mitspieler zu erforschen, so wie sie es immer tat. Bald wusste sie, dass weder die Schläger, noch der Wirt eine Chance gegen sie hatten. 

Blieb nur noch der aufdringliche Fremde.

Alika richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Schwarzhaarigen, der gerade mit ausdruckslosem Gesicht den Wirt musterte.

Plötzlich durchzuckte ein brennender Schmerz ihre Stirn. Tränen traten ihr in die Augen und sie keuchte gequält. Durch die Tränenschleier hindurch bemerkte sie, dass auch der Fremde zusammenzuckte. Er fing sich jedoch wesentlich schneller als das Mädchen. Während dieses noch gegen den Schmerz ankämpfte, breitete sich auf dessen Gesicht ein konzentrierter Ausdruck aus.

„Aber, das ist unmöglich“, stieß er genau in dem Moment hervor, als Alika das Bewusstsein verlor; bereits zum zweiten Mal an diesem Tag.

 

*

 

Sie wachte auf, weil es still war. Viel zu still.

Kein Stimmengewirr, kein Vogellaut, keine Schritte auf den gepflasterten Straßen. Nur diese unnatürliche Stille und das Gefühl beobachtet zu werden.

Schlagartig öffnete Alika die Augen.

Es war dunkel. Nur eine flackernde Kerze spendete etwas Licht. Verwirrt sah sich das Mädchen um. Es befand sich in einem kleinen spärlich eingerichteten Zimmer. Außer dem Bett, in dem es lag, gab es noch einen wuchtigen Kasten, ein kleines Regal und einen Tisch mit zwei Stühlen. Und einer dieser Stühle war nicht unbesetzt, wie Alika beunruhigt feststellte. Den Kopf in den Nacken gelegt und die Füße auf dem Tisch saß dort im Dunkeln der Mann, der sie zum Kartenspiel gezwungen hatte.

Als sie die dicke Bettdecke zurückstieß, stellte sie fest, dass sie nur mit einem dünnen Nachthemd bekleidet war. Suchend blickte sie sich um, doch sie konnte ihre Kleider nirgends entdecken. Vorsichtig, um den Schlafenden nicht zu wecken, verließ Alika das Bett und ging zum Kasten, um ihn zu öffnen. Bald erkannte sie, dass sie diesen ohne den dazugehörigen Schlüssel nicht aufbekommen würde. Jedenfalls nicht schnell und leise genug, um unbemerkt verschwinden zu können.

Irgendetwas sagte ihr, dass sich der Schlüssel hier im Zimmer befand, also begann sie zu suchen. All zu viele Verstecke gab es hier ja ohnehin nicht. Nachdem sie rund um das Bett, den Kasten und das Regal herum gesucht hatte, näherte sie sich leise dem Tisch. Der Schwarzhaarige schien noch immer zu schlafen. Seine Arme waren verschränkt und er atmete gleichmäßig.

Mit angehaltenem Atem trat Alika ganz an den Tisch heran und jubelte innerlich auf, als sie den großen Schlüssel erblickte, der unter den Füßen des Schlafenden hervorlugte. Noch einmal atmete sie tief durch und zog dann ganz vorsichtig daran. Langsam zerrte sie ihn unter den Füßen hervor.

Der Mann schlief weiter.

Um nicht doch noch alles zu verderben, ließ Alika sich alle Zeit der Welt, als sie den Kasten aufschloss. Darin fand sie mehrere sorgsam gefaltete Hosen und Hemden. In einem Nebenfach fand sie auch Unterkleider und Strümpfe. Ihre eigenen Sachen waren jedoch nirgends zu sehen. Somit blieb ihr nichts anderes übrig, als etwas von dem zu nehmen, was da war. Eine große Auswahl hatte sie ja nicht gerade.

Nachdem sie sich etwas Passendes zusammengesucht hatte, ging sie zurück zum Bett und legte dort alles ab. Dann blickte sie noch einmal zu dem Mann hinüber, der sich noch immer nicht gerührt hatte. Obwohl seine Augen immer noch geschlossen waren und sein Atem gleichmäßig ging, hatte Alika ein ungutes Gefühl. Sie erinnerte sich daran, dass sie beim Aufwachen geglaubt hatte, dass sie von jemandem beobachtet werden würde.

Doch sie schob diesen Gedanken eilig beiseite. Sie hatte schon genug Zeit verloren. Schließlich würde er nicht ewig schlafen.

Hastig schlüpfte sie aus dem Nachthemd und legte die Unterkleider an. Sie brauchte einige Zeit, um in die Hose hinein zu kommen, nur um dann festzustellen, das diese ihr viel zu groß war. Aus diesem Grund ging sie, nachdem sie das Hemd angezogen hatte, noch einmal zurück zum Kasten, um einen Gürtel oder auch nur eine Schnur zu finden.

Nach einigem Suchen wurde sie auch fündig.

In Windeseile legte sie den Gürtel an, riss dann einen Streifen Stoff aus einem der übrigen Hemden, formte daraus eine Schlaufe und band ihr langes, dichtes Haar zu einem Zopf zusammen. Ansonsten würde es sie nur behindern.

Als sie endlich mit allem fertig war, wandte sie sich der Tür zu. Bevor sie diese öffnete warf sie noch einen Blick zurück auf den Schlafenden.

Was er wohl mit ihr vorgehabt hatte.

Da sie es nicht wirklich herausfinden wollte, drückte sie die Türklinke nach unten. Problemlos ließ die schwere Tür sich öffnen.

Doch kaum hatte sie einen Schritt nach draußen in einen dunklen Flur gemacht, da hörte sie bereits eine bekannte Stimme.

„Willst du wirklich einfach gehen, ohne dich zu verabschieden?“

 

© Fianna 4/12/2011

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Fianna
Ich
...bin Österreicherin
...studiere Archäologie, Germanistik und Geschichte
...vertrage Kritik, solange sie begründet und ehrlich ist
...lese quer durch viele Genres
...glaube anders als Max Frisch und ähnlich wie Bert Brecht dass Literatur sehr wohl (wenn auch nur in geringem Maße) dazu beitragen kann, gesellschaftiche Veränderungen zu erwirken


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Fianna Re: -
Zitat: (Original von MiauFrosch am 25.02.2012 - 20:26 Uhr) Ich kann nicht mehr sagen, als das ich völlig in deinen Schreibstil verknallt bin *__*

Wunderschön geschrieben, Wortwahl perfekt, liest sich völlig flüssig und man will gar nicht mehr damit aufhören!

Beeindruckend, weiter so ! ;)


Vielen Dank. Das freut mich.

Liebe Grüße
Fianna
Vor langer Zeit - Antworten
MiauFrosch Ich kann nicht mehr sagen, als das ich völlig in deinen Schreibstil verknallt bin *__*

Wunderschön geschrieben, Wortwahl perfekt, liest sich völlig flüssig und man will gar nicht mehr damit aufhören!

Beeindruckend, weiter so ! ;)
Vor langer Zeit - Antworten
shirley Bin auf Seite 12. Habe heute schon einen tollen Roman entdeckt, wann soll ich das blos alles lesen?
Schreibst einfach klasse!!!
Vor langer Zeit - Antworten
Kaz3kage Cool! Freue mich schon auf das nächste Kapitel.

LG Kaz3kage
Vor langer Zeit - Antworten
kruemelkeks mir gefällt die geschichte auch super; hoffentlich kommt bald das nächste kapitel :))
Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Re: Ich kann nur zustimmen! -
Zitat: (Original von Kenshin am 04.12.2011 - 19:46 Uhr) Man ist ab dem ersten Satz perfekt im Geschehen und die gesamte Szene läuft wie kleiner Kinofiln vor dem geistigen Auge ab. Gerade im Mittelteil ( ab dem auftauchen des Fremdens ) hast du einige tolle Sätze verwendet, die dem ganzen zusätzliches Leben einhauchen.
Auch die Story ist zufriedenstellen. Gaben. Magie. Gedankenlesen? Gefällt mir. :)
...
Das einzige wäre vielleicht, dass man den Titel auf dem Titelblatt echt gar nicht erkennen kann.
Also kein wirkliches Manko, sondern eher das fieberhafte suchen nach einem Fehler von einem besessen Fehlersucher wie mir ^^

Hoffe es geht weiter



Vielen Dank für den Kommentar.

Es freut mich, dass meine Geschichte dich anspricht.
Die Fortsetzung ist schon in Arbeit.

Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Re: Meiner Meinung nach beherrscht du das Handwerkzeug zum Romaneschreiben absolut perfekt. -
Zitat: (Original von MysticRose am 04.12.2011 - 11:37 Uhr) Diese Geschichte zeigt's mal wieder.
Faszinierte Grüße
von
Admiranda


Vielen Dank.
Das ist Motivation pur :-)
Vor langer Zeit - Antworten
Kenshin Ich kann nur zustimmen! - Man ist ab dem ersten Satz perfekt im Geschehen und die gesamte Szene läuft wie kleiner Kinofiln vor dem geistigen Auge ab. Gerade im Mittelteil ( ab dem auftauchen des Fremdens ) hast du einige tolle Sätze verwendet, die dem ganzen zusätzliches Leben einhauchen.
Auch die Story ist zufriedenstellen. Gaben. Magie. Gedankenlesen? Gefällt mir. :)
...
Das einzige wäre vielleicht, dass man den Titel auf dem Titelblatt echt gar nicht erkennen kann.
Also kein wirkliches Manko, sondern eher das fieberhafte suchen nach einem Fehler von einem besessen Fehlersucher wie mir ^^

Hoffe es geht weiter

Vor langer Zeit - Antworten
MysticRose Meiner Meinung nach beherrscht du das Handwerkzeug zum Romaneschreiben absolut perfekt. - Diese Geschichte zeigt's mal wieder.
Faszinierte Grüße
von
Admiranda
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